Deschner und seine Kritiker
Hi.
Streng wissenschaftlich geht er jedoch nicht vor. Das Buch strotzt nur so von Behauptungen. Einige wenige werden ausführlich diskutiert, viele nur ganz kurz begründet, viele gar nicht begründet.
Mir liegt das Buch z.Zt. nicht vor, ich könnte es aber morgen im Gasteig einsehen. Grundsätzlich kann ich dazu sagen, dass - da es hier um Deschners Gesamtwerk geht bzw. gehen sollte - viele der „Behauptungen“, die du im ´Hahn´ als unbegründet empfindest, in Deschners späteren Büchern (vor allem der ´Krimininalgeschichte´) nähere Begründung erfahren. In der KG findest du z.B. ein Kapitel über Athanasius, das noch mehr ´belastendes´ Material präsentiert als das Kapitel im ´Hahn´. Allein der Verweis auf vermeintliche Mängel in diesem frühen Werk reicht nicht, um Deschner pauschal eine Neigung zur wissenschaftlichen Unsauberkeit anzuhängen. Sein Hauptwerk ist nun mal die KG.
Ein Beispiel von Hunderten:
Hunderte? Jetzt aber…
„Athanasius war weder ein Denker noch ein guter Stilist, wohl aber der Prototyp des intoleranten und machthungrigen Hierarchen“ (S. 436) Diese sehr schroffe und endgültige Behauptung steht ziemlich am Anfang eines Kapitels über Athanasius, ist nicht etwa das Fazit einer Beschreibung.
Wieso ist eine solche Vorgehensweise unwissenschaftlich? Deschner gibt eine These vor und versucht dann, sie zu begründen. Das ist wissenschaftlicher Brauch. Außerdem ist diese These keineswegs eine Erfindung Deschners, die er am Kapitelanfang einfach mal so raushaut, sie basiert vielmehr auf von Zeitgenossen überlieferten Berichten über Athanasius´ Charakter.
Ich zitiere dazu:
https://www.unifr.ch/bkv/kapitel3047.htm
Nachdem sie (= die Eusebianer, Anm. Chan) die Entfernung des Bischofs Paulus von Konstantinopel (Ende 338) und seine Ersetzung durch Eusebius erreicht hatten, legten sie bei den drei Kaisern neuerdings eine Klageschrift gegen Athanasius vor. Dieselbe führte neben den alten Klagen als neue Beschwerdepunkte an, Athanasius sei ohne Restitution durch ein kirchliches Urteil zurückgekehrt, habe durch seine Rückkehr in Alexandrien Unruhen hervorgerufen, habe gegen seine Widersacher Gewalt angewendet und Getreide, das für die Armen bestimmt war, unterschlagen. Die gleichen Klagen brachten die Eusebianer durch eine Gesandtschaft an Papst Julius I.
Bischof Epiphanius (315-403) schrieb über Athanasius:
Athanasius fehlt jeder Zug von Milde und Sanftheit. Er überredete, er ermahnte, er griff zur Gewalt. War er der Stärkere, so erlebten seine Gegner eine böse Stunde. Durch den beständigen Kampf wurde er polemisch; weil er ständig Schläge empfing, teilte er schließlich selbst Schläge aus, und zwar harte.
Im englischen Wikipedia findet sich folgendes:
http://en.wikipedia.org/wiki/Athanasius_of_Alexandri…
Athanasius has always been a controversial, if not divisive, figure. While some scholars praise him as an orthodox saint with great character, others see him as a power-hungry politician who employed questionable ecclesiastical tactics.
Das zeigt, dass sich Deschner das alles nicht aus den Fingern saugt.
Richtig nervig fand ich, dass alle Abweichler der Kirche von Deschner in hohen Tönen gelobt werden (Arius soll so ein liebevoller Kerl gewesen sein, Markion auch, etc.).
Was Arius betrifft, so gibt es ebenfalls zeitgenössische Darstellungen seines Charakters:
http://www.tlogical.net/bioarius.htm
One of the most famous of heretics; born in Libya sometime between 250 - 256 (according to others, in Alexandria) and he died at Constantinople in 336. He was educated by Lucian, presbyter in Antioch, and became presbyter in Alexandria. (…) He is described as a tall, lean man, with a downcast brow, austere habits, considerable learning, and a smooth, winning address, but quarrelsome disposition. The silence of his enemies conclusively proves that his general moral character was irreproachable.
Ich übersetze den letzten Satz:
Das Schweigen seiner Gegner belegt eindeutig, dass sein allgemeiner moralischer Charakter einwandfrei war.
Auch hier hat Deschners Einschätzung (des Charakters von Arius) eine wissenschaftliche Grundlage.
Vielleicht musste man das erst einmal so schreiben, um eine Bresche in die heilige kirchliche Welt zu schlagen!
Diese Bresche ist schon längst vorhanden, Deschner hat sie aber noch vertieft, klar.
Außerdem würde ein seriös aufgebautes Buch diesen dicken Schinken noch einmal um ein Vielfaches vergrößern!
Wenn man das Kriterium der Seriosität an konventionelle, also konservative Darstellungen der Kirchengeschichte anlegt (zumeist von Theologen verfasst), wird man bei genauer Prüfung finden, dass diese Werke von Unseriosiät nur so strotzen - und das in sehr viel höherem Maße als man es Deschners Werken vorwerfen kann. Das ist den Kritikern von Deschners vermeintlicher Unseriosität aus dem klerikalen Lager eben nicht bewusst: dass sie erst mal vor der eigenen Haustür kehren sollten. Dort liegt nämlich jede Menge Dreck.
An einem Punkt ist Deschner aus meiner Sicht nicht radikal genug: Er stellt nie die Historizität von JC in Frage. Dabei ist ihm sicher bekannt, dass entsprechende Zweifel seit dem 19. Jahrhundert in der Religionswissenschaft artikuliert und ausgiebig begründet werden.
Darum wünsche ich mir ein Buch, dass ausgewogen und sachlich Deschners Theorien untersucht. Ich vermute stark, man käme in vielem zu gleichen oder ähnlichen Ergebnissen!
Es ist Deschner-Kritikern nie gelungen, ihm relevante sachliche Fehler nachzuweisen. Was du unter „ausgewogen“ verstehst, ist mir unklar. Was bitte kann den hunderttausendfachen Verbrechen durch Folter und Mord denn entgegengestellt werden, das geeignet wäre, diese aufzuwiegen?
Chan