Hallo Nemo,
ich gebe Dir eine sehr persönliche Antwort mit meinem eigenen Verständnis:
- Die Erbsünde:
Für uns erstmal eine sehr fremde und antiquiert wirkende Vorstellung.
Ich finde aber, dass darin sehr treffende Gedanken stecken, wenn man sie von den moralischen Assoziationen befreit (und das ist wichtig!!).
Wir werden in Lebenszusammenhänge hineingeboren, in denen wir kein fehlerfreies und unbelastetes Leben führen können.
Wir übernehmen („erben“) belastende Themen unserer Eltern und Großeltern, tragen sie weiter und schlagen uns mit ihnen herum.
Und wir leben in Zusammenhängen, in denen wir anderen oder uns selbst schaden, ohne das als Einzelne ändern zu können. Heute in Deutschland zu leben, heißt z.B., allein durch unseren Energieverbrauch auf Kosten anderer zu leben. Es heißt, bei jedem Einkauf und mit unserem ganzen Wirtschaftssystem davon zu profitieren, dass anderswo Leute ausgebeutet werden.
Es heißt oft genug auch, in Arbeitszusammenhängen festzustecken, in denen wir uns selbst nicht gerecht werden können.
Dazu kommt, dass wir als Menschen einfach so gestrickt sind, dass wir nicht fehlerfrei sind, dass wir z.B. auch ungute Aggressionen oder Vermeidungsverhalten in uns tragen. Das ist unser genetisches Erbe als Art.
Alles Erfahrungen, dass es Dinge gibt, die unser Leben belasten, ohne dass wir ihnen individuell entgehen könnten. Das steckt für mich hinter dem Begriff „Erbsünde“.
- Der Kreuzestod:
a) Natürlich ist die Interpretation des Kreuzestodes eine Interpretation im Nachhinein. Der Mann wurde am Kreuz hingerichtet, und seine Jünger und spätere Generationen von Anhängern hatten damit klarzukommen und das Geschehene irgendwie für sich zu verstehen und zu deuten.
Ob davon irgendetwas das trifft, was „Gott denkt“, wissen wir nicht.
Die Deutung als Befreiung von der Erbsünde ist nicht die einzig mögliche Deutung des Todes Jesu.
b) Dass wir Menschen sterben, dürfte unstrittig sein, ebenso dass das Sterben in aller Regel Angst macht.
Wenn man an eine Auferstehung oder ein Danach glaubt, ist mir die Deutung des Todes Jesu am nächsten als „Ich muss durch den Tod durch, und da hat mir einer ‚den Weg gebahnt‘. Ich muss da nicht alleine durch und kann nicht verloren gehen.“
c) Natürlich ist in der Tradition der Zusammenhang von Erbsünde und Erlösung durch Jesu Kreuzestod stark moralisch geprägt. In dem Sinne: Die Sünde verschwindet nicht einfach von selbst, da muss irgendetwas folgen, um sie aufzuheben. Die Todesstrafe ist ein geeignetes Mittel, und die nimmt Gott selbst auf sich, um uns zu entlasten.
(Wichtig: Die Erlösung am Kreuz ist ohne die Trinität nicht zu denken! Gott opfert nicht einfach einen anderen, nämlich seinen Sohn, was bestialisch wäre. Sondern „Gottes Sohn“ ist ein Ausdruck dafür, dass in Jesus Gott selbst war/ist. D.h. Gott nimmt in Jesus selbst das auf sich, was nötig ist, um die Sünde aufzuheben.)
Ich bin nicht sicher, ob sich dieser Zusammenhang ohne die moralische Verknüpfung denken lässt. Ich erkenne aber schon etwas darin wieder:
Unsere Erfahrung, dass wir nicht fehlerfrei sind und uns als „nicht ganz gut“ erleben. Wenn wir die Nähe zu Gott suchen, schrecken wir womöglich zurück, weil wir uns nicht gut genug fühlen. (Und das ist eine Belastung, die auch ohne religiösen Bezug reichlich Menschen mit sich herumtragen.)
Die Vorstellung, dass unser „Nicht-gut-genug-Sein“ durch den Tod eines anderen aufgehoben ist, ist uns heute ziemlich fremd. Aber eigentlich ist das Konstrukt der Erlösung durch den Kreuzestod als etwas Befreiendes gedacht: „Schau, das, was Du befürchtest, verdient zu haben, ist schon ‚abgegolten‘! Dir droht nichts mehr.“
d) Nochmal von einer anderen Seite her gedacht:
Wenn ich davon ausgehe, dass in Jesus Gott in die Welt kam - vielleicht ist es unumgänglich, dass da irgendetwas zugrundegeht. Entweder die Welt, wie wir sie kennen, die nicht durch und durch gut ist, sondern jede Menge enthält, was nicht gut ist. Oder Gott, der durch und durch gut ist.
Und da hat sich Gott wohl für die letztere Variante entschieden.
Kann mir das mal jemand mit einfachen, verständlichen Worten erklären?
Äh - nein.
(Aber Lebensdeutung ist nunmal nicht immer einfach.)
Hier doch noch ein einfacherer Versuch:
Sünde (auch überindividuelle) kann nur aufgehoben werden, wenn es eine „Sühne“ gibt.
Passende Sühne für alles Schlechte am Menschen: Todesstrafe.
Damit wir das loswerden, was nicht gut an uns ist und uns von Gott trennen könnte, und um uns die Todesstrafe zu ersparen, übernimmt Gott sie (in seinem „Sohn“) selbst.
Resultat: Wir können sein, wie wir sind, und die „Erbsünde“ kann uns nichts mehr anhaben.
Viele Grüße,
Jule