Metaphers inkohärente Argumentation
Hi.
Du zitierst aus einem der beiden verlinkten Beiträge von Metapher:
Ein religionsimmanenter Wahrheitsbegriff unterliegt nicht
einem Beweis- oder Widerlegungskriterium… Daher sind
Aussagen wie z.B. „Religionen sind alle unwahr“ exakt genauso
verstandlos, wie das „meine Religion ist die wahre“ eines
Anhängers irgendeiner Religion, sofern „wahr“ als Gegensatz zu
„falsch“ gemeint ist. Es ist in beiden Fällen sinnloses
Gerede.
So wie ich Metaphers Ausführungen in beiden Beiträgen verstehe, bezieht er sich auf zwei unterschiedliche religionsinterne Wahrheitsbegriffe, die er von dem religionsexternen aussagenlogischen Wahrheitsbegriff unterscheidet. Ihm unterlaufen dabei zwei schwere formale Fehler (ungeklärte versteckte Prämissen), so dass ich mich im folgenden damit begnüge, diese zu erörtern, und auf eine inhaltliche Diskussion der beiden von ihm avisierten religionsinternen Wahrheitsbegriffe verzichte.
Zur Klärung: Der aussagenlogische Wahrheitsbegriff entspricht dem Schema ´p ist dann wahr, wenn p´. Ist p z.B. die Aussage ´Es schneit´, dann ist p wahr, wenn es tatsächlich schneit.
Metapher hält die Anwendung dieses Begriffs auf religiöse Aussagen für eine Kategorienverwechslung.
Zum einen grenzt er ihn von der Aussagenwahrheit des religiösen Mythos ab (z.B. Schöpfungsgeschichte). Man dürfe, so M., an einen solchen Mythos nicht das aussagenlogische Wahrheitskriterium anlegen, da die Wahrheit des Mythos nicht naturwissenschaftlich widerlegt werden könne. Vermutlich meint er, dass der religiöse Mythos auf allegorische Weise eine Wahrheit symbolisiert, die sich den Methoden der Naturwissenschaft entzieht.
Zum zweiten grenzt er ihn vom Wahrheitsbegriff seines Lieblingsevangeliums (Johannes) ab, wo der Protagonist verkündet: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (14,6) sowie " (…) ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (18,37).
Diese Wahrheit ist laut Johannes (und wohl auch in den Augen Metaphers) der Weg zur Freiheit und (wahrem) Leben.
Ich kommentiere beide Abgrenzungsversuche:
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Metaphers Argument, es handele bei dem, was wir heute als „religiöse Mythen“ bezeichnen, um bewusst fabrizierte Symbolisierungen, beruht im Fall der Genesis-Mythen auf der unbeweisbaren oder zumindest noch nicht bewiesenen Prämisse, dass die israelitischen Priesterautoren beim Abfassen der Genesis tatsächlich bewusst Allegorien produzierten.
Metaphers Argument stützt sich also nur auf eine nicht verifizierte und vermutlich auch nie verifizierbare Hypothese.
Damit hat sich die Wahrheitsfrage wieder dahin verlagert, wo M. sie im religiösen Kontext gar nicht haben möchte. Sie lautet nun:
Sind die Genesis-Mythen als Allegorien intendiert oder nicht?
Es ist, bevor M.s Argument inhaltlich diskutiert werden kann („Es gibt eine mythische Wahrheit“), zunächst zu klären, ob es sich überhaupt um Allegorien handelt, und wenn ja, an welchen Stellen.
Dieses kleine Detail hat M. übersehen.
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Der Wahrheitsbegriff im Joh-Ev zielt, so wie ich ihn verstehe, auf das „wahre Sein“ (des Menschen) im Unterschied zu einem uneigentlichen, in einer falschen Weltsicht befangenen Sein. Dieser Unterschied kommt im upanishadisch-vedantischen Wahrheitsbegriff sicher am klarsten zum Ausdruck: Erkennt der Mensch das Brahman (den Weltgeist), dann lebt er in der Wahrheit; andernfalls ist er im Netz der Maya, d.h. in einer falschen Weltsicht befangen.
Im christlichen Joh-Ev allerdings ist die Erkenntnis einer angeblichen Wahrheitsdimension („Gott“) vom Glauben an die Gestalt des Jesus abhängig, es führt kein Weg daran vorbei.
Auch in diesem Fall hat M. wahrheitstechnisch ein paar Details übersehen. Denn zu behaupten, dass in den Aussagen des Jesus ein spezifisch religiöser Wahrheitsanspruch erhoben wird, hat zur Bedingung, dass dieser Jesus historisch existiert hat. Ohne diese historische Existenz ist der Wahrheitsanspruch hinfällig, da dieser voraussetzt, dass Jesus real war.
Womit wir, wie schon unter 1), wieder um Bereich der Aussagenlogik gelandet sind, in der es um die Wahrheit von Sachverhalten geht. Die Frage lautet also:
War Jesus eine historische Person?
Ich will die Historizitätsfrage hier nicht im Detail aufrollen. Fakt ist, dass alle angeblichen außerchristlichen Indizien einer Historizität (Stellen bei Josephus, Tacitus usw.) in Bezug auf ihre Echtheit anzweifelbar sind, da sie unter dem begründeten Verdacht stehen, nachträgliche Interpolationen durch christliche Textfälscher zu sein (siehe dazu das Buch „Falsche Zeugen“ von Dr. Hermann Detering). Das NT allein kann und darf nicht als Basis einer Existenzannahme gelten.
Eine kritische Hypothese zur Entstehung der Jesus-Legende besagt, dass diese sich aus zwei Quellen nährte, (1) aus einer gnostischen Mythologie, in welcher Christus ein exklusiv himmlisches Wesen ist (ein „Äon“) ohne Menschennatur, und (2) aus überlieferten historischen Legenden um jüdische Märtyrer, die für ihren individuellen Glauben gesteinigt oder anderweitig hingerichtet wurden. In der Jesus-Legende wurde, laut dieser Hypothese, beides vereinigt.
Hinzu kommt, dass, selbst wenn man von der Geschichtlichkeit der Jesusgestalt überzeugt ist, nicht bewiesen werden kann, dass der Jesus-Spruch „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ auch wirklich von Jesus gesprochen wurde. Prof. Gerd Lüdemann z.B. bezweifelt das stark, für ihn sind alle „Ich-bin“-Aussagen des Jesus nachträgliche Autoren-Erfindungen. Zu bedenken ist auch, dass das Schema der Ich-bin-Aussagen formal eine Übernahme des Schemas der sog. Isis-Aretalogie darstellt, d.h. der rituellen Selbstaussagen der ägyptischen Göttin Isis. Schon das lässt bezweifeln, dass es sich um authentische Sprüche handelt.
Metaphers Statement
Ein religionsimmanenter Wahrheitsbegriff unterliegt nicht einem Beweis- oder Widerlegungskriterium.
hängt also im Fall des Joh-Evangeliums schon wegen der äußerst unsicheren Quellensitutation völlig in der Luft.
Hinzu kommt ein ethisches Problem: Die angebliche „christliche Wahrheit“ wurde im Abendland größtenteils gewaltsam verbreitet und wird innerhalb christlich orientierter Familien auch heute noch den heranwachsenden Kindern aufoktroyiert, ohne dass diese in der Lage sind, die vermittelten Inhalte kritisch zu überdenken.
Das steht im Widerspruch zum modernen Ideal der geistigen Selbstbestimmung des Menschen.
Chan