Gedichtsanalyse

Das Sonett von Clemens Setz

Ein Sonett, das ist ein vierzehnstöckiges Bürogebäude aus Glas und Beton.
Und hier und da segelt durch ein eckiges Fenster ein Flugzeug davon.
Es gibt einen Lift, der im Hals stecken bleibt,
es gibt Wolken, die durch die Fassade ziehen, ein Dach, ein weiteres Fenster, in dem jemand sitzt und schreibt, längst tot, aber immer noch wach.

Und Hampelmänner: Fensterputzer wischen mehrere Tage lang zärtlich Gesichter hinter dem Glas: weinende und lachende, die sie glauben zu kennen.
Ein Sonett hat Balkone und abgeknickte Antennen.
Und eine die schweigende Straße verneinende Gegensprechanlage.

Ich mache gerade mein Fachabitur in Bayern und muss dieses Gedicht analysieren.
Was ist die Hauptaussage und was hat der Inhalt mit dem Sonett zu tun? Kann mir jemand beim analysieren helfen?

Hallo Lisa,

Helfen heißt nicht, die Analyse für dich zu machen. Also fang schon mal an, und dann finden sich sicherlich auch Leute, die dir anschließend helfen. Aber erst musst du leisten, und zwar mehr, als nur das zu analysierende Gedicht zu posten.

Gruß
Christa

3 Like

Kommenden Mittwoch ist schriftliche Deutschprüfung, und du hast nicht mal irgendeinen Anfang zu bieten?

Hallo, @Lisa4561 !
Weisst Du denn, was ein Sonett ist?
Dann nimm Dir mal den ersten Satz (resp. die ersten zwei Zeilen) genau vor …

Gruß, Kudo

Doch ich habe einen Ansatz. Mein Ansatz ist, dass im Gedicht die Struktur und der Inhalt eines Sonetts beschrieben wird. Die 14 Stockwerke (V1) stehen beispielsweise für die 14 Verse eines Sonetts un der Lift der im Hals stecken bleibt, könnte den Cut symbolisieren zwischen den Quartetten und Terzetten, also der These und Antithese. Ich habe verstanden, dass die Merkmale eines Sonetts hier gennat werden, aber ich habe Probleme sie zu erkennen. Zum Beispiel die Balkone und abgeknickte Antennen. Welches Merkmal eines Sonetts spiegeln die wieder? Oder bin ich komplett auf der falschen Spur und es geht hoer um das Gebäude, um Anonymität, Distanz und Kälte, wie es Gedichte aus der Stadtlyrik beschreiben.

Ja ich weiß, was ein Sonett ist und ich weiß auch, dass die 14 Stockwerke die 14 Verse repräsentieren sollen und das Gals und Beton auf die feste Struktur hinweisen können. Allerdings fällt es mir schwer die weiteren Verse zu bestimmen bzw. welche Merkmale des Sonetts genannt werden. Was bedeutet zum Beispiel das Fleugzeug im eckigen Fenster oder die Person, die schreibt, die tot ist undgleichzeitig wach. Ich hätte das interpretiert, als Anonymität, Enge, Kälte etc. aber das hat ja nichts mit einem Sonett u tun. Ich verzweifle daran, welche Merkmale des Sonetts im Gedicht genannt werden und ob das auch das Hauptmerkmal des Gedichtes ist.

LG:)

Okay ja du hast Recht. Ich habe mir natürlich bereits Gedanken gemacht, die ich in den vorherigen Antworten an die anderen beiden Nutzer schon gennat habe. Ich weiß was ein Sonett ist und mir ist bewusst, dass das Gedicht die Struktur und den Inhalt eines Sonetts anhand eines Bürogebäudes erklärt, das weiß ich. Ich versuche nur verzweifelt herauszufinden, welche Merkmale des Sonetts die anderen Verse darstellen können, wie z.B die Balkone oder das Flugzeug. Das ist momentan mein Problem und vielleicht kann mir jemand seine Ideen dazu nenen oder vielleicht bin ich auch auf der falschen Spur und es geht gar nicht so hauptsächlich ums Sonett, sondern um das Gebäude, um die Mentalität der Stadt.

LG:)

Ich wusste es doch. Unsere Schulbildung ist am Arsch.

1 Like

Jegliches Gedicht gibt auch immer eine Position des Verfassers wider. Worüber könnte der Autor hier eine meinung äußern - Flugreisen, Digitalisierung, Inflation, das Sonett, Bürojobs, italienisches Essen, …?

Außerdem hat der Titel mehr als eine Bedeutung.

Kannst du mit diesem offenbar recht bekannten Gedicht etwas anfangen? Ich nicht, und ich bin froh, es nicht analysieren zu müssen.

  • Klar ist, dass dieses Gedicht in vielerlei Hinsicht gerade kein Sonett/ ein „Anti-Sonett“ ist: keine 14 Zeilen, kein Reim (bis auf die ersten beiden Zeilen, seltsam), wenig Rhythmus, keine geschlossene, strenge Form, unüblicher moderner, weitgehend emotionsloser Inhalt…

  • dazu viele wilde, irreale Bilder

  • Das ziemlich hermetisch abgeriegelte, anonyme Bürogebäude könnte eine Metapher dafür sein, wie Menschen heute auf diese alte lyrische Form gucken (Unverständnis, der Verfasser ist längst tot, die Interpreten wirken wie „Hampelmänner“, „Sonett“ kommt von Klang, und der bleibt im Hals stecken)

Aber mich spricht weder der Inhalt, noch die Sprache noch die mögliche Interpretation an!

Ein Sonett, das ist ein vierzehnstöckiges
Bürogebäude aus Glas und Beton.
Und hie und da segelt durch ein eckiges
Fenster ein Flugzeug davon.
Es gibt einen Lift, der im Hals stecken bleibt,
es gibt Wolken, die durch die Fassade ziehen, ein Dach,
ein weiteres Fenster, in dem jemand sitzt und schreibt,
längst tot, aber immer noch wach.

Gruß,
Eva

3 Like

Hallo!
Du hast die Frage schon in einem anderen Forum gestellt, richtig? :slight_smile:

Zu dem Setz und dem Gedichtband „Die Vogelstraußtrompete“, aus dem auch dieses Gedicht stammt, gibt es im Netz einiges zu lesen, auch ein paar Ansätze zur Interpretation. Für letzteres vielleicht auch hilfreich, mehr über den Autor zu erfahren, hier zum Beispiel.

Mir gefällt es übrigens ganz gut.
Gruß,
Eva

1 Like

Kannst du genauer sagen, was dir daran gefällt?

Ich denke, wir kriegen keine Antwort mehr, und was wir schreiben, interessiert auch nicht mehr. Heute morgen hat die FOS/BOS Bayern das Deutschabi geschrieben, und ab jetzt wird für Freitag gelernt, Profilfach. Deutsch ist gegessen.

Na ja, aber wenn @Karl2 sich weiter darüber unterhalten möchte, dann kann er das trotzdem tun.

Genau, ich nehme nicht an, dass wir für Lisa noch hilfreich sind. Mich interessiert, warum dieses Gedicht offenbar einen Wert hat, den ich nicht sehe.

Tatsächlich würde mich sehr interessieren, was ihr interpretieren würdet. Mir fiel es tatsächlich sehr schwer und falls ihr Lust und Zeit habt würde ich mich tatsächlich shr freuen, wenn ihr noch ein paar Meinungen und Ansätze hier rein schreibt. Also ich unterhalte mich sehr gerne weiter mit euch darüber, das hilft mir mehr, als man denkt:)

1 Like

Hallo @Lisa4561,

ich denke, das Gedicht ist eine Kritik an dem anonymen und starren Leben in der Großstadt, verpackt in einer Kritik an der starren und einförmigen Form des Sonetts. Das Gedicht heißt Sonett und ist keines, dafür fehlen ihm fünf Zeilen.
Der Autor zeigt uns, dass nichts so starr ist wie man glaubt: die ersten fünf Zeilen sind eigentlich zehn (wenn man sie so auseinandernimmt wie @newcallas das gemacht hart (danke, hab ich nicht gesehen, aber auch nicht gesucht).
Ich habe nicht großartig interpretiert oder konzentriert gelesen. Du hast das mit der Starre und Anonymität der Großstadt gefunden, das ist die knappe Hälfte der Hauptaussage. Du musstest nur noch herausfinden, warum der Autor gerade eine Großstadt hernimmt, um uns was über das Sonett zu erzählen, und das macht er gleich am Anfang: Ein Sonett, das ist ein vierzehnstöckiges Bürogebäude aus Beton". Dass er nicht (nur) mit einem Bürogebäude, sondern einer Stadt vergleicht, hast du auch herausgefunden. Das mit den abgebrochenen Antennen funktioniert ähnlich, das kannst du jetzt alleine (wozu sind Antennen prinzipiell da? Wozu ist eine Gegensprechanlage da? Was können beide im Gedicht, oder eben nicht?) Wenn du das hast, weißt du auch, was der Autor noch über das sonett denkt.
Und wenn du gut gelernt hast, wofür ein Sonett ursprünglich da war, weißt du auch, warum da Fensterputzer vorkommen, die Hampelmänner genannt werden (pro tip: wen nennen wir denn einen Hampelmann? Außer einem eigentlichen Hampelmann, dem Spielzeug)
Das, was der Autor mit dem Sonett gemacht hat und uns mitteilen will, habe ich dank newcallas und dir gefunden.

Tut mir leid, da wäre ich einen halben Vormittag beschäftigt und ich knobele grade an einem Problem in einer Übersetzung herum, das mich die Wände hochtreibt, weil ich keine Lösung finde.
Ganz kurz vielleicht: Mir gefällt es schon rein als Bild: Der Wolkenkratzer, in dessen gläserner Fassade sich ein abhebendes Flugzeug spiegelt, die „Wolken, die durch die Fassade ziehen“, die „Hampelmänner“(von unten sieht das so aus, die immer gleichen Bewegungen der Fensterputzer, die aus der Entfernung keine Individuen sind), die die Scheiben putzen, aber Fenster können so blank sein wie sie wollen, manche Leute sehen trotzdem nichts, außer ihrem eigenen Spiegelbild. Und der hinausschaut - sieht der sich nur als Schatten in einer Schattenwelt? Der Lift, der im Hals steckenbleibt, das ist der innere Drang, etwas ausdrücken zu wollen, aber man findet die Worte nicht. Aus der starren Form kann man ausbrechen (Balkone=geöffnete Türe, frische Luft, kleine Freiheiten, entstaubte Schubladen, weiterer Blick), Kommunikation mit dem „Außen“ funktioniert nicht (Antennen, Gegensprechanlage).

Das Schöne an Gedichten ist doch, dass jeder seine eigene Interpretation entwickelt, jeder fühlt sich auf einer ganz eigenen Ebene angesprochen - oder auch nicht. Ich möchte halt dem Dichter zunicken und sagen: „Das Gefühl kenne ich und es muss gar nicht speziell ein Sonett sein.“ :slight_smile:

Gruß
Eva

1 Like

Das Sonett von Clemens Setz

Ein Sonett, das ist ein vierzehnstöckiges
Bürogebäude aus Glas und Beton.
Und hier und da segelt durch ein eckiges
Fenster ein Flugzeug davon.

Es gibt einen Lift, der im Hals stecken bleibt,
es gibt Wolken, die durch die Fassade ziehen, ein Dach,
ein weiteres Fenster, in dem jemand sitzt und schreibt,
längst tot, aber immer noch wach.

Und Hampelmänner: Fensterputzer wischen mehrere Tage
lang zärtlich Gesichter hinter dem Glas:
weinende und lachende, die sie glauben zu kennen.

Ein Sonett hat Balkone und abgeknickte Antennen.
Und eine die schweigende Straße
verneinende Gegensprechanlage.

Liebe Eva, deine Beiträge haben mir sehr geholfen, danke! Das Gedicht beginnt mich zu interessieren.

  1. Liebe Lisa, warum hast du uns den Streich gespielt, das Gedicht völlig falsch aufzuschreiben? So ist seine Struktur extrem schwer erkennbar! Auch für dich! Oder hat Setz sein Sonett tatsächlich absichtlich „falsch“, wie ein Rätsel, aufgeschrieben?
    Wenn man es richtig aufschreibt (ist es so wie oben?) erkennt man: Doch, es ist sehr wohl ein Sonett, 14 Zeilen, und eben auch ein (fast) durchgehendes klassisches Reimschema.

  2. Dank dir, Eva, verstehe ich nun den „äußeren Anlass“, den viele Gedichte haben (oft bei Goethe, Eichendorf z.B.). Man steht vor einem Bürohaus, sieht ein Flugzeug sich im Glas spiegeln und Wolken scheinen durch den Fassade zu gehen. Das ist aber ein wichtiger, wenn auch nur äußerer Ausgangspunkt, von dem aus Gedichte entstehen können.

  3. Liebe Eva, das „jeder seine eigene Interpretation entwickelt“ geht mir viel zu weit. Natürlich darf jeder beim Lesen eines Gedichtes denken, was er will. Man kann bei Ingeborg Bachmanns Gedicht „Die große Fracht“ gerne an Spaß beim Segeln denken. Das hat aber dann mit dem Gedicht nicht das Geringste zu tun (da geht es um Abschied, Ende, Tod). Große Werke können unterschiedlich gesehen werden, rätselhaft sein, mehrdeutig, aber keinesfalls beliebig interpretiert werden.

  4. Von daher ist mir deine, miezekatze, Interpretation von der anonymen Großstadt nicht stichhaltig. Kritik am modernen Leben ist ein sehr beliebtes Motiv von Interpreten, es muss aber auch passen!
    In diesem Sonett sind ja negative und positive Bilder (segeln, Wolken, zärtlich, lachende) enthalten!

Man kann mehrere Gegensatzpaare finden:

weindende - lachende
Balkone (offen) - abgeknickte Antennen (keine Kommunikation)
längst tot - immer noch wach
eventuell auch: Glas (durchsichtig) - Beton (undurchsichtig)
Lift (Bewegung) - stecken bleibt

  1. Das Gedicht drückt also in jedem Fall Ambivalenz aus: Isolation/ Störungen der Kommunikation, aber auch Möglichkeiten (der Dichter, der längst tot ist, wird doch immer wieder noch gelesen, könnte man interpretieren)
    Also eventuell ist das Thema der Umgang des heutigen Menschen mit Sonetten/ Gedichten/ alten/erneuerten Formen, die zum Teil unverständlich erscheinen, zum Teil aber doch offen sind/ sein könnten?
    Das „zärtlich“ wirkt ironisch aufgrund der Hampelmänner, die „glauben, zu kennen“ (Interpreten, die Gedichte bewundern, ohne sie zu verstehen?)

Den letzten, sicherlich wichtigen Schlusssatz finde ich rätselhaft, vielleicht ist er mit Absicht mehrdeutig: Die Gegensprechanlage „verneint“ die Straße? Oder das Schweigen?

2 Like