Zwei Typen der Metaphysik
Hi Candide.
Habe Umzugstress hinter mir, daher die Verzögerung.
Hmm, ja, da schreibt Professor Wiki sicher Richtiges, aber er
trifft nicht ganz den Punkt, der meiner Unterscheidung in
einen metaphysischen und einen nicht-metaphysischen
Materialismus zu Grunde lag…
Ja, mir war und ist schon klar, dass Metaphysik weithin so verstanden wird, wie Habermas und du das tun. Habermas´ Buch kenne ich übrigens gut (wenngleich ich im Detail viel vergessen habe). Habermas meint natürlich eine „metaphysische“ Metaphysik (wenn ich mir das Wortspiel erlauben darf): eine Metaphysik der Transzendenz, der alles umgreifenden und empirisch nicht eindeutig verifizierbaren Totalsysteme in der Art von Platon, Hegel, dem Vedanta oder dem Christentum. Eine rein „ontologische“ Metaphysik aber bezieht auch den dogmatischen Materialismus ein. Beispielhaft hier ein Artikel aus dem Eisler-Lexikon:
http://www.textlog.de/4434.html
„Von den metaphysischen Problemen sind die hauptsächlichsten: 1) das ontologische Problem. Danach gibt es Materialismus (s. d.), Spiritualismus (s. d.), Identitätsphilosophie (s. d.); 2) das kosmologische: verschieden beantwortet von der mechanischen (s. d.) und von der teleologischen (s. d.) Weltanschauung, vom Monismus (s. d.) und vom Pluralismus (s. d.); 3) das metapsychologische: Monismus (s. d.), Dualismus (s. d.), Identitätslehre (s. d.), Parallelismus (s. d.); 4) das theologische: Theismus (s. d.), Pantheismus (s. d.), Panentheismus (s. d)., Atheismus (s. d.); 5) das Freiheitsproblem: Determinismus (s. d.), Indeterminismus (s. d.).“
Den Metaphysik-Begriff, um den es mir dabei geht, könnte man
mit verschiedenen Autoren belegen, da ich von unserer letzten
Begegnung noch weiß, dass du Wilber-Fan bist, wirst du auch
Herrn Habermas kennen und mögen:
Habermas ist, auf seine Art, cool. Seine Kommunikationstheorie und die frühere Interessentheorie haben es mir angetan. Leider hat er aber gar kein Talent für das Spirituelle.
http://www.buchhandel.de/detailansicht.aspx?isbn=978… Buch anschauen
Der von mir markierte Terminus „neuere Sprachphilosophie“
meint die (Sprach)Analytische Philosophie, und damit auch die
Philosophie des Geistes, die (größtenteils) in dieser
Tradition der (Sprach)Analytischen Philosophie steht.
Eine sehr verdienstvolle Richtung. Wittgenstein selbst war übrigens an der Mystik interessiert, das zeigen Sätze wie: „Es gibt allerdings Unaussprechliches: Dies zeigt sich, es ist das Mystische“ (Tractatus). Im Buddhismus gab es sprachanalytische Ansätze schon vor langer Zeit:
http://www.istb.univie.ac.at/cgi-bin/istb_website/db…
„… des indischen buddhistischen Philosophen Dharmakīrti (ca. 600-660 n.Chr.), der sich im Zusammenhang mit der Behandlung erkenntnistheoretischer und logischer Probleme auch mit dem Charakter der Sprache (…) daß der Wortgegenstand in einem Zusammenwirken von Tradition, Intention und konzeptueller Beurteilung gebildet wird, ohne daß er als realer Gegenstand in der Wirklichkeit aufgefunden werden könnte; daß er in der „Sonderung von anderen“ (Sankrit: apoha) besteht, d.h. daß Wörter nur dadurch bezeichnen, daß sie das, was sie nicht bezeichnen, aussondern, ausschließen (ein Ansatz, der an Saussures difference und Ecos „kulturelle Einheit“ erinnert), eben nicht die Welt an sich abbildend, aber sie auch nicht willkürlich organisierend: sie sind mit ihr durch die Beurteilung der Wirksamkeit der Dinge verbunden.“
Zitat ENDE.
Sehr interessant ist hier die Nähe zu Saussures Strukturalismus, der ja die ganze Richtung fundierte: die Zeichen zielen nicht auf Identitäten, sondern auf Differenzen.
Ich will damit nur zeigen, dass die modernen westlichen Ansätze auch sehr gut funktionieren, wenn man sie mit „Metaphysik“ (z.B. Buddhismus) kombiniert. Der linguistic turn wurde nicht im 20. Jahrhundert, sondern vor zweitausend Jahren und mehr von asiatischen Mystikern erfunden.
Darunter [Analytische Philosophie] versteht man die
im 20. Jh. dominierende philosophische Richtung, welche die
Aufgabe der Philosophie vor allem in der Sprachanalyse und
-kritik verortet.
Wie gesagt: diese Eingrenzung muss nicht sein. Das „Ding-an-sich“ bleibt ein Problem, das durch Aufgabenbeschränkungen auf das Linguistische nicht gelöst wird. Die Philosophie muss sich dem stellen. Wilber hat diese Herausforderung mit Erfolg angenommen.
Wissenschaft und Technologie sind nicht gegen
die Metaphysik eingestellt; deswegen nicht, weil der heu-
tige Mensch im Abendlande nichts von einer “übersinnli-
chen”, “transzendenten”, “jenseitigen”, “rein-vernünftigen”
Welt weiß.
Das ist nicht richtig so. Viele „heutige“ Menschen im Abendland glauben sehr wohl von transzendenten Dimensionen zu wissen, die aber nicht mit den traditionellen Systeme des Westens zu tun haben, vielmehr einiges mit den traditionellen Systemen des Ostens. Die Stärke der östlichen Systeme liegt ja darin, dass sie empirisch fundiert sind: sie gründen auf Samadhi-Erfahrungen. Oder vergleichbaren Erfahrungen, die wie auch immer zustande kommen.
Die Verwissenschaftlichung und Technologisierung
aller Bereiche unserer Lebenswelt führt heute zu einer nur
immanenten, d.h. weltlichen Explikation und Steuerung der
ganzen physischen und menschlichen Wirklichkeit. Mit
anderen Worten: im nachmetaphysischen Zeitalter sind alle
Formen des Wissens empirisch, sie sind Erfahrungswissen
(Wissen “allein aus der Erfahrung”). Die Erfahrung wird
nicht mehr transzendiert.
Transzendenz KANN erfahren werden - was heißt, dass bestimmte Bewusstseinsebenen transzendiert werden, die irrtümlich für das Alpha und Omega der mentalen Möglichkeiten des Menschen gehalten werden. Du weißt ja, was Wilber darüber schreibt. Dabei geht es gerade um Empirie, das ist ja der Clou. Übrigens waren viele der westlichen Klassiker auch Empiriker (nicht Empiristen), wie Plotin (mehrere spontane Erleuchtungserlebnisse), Platon (Eingeweihter in die Eleusinischen Mysterien) oder Meister Eckhart (Mystik), um nur drei Beispiele zu nennen.
Man kann die Unterscheidung zwischen Geist und Körper nicht
aus der Welt rausdefinieren. Jemand stößt sich am Türrahmen
den Kopf an. Der Schmerz ist ein mentales Phänomen, der
Türrahmen ein materielles.
So simpel ist das nun auch nicht gemeint gewesen, denn es geht
nicht (wie kommst du überhaupt zu dieser
Annahme?) um die Unterscheidung Schmerz vs.Türrahmen, die ja
nichts anderes ist als die Unterscheidung Ich vs. Ding bzw.
Ich vs. (Um)Welt, sondern um die ganz andersartige
Unterscheidung (mein)Leib vs. (meine)Seele.
Ein Leib ist ein Leib nur in einer Welt ähnlicher, d.h. materieller Dinge. Insofern ist beide Fragen (Geist vs. Leib / Schmerz vs. Ding) im Endeffekt gleichbedeutend. Der Kopf gehört zum Leib, und dieser kann als Materielles (im grobstofflichen Sinne) gegen (grobstoffliche) Türrahmen stoßen. Man kann nicht über Geist und Leib diskutieren, ohne die Welt des (grobstofflich) Materiellen auszuklammern.
Hier muss ich mal eine anti-materialistische Superwaffe einzusetzen: die Qualia-Theorie. Beispiel: „Rot“ ist zum einen eine mathematisch-physikalisch beschreibbare Farbfrequenz, zum andern ein mentales Phänomen, das NICHTS zu tun hat mit Mathematik. Letzteres Phänomen ist ein „Quale“.
http://de.wikipedia.org/wiki/Qualia
„Unter Qualia (Singular: Quale, von lat. qualis „wie beschaffen“) oder phänomenalem Bewusstsein versteht man den subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes. Das Verständnis der Qualia ist eines der zentralen Probleme der Philosophie des Geistes, da oft angenommen wird, dass ihre Existenz nicht mit den Mitteln der Neuro- und Kognitionswissenschaften erklärbar ist.“
Zitat ENDE.
Ich bin also ein Anhänger eines relativen Dualismus, siehe meine diversen Erläuterungen der grob/feinstofflichen Ebenen in der esoterischen Theorie (Die sechs Ebenen des Geistes). Absolut gesehen ist diese Theorie monistisch (alles entsteht aus dem Buddhischen), relativ gesehen aber gibt es den Unterschied zwischen grobstofflich (materiell) und feinstofflich (mental).
Und: Es ist eine Aussage über die
Wirklichkeit, nicht über eine „Meta-Wirklichkeit“, und auch
nicht bloß über die „soziale Wirklichkeit“, nein, schlicht und
einfach über die Wirklichkeit, also auch entsprechend über
Leib und über Seele, genauso auch über die kategoriale
Unterscheidung von Leib und Seele, denn die ist ja auch
wirklich.
Ich bin ungerne stur, aber auch andernorts findet sich ein Hinweis darauf, dass der SK metatheoretisch ist:
http://www.sowi-online.de/journal/2004-2/sozialkonst…
„Der Konstruktivismus ist - zunächst - keine Theorie der Gesellschaft oder der Pädagogik, sondern eine Metatheorie, die die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher (wissenschaftlicher und alltäglicher) Theoriebildung beschreibt. Konstruktivisten sind Beobachter II. Ordnung, sie beobachten, wie im Alltag oder in der Wissenschaft Wirklichkeit beobachtet und dadurch erzeugt wird.“
Zitat ENDE.
Ich habe behauptet, dass der Sozialkonstruktivismus eine der
vielen Positionen ist, die diese „vierte Position“
einnehmen, nicht sind.
Das ist ein großer Unterschied.
Habe ich jetzt kapiert. Das Ganze geht auf Berger/Luckmann (die sich auf Marx stützen) zurück, das hatte ich mal vor zehn Jahren etwas durchgesehen, aber wieder vergessen. Nun, klar ist das Meiste, was wir zu wissen glauben, nur ein vermitteltes Wissen, und die Situation wäre, was authentisches Wissen angeht, hoffnungslos, gäbe es tatsächlich nur vermitteltes Wissen, das in seinen verschiedenen Positionen miteinander konkurriert, ohne Anspruch auf Letztgültigkeit haben zu können.
Aber es gibt Ausnahmen: authentische Ausbrüche aus dem Raster der Lebenswelt, es gibt die alles Dingliche und Soziale transzendierenden Erfahrungen jenseits sozial aufgepropfter Wirklichkeitsbilder.
Derrida neigt zur jüdischen Mystik (Position 3).
Derrida ist sicher kein „Spiritualist“ deiner Definition nach.
Nirgendwo in seinem Oeuvre sind auch nur annähernd sinngemäß
diese deine, Position 3 definierenden, Sätze zu finden:
Das ist zweifellos richtig, ich denke, ich bin da einer Habermas´schen Fehldeutung aufgesessen, noch aus Zeiten der Lektüre seines Nach-Metaphysik-Buches.
Und eben diese Problematik hatte ich mit meinem Hinweis auf SK
und PS auch gemeint, welche - vereinfacht gesagt- die Welt als
Funktion sozialer Handlungen bzw. Sprechhandlungen begreifen.
Kommunikation und Sozialisation sind elementar, aber längst nicht das ganze Fundament. Ich halte das für allzu reduktionistisch. Bitte erkläre mir doch die Wirkung einer Beethoven-Sinfonie auf unseren Geist (oder was auch immer) auf der Grundlage deiner obigen These. Oder das Phänomen des Orgasmus. Oder der „Liebe“. Oder der Spiritualität.
Gruß
Horst