Geist-Körper-Problem

Zwei Typen der Metaphysik
Hi Candide.

Habe Umzugstress hinter mir, daher die Verzögerung.

Hmm, ja, da schreibt Professor Wiki sicher Richtiges, aber er
trifft nicht ganz den Punkt, der meiner Unterscheidung in
einen metaphysischen und einen nicht-metaphysischen
Materialismus zu Grunde lag…

Ja, mir war und ist schon klar, dass Metaphysik weithin so verstanden wird, wie Habermas und du das tun. Habermas´ Buch kenne ich übrigens gut (wenngleich ich im Detail viel vergessen habe). Habermas meint natürlich eine „metaphysische“ Metaphysik (wenn ich mir das Wortspiel erlauben darf): eine Metaphysik der Transzendenz, der alles umgreifenden und empirisch nicht eindeutig verifizierbaren Totalsysteme in der Art von Platon, Hegel, dem Vedanta oder dem Christentum. Eine rein „ontologische“ Metaphysik aber bezieht auch den dogmatischen Materialismus ein. Beispielhaft hier ein Artikel aus dem Eisler-Lexikon:

http://www.textlog.de/4434.html

„Von den metaphysischen Problemen sind die hauptsächlichsten: 1) das ontologische Problem. Danach gibt es Materialismus (s. d.), Spiritualismus (s. d.), Identitätsphilosophie (s. d.); 2) das kosmologische: verschieden beantwortet von der mechanischen (s. d.) und von der teleologischen (s. d.) Weltanschauung, vom Monismus (s. d.) und vom Pluralismus (s. d.); 3) das metapsychologische: Monismus (s. d.), Dualismus (s. d.), Identitätslehre (s. d.), Parallelismus (s. d.); 4) das theologische: Theismus (s. d.), Pantheismus (s. d.), Panentheismus (s. d)., Atheismus (s. d.); 5) das Freiheitsproblem: Determinismus (s. d.), Indeterminismus (s. d.).“

Den Metaphysik-Begriff, um den es mir dabei geht, könnte man
mit verschiedenen Autoren belegen, da ich von unserer letzten
Begegnung noch weiß, dass du Wilber-Fan bist, wirst du auch
Herrn Habermas kennen und mögen:

Habermas ist, auf seine Art, cool. Seine Kommunikationstheorie und die frühere Interessentheorie haben es mir angetan. Leider hat er aber gar kein Talent für das Spirituelle.

http://www.buchhandel.de/detailansicht.aspx?isbn=978… Buch anschauen

Der von mir markierte Terminus „neuere Sprachphilosophie“
meint die (Sprach)Analytische Philosophie, und damit auch die
Philosophie des Geistes, die (größtenteils) in dieser
Tradition der (Sprach)Analytischen Philosophie steht.

Eine sehr verdienstvolle Richtung. Wittgenstein selbst war übrigens an der Mystik interessiert, das zeigen Sätze wie: „Es gibt allerdings Unaussprechliches: Dies zeigt sich, es ist das Mystische“ (Tractatus). Im Buddhismus gab es sprachanalytische Ansätze schon vor langer Zeit:

http://www.istb.univie.ac.at/cgi-bin/istb_website/db…

„… des indischen buddhistischen Philosophen Dharmakīrti (ca. 600-660 n.Chr.), der sich im Zusammenhang mit der Behandlung erkenntnistheoretischer und logischer Probleme auch mit dem Charakter der Sprache (…) daß der Wortgegenstand in einem Zusammenwirken von Tradition, Intention und konzeptueller Beurteilung gebildet wird, ohne daß er als realer Gegenstand in der Wirklichkeit aufgefunden werden könnte; daß er in der „Sonderung von anderen“ (Sankrit: apoha) besteht, d.h. daß Wörter nur dadurch bezeichnen, daß sie das, was sie nicht bezeichnen, aussondern, ausschließen (ein Ansatz, der an Saussures difference und Ecos „kulturelle Einheit“ erinnert), eben nicht die Welt an sich abbildend, aber sie auch nicht willkürlich organisierend: sie sind mit ihr durch die Beurteilung der Wirksamkeit der Dinge verbunden.“

Zitat ENDE.

Sehr interessant ist hier die Nähe zu Saussures Strukturalismus, der ja die ganze Richtung fundierte: die Zeichen zielen nicht auf Identitäten, sondern auf Differenzen.

Ich will damit nur zeigen, dass die modernen westlichen Ansätze auch sehr gut funktionieren, wenn man sie mit „Metaphysik“ (z.B. Buddhismus) kombiniert. Der linguistic turn wurde nicht im 20. Jahrhundert, sondern vor zweitausend Jahren und mehr von asiatischen Mystikern erfunden.

Darunter [Analytische Philosophie] versteht man die
im 20. Jh. dominierende philosophische Richtung, welche die
Aufgabe der Philosophie vor allem in der Sprachanalyse und
-kritik verortet.

Wie gesagt: diese Eingrenzung muss nicht sein. Das „Ding-an-sich“ bleibt ein Problem, das durch Aufgabenbeschränkungen auf das Linguistische nicht gelöst wird. Die Philosophie muss sich dem stellen. Wilber hat diese Herausforderung mit Erfolg angenommen.

Wissenschaft und Technologie sind nicht gegen
die Metaphysik eingestellt; deswegen nicht, weil der heu-
tige Mensch im Abendlande nichts von einer “übersinnli-
chen”, “transzendenten”, “jenseitigen”, “rein-vernünftigen”
Welt weiß.

Das ist nicht richtig so. Viele „heutige“ Menschen im Abendland glauben sehr wohl von transzendenten Dimensionen zu wissen, die aber nicht mit den traditionellen Systeme des Westens zu tun haben, vielmehr einiges mit den traditionellen Systemen des Ostens. Die Stärke der östlichen Systeme liegt ja darin, dass sie empirisch fundiert sind: sie gründen auf Samadhi-Erfahrungen. Oder vergleichbaren Erfahrungen, die wie auch immer zustande kommen.

Die Verwissenschaftlichung und Technologisierung
aller Bereiche unserer Lebenswelt führt heute zu einer nur
immanenten, d.h. weltlichen Explikation und Steuerung der
ganzen physischen und menschlichen Wirklichkeit. Mit
anderen Worten: im nachmetaphysischen Zeitalter sind alle
Formen des Wissens empirisch, sie sind Erfahrungswissen
(Wissen “allein aus der Erfahrung”). Die Erfahrung wird
nicht mehr transzendiert.

Transzendenz KANN erfahren werden - was heißt, dass bestimmte Bewusstseinsebenen transzendiert werden, die irrtümlich für das Alpha und Omega der mentalen Möglichkeiten des Menschen gehalten werden. Du weißt ja, was Wilber darüber schreibt. Dabei geht es gerade um Empirie, das ist ja der Clou. Übrigens waren viele der westlichen Klassiker auch Empiriker (nicht Empiristen), wie Plotin (mehrere spontane Erleuchtungserlebnisse), Platon (Eingeweihter in die Eleusinischen Mysterien) oder Meister Eckhart (Mystik), um nur drei Beispiele zu nennen.

Man kann die Unterscheidung zwischen Geist und Körper nicht
aus der Welt rausdefinieren. Jemand stößt sich am Türrahmen
den Kopf an. Der Schmerz ist ein mentales Phänomen, der
Türrahmen ein materielles.

So simpel ist das nun auch nicht gemeint gewesen, denn es geht
nicht (wie kommst du überhaupt zu dieser
Annahme?) um die Unterscheidung Schmerz vs.Türrahmen, die ja
nichts anderes ist als die Unterscheidung Ich vs. Ding bzw.
Ich vs. (Um)Welt, sondern um die ganz andersartige
Unterscheidung (mein)Leib vs. (meine)Seele.

Ein Leib ist ein Leib nur in einer Welt ähnlicher, d.h. materieller Dinge. Insofern ist beide Fragen (Geist vs. Leib / Schmerz vs. Ding) im Endeffekt gleichbedeutend. Der Kopf gehört zum Leib, und dieser kann als Materielles (im grobstofflichen Sinne) gegen (grobstoffliche) Türrahmen stoßen. Man kann nicht über Geist und Leib diskutieren, ohne die Welt des (grobstofflich) Materiellen auszuklammern.

Hier muss ich mal eine anti-materialistische Superwaffe einzusetzen: die Qualia-Theorie. Beispiel: „Rot“ ist zum einen eine mathematisch-physikalisch beschreibbare Farbfrequenz, zum andern ein mentales Phänomen, das NICHTS zu tun hat mit Mathematik. Letzteres Phänomen ist ein „Quale“.

http://de.wikipedia.org/wiki/Qualia

„Unter Qualia (Singular: Quale, von lat. qualis „wie beschaffen“) oder phänomenalem Bewusstsein versteht man den subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes. Das Verständnis der Qualia ist eines der zentralen Probleme der Philosophie des Geistes, da oft angenommen wird, dass ihre Existenz nicht mit den Mitteln der Neuro- und Kognitionswissenschaften erklärbar ist.“

Zitat ENDE.

Ich bin also ein Anhänger eines relativen Dualismus, siehe meine diversen Erläuterungen der grob/feinstofflichen Ebenen in der esoterischen Theorie (Die sechs Ebenen des Geistes). Absolut gesehen ist diese Theorie monistisch (alles entsteht aus dem Buddhischen), relativ gesehen aber gibt es den Unterschied zwischen grobstofflich (materiell) und feinstofflich (mental).

Und: Es ist eine Aussage über die
Wirklichkeit, nicht über eine „Meta-Wirklichkeit“, und auch
nicht bloß über die „soziale Wirklichkeit“, nein, schlicht und
einfach über die Wirklichkeit, also auch entsprechend über
Leib und über Seele, genauso auch über die kategoriale
Unterscheidung von Leib und Seele, denn die ist ja auch
wirklich.

Ich bin ungerne stur, aber auch andernorts findet sich ein Hinweis darauf, dass der SK metatheoretisch ist:

http://www.sowi-online.de/journal/2004-2/sozialkonst…

„Der Konstruktivismus ist - zunächst - keine Theorie der Gesellschaft oder der Pädagogik, sondern eine Metatheorie, die die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher (wissenschaftlicher und alltäglicher) Theoriebildung beschreibt. Konstruktivisten sind Beobachter II. Ordnung, sie beobachten, wie im Alltag oder in der Wissenschaft Wirklichkeit beobachtet und dadurch erzeugt wird.“

Zitat ENDE.

Ich habe behauptet, dass der Sozialkonstruktivismus eine der
vielen Positionen ist, die diese „vierte Position“
einnehmen, nicht sind.
Das ist ein großer Unterschied.

Habe ich jetzt kapiert. Das Ganze geht auf Berger/Luckmann (die sich auf Marx stützen) zurück, das hatte ich mal vor zehn Jahren etwas durchgesehen, aber wieder vergessen. Nun, klar ist das Meiste, was wir zu wissen glauben, nur ein vermitteltes Wissen, und die Situation wäre, was authentisches Wissen angeht, hoffnungslos, gäbe es tatsächlich nur vermitteltes Wissen, das in seinen verschiedenen Positionen miteinander konkurriert, ohne Anspruch auf Letztgültigkeit haben zu können.

Aber es gibt Ausnahmen: authentische Ausbrüche aus dem Raster der Lebenswelt, es gibt die alles Dingliche und Soziale transzendierenden Erfahrungen jenseits sozial aufgepropfter Wirklichkeitsbilder.

Derrida neigt zur jüdischen Mystik (Position 3).

Derrida ist sicher kein „Spiritualist“ deiner Definition nach.
Nirgendwo in seinem Oeuvre sind auch nur annähernd sinngemäß
diese deine, Position 3 definierenden, Sätze zu finden:

Das ist zweifellos richtig, ich denke, ich bin da einer Habermas´schen Fehldeutung aufgesessen, noch aus Zeiten der Lektüre seines Nach-Metaphysik-Buches.

Und eben diese Problematik hatte ich mit meinem Hinweis auf SK
und PS auch gemeint, welche - vereinfacht gesagt- die Welt als
Funktion sozialer Handlungen bzw. Sprechhandlungen begreifen.

Kommunikation und Sozialisation sind elementar, aber längst nicht das ganze Fundament. Ich halte das für allzu reduktionistisch. Bitte erkläre mir doch die Wirkung einer Beethoven-Sinfonie auf unseren Geist (oder was auch immer) auf der Grundlage deiner obigen These. Oder das Phänomen des Orgasmus. Oder der „Liebe“. Oder der Spiritualität.

Gruß

Horst

Elvis, Mary und andere Bäuerinnen
Lieber [Edit: Name entfernt]!

Re: Zwei Typen der Metaphysik

Habermas meint natürlich eine „metaphysische“
Metaphysik (wenn ich mir das Wortspiel erlauben darf): eine
Metaphysik der Transzendenz, der alles umgreifenden und
empirisch nicht eindeutig verifizierbaren Totalsysteme in der
Art von Platon, Hegel, dem Vedanta oder dem Christentum. Eine
rein „ontologische“ Metaphysik aber bezieht auch den
dogmatischen Materialismus ein. Beispielhaft hier ein Artikel
aus dem Eisler-Lexikon:

Ich meine schon, dass Habermas’ Metaphysikbegriff diese „rein ontologische Metaphysik“ durchaus ebenfalls beinhaltet, aber diese Frage wäre -wie so vieles in unseren letzten beiden Beiträgen- einen eigenständigen Thread wert.

Die Verwissenschaftlichung und Technologisierung
aller Bereiche unserer Lebenswelt führt heute zu einer nur
immanenten, d.h. weltlichen Explikation und Steuerung der
ganzen physischen und menschlichen Wirklichkeit. Mit
anderen Worten: im nachmetaphysischen Zeitalter sind alle
Formen des Wissens empirisch, sie sind Erfahrungswissen
(Wissen “allein aus der Erfahrung”). Die Erfahrung wird
nicht mehr transzendiert.

Transzendenz KANN erfahren werden - was heißt, dass bestimmte
Bewusstseinsebenen transzendiert werden, die irrtümlich für
das Alpha und Omega der mentalen Möglichkeiten des Menschen
gehalten werden. Du weißt ja, was Wilber darüber schreibt.
Dabei geht es gerade um Empirie, das ist ja der Clou.

Völlig richtig (du beziehst dich ja nicht auf meinen eigenen Text, sondern auf eine zitierte Passage, die ich aus anderen Gründen zitierte, nämlich um zu zeigen, dass der Materialismus der modernen Wissenschaften quer steht zu jenem alten Materialismusbegriff, dessen Gegenbegriff der Spiritualismus ist).

Ja, gar keine Frage, Transzendenz KANN erfahren werden, und Transzendenz MUSS sogar erfahren werden, damit ‚immanente‘ Welterklärungen nicht dogmatisch erstarren.
Von daher sehe ich auch keinen starren Gegensatz zwischen Immanenz und Transzendenz, sondern die Notwendigkeit einer steten Verschiebung dieser Grenze, also einen unabschließbaren Prozess der ‚Immanentisierung‘ von Transzendentem.

Übrigens
waren viele der westlichen Klassiker auch Empiriker (nicht
Empiristen), wie Plotin (mehrere spontane
Erleuchtungserlebnisse), Platon (Eingeweihter in die
Eleusinischen Mysterien) oder Meister Eckhart (Mystik), um nur
drei Beispiele zu nennen.

yepp, dieser Empiriebegriff taugt mir natürlich.
Im Umkehrschluss müsste man dann übrigens auch sagen, dass viele Empiristen alles andere als Empiriker sind …

Und: Es ist eine Aussage über die
Wirklichkeit, nicht über eine „Meta-Wirklichkeit“, und auch
nicht bloß über die „soziale Wirklichkeit“, nein, schlicht und
einfach über die Wirklichkeit, also auch entsprechend über
Leib und über Seele, genauso auch über die kategoriale
Unterscheidung von Leib und Seele, denn die ist ja auch
wirklich.

Ich bin ungerne stur, aber auch andernorts findet sich ein
Hinweis darauf, dass der SK metatheoretisch ist:

http://www.sowi-online.de/journal/2004-2/sozialkonst…

„Der Konstruktivismus ist - zunächst - keine Theorie der
Gesellschaft oder der Pädagogik, sondern eine Metatheorie, die
die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher (wissenschaftlicher
und alltäglicher) Theoriebildung beschreibt. Konstruktivisten
sind Beobachter II. Ordnung, sie beobachten, wie im Alltag
oder in der Wissenschaft Wirklichkeit beobachtet und dadurch
erzeugt wird.“

Ich bin ebenfalls ungern stur, und dieser Sachverhalt ist auch nicht so wichtig, aber der zitierte Text passt m.E. schon aus zwei oberflächlichen Gründen nicht zur These „SK=Metatheorie“:

  1. das „zunächst“ sagt ja schon selbst aus, dass dem ein zweiter und gültigerer Blick folgen muss und ja auch folgt …

  2. die zitierte Passage bezieht sich (mit den Hinweisen auf die chilenischen Biologen Maturana/Varela und in Begrifflichkeiten wie „Beobachtung zweiter Ordnung“ usw. leicht erkennbar) auf die Theorie Niklas Luhmanns, die eine Theorie des Sozialen ist, die konstruktivistisch ist, die aber nicht allzu direkt dem eigentlichen „Sozialkonstruktivismus“ zuzurechnen ist, jedenfalls einen beträchtlich anderen Theoriehintergrund hat,nämlich aus der Biologie stammt; und übrigens auch in der Philosophie breit rezipiert wird.

Mein Argument noch:
Zunächst mag man tatsächlich von Metatheorie sprechen dürfen, wenn nicht ‚Welt‘ beobachtet wird, sondern Konstruktionen der Weltbeobachtung und des Zurechtkommens in der Welt.
Sobald man aber das Grundaxiom der Theorie, dass nämlich die Welt nur prozesshafte Konstruktion ist, einbezieht, muss das ‚Meta‘ zwingend wegfallen, weil diese Ebenendifferenz damit eingeebnet ist. Bezieht man das Grundaxiom nicht ein, dann bleibt man bei einer bloßen Fremdbeschreibung der Theorie stehen, und das ist völlig uninteressant.

Ich habe behauptet, dass der Sozialkonstruktivismus eine der
vielen Positionen ist, die diese „vierte Position“
einnehmen, nicht sind.
Das ist ein großer Unterschied.

Habe ich jetzt kapiert. Das Ganze geht auf Berger/Luckmann
(die sich auf Marx stützen) zurück

Nur in eher geringem Umfang auf Marx (und wenn Marx, dann vermittelt durch Karl Mannheim). Der Ansatz fusst hauptsächlich auf der Phänomenologie Husserls, vermittelt durch Alfred Schütz.

Nun, klar
ist das Meiste, was wir zu wissen glauben, nur ein
vermitteltes Wissen
und die Situation wäre, was authentisches
Wissen angeht, hoffnungslos, gäbe es tatsächlich nur
vermitteltes Wissen, das in seinen verschiedenen Positionen
miteinander konkurriert, ohne Anspruch auf Letztgültigkeit
haben zu können.

Aber es gibt Ausnahmen: authentische Ausbrüche aus dem Raster
der Lebenswelt, es gibt die alles Dingliche und Soziale
transzendierenden Erfahrungen jenseits sozial aufgepropfter
Wirklichkeitsbilder.

Auch das müsste man eigentlich gesondert diskutieren …

Wenn jemand aus seinen sozialen Routinen ausbricht und völlig neue Erfahrungen macht, oder Dinge erlebt, die ihn „sprachlos“ machen, heißt das noch lange nicht, dass diese Dinge ‚authentisch‘ wären. Es sind ja gerade die Normen der Sprache/Sprachverwendung, die Sprachlosigkeiten erzeugen.

Oder: sind denn radikale Ausbrüche aus der Lebenswelt denkbar, oder doch nur „Ausbrüche“, die als ‚Bruchstellen‘ selbst schon in der Lebenswelt angelegt sind?
Sind beispielsweise die drop-outs der 60er, auch die ‚radikaleren‘ unter ihnen, tatsächlich aus „der Gesellschaft“ ausgestiegen, oder waren sie nicht viel mehr die Avantgardisten der damaligen drop-out-Gesellschaft?

Und eben diese Problematik hatte ich mit meinem Hinweis auf SK
und PS auch gemeint, welche - vereinfacht gesagt- die Welt als
Funktion sozialer Handlungen bzw. Sprechhandlungen begreifen.

Kommunikation und Sozialisation sind elementar, aber längst
nicht das ganze Fundament. Ich halte das für allzu
reduktionistisch.

Das umgekehrte halte ich für reduktionistisch.

Positionen wie der PS besagen doch eigentlich weniger die Reduktion auf Sprache oder auf sozialen Praxen, sondern dass man dem Hic et Nunc einer Aussage nicht entkommen kann:
jede Aussage über die Welt wird unentrinnbar erst ermöglicht durch einen Begriffsapparat, durch sprachliche und soziale Normen, Syntax und Semantik, Diskurse - und auch vor allem (das ist mein persönlicher Favorit) durch die Dialogizität des Hic et Nunc.

Wer Aussagen über die Welt trifft, so wie er sie sich vorsprachlich oder vordiskursiv denkt, kann dennoch nicht leugnen, dass er diese Aussagen nur denken und treffen kann unter Verwendung von bestimmten Begriffen, bei Existenz bestimmter semantischer Bezüge, auf der Grundlage bestimmter sozialer Normen usw.

Bitte erkläre mir doch die Wirkung einer
Beethoven-Sinfonie auf unseren Geist (oder was auch immer) auf
der Grundlage deiner obigen These.

Für 99% aller Menschen der Menschheitsgeschichte wäre eine Beethoven-Sinfonie nur undifferenzierter und damit unerkennbare Krach, nicht zu unterscheiden von Bach, Elvis und den Sex Pistols, für manche Kulturen und Menschheitsgenerationen wohl nicht einmal von Industrielärm zu unterscheiden.

Hier ist die „soziale Konstruktion“ der Schönheit einer Beethoven-Sinfonie (ja sogar überhaupt ihre Erkennbarkeit als Musik) doch geradezu offensichtlich, oder?

Oder das Phänomen des
Orgasmus.

Lass doch bloß eine postmoderne Frau aus Berlin einer polynesischen Bäuerin aus der vorkolonialen Zeit erklären, was ein Orgasmus ist, und sie wird das garantiert nicht können (auch nicht durch entsprechendes Befummeln ‚aufzeigen‘), auch wenn sie die Sprache beherrscht. Und ich meine damit auch nicht das normale Problem des Fremdverstehens.

Oder der „Liebe“

Meine bäurischen Vorfahren haben einander aus Gründen von Nutzenserwägungen und familiären Vorgaben geheiratet (sehr plakativ gesagt, ich will gar nicht leugnen, dass auch hier Emotionen involviert waren), sie könnten unser Gefühl der „romantische Liebe“, die uns dazu bringt, Schmetterlinge im Bauch zu spüren und aus Liebe Beziehungen einzugehen, auch bei ausführlichster Erklärung nicht besser nachvollziehen als es der guten Farbenexpertin Mary aus der Schwarz-Weiss-Welt mit den Farben ergeht, um mal das angesprochene Qualia-Argument zu benutzen.

Auch solche scheinbar universalen und persönlichen Dinge erweisen sich bei genauem Hinschauen als alles andere als zeitlos und kulturübergreifend, sprich als alles andere als losgelöst von den kontingenten sozialen und sprachlichen Normen des Hic et Nunc.

Natürlich gibt es immer und überall einen Bauch, indem es kribbeln könnte, immer irgendwelche Körperteile, mit denen man Liebeshandlungen vollziehen könnte, das sind quasi vorgängige physiologische Substrate (deren Vorgängigkeit aber auch wieder nur eine nachträgliche Konstruktion ist).

Aber die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen des „Schmetterling im Bauch fühlens“, oder des „Sex aus Liebe“, die sind nicht vordiskursiv, und die leiten sich auch nicht vom ewigen Vorhandensein des Bauchs ab.

ℂ Λ ℕ Ð I Ð €

Die Autopoiesis des polynesischen Orgasmus
Hi Candide.

… aus anderen
Gründen zitierte, nämlich um zu zeigen, dass der Materialismus
der modernen Wissenschaften quer steht zu jenem alten
Materialismusbegriff, dessen Gegenbegriff der Spiritualismus
ist).

Sofern der moderne Materialismus nicht anders als der „alte“ die Existenz und die Wirksamkeit „mentaler“ (spiritueller) Entitäten bestreitet, sehe ich da kein relevantes Querstehen. Im folgenden zitiere ich eine Site, die die einzelnen Position schön auflistet. Ich würde meine Position am ehesten noch mit b.a (tendenziell auch b.b) identifizieren. Findest du dort ebenfalls eine Entsprechung deiner Lagebeurteilung?

http://andreas-woeller.de/philosophie_des_geistes.htm

a Dualistische Theorien: Körper und Geist sind zwei unterschiedliche „Substanzen“.
a.a Interaktionismus: Körper und Geist wirken aktiv aufeinander (Descartes, Eccles)
a.b Psychophysischer Parallelismus: keine Wechselwirkung zwischen Körper und Geist
a.c Epiphänomenalismus: Körperliche Prozesse erzeugen als Begleiterscheinung den Geist

b Monistische Theorien: Es gibt nur Körper oder nur Geist
b.a Neutraler Monismus: Geist und Materie sind verschiedene Aspekte einer einzigen Substanz, die psychische und physische Eigenschaften besitzt (Spinoza, Russell).
b.b Phänomenalismus: nur der Geist ist real, Materie als Erscheinungsform des Geistes (Berkley)

c Materialismus: Körper und Geist sind materieller Natur, deshalb ist eine naturwissen-schaftliche Erklärung des Bewusstseins möglich (Crick)
c.a Physikalismus: es gibt auch nicht-materielle Entitäten, alles ist physikalischer Natur.
c.b nichtreduktiver Physikalismus: Der Geist hängt von physikalischen Prozessen ab, ist aber nicht darauf reduzierbar.
c.c Reduktionismus (reduktiver Physikalismus): mentale Eigenschaften werden auf physi-kalische reduziert.
c.d Identitätstheorie: mentale Zustände sind mit physikalischen Zuständen identisch (Armstrong).
c.e Strikter/eliminativer Materialismus: Geist existiert nicht (Crick)
c.f Emergentismus: Bewusstsein als Systemeigenschaft des Gehirns, das nicht auf die Ei-genschaften seiner Teile reduzierbar ist (Bunge).

d Funktionalismus: mentale Zustände entsprechen funktionalen Zuständen des Organismus, alle Fähigkeiten des Menschen lassen sich auf Computern simulieren."

Zitat ENDE.

Ja, gar keine Frage, Transzendenz KANN erfahren werden…
Von daher sehe ich auch keinen starren Gegensatz zwischen
Immanenz und Transzendenz, sondern die Notwendigkeit einer
steten Verschiebung dieser Grenze, also einen unabschließbaren
Prozess der ‚Immanentisierung‘ von Transzendentem.

Das klingt in meinen Ohren nicht übel, aber könntest du das begrifflich präzisieren im Sinne einer Systematik, die u.a. klarstellt, was denn eigentlich der „Gegenstand“ transzendenter Erfahrung ist? Beispiel im Buddhismus: Nirvana, Shunyata, der Eine Geist, Sambhogakaya, Dharmakaya (die letzteren sind zwei der drei Körper des ‚symbolischen‘ Buddha) - Beispiel in der Esoterik: Astral-, Mentaldimension - Beispiel im Christentum: „Gott“ - usw.

  1. die zitierte Passage bezieht sich (mit den Hinweisen auf
    die chilenischen Biologen Maturana/Varela und in
    Begrifflichkeiten wie „Beobachtung zweiter Ordnung“ usw.
    leicht erkennbar) auf die Theorie Niklas Luhmanns, die eine
    Theorie des Sozialen ist, die konstruktivistisch ist, die aber
    nicht allzu direkt dem eigentlichen „Sozialkonstruktivismus“
    zuzurechnen ist…

Zum einen: Luhmann ist bekannt für seine Bewunderung des mittelalterlichen christlich-mystischen Philosophen Nikolaus von Kues. In der concidentia oppositorum fallen alle Differenzen in der allumfassenden Einheit (von Nikolaus zeitbedingt „Gott“ genannt) zusammen. Das erinnert an die New-Age-Philosophie des bekannten Physikers David Bohm (Wilber- und Capra-Umfeld), der das Universum als Entfaltung einer eingefalteten Ordnung sieht (Hg. Wilber: Das holografische Weltbild).

Ich will damit (eine Strategie, die ich gerne anwende) zeigen, dass hinter der „offiziellen“ Theorie eines Denkers inoffiziell-privat eine ganz andere (jene ergänzende) stehen kann.

Zu Varela/Maturana: bei ihnen scheint „Bewusstsein“ keinen nennenswerten Stellenwert zu haben, es ist in ihrer Theorie eigentlich gar nicht notwendig, davon zu sprechen: die Systeme schaffen und organisieren sich, indem sie sich abgrenzen gegen andere. Die Produktion von Grenzen produziert Innen/Außen und damit das Selbst. „Bewusstsein“ ist hier nicht erforderlich.

Slavoj Zizek bringt das Bewusstseins-Problem in seiner Behandlung der Varela`schen Autopoeisis zur Sprache. Zunächst diskutiert er die These, Bewusstsein sei ein Effekt neuronaler Prozesse, der durch Unstimmigkeiten während des autopoeitischen Prozesses ausgelöst wird. Er verwirft dies aber, da das heißen würde, es gäbe lückenlose materielle Kausalketten, die alles Mentale determinieren und einen Bewusstseins-Effekt erzeugen, die die eigenen Ursachen (die materielle Kausalkette) verkennt.

Damit verwirft Zizek genau den Biologismus innerhalb der PhdG, gegen die ich mich hier auch wende. Stattdessen befürwortet er eine Hegelianische Sicht der ontologisch fragmentarischen Prozessualität des Seins, ohne perfekte Kausalketten jenseits des erkennenden Bewusstseins.

http://www.scribd.com/doc/2473583/Zizek-Slavoj-Die-G…

(siehe Seite 57-59)

Kurz und gut, bei Varela vermisse ich einen differenzierten Bewusstseins-Begriff, wie er so wohltuend bei Wilber erscheint.

Kann es sein, dass du Bewusstsein vornehmlich als Effekt verstehst, als Bewusstseins-Inhalt, der immer in Abhängigkeit von Kontexten steht, somit also auch sozial oder wie auch immer „konstruiert“ ist? Nur so kann ich dich verstehen. Ich denke aber, man sollte unterscheiden zwischen „Bewusstsein“ als ‚Substanz‘ und „Bewusstsein“ als ‚Akzidenz‘. Das scheint mir die esoterische Sicht zu sein.

In der Esoterik ist das Mentale, wie von mir schon öfters dargestellt, ‚feinstofflich‘, d.h. es ist nicht Nichts, es hat eine spirituelle Materialität (Stofflichkeit). Es ist damit zunächst einmal ein Medium. In diesem Medium können Formen emergieren, die dann den Charakter von ‚Inhalten‘ haben (Bilder, Emotionen, Gedanken usw.). Diese emergierenden Formen können sehr wohl sozial bedingt sein, im Sinne von Abhängigkeit zu Symbolwelten innerhalb einer bestimmten Kultur. Theresa von Avilas Visionen offenbarten Engelfiguren, die mit Pfeilen in ihr vaginales Herz schossen und so ekstatische Wollust erzeugten. Hier verschmilzt das feinstofflich-astrale Medium (die spezifische Bewusstseinebene) mit Formen (Inhalten), die sozial determiniert sind. Das ändert nichts an der Tatsache, dass eine feinstoffliche Vision stattfand, die in ihrer Grundnatur NICHT sozial konstruiert ist. Nur die gegebenen Inhalte gehen ggfs. auf soziale Symboliken zurück.

Sobald man aber das Grundaxiom der Theorie, dass nämlich die
Welt nur prozesshafte Konstruktion ist, einbezieht,

Prozesshaft ja, aber nicht nur (soziale) Konstruktion. Diese ist ein Faktor unter mehreren. Analog: dass die weißen Eroberer in Afrika sich wie die Schweine benahmen (zuletzt noch Leopold von Belgien), liegt an ihren sozialen Kontexten, denen sie entstammten. Afrika und die Afrikaner aber sind kein Produkt dieser Kontexte - sie ermöglichen diesen nur, ihre Effekte zu entfalten.

Wenn jemand aus seinen sozialen Routinen ausbricht und völlig
neue Erfahrungen macht, oder Dinge erlebt, die ihn „sprachlos“
machen, heißt das noch lange nicht, dass diese Dinge
‚authentisch‘ wären. Es sind ja gerade die Normen der
Sprache/Sprachverwendung, die Sprachlosigkeiten erzeugen.

Lacan unterschied zwischen dem Imaginären (Narzissmus und narzisstisch geprägte Beziehungen), dem Symbolischen und dem Realen.

Wiki (Symbolische Ordnung):

"Die erste Verkörperung des Symbolischen ist die Mutter; sie ist ein „großer anderer Wille“, der spricht und der das Kind in die Ordnung der Sprache und des Sozialen einführt. Noch mehr gilt dies für den Vater, der im Ödipuskonflikt die verbietende Rolle des Gesetzes einnimmt (Inzesttabu, Kastrationsdrohung)…

In der Gesellschaft gilt das Gesetz des Symbolischen, d.h. das Gesetz der Sprache, der sozialen Normen und des ökonomischen Tauschs (vgl. auch Reziprozität). Das Symbolische ist in diesem Sinne gleichzusetzen mit der Ordnung der Sprache, des Diskurses, der staatlichen Herrschaft und der Ökonomie sowie dem „Gesetz des Vaters“ („Name-des-Vaters“)…"

Zitat ENDE.

Das Nicht-Symbolisierbare tritt als das Reale auf. Dieses ist nicht imaginär (also nicht im negativen Sinne halluzinativ), sondern einfach real - und damit per se authentisch. Sofern sich ekstatische Erfahrungen der Symbolisierung entziehen, gehören sie zum Realen - und sind authentisch. Denn der Mensch erschöpft sich nicht im Imaginären und im Symbolischen - sein Horizont reicht weiter, in das Unendliche.

Sind beispielsweise die drop-outs der 60er, auch die
‚radikaleren‘ unter ihnen, tatsächlich aus „der Gesellschaft“
ausgestiegen, oder waren sie nicht viel mehr die
Avantgardisten der damaligen drop-out-Gesellschaft?

Letzteres natürlich. Man muss aber immer auch die Einzelfälle betrachten, da kann man nicht verallgemeinern. Manche Spontis wurden erfolgreiche Börsenmakler, andere blieben ihrer Sache treu. Im Prinzip stehe ich hinter Leary und seiner Linie - wenngleich die einen Bruch erfuhr nach seiner Freilassung in den 70ern. Irgendwie hatte er einen Deal mit der CIA laufen. Ein entfernter Bekannter von mir war übrigens bis zu seinem Tod gut mit ihm befreundet.

jede Aussage über die Welt wird unentrinnbar erst ermöglicht
durch einen Begriffsapparat, durch sprachliche und soziale
Normen, Syntax und Semantik, Diskurse - und auch vor allem
(das ist mein persönlicher Favorit) durch die Dialogizität des
Hic et Nunc.

Ja, aber wo ist da - falls vorhanden - ein archimedischer Punkt, der z.B. dir anzeigt, was wahr und was falsch ist (auf allen Ebenen)? Bei Habermas ist dies die in den Diskurs eingebaute Rationalität.

Für 99% aller Menschen der Menschheitsgeschichte wäre eine
Beethoven-Sinfonie nur undifferenzierter und damit
unerkennbare Krach, nicht zu unterscheiden von Bach, Elvis und
den Sex Pistols, für manche Kulturen und
Menschheitsgenerationen wohl nicht einmal von Industrielärm zu
unterscheiden.

Das ist keine Antwort, die den Effekt von Beethoven-Sounds auf das Gemüt ERKLÄRT.

Hier ist die „soziale Konstruktion“ der Schönheit einer
Beethoven-Sinfonie (ja sogar überhaupt ihre Erkennbarkeit als
Musik) doch geradezu offensichtlich, oder?

Eigentlich nicht - ich wurde nicht zum Beethoven-Fan erzogen oder wie auch immer determiniert - ich gelangte ganz individuell dazu, indem ich schon recht jung feststellte, dass mir diese Musik viel gibt (nebst vielen anderen Styles, ich selbst mache Trance auf dem PC).

Oder das Phänomen des
Orgasmus.

Lass doch bloß eine postmoderne Frau aus Berlin einer
polynesischen Bäuerin aus der vorkolonialen Zeit erklären, was
ein Orgasmus ist, und sie wird das garantiert nicht können
(auch nicht durch entsprechendes Befummeln ‚aufzeigen‘)…

Sie braucht auch gar nicht postmodern rumzufummeln, das erledigen schon die Genitalien der einheimischen Männer:

http://www.arte.tv/de/Willkommen/Die-Welt-der-Papuas…

Chuuk (Mikronesien)
Auf der karolinischen Inselgruppe Chuuk wird die Schönheit einer jungen Frau nach ihren Lippen bemessen – den Schamlippen allerdings! Nachts schleichen sich die jungen Männer in die Hütten der schlafenden Frauen, schauen ihnen unter die Röcke und stellen Vergleiche in puncto besagter Attribute an. Die Mädchen beteiligen sich freiwillig an diesem Spiel und stellen sich schlafend, denn immerhin geht es darum, am Ende eventuell einen Heiratsantrag zu bekommen. Die sexuellen Praktiken der Chuuk-Männer drehen sich um ein weiteres anatomisches Detail der Frau: Bei einer überall im Südpazifik als „Chuuk-Hammer“ bekannten Sexualtechnik wird der Penis gegen die Klitoris der Frau geschlagen. Diese Methode, häufig ein Mittel zum Zweck, bereitet den polynesischen Frauen allerhöchsten Lustgewinn – und den Männern merkwürdigerweise auch!"

Zitat ENDE.

Oder der „Liebe“

Meine bäurischen Vorfahren … könnten unser Gefühl der
„romantische Liebe“, die uns dazu bringt, Schmetterlinge im
Bauch zu spüren und aus Liebe Beziehungen einzugehen, auch bei
ausführlichster Erklärung nicht besser nachvollziehen …

Deine Vorfahren in Ehren, aber Einzelfälle belegen noch nicht Allgemeines. Konkreter: ich verliebe mich, wenn, dann nur in schöne Frauen. Woher kommt diese Faszination an der erotischen Schönheit? Kann Varela oder der SK das erklären?

Gruß

Horst

Wieviele Säfte und welche Lüste hättens denn gern?
Lieber [Edit: Name entfernt]!

Ich war leider einige Tage nicht in PC-Nähe, aber wir sollten ja sowieso langsam zum Abschluss kommen, unsere Positionen scheinen sich allmählich herauszukristallisieren.

… aus anderen
Gründen zitierte, nämlich um zu zeigen, dass der Materialismus
der modernen Wissenschaften quer steht zu jenem alten
Materialismusbegriff, dessen Gegenbegriff der Spiritualismus
ist).

Sofern der moderne Materialismus nicht anders als der „alte“
die Existenz und die Wirksamkeit „mentaler“ (spiritueller)
Entitäten bestreitet, sehe ich da kein relevantes Querstehen.

Du sträubst dich, wie mir scheint, etwas zu sehr gegen diese Grenze, die metaphysisch vs. nachmetaphysisch heißt. Aber egal.
Ein Zitat noch zum Abschluss, der zwar auf den Naturalismus sich bezieht, aber mutatis mutandis auf den Materialismus genauso gemünzt werden kann:

Metaphysical naturalism, which is often called „philosophical naturalism“ or „ontological naturalism“, takes an ontological approach to naturalism. Ontology is a branch of metaphysics that studies being, and so this is the view that the supernatural does not exist, thus entailing strong atheism.
Steven D. Schafersman contends methodological naturalism is „the adoption or assumption of philosophical naturalism within scientific method with or without fully accepting or believing it … science is not metaphysical and does not depend on the ultimate truth of any metaphysics for its success (although science does have metaphysical implications), but methodological naturalism must be adopted as a strategy or working hypothesis for science to succeed. We may therefore be agnostic about the ultimate truth of naturalism, but must nevertheless adopt it and investigate nature as if nature is all that there is.“

http://en.wikipedia.org/wiki/Methodological_naturali…

Es dürfte klar sein, in welcher Kategorie der von mir einige Ebenen weiter oben angesprochene „Neurowissenschaftler, der bei seinen Leisten bleibt“ zu suchen ist, solange er bei seinen Leisten bleibt, und nicht zu „missionieren“ anfängt wie Dawkins oder Crick usw., welche einen Atheismus predigen, der keineswegs zwingend aus ihren wissenschaftlichen Daten folgt.
Dass sich gerade die Neurowissenschaften und teilweise auch die Biologie v.a. in popularwissenschaftlichen Werken zu einem „metaphyischen Naturalismus“ bzw. Materialismus hinreißen lassen, bestreite ich also gar nicht.
Das -und die Art der Kritik, die solche Autoren daraufhin erfahren- bestätigt m.E. aber mehr die Regel, als dass es sie einreißt.

Der „metaphyische Materialismus“ bezieht sich auf die gleiche ontologische Ebene wie der Spiritualismus, der „methodische Materialismus“ der empirischen Wissenschaften aber nicht, und ich weiß von keinem entsprechenden Pendant „methodischer Spiritualismus“, so dass ich hier diese Gegnerschaft, die dein 1,2,3 aufstellt nicht mehr erkenne, sobald ich den „metaphyischen Materialismus“ verlasse.

Ich weiß, ich wiederhole mich hier, wollte meine These nur noch einmal abschließend zusammenfassen.

Im folgenden zitiere ich eine Site, die die einzelnen Position
schön auflistet. Ich würde meine Position am ehesten noch mit
b.a (tendenziell auch b.b) identifizieren. Findest du dort
ebenfalls eine Entsprechung deiner Lagebeurteilung?

http://andreas-woeller.de/philosophie_des_geistes.htm

Nein, die finde ich nicht, weil diese Klassifikationen meine, eben als ontologisch/methodischer Materialismus, in früheren Posts als metaphysischer/moderner (empirischer) Materialismus, angesprochene Differenzierung gar nicht beinhaltet.

Ja, gar keine Frage, Transzendenz KANN erfahren werden…
Von daher sehe ich auch keinen starren Gegensatz zwischen
Immanenz und Transzendenz, sondern die Notwendigkeit einer
steten Verschiebung dieser Grenze, also einen unabschließbaren
Prozess der ‚Immanentisierung‘ von Transzendentem.

Das klingt in meinen Ohren nicht übel, aber könntest du das
begrifflich präzisieren im Sinne einer Systematik, die u.a.
klarstellt, was denn eigentlich der „Gegenstand“
transzendenter Erfahrung ist? Beispiel im Buddhismus: Nirvana,
Shunyata, der Eine Geist, Sambhogakaya, Dharmakaya (die
letzteren sind zwei der drei Körper des ‚symbolischen‘ Buddha)

  • Beispiel in der Esoterik: Astral-, Mentaldimension -
    Beispiel im Christentum: „Gott“ - usw.

Ich dachte dies philosophischer.
Begrifflich mit (und natürlich dann auch inhaltlich gegen) Kant könnte man mein obiges Programm der Immanentisierung des Transzendenten als „Ausweitung der Grenzen möglicher Erfahrung“ mittels z.B. dem Einsatz von Drogen umschreiben, aber auch ganz schnöde mittels der Arbeit an Begriffen.

  1. die zitierte Passage bezieht sich (mit den Hinweisen auf
    die chilenischen Biologen Maturana/Varela und in
    Begrifflichkeiten wie „Beobachtung zweiter Ordnung“ usw.
    leicht erkennbar) auf die Theorie Niklas Luhmanns, die eine
    Theorie des Sozialen ist, die konstruktivistisch ist, die aber
    nicht allzu direkt dem eigentlichen „Sozialkonstruktivismus“
    zuzurechnen ist…

Zum einen: Luhmann ist bekannt für seine Bewunderung des
mittelalterlichen christlich-mystischen Philosophen Nikolaus
von Kues.
In der concidentia oppositorum fallen alle
Differenzen in der allumfassenden Einheit (von Nikolaus
zeitbedingt „Gott“ genannt) zusammen. Das erinnert an die
New-Age-Philosophie des bekannten Physikers David Bohm
(Wilber- und Capra-Umfeld), der das Universum als Entfaltung
einer eingefalteten Ordnung sieht (Hg. Wilber: Das
holografische Weltbild).

Ich will damit (eine Strategie, die ich gerne anwende) zeigen,
dass hinter der „offiziellen“ Theorie eines Denkers
inoffiziell-privat eine ganz andere (jene ergänzende) stehen
kann.

Das ist sicher ein interessanter Schachzug, aber ich kann dir dahingehend nicht folgen, ob Luhmanns „private“ Theorie(einflüsse) tatsächlich Cusanisch sind.
Luhmann ist doch gerade der, der dieser „allumfassenden Einheit aller Differenzen“ (wie die Poststrukturalisten übrigens auch) eine radikale Absage erteilt …

Kann es sein, dass du Bewusstsein vornehmlich als Effekt
verstehst, als Bewusstseins-Inhalt, der immer in Abhängigkeit
von Kontexten steht, somit also auch sozial oder wie auch
immer „konstruiert“ ist?
Nur so kann ich dich verstehen.

Yepp.
Ich möchte „Bewusstsein“, genau wie auch „Materie“ nicht als Ein-heiten denken, sondern als konkrete kontextabhängige Effekte.

Mit Sartre gesagt: immer „Bewusstsein von etwas“, nie einfach „Bewusstsein“ als wäre dieses ein leerer Container, der nachträglich mit Inhalt gefüllt werden könnte.

Ich
denke aber, man sollte unterscheiden zwischen „Bewusstsein“
als ‚Substanz‘ und „Bewusstsein“ als ‚Akzidenz‘. Das scheint
mir die esoterische Sicht zu sein.

Ich weiß nicht, ob dies die esoterische Sicht ist, vermute es aber.
Es ist sicherlich die „metaphysische Sicht“.
Die Frage ist, warum sollte man das, was hat man davon, welchen Preis muss man dafür bezahlen, und welche Modalität von „Empirie“ braucht es dafür, um Bewusstsein als Substanz erfahren zu können?

Damit bin ich wieder bei meinem Ausgangsposting angelangt (wie oben beim „methodischen Materialismus“ auch): die Frage Esoterik vs. Esoterik-Skepsis ist für mich nicht eine deines 1,2 oder 3, sondern es ist für mich eine des empirischen (methodischen) Zugangs (wobei ich das keineswegs ‚empiristisch‘ verstanden haben möchte).

In der Esoterik ist das Mentale, wie von mir schon öfters
dargestellt, ‚feinstofflich‘, d.h. es ist nicht Nichts, es hat
eine spirituelle Materialität (Stofflichkeit). Es ist damit
zunächst einmal ein Medium. In diesem Medium können Formen
emergieren, die dann den Charakter von ‚Inhalten‘ haben
(Bilder, Emotionen, Gedanken usw.). Diese emergierenden Formen
können sehr wohl sozial bedingt sein, im Sinne von
Abhängigkeit zu Symbolwelten innerhalb einer bestimmten
Kultur. Theresa von Avilas Visionen offenbarten Engelfiguren,
die mit Pfeilen in ihr vaginales Herz schossen und so
ekstatische Wollust erzeugten. Hier verschmilzt das
feinstofflich-astrale Medium (die spezifische
Bewusstseinebene) mit Formen (Inhalten), die sozial
determiniert sind. Das ändert nichts an der Tatsache, dass
eine feinstoffliche Vision stattfand, die in ihrer Grundnatur
NICHT sozial konstruiert ist. Nur die gegebenen Inhalte gehen
ggfs. auf soziale Symboliken zurück.

Ok, so ähnlich habe ich das bei Wilber auch schon gelesen. Das verstehe ich schon.
Ich will auch nicht sagen, dass die unterschiedlichen Bewusstseinsebenen direkt sozial bedingt sind, sondern, dass erstens der Zugang, wer zu welcher Zeit mit welcher Legitimation usw. Zugang zu welcher Bewusstseinsebene erhalten kann, in hohem Maße sozial bedingt ist. Das zeigt ja allein schon die quasi universelle jahrtausendelange Unterdrückung der Mystiker anschaulich.

Und zweitens, dass aber diese Unterscheidung zwischen Medium und Inhalten selbst eine bestimmte Syntax und Semantik der Sprache sowie eine formale Logik erfordert, die es überhaupt erst möglich macht, so zu differenzieren.

Damit ist aber eben die sprachliche und auch die soziale Bedingung auch nicht aus der „Grundnatur der feinstofflichen Vision“ hinauskomplimentierbar.

Zumindest muss man konstatieren, dass sie nicht aus der Kommunizierbarkeit dieser Visionen wegzudenken sind, was aber viel heißt, weil dies m.E. auch die Kommunikation mit sich selbst umfasst, also das Denken.

Sobald man aber das Grundaxiom der Theorie, dass nämlich die
Welt nur prozesshafte Konstruktion ist, einbezieht,

Prozesshaft ja, aber nicht nur (soziale) Konstruktion.

Ok, sehe ich auch so.
Auf den schwierigen Begriff des Sozialen wollte ich eigentlich gar nicht so sehr mich einschießen. Ich vertrete keinen Kulturrelativismus, schon gar keinen Soziologismus.

Diese
ist ein Faktor unter mehreren. Analog: dass die weißen
Eroberer in Afrika sich wie die Schweine benahmen (zuletzt
noch Leopold von Belgien), liegt an ihren sozialen Kontexten,
denen sie entstammten. Afrika und die Afrikaner aber sind kein
Produkt dieser Kontexte - sie ermöglichen diesen nur, ihre
Effekte zu entfalten.

Stuart Hall z.B. würde in seinem Aufsatz „Der Westen und der Rest“ aber so ziemlich genau das sagen.
Natürlich ist ein Afrikaner als biologisches Wesen nicht ein Produkt des Kolonialismus, „Afrikaner“ als Identität aber sehr wohl.

Übrigens als biologisches Wesen durchaus auch, denn Menschen aus anderen Regionen der Natur wurden von eben diesem Denksystem des Kolonialismus als unbrauchbar definiert und in Folge auch physisch elimiert.

Natürlich ist auch Afrika als Landmasse keine Konstruktion des Kolonialismus, wohl aber Afrika als politische, geographische, kulturelle Identität, als ein paranoides Zerrbild des Westens, als Unzivilisation, als Hort freier Sexualität, als Paradies, als Heiden, als Sklaven, als Schwarze, usw.

Und selbst als Landmasse ist es in Zeiten des atomaren Overkills an soziale und kulturelle Bedingungen geknüpft, zumindest daran, nicht in die Luft gejagt zu werden, also in vollstem Sinne de-materialisiert zu werden.

Wenn jemand aus seinen sozialen Routinen ausbricht und völlig
neue Erfahrungen macht, oder Dinge erlebt, die ihn „sprachlos“
machen, heißt das noch lange nicht, dass diese Dinge
‚authentisch‘ wären. Es sind ja gerade die Normen der
Sprache/Sprachverwendung, die Sprachlosigkeiten erzeugen.

Lacan unterschied zwischen dem Imaginären (Narzissmus und
narzisstisch geprägte Beziehungen), dem Symbolischen und dem
Realen.

yepp, das weiß ich.

Das Nicht-Symbolisierbare tritt als das Reale auf. Dieses ist
nicht imaginär (also nicht im negativen Sinne halluzinativ),
sondern einfach real - und damit per se authentisch. Sofern
sich ekstatische Erfahrungen der Symbolisierung entziehen,
gehören sie zum Realen - und sind authentisch. Denn der Mensch
erschöpft sich nicht im Imaginären und im Symbolischen - sein
Horizont reicht weiter, in das Unendliche.

Ich müsste bei Lacan nachlesen, weil ich ihn nicht so gut kenne.
Das ist mir jetzt zuviel, aber ich glaube nicht, dass bei ihm die Vorstellung von Authentizität eine so zentrale Rolle in dieser Trias spielt (Stichwort: ‚Ich ist ein Anderer‘, sicher ein zentraler Satz gegen Authentizitätsvorstellungen).

Es ist richtig, dass das Reale eine Erschütterung des Symbolischen ist, gleichsam seine stete Ek-Stase darstellt, aber m.E. auch schon bei Lacan (ganz sicher dann bei Derrida, der ja massiv auf Lacan basiert, oder auch bei Heidegger, auf den Lacan zu einem guten Teil basiert) ist es seine Ek-Stase, eine Erschütterung des Symbolischen, durch dessen eigenen Mangel (an Mater-ialität, mutterhafter jouissance).

Es ist m.E. schwer zu sagen, ob Lacan noch wirklich das Reale als „Fülle“ denkt, einiges spricht dafür, einiges nicht, aber um Lacan-Exegese geht es uns hier ja nicht.
Ich würde jedenfalls (im Sinne der Poststrukturalisten, von denen Lacan in mancher Hinsicht der erste war) keinesfalls das Symbolische als eine Superstruktur verstehen, die dem Fluss authentischer Erfahrungen ‚übergestülpt‘ ist.

M.E. ermöglicht Sprache erst Authentizitäts-Erfahrungen, die dann aber nicht mehr in vollem Sinne als authentische Erfahrungen zu verstehen sind.

jede Aussage über die Welt wird unentrinnbar erst ermöglicht
durch einen Begriffsapparat, durch sprachliche und soziale
Normen, Syntax und Semantik, Diskurse - und auch vor allem
(das ist mein persönlicher Favorit) durch die Dialogizität des
Hic et Nunc.

Ja, aber wo ist da - falls vorhanden - ein archimedischer
Punkt, der z.B. dir anzeigt, was wahr und was falsch ist (auf
allen Ebenen)? Bei Habermas ist dies die in den Diskurs
eingebaute Rationalität.

EINEN archimedischen Punkt für wahr und falsch sehe ich nicht (auch wenn ich mich der Apel-Habermas’schen Transzendentalpragmatik über weite Strecken anschließen mag), sondern viele archimedische Punkte, also Grundlagen von verschiedenen Aussagesystemen.
Es ist ja btw nicht so, dass die Postmoderne (um auch dieses Fass hier noch aufzumachen) nicht mehr Wahrheit von Falschheit unterscheiden könnte, sie will dies nur nicht losgelöst von den Aussagesystemen tun, in denen über Wahrheiten und Falschheiten zu befinden ist.

Ansonsten kann ich mich aber universalistischen Ansprüchen durchaus anschließen z.B. mit dem Begriff der „Visage“, wie Levinas ihn konzipierte, der quasi radikalster Universalismus und radikalster Anti-Universalismus zugleich ist. Spezifischer gesagt, und Levinas’ jüdisch-theologischen Überbau ausblendend, geht es mir dabei um diesen ek-statischen Punkt der Begegnung mit dem Anderen, dem radikalen Nicht-Ich, dem, das sich meiner Begrifflichkeit vollständig entzieht.

Vgl. zum Beispiel zum Nachlesen:
http://www.friktion-ev.de/download/ExposeAntlitz.pdf

Für 99% aller Menschen der Menschheitsgeschichte wäre eine
Beethoven-Sinfonie nur undifferenzierter und damit
unerkennbare Krach, nicht zu unterscheiden von Bach, Elvis und
den Sex Pistols, für manche Kulturen und
Menschheitsgenerationen wohl nicht einmal von Industrielärm zu
unterscheiden.

Das ist keine Antwort, die den Effekt von Beethoven-Sounds auf
das Gemüt ERKLÄRT.

Naja, die Antwort erklärt doch, dass man ein bestimmtes kulturell bedingtes „Hörschema“ besitzen muss, um überhaupt einen Effekt zu erhalten, der sich von dem Effekt von Industrielärm und ähnlichem unterscheidet.

Hier ist die „soziale Konstruktion“ der Schönheit einer
Beethoven-Sinfonie (ja sogar überhaupt ihre Erkennbarkeit als
Musik) doch geradezu offensichtlich, oder?

Eigentlich nicht - ich wurde nicht zum Beethoven-Fan erzogen
oder wie auch immer determiniert - ich gelangte ganz
individuell dazu, indem ich schon recht jung feststellte, dass
mir diese Musik viel gibt (nebst vielen anderen Styles, ich
selbst mache Trance auf dem PC).

Um „Erziehung“ gehts doch gar nicht, noch nicht mal um „Sozialisation“, sondern es geht um „Möglichkeiten des Hörens“, um den Erwerb des „richtigen Ohrs“.

Hält du es für möglich, dass du beispielsweise als Ureinwohner Südamerikas die Schönheit, ja sogar die Musikhaftigkeit, einer Beethoven-Sinfonie überhaupt erkennen hättest können, ohne dass du diese Hörgewohnheiten erst im Kontakt mit den Kolonialherren hättest erwerben müssen?

Oder denk an so etwas wie die Zentralperspektive in der Malerei, die wir heute für die einzig mögliche Perspektive halten und gar nicht mehr anders sehen können - sie ist eine Erfindung von gerade mal 500 Jahren.

Oder das Phänomen des
Orgasmus.

Lass doch bloß eine postmoderne Frau aus Berlin einer
polynesischen Bäuerin aus der vorkolonialen Zeit erklären, was
ein Orgasmus ist, und sie wird das garantiert nicht können
(auch nicht durch entsprechendes Befummeln ‚aufzeigen‘)…

Sie braucht auch gar nicht postmodern rumzufummeln, das
erledigen schon die Genitalien der einheimischen Männer:

http://www.arte.tv/de/Willkommen/Die-Welt-der-Papuas…

Chuuk (Mikronesien)
Auf der karolinischen Inselgruppe Chuuk wird die Schönheit
einer jungen Frau nach ihren Lippen bemessen – den Schamlippen
allerdings! Nachts schleichen sich die jungen Männer in die
Hütten der schlafenden Frauen, schauen ihnen unter die Röcke
und stellen Vergleiche in puncto besagter Attribute an. Die
Mädchen beteiligen sich freiwillig an diesem Spiel und stellen
sich schlafend, denn immerhin geht es darum, am Ende eventuell
einen Heiratsantrag zu bekommen. Die sexuellen Praktiken der
Chuuk-Männer drehen sich um ein weiteres anatomisches Detail
der Frau: Bei einer überall im Südpazifik als „Chuuk-Hammer“
bekannten Sexualtechnik wird der Penis gegen die Klitoris der
Frau geschlagen. Diese Methode, häufig ein Mittel zum Zweck,
bereitet den polynesischen Frauen allerhöchsten Lustgewinn –
und den Männern merkwürdigerweise auch!"

Du machst es dir halt einfach leicht damit.

Natürlich kann man alles, wo was fließt und wo wie auch immer Lust dabei ist, „Orgasmus“ nennen und gut ist.
Dann kann man klarerweise leicht von einer universellen Konstante ausgehen über Kulturen und sogar Spezien hinweg. Dann reicht es aber auch, wenn ein paar Biologen darüber diskutieren, für alle anderen Diskurse ist dieser Orgasmus-Begriff dann völlig uninteressant.

Ich denke aber, dass der „Phänomenbereich Orgasmus“ sehr viel mehr umfasst als das Fließen von ein paar Körpersäften und das nicht weiter spezifische Erleben von Lust":
das Streben danach, die spezifische Qualität der Lust dabei, die Art der Selbstbestätigung dabei, das Zählen der weiblichen Orgasmen, die spezifischen Sexualtechniken zur Erlangung eines solchen, die Kulturtechniken zur Verhinderung desselben, die Art der Befriedigung dadurch, auch der Leistungsgedanken dabei und vieles mehr.

Die Frage ist, ob man den „westlichen“ Orgasmus so gesehen dann mir nichts dir nichts mit dem „Orgasmus“ anderer Kulturen gleichsetzen kann und sollte, nur weil ein paar Säfte fließen (muss beim weiblichen Orgasmus eigentlich überhaupt was fließen? und wieviel darf es denn sein, ist Squirting noch Orgasmus oder schon BähBäh?) und weil man dabei eine Lust unterstellt, die so ähnlich sein könnte, wie die, die man aus dem eigenen Erfahrungsbereich kennt …

Niemand behauptet, dass Köpersäfte oder Lüste in direktem Sinn ‚soziale Konstruktionen‘ wären, aber die Art und Weise des Einsatzes, bei wem sie fließen dürfen, unter welchen Umständen, vor allem, welche Bedeutungen ihnen zugemessen wird, das sind doch die entscheidenden Punkte.

Oder der „Liebe“

Meine bäurischen Vorfahren … könnten unser Gefühl der
„romantische Liebe“, die uns dazu bringt, Schmetterlinge im
Bauch zu spüren und aus Liebe Beziehungen einzugehen, auch bei
ausführlichster Erklärung nicht besser nachvollziehen …

Deine Vorfahren in Ehren, aber Einzelfälle belegen noch nicht
Allgemeines. Konkreter: ich verliebe mich, wenn, dann nur in
schöne Frauen. Woher kommt diese Faszination an der erotischen
Schönheit? Kann Varela oder der SK das erklären?

Ja, Luhmanns „Liebe als Passion“ hatte ich bei meinen Hinweis auf die Vorfahren (die ja übrigens nur in rhetorischer Weise als Einzelfall genannt werden sollten) im Sinn.
Er zeigt darin (und es gibt übrigens massig andere Literatur dazu), wie das Erlebens- und Verhaltensmuster der „romantische Liebe“, also die Fundierung der Ehe auf Liebesgefühlen eine Erfindung des adligen Frankreichs des 17. Jahrhunderts ist und sich erst im 20. Jahrhundert dann vollends universell ausgebreitet hatte.

Warum du dich nur in schöne (die meisten Menschen wohl in mittelmäßige, und wieder andere nur in häßliche) Frauen verlieben können, ist ein psychologische Frage, da braucht es doch keinen SK.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _