Hallöle.
Ist das nicht viel zu früh? Ich hab jetzt noch keine Ahnung
was ich mal studieren will, wie hätte ich mich da in der 8.
entscheiden sollen?
Ja, ein hervorstechendes Phänomen, daß die Jugend von heute ziellos in der Weltgeschichte herumgeigt.
Ich möchte eigentlich an dieser Stelle in keinster Weise zuviel über meine Schulzeit sprechen, doch weil Du es bist.
In der DDR durfte man nicht aus eigener Initiative die höhere Lehranstalt besuchen, sondern man wurde auf die sogannte erweiterte Oberschule (EOS) delegiert.
Entweder äußerten die Eltern den Wunsch, daß ihr Kind auf die EOS sollte oder die polytechnische Oberschule setzte eine Empfehlung auf. Die EOS führte anschließend auf der Grundlage des Lebenslaufes und eines schriftlichen Gutachtens des Klassenlehrers Zulassungsberatungen durch. Rückte man in die engere Auswahl, fand ein Gespräch statt. Zu Beginn des Gespräches wertete der Lehrer die Noten, die Notenentwicklung und meine Stärken und Schwächen aus. Der Besuch der außerunterrichtlichen Tätigkeit (Nachmittagsbetreuung) wurde besprochen. Es folgten Ermahnungen und motivierende Worte sowie Hnweise darauf, wie die Anforderungen der EOS liegen und wie es im Studium weiterginge. Und so sprachen wir über Berufe, Studienfächer und Lebensperspektiven. Ich konnte jedes Berufsbild und jedes Studienfach erfragen. Bildungsweg, Karriere, Berufsalltag, Anforderungen, Betriebe, Lohn, Studienorte, Semesterwochenstunden - der Lehrer wußte immer Antwort und hatte einen dicken Aktenordner dabei, wo z.B. Studienpläne, Inhalt und Organisation der Lehrveranstaltungen eines Studienfaches, Richtlinien zum berufstheoretischen Unterricht und zur berufspraktischen Ausbildung eines Ausbildungsberufes, Einkommenstabellen, Stipendienverordnungen etc. etc. etc. eingesehen werden durften. Mit Hilfe dieses „totalen Durchblicks“ durch das höhere Bildungssystem der DDR brachte mich dieser Lehrer im Laufe des Gesprächs vom Wunschdenken weg und zeigte mir, welche konkrete Bildungswege zur Verfügung standen.
Zum Schluß nannte ich drei Berufe und drei Studienfächer, die mich begeisterten und auf die ich mich definitiv festlegen mußte. Von dieser Liste wurde einer der Berufe und - später - eines der Studienfächer vom Staat ausgesucht. („Planstellenlenkung“)
Unter Honecker verlor dieses im Grunde sehr gute Auswahlsystem seine flexible Seite, weil der Staat einfach zuteilte, welches Fach studiert werden mußte. Die Liste entfiel und somit auch der individuelle Spielraum. Bis dahin bestand die Möglichkeit, von sich aus die Streichung einiger Studienwünsche zu verlangen.
Freie Berufswahl ist es sicherlich nicht gewesen, aber zumindest zu meiner Zeit auch nicht die Repression, die immer von der DDR behauptet wird.
Die Berufslenkung der DDR ist relativ erfolgreich gewesen. Ein Drittel der Ostdeutschen konstatierte nach der Wende, von der Planwirtschaft in Berufe gestopft worden zu sein, die sie nicht wollten, wovon allerdings drei Viertel sagten, daß sie den Beruf zwar ursprünglich nicht wollten oder nicht toll fanden, aber im Nachhinein den Beruf lieben gelernt hatten und mochten.
Heutzutage ist der Sachverhalt doch ähnlich, bloß hübsch verpackt ins kapitalistische Gewand. In der BRD kann auch nicht jeder werden, was er will; allerdings schert es das System eine alte Scheiße, ob das irgendeinen Jugendlichen stört. Und wie hoch ist denn die Unzufriedenheit der Jugendlichen im Erstberuf? Hört man sich in Berufsschulen um, ist diese Unzufriedenheit signifikant und die mangelhafte Berufsberatung in Deutschland hat wesentliche Schuld daran.
Überdies beeinträchtigt eine schlechte berufliche Perspektive die Wirksamkeit von Weiterbildungsmaßnahmen wie z.B. dem Berufsgrundbildungsjahr oder ähnlichen Auffangmaßnahmen. Ist ein Schüler nicht motiviert dafür, helfen diese Sachen wenig.
Eine gründliche Berufsberatung ist das, was der heutzutage absolut fehlt, obwohl das volkswirtschaftlich und für die Lebenszufriedenheit nur Vorteile brächte.
Und vorallem: wie soll das in der heutigen Gesellschaft funktionieren. In der Planwirtschaft kann ich mir das gut vorstellen, aber heutzutage muss man doch auch auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt achten.
Das ist zweifelsohne richtig. Ich würde nie verlangen, daß sich Schüler heutzutage so festlegen, wie ich es tat.
Problematisch ist es trotzdem für große Teile der Schülerschaft, denn wenn wer mit 16 in die Lehre will, kann sich nicht erst kurz vor den Abschlußprüfungen bewerben oder sich erste Gedanken zum Arbeiten machen.
Die Freiheit mit den Leuten abzuhängen auf die man Lust hat
und ohne Zwang und Führung einer staatlichen Institutionen, zu
tun und zu lassen was man will.
Zwang ist relativ. Ich fühlte mich nie gezwungen in der ganztägigen Betreuung. Ich suchte mir meinen fakultativen Unterricht aus, ich suchte mir meine Arbeitsgemeinschaften aus, ich suchte mir meine Interessenszirkel aus, ich suchte mir meine Kindersportveranstaltungen aus.
Wer nicht wollte, konnte am Ende des obligatorischen Unterrichts bzw. nach dem Mittagessen unter Vorlage der Erlaubnis der Eltern nach hause gehen. (Das seltene Phänomen hieß zu DDR-Zeiten „Mittagskind“.)
Doch selbst wenn wir in Deutschland heutzutage eine Pflichttagesschule aufbauten, gölte: Gäbe es die eine einheitliche, wohnortnahe Schule überall, hieße das automatisch, daß sich Dein Freundeskreis in der gleichen Schule befände.
Der gesamte Tag wird durch Stundenplan und Lehrer
vorgeschrieben.
Deine Vorstellungen von Tagesschule sind nicht realistisch, sondern scheinen einem konservativen Horrorfilm zu dieser Problematik zu entspringen.
Der Stundenplan bestimmt ohnehin Deinen Vormittag, doch nachmittags müßtest Du Dir eigenverantwortlich Beschäftigungen suchen. Ein Lehrer „bevormundet“ Dich erst, wenn Du Dich in seiner Arbeitsgemeinschaft, in seinem Interessenszirkel oder in seinem fakultativen Unterrichtsfach einschreibst.
Ein Einzwängen in Bahnen, auf die Du keinen Einfluß nehmen darfst, ist definitiv nicht gegeben.
Lassen wir doch wenigstens die Kinder noch frei sein
Ihr seid viel zu frei und ihr habt zuviel Freizeit.
Viele Kinder wissen heutzutage bereits nichts mehr mit sich selbst anzufangen oder sich eigenverantwortlich zu beschäftigen.
Lieber sollte man euch in eine Pflichttagesschule zwingen, wo ihr euch in einem ordentlichen, wertestabilen Umfeld der Kultur und der Bildung aufhalten müßtet, als daß der Staat euer destruktives Verhalten tatenlos mitansieht, oder die Verrohung der Sitten, der sprachliche Verfall, der Zusammenbruch der Lesekultur, das dumme Herumgelungere an Bushaltestellen, das Kiffen, das Saufen, die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Mitmenschen, das apathische Fernsehen, das Geschieße im Computer…
vor lauter Freizeit bloß bunte Knete im Kopp.
Euch fehlt der rhythmisierte, feste Tagesablauf ab dem Kindergarten und ein konstantes, disziplinorientiertes Erziehungsumfeld – also ganztägige staatliche Erziehungseinrichtungen.
Das sind 2 Tage - im Gegensatz zu jetzt 7
Ich hatte sonnabends Schule. Zwei Tage sind demnach reichlich.
Beachtet man aber gerade den ländlichen Charakter der
Einheitsschule wird sofort klar, dass da niemals die Vielfalt
der nächsten Stadt erreicht werden kann, schon allein weil
nicht genug Kinder dafür da wären.
Das ist nicht der Fall.
Meine OBerschulen boten, trotz ländlicher und kleinstädtischer Lage, bisweilen über 80 Nachmittagsangebote.
Ein Folge des einheitlichen Bildungssystems: Der Staat garantierte in den Schulen eine kostenlose, weit entwickelte Betreuungs- und Förderungsstruktur.
Das hieß in DDR-Sprache „außerunterrichtliche Tätigkeit“ und bildete im Studium der Lehrer und Erzieher einen gleichberechtigte Inhalte neben Fachwissen und Methodik. Die pädagogischen Fachkräfte wurden außerdem derart eingesetzt, daß die außerunterrichtliche Tätigkeit leicht überwog, z.B. im Stundenkontingent der Lehrer.
Ein Lehrer in der DDR mußte pro Woche viel weniger Stunden geben als ein Lehrer in der BRD (damals wie heute). Hingegen gehörte die Nachmittagsbetreuung, der ganztägige Berufsalltag und die Hilfsmaßnahmen obligatorisch zum Lehrerberuf in der DDR und erhielten eine ähnliche Aufmerksamkeit wie der Unterricht.
Und du meinst ein Kind hat dann darauf noch Lust? Gerade wenn
danach noch Hausaufgaben anstehen.
Die Hausaufgaben sind erledigt, wenn ein Kind aus einer ganztägigen Schule kommt.
Alle Austauschschüler aus verschiedensten Ländern, die ich
getroffen habe, fanden die Halbtagsschule klasse.
Ich bin auf Grund meiner Arbeit viel in der Welt herumgekommen und nirgends hätten die Jugendlichen ihre angebotsreiche Tagesschule gegen das deutsche Halbtagsmodell getauscht, nicht in den Staaten, nicht in Frankreich, nicht in Kanada, nicht in Japan.
Die Austauschschüler fanden das sicherlich schön, weil es eine Abwechslung gewesen ist.
Daß z.B. das deutsche Schulsystem international als schlecht bis sehr schlecht in punkto Unterstützung der Schüler gilt, und daß die Halbtagsschule eine gedrängte, seelenlose Kasperei ohne Nachmittagsbeschäftigungen ist, würden Austauschschüler negativ zu spüren bekommen, wenn ihr Austausch mehrere Jahre dauern würde.
Und es ist sehr fraglich, wie das Urteil in dem Moment lautete.
Japanische Austauschschüler, die mir in Japan einmal über den Weg liefen und ein Jahr in Deutschland verweilten, erachteten die deutsche Schule als laut, belastend, disziplinfrei und auf eine schauerliche Weise kreativitätstötend, denn mittags ist Schluß und dann fällt die Klasse auseinander. Die Schule bietet keine Beschäftigungen, es ist kaum ein kulturelles Schulleben vorhanden.
Das ist armselig und beschämend für die einstige Nation der Dichter und Denker.
Aber es besteht die Möglichkeit, das die Schule zu 8 schrecklichen
Jahren für den Schüler wird, wie es im jetzigen System niemals
möglich wäre.
Die Gefahr sehe ich keinswegs. Kleinere Probleme gibt es immer, doch in meiner Klasse gab es nie richtig Zoff, weil wir uns ja bereits aus dem Kindergarten kannten.
Sind die Lehrer halbwegs ordentlich auf Draht, kann sich kein „Mobbingnetzwerk“ ausbilden. Und einzelne Lehrer, die schwierig sind, stürzen auch niemanden in ewiges Chaos.
Das halte ich alles für Behauptungen.
Überhaupt nicht. Das sind felsenfeste Schlußfolgerungen und Erfahrungswerte.
Bereits der Blick auf die „Infrastruktur“ einer Familie zeigt die Unterlegenheit gegenüber einer institutionalisierten Freizeitbetreuung.
Ich schreibe Dir als Beweis einen Teil der Nachmittagsangebote auf, die ich während meiner Schulzeit besuchte:
- Arbeitsgemeinschaften (à 2 Wochenstunden)
alte Geschichte, physische Erdkunde, Physik, Mathematik, Chemie, Biologie, Maschinenkunde
- Interessenszirkel (à 3 Zeitstunden jede 4 Wochen)
russische Konversation, englische Konversation, bildende Kunst, Literatur und künstlerisch-dramaturgisches Vortragen, Radio- und Verstärkertechnik, Sternenbeobachtung, Botanik, Gesteinskunde, Wetterkunde, klassische deutsche Weltliteratur
- Kindersport (à 2 Zeitstunden)
Schach, Rugby, Hockey, Geräteturnen, Eislaufen, Eishockey, Skilanglauf, Ballsport, Radwandern
- fakultativer Unterricht (in der EOS, Kursunterricht à 2 Wochenstunden)
Navigation und mathematische Erdkunde, Physik des Erdinnern, Physik der Erdatmosphäre, Klima und Erdgeschichte, Kosmologie und Planetenkunde, Chemie des Erdöls, angewandte Matrizenrechnung, elementare Zahlentheorie
Der Rest fällt mir im Augenblick nicht ein.
Zumindest ist ersichtlich, daß das ein Betreuungsangebot von hoher Qualität und Diversität war, gegen das sich eine Familie nicht im geringsten zu behaupten vermag.
Wie meinst du das?
Überspitzt dargestellt:
Ihr lernt im Unterricht kein hartes Fachwissen mehr, sondern ihr vergeudet eure Zeit, über das Fachwissen, was man haben könnte, zu reden.
Wirf einen Blick in die Lehrpläne, oder eher das, was früher Lehrplan genannt wurde. Die „Kompetenzen“ (= hohles Geschwätz) überwiegen die fachlich-systematische Durchdringung des Stoffes.
Die reine Stoffmenge ist zudem abermals gesunken, seit 1998 schrittweise die Lehrplanreformen in den Bundesländern einsetzten.
Wie definierst du hier Niedriglohn. Deutschland ist mindestens
mittelfristig abhängig von industrieller Herstellung bis zu
einem gewissen Grad. Was die völlige Abkehr von Produktion hin
zur alleinigen Entwicklung bewirkt zeigt sich zur Zeit in
Großbritannien.
Niedriglohn definieren Wirtschaftsmenschen und Beamte.
Ich müßte es jetzt nachschlagen, bin jedoch zu faul.
Fakt ist aber, daß die neoliberalen und konservativen politischen Kräfte und die Wirtschaftslobbyisten in Deutschland einen ausgedehnten Niedriglohnsektor errichten wollen, und dies ist zum Scheitern verurteilt.
Das hat auch nicht unmittelbar mit Abkehr von der Produktion zu tun.
Besonders bedrohlich für das Sozialstaatsgefüge ist die unions- und FDP-typische Haltung, Kombilohnmodelle fest etablieren zu wollen, bei denen der Staat einspringen soll. (Arbeit + Hartz4)
Bei Staatswirtschaft klappt das sicherlich ganz gut.
Das hat mit Staatswirtschaft nichts zu tun.
Die DDR leistete sich ab Beginn der 70er Jahre ein zusehends ineffizientes Wirtschaftssystem. Ein schlechtes Bildungssystem wie das der BRD hätte die DDR nie verkraften können, so daß das Heil in der Ausschöpfung der Bevölkerungspotentiale lag.
Wenn tatsächlich der Wille bestünde, wäre es ohne Probleme möglich, im jetztigen Wirtschaftssystem eine dauerhafte Höherentwicklung der Qualifikation der Bevölkerung anzustreben.
aber es ist ihr zurecht gehütetes Recht, das zu studieren was sie wollen.
Ist es nicht.
Zumindest nicht in den völlig verirrten Proportionen wie im gegenwärtigen Bildungssystem.
Das Problem sind nicht die Geisteswissenschaftler als solches, ich habe z.B. auch einen zweiten, geisteswissenschaftlichen Hochschulabschluß, das Problem sind die Massen der Geisteswissenschaftler. Und diese werden zum größten Teil keine großen Denker, von denen unsere Kultur zehren könnte.
Was genau soll denn an der sozialen Marktwirtschaft falsch sein?
Wo siehst Du eine s o z i a l e Marktwirtschaft?
Weitere Türen wie z.B. das immer schroffere Arbeitsklima in deutschen Unternehmen und die abstruse Einstellungspolitik der Unternehmen will ich an dieser Stelle nicht aufstoßen.
Und um die Diskussion in den Niederungen des Brettes zum Ende zu führen und nicht noch weiter ausufern zu lassen, ignorieren wir auch, daß unser europäischer Wohlstand auf der Ausbeutung und der Armut anderer Erdteile beruht.
Und genauso ist es mit dem Schulsystemen. Die, die ein hoch
differenziertes Schulsystem haben, fordern ein Einheitssystem
und umgekehrt.
Umgekehrt überhaupt nicht.
Kein Land, das ein integriertes Schulsystem betreibt, denkt über das veraltete deutsche gegliederte Schulsystem nach oder fordert dessen Einführung. Nicht in Japan, nicht in Korea, nicht in Kanada usw…
Interessant ist, daß die kulturellen Geisteswissenschaften feststellen, daß der individuelle Wohlstand und die Gerechtigkeit nicht in den demokratisch-individualistischen (= westlichen) Gesellschaften realisiert werden, sondern in den demokratisch-kollektivistischen (= asiatisch). Letztere weisen zudem die geringste Bildungsungerechtigkeit und das im allgemeinen am umfangreichsten ausgebaute Schulsystem auf.
vom Schüler selber ab, von welchem System er mehr profitieren würde,
behaupte ich mal.
Behaupten läßt sich viel.
Die Fakten und sämtliche ernstzunehmenden Erfahrungswerte sprechen aber ausnahmslos gegen das gegliederte Schulsystem.
Viele Grüße