Grüß Dich.
Zunächst als Kommentar zu beharrlichen, süddeutschen Mythen und als Hintergrund zum gegliederten Schulsystem:
/t/trennung-zwischen-hauptschule-und-realschule/5498…
Zu den Begriffen:
Gesamtschule = gegliedertes Schulsystem
Gesamtschule ≠ Gemeinschaftsschule ≠ Einheitsschule
Das gegliederte Schulsystem hat kein pädagogisches Fundament und die Phrase von der notwendigen Separation auf Grund von Talent oder Begabung ist seit je falsch, war zu keiner Zeit politisch gewollt und niemals verwirklicht.
Des weiteren ist die Sache eigentlich unstrittig: Es gibt nirgendwo auf der Welt eine ordentliche, tragfähige Studie, die die Frühauslese und die Trennung durch Schulformen stützt.
Sondern das Gegenteil ist der Fall: Sämtliche Studien zeigen, daß gemeinsames Lernen allen Schülern hilft. Der deutlichste Hammerschlag stammt jüngst aus den Vereinigten Staaten, die im Rahmen einer Langzeitstudie die Grundlage des gegliederten Schulsystems untersuchten und die Methode des indirekten Beweises anwandten:
Es wurde genau das getan, was seit Jahrhunderten den Deutschen in steter Indoktrination eingeimpft wird. Getrennte Lernkohorten, völlig homogen, auf das Leistungsvermögen zugeschnittene Unterrichtsmethodik.
Die Ergebnisse: Die guten Schüler, obwohl unter sich, konnten keinen schnelleren Lernfortschritt erzielen als in den gemischten Kohorten. Hingegen schädigte die Trennung besonders die Kohorte der schlechten Schülern. Dort brach das Niveau völlig ein.
Der nächste Punkt ist der in Westdeutschland unbeachtet gebliebene Erfahrungsschatz der DDR. Die Einheitsschule in Ostdeutschland schrieb gemeinsames Lernen groß und ließ die Kinder sehr lange in einem „Klassenkollektiv“ zusammen, und zwar 8 Jahre. Die Schulstatistiken bestätigten die Richtigkeit des Ansatzes seit der Zerschlagung des fünfgliedrigen Schulsystems 1946. Die DDR schoß sogar über das Ziel hinaus, denn in der Phase der antifaschistischen Schulreform wurden Schulversuche unternommen, die selbst die spätere polytechnische Oberschule hätten ablösen können, und letztere war bekanntlich dem gegliederten Schulsystem überlegen in Leistungsvermögen und Gerechtigkeit der Bildungsgelegenheiten.
Zum Beispiel existierte in Thüringen unter Leitung einiger Reformpädagogen und unter Volksbildungsminister Walter Wolf eine radikale zwölklassige Einheitsschule , die die harsche Trennung zwischen Grundschule (1.-8. Klasse) und Oberschule (9.-12. Klasse) aufhob und auch ein paar Wahlfächer als Differenzierung bot. Thüringens Reinsteinheitsschule erzielte zu dieser Zeit die besten Lernergebnisse. Als später, 1950, die Sowjetpädagogik zum Vorbild genommen wurde, beendete die DDR leider die meisten quer zur politischen Linie liegenden Schulen wegen der „Veränderung der pädagogischen Großwetterlage“ [Zitatende], ohne sich jedoch - wie immer - völlig von empirisch gestützten „guten Ideen“ zu trennen, denn die Internatschulen und Spezialschulen der DDR griffen in pragmatischer Art und Weise erheblich auf Traditionen der ursprünglichen Einheitsschule zurück. Weiterere Schulversuche waren die (1950 beendeten) Produktionsschulen, die die allgemeinbildende Schule mit landwirtschaftlicher und handwerklicher Produktion verschmolzen, so daß sich die institutionelle Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung aufhob.
Und spätestens wenn die westdeutsche Lehrerschaft in ihrem irdischen Jammertal das gegliederte Schulsystem besingt und starrsinnig behauptet, es sei doch unmöglich, gemischte Klassen zu unterrichten, und es ginge doch überhaupt nicht, ein ausgeprägtes Leistungsgefälle ins Gleichgewicht zu bringen, denke ich stets an Kurt Tucholsky:
„Traue keinem Fachmann, der sagt, das mache er schon seit 20 Jahren so; es könnte sein, dass er es seit 20 Jahren falsch macht.“
Die BRD-Lehrer kennen nichts anderes als das gegliederte Schulsystem und wurden nur dafür ausgebildet. Somit ist die Gemeinschaftsschule bereits gescheitert, ehe sie Wirklichkeit wird, denn Schulstruktur ist die eine Sache, eine sehr, sehr wichtige zwar, doch ist Erfolg oder Mißerfolg des Bildungssystems letztlich untrennbar mit der Lehrerschaft verknüpft.
Die Gemeinschaftsschule braucht ein fundamental reformiertes Lehrerstudium und das ist nirgends in Aussicht. Die BRD diskutiert ja heute noch, wie denn vielleicht möglicherweise unter Umständen irgendwie das überholte zweiphasige Lehramtsstudium ersetzt werden könnte. Der Worte viele sind gemacht, der Taten keine.
Diametral die Töne aus Ostdeutschland: Die älteren Lehrer, die ihr Studium noch zu DDR-Zeiten absolvierten, betrachten die Gemeinschaftsschule positiv. Warum auch nicht? Schließlich wurden diese Leute genau dafür ausgebildet und beherrschen die Techniken, um Kindern ein optimales, achtjähriges, gemeinsames Lernen zu ermöglichen.
Unsere Grundschüle ist übrigens kein Argument. Die Grundschule ist nur formal eine Schule des gemeinsamen Lernens.
- Die Grundschule westdeutscher Prägung ist entwicklungshemmend, unterfordernd und leistungsfeindlich.
Das Niveau ist dermaßen niedrig, daß ich das nach der Wende für einen schlechten Scherz hielt und mir längere Zeit einredete, daß das doch bloß Übergangserscheinungen seien und die Anforderungen wieder steigen, spätestens wenn die Zwangsauflösung der Einheitsschule zum Ende kommt.
Überspitzt formuliert: Die Kinder „bei uns“ gingen zur Schule - die Kinder „drüben“ gingen in einen täschelnden, verblödenden Kindergarten für große Spielekinder. Schule ist jedenfalls was anderes.
- Die Grundschule erfüllt eine reine Auslesefunktion.
Die Benotung setzt absichtlich spät ein und vermittelt auf Grund zu weicher Anforderungen ein trügerisches Bild. Das so in den Köpfen der Eltern herbeigeführte Zerrbild wird in der 4. Klasse mit Gewalt korrigiert und zerstört, begleitet von fadenscheinigen und zynischen Sprüchen als Rechtfertigung für die Missetaten – wie z.B. „Die Kinder sollen mit den Anforderungen der weiterführenden Schule konfrontiert werden.“, „Lieber in der 4. Klasse als später.“ usf.
Der Grundschulpädagogik ist das Gedankengut der Frühauslese und schulischen Trennung immanent, denn die Grundschule muß aus den reichlich 90% der Schüler, die den Abschluß der 10. Klasse erreichen könnten, binnen vierer Jahre Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten machen. Komme, was da wolle.
Das Ende vom Lied ist die selbsterfüllende Prophezeiung, die gebetsmühlenartig von den Verteidigern des gegliederten Schulsystems ins Feld geführt wird: Das deutsche Schulsystem formt die Kinder zunächst zu Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten, weil sonst das perfide Gebäude in Gefahr gerät, und dann heißt es „Seht ihr, Gesamtschulen sind untauglich! Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten können nicht gemeinsam unterrichtet werden. Solche, solche und solche wird es immer geben.“.
Ignorierte man die Tatsache, daß eine handwerklich gut gemachte Gemeinschaftsschule leistungsfähiger ist als die gegliederten Schulen, stünden auf der Seite der Gemeinschaftsschule noch immer die deutlich besseren Argumente. Gesellschaftserziehung der Kinder, das Miteinander der Kinder, der gerechtere Zugang zu Bildung und Aufstiegschancen, Reformfähigkeit und Reformfreudigkeit, Wirkungskreis der Schule auf alle Kinder, übersichtlicher Aufbau des Schulsystems als Voraussetzung für Akzeptanz und Interesse der Eltern an Schule und als Voraussetzung für Vergleichbarkeit der Zensuren, der Abschlüsse et cetera, et cetera.
Letztlich ist das gegliederte Schulsystem durch keinen geistigen Klimmzug zu verteidigen, weil die Gemeinschaftsschule schlechtestenfalls (!) sämtliche Dinge gleich gut beherrscht, im Zweifel jedoch das einfachere und somit das übelegene Modell ist.
Viele Grüße
reinerlein