Ach komm, du willst es doch auch!
Hi,
da mir die bereits vor mehr als einem Jahr öffentlich diskutierte Geschichte um Sofie Karasek an der UC Berkeley nicht unbekannt war (sie wurde ja auch immer miterwähnt im Rahmen der Matratzeninszenierung von Emma Sulkowicz und der daraufhin gestarteten Studentenkampagne an mehreren Unis der USA), haben sich mir bei dem Artikel der amerikanischen SPIEGEL-Korrespondentin ebenfalls die Nackenhaare aufgestellt. Dazu gleich mehr.
Als ich nun diesen hierher verschobenen Thread zur Kenntnis nahm, hat mich vor allem interessiert, welche Merkmale an deinem UP den massiven Gegenwind erzeugt haben, den du hier erfahren hast.
Ungeachtet zunächst des Artikels von JaninaG, die (wie immer) hervorragend Begriffe, Formulierungen, Argumente und Sachverhalte zu differenzieren versteht und dadurch Klarheit zu schaffen vermag, ein paar kurze Bemerkungen zu den reizauslösenden Signalen in deinem Posting.
Die Titelzeile und dein Vorwort, in dem du ja erklärst, man müsse den Spiegelartikel nicht unbedingt vorher lesen:
Jeder, der mit den Folgeerscheinungen sexueller Grenzüberschreitungen (und hier sind ausschließlich negative Konnotationen gemeint, vom Begriff her also alles zwischen „Belästigung“ und „Vergewaltigung“) vertraut ist, weiß um eines der Hauptprobleme, mit denen Opfer oft Jahre und Jahrzehnte zu tun haben, selbst, wenn keine medizinisch relevanten körperlichen Läsionen die Folge waren: Nämlich
- dass dem Opfer, wenn es sich wem auch immer anvertraut, nicht geglaubt wird, und
- dass dem Opfer eigenes Verschulden, zumindest Mitverschulden zugeschrieben wird.
Dadurch wird zusätzlich eine - und oft sogar erst die eigentliche - Traumatisierung erzeugt. Warum das so ist, sei mal so dahingestellt.
Wichtig ist, dass gerade für solche Personen allein schon die Wortassoziation „Mißbrauch“ mit „angeblich/vermeintlich“ bereits ein Trigger ist. „Trigger“ bedeutet in diesem Zusammenhang: Auslöser einer heftigen psychischen Reaktion, meist verbunden mit einem Flashback (Reaktualisierung = physisch erlebte, zeitübergreifende Wiederholung des je eigenen Trauma-Szenariums). Aus diesem Grund wurde auch irgendwo in diesem Thread geäußert, hoffentlich triggert das Ganze hier nicht …
Aber davon abgesehen (denn du kannst sowas mutmaßlich ja nicht wissen und es war folgich keine Absicht), abstrahierst du nun den Spiegelartikel auf eine Weise, die einen Fall zurechtbastelt, der dem der Darstellung im Spiegel gar nicht entspricht, und der darüberhinaus auch mit dem von Sofie Karasek geschilderten Erleben nichts zu tun hat. Denn der Bericht des Artikels verfälscht die verschiedenen Berichte der Sofie Karasek selbst bereits.
Die Zusammenfassung des Geschehen würde sich _bei mir_ so lesen:
Ja, du gibst ein bereits von dir vorinterpretiertes Szenarium vor, und allein das enthält dein Diskussionsanliegen. Der Fall Karasek steht also gar nicht zur Debatte, was viele hier übersehen haben.
- nachdem der Tag gemeinsam fröhlich verbracht wurde
Von „fröhlich“ stand da nichts. Es war eine Tagung. D.h. es wurde gearbeitet. Wenn auch in einvernehmlich guter Stimmung. Deine Formulierung legt Partystimmung nahe.
wird zu zehnt in Hotelzimmern gemischtgeschlechtlich übernachtet
Auch von gemischt steht da nichts. Es kann durchaus sein, daß die anderen Zimmergenossen der Frau alle männlich waren.
- nachts legt sich einer der Kommilitonen zu K. ins Bett und fasst sie an (wo auch immer steht hier nicht)
Es war kein Kommilitone, sondern der (ältere) Gruppenleiter. Und die anderen Kommilitonen waren sämtlich solche, die mit ihm bereits aus anderen Veranstaltungen bekannt bzw befreundet waren. Das allerdings sind Dinge, die ihr erst später durch den Kopf gingen, denn zunächst ist die Situation anders:
Wenn wir allein den HuffPost-Artikel nehmen, den Kamikazekatze verlinkte (andere ausführlichere Berichte von Karasek gibt es, ich habe die Links verloren, auf Youtube gab es sie auch im O-Ton):
„I felt his heart beating in his chest, his sweaty fingers crawling on my skin.“
An eine schlafende Frau presst sich (wie sonst fühlt man jemandes Herzschlag!?) ein Mann und betatscht ihren Körper mit verschwitzen Fingern. Warum reduzierst du das auf „wo auch immer steht da nicht“? Du gibst in dem Situationbild, das sich deine Leser machen sollen, vor, es könne durchaus auch so sein, dass er zärtlich ihr ins Ohr gekitzelt habe, mit ansonsten körperlicher Distanz. Du magst es so nicht bewußt intendiert haben, aber spätestens hier fühlt man sich manipuliert von dir in eine Richtung, die eine verharmlosende Beurteilung des Sachverhaltes bereits vorgibt.
- Frau K. sagt, sie hätte den Kommilitonen mehrmals geschubst, aber kein Ton gesagt
Dass sie keinen Ton gesagt habe, steht da nicht. Sie hat nur nichts laut gesagt, so also, dass alle anderen es hätten hören können und folglich wach geworden wären. Aber auch das ist Inhalt von Sofies späteren Gedankengängen. Zunächst stellt sich ihre Verfassung so dar:
„I was immediately confused, and my mind was not in sync with what was happening to my body“
Es ist für uns aus der Distanz nicht ersichtlich, wie lange diese Irritation dauerte. Es wird sich, wie JaninaG ja bereits erklärte, zumindest nach einer Weile nicht mehr um einen Freeze-Zustand („Schockstarre“) gehandelt haben. Zumindest deutet sie hier an, dass und warum sie zumindest nicht zu einer spontanen Abwehrreaktion imstande war, etwa laut zu sagen „Hey, was willst du denn hier! Verpiss dich!“ o.ä.
- nach einer gewissen Zeit verschwindet der Kommilitone wieder
Woher die Autorin die Behauptung „etwa nach einer Stunde“ hat, weiß ich nicht, ich hatte es sonst nirgendwo gelesen. Aber selbst wenn, dann ist das, was sich ansonsten zwischen den beiden abspielte in dieser Zeitspanne für die Öffentlichkeit völlig uneinsichtig, es wird bestenfalls, vielmehr sicherlich, in ihren therapeutischen Gesprächen ausführlicher Inhalt gewesen sein. Für niemand anderen kann das Gegenstand der Spekulation sein.
Wenn sie tatsächlich von 1 Stunde öffentlich gesprochen hat, dann, klar, muß sie sich Fragen, auch öffentlich, gefallen lassen, was sich bei den zweien denn die ganze Stunde im Bett abgespielt hat. Warum sie nicht aufgestanden sei z.B. usw. Ich habe darüber nichts gelesen. Wer etwas weiß: Bitte um Nachricht.
Es sei denn, wir einigen uns darauf, einen hypothetischen Fall auf die Bühne zu stellen und den spekulierend zu behandeln. Das mag für diagnostische Übungszwecke dienlich sein, aber das beabsichtigt hier ja wohl kaum jemand. Das hätte auch erst Sinn, wenn wir irgendeine Interaktion zwischen den beiden hinzudichten. Aber mit Karasek hätte das nichts zu tun.
Hier bleibt nur: Mit Sicherheit wird sie in der zumindest vorliegenden Handlungslähmung (insbesondere durch ihre von ihr selbst allerdings nur angedeuteten Gedankengänge), die etwas anderes(!) ist als „Freeze“, kaum, außer ein paar mal „schubsen“ (ich weiß nicht, welchen Ausdruck Karasek selbst benutzte) den verschwitzten Körper lediglich mit großen Augen angestarrt haben. Nicht so lange. Es werden Worte gefallen sein zwischen ihnen (wenn wir schon spekulieren wollen). Aber darüber wird nichts berichtet.
Aber das allein, die angebliche Stunde, ist, für Außenstehende ohne jede weitere Information, etwas Rätselhaftes an der Darstellung. Für eine Interpretation fehlt jegliche Grundlage.
K. ist eine erwachsene Frau, ein merkliches Hierachiegefälle kann ich nicht ausmachen
Genau dieses Hierarchiegefälle war laut ihrem Bericht Gegenstand ihres Verhaltenszweifels:
- er ist der Gruppenleiter (als den sie ihn dann ja wohl erkannt hat)
- er ist mit allen anderen vertraut bzw befreundet.
Dass sie sagt „no one will believe me“, bezieht sich nicht auf die Situation (ein lautes „verpiss dich!“ hätte ja keinen Zweifel über das Geschehen gelassen), sondern auf die spätere Meldung des Vorfalls.
die Ausnutzung einer Notlage auch nicht
Eine Notlage nicht. Aber eine Hemmungslage, ein Überraschungsangriff, der mit einer Gehemmtheit von spontanem Abwehrverhalten (z.B. Schreien) gerechnet haben muss. Und wenn wir schon über den Mann spekulieren:
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Hat er mit Schreien gerechnet? Mit der Folge, dass sich die 10 anderen auf ihn stürzen und ihn verprügeln incvl. einer Anzeige gegen ihn? Ich sag mal: Nein.
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Hat er damit gerechnet, dass in so einem Fall alle anderen nur gekichert oder gelacht hätten? Genau das ging laut Bericht Sofie durch den Kopf: Ein zusätzliche Demütigung. Denn sie wird, da sie ja nach eigener Aussage später bei klarem Kopf war und alle Varianten ihres Verhaltens abwägte, überlegt haben, wieso er sich diesen Übergriff in der Öffentlichkeit überhaupt erlauben könne. Irgendetwas muss sein Risiko abmildern … Solidarität der anderen mit ihm?
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Hat er damit gerechnet, aber der Überraschungsmoment hätte ihm wenigstens einen schnellen Griff zwischen ihre Beine ermöglicht und dann wäre er abgehauen? Nun ja, es gibt Männer, denen das reicht, damit ihnen einer abgeht.
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Hat er nicht mit Schreien gerechnet? Dann gibt es folgende Möglichkeiten:
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- Wie sich herausstellte, war er Profi in Sachen sexueller Übergriffe. Möglich dass er die schlichte Erfahrung hatte, dass ein solcher Angriff eine Handlungslähmung mit großer Wahrscheinlichkeit erzeugt. Das muß nicht Freeze sein, aber soetwas, was er ja dann tatsächlich erlebte.
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- Er hatte einen solchen „Blick“ für einen bestimmten Frauentyp, dass er diese 19-Jährige so einschätzte, dass sie nicht mit einem Karateschlag gegen seine Kehle reagieren würde, oder dass sie den Schlafsaal zusammenschreien würde. Sondern dass sie lediglich versuchen würde, seine Hände wegzuschieben, und lediglich flüsternd „geh weg, laß mich!“, was zu weiteren Tatschversuchen Freiraum geben würde.
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- Er war so ein „ach komm, du willst es doch auch“-Typ. Dass es die gibt, wissen wir. Eine diagnostische Charakterisierung lasse ich mal weg: Es sind Männer, die tatsächlich aus der Tatsache, dass eine Frau ihn sexuell interessiert und er einen stehen hat, den messerscharfen Schluß ziehen, dass sie sich ebenfalls für ihn interessiert und sich von ihm ficken lassen möchte. Und wenn das nicht zutrifft, folgern sie messerscharf weiter, dass diese Frau ein sexuelles Problem habe, oder überhaupt einen Knall. Denn es ist ihnen unvorstellbar, dass eine Frau auf das kostbare Angebot ausgerechnet seines erigierten Schwanzes nicht anspringen könnte. Folglich kann sie unmöglich „normal“ sein.
Summa summarum: Im Fall Sofie ist er jedenfalls, falls er eine sexual intrusion intendierte, nicht zum Ziel gekommen. Irgendetwas hat sich zwischen ihnen also abgespielt, so dass er die Lust verlor. Eine Vergewaltigung hat Sofie also erfolgreich verhindert. Vielleicht wollte er aber auch nur fummeln. Das hat er erreicht. Und mit diesem Erfolg ist er auch nachher (wie aus früheren Berichten bekannt war) hausieren gegangen. (Sofie selbst hatte zuerst niemandem davon erzählt! Und dann zuerst nur im engsten Freundeskreis)
An dieser Stelle muß etwas Entscheidendes gesagt werden: Sofie hat in ihren öffentlichen Darstellungen immer nur von „sexual assault“ gesprochen und von „sexual harassment“. Es war weder die Rede von „sexual violence“ noch von "sexual abuse" noch erst recht von „rape“: „Sexual assault“ ist ein sexueller Übergriff, entspricht ggf. der deutschen „tätlichen Beleidigung“ (Ohrfeige, Anspucken o.ä.). In diesem Fall war das gegeben durch „körperlichen, sexuellen Kontakt gegen den Willen das anderen“. „Sexual harassment“ ist sexuelle Belästigung, die allein durch verbale Äußerungen schon gegeben sein kann. Sexueller Mißbrauch dagegen ist „sexual abuse“, und wie das hier unterschieden würde, müßte und könnte allein ein Gericht entscheiden, und es hinge von der Rechtslage überhaupt ab. „Vergewaltigung“, wozu je nach Rechtslage „sexual intercourse“ bzw „sexual intrusion“ gehört, lag jedenfalls offenbar nicht vor.
Und dass dies in dem Spiegelartikel nicht unterschieden wird, und somit der Fall Karasek ununterschieden gemeinsam mit „rape“ und „abuse“ geschildert wird, ist eine Frechheit. Sofie selbst hat in ihrem Zusammenhang nie von „abuse“ gesprochen.
Denn in dem ganzen Theater geht es überhaupt nicht darum, was der Sofie en detail passiert ist. Es geht darum, dass der Fall nicht verfolgt wurde, bzw dass er lediglich mit einer Verwarnung des Serientäters abgeschlossen wurde. Und insbesondere darum, dass die Universitäten je eine eigene Campus-Polizei haben mit einer eigenen Rechtssprechung, dass die staatliche Polizei oft gar nicht tägig wird, bevor die Campuspolizei nicht einen Fall bewertet hat. Und darum, dass es seit Urzeiten den „Title IX“ gibt, der eine Universität verpflichtet, u.a. sexuelle Übergriffe aktenkundig zu machen und zu ahnden. Und dass diese Aktenkunde darüber entscheidet, ob die Universität weiter staatliche Gelder bezieht.
Und genau deswegen verfolgen die Universitäten oft Übergriffe, Mißbrauchsfälle und Vergewaltigungen nicht, oder erledigen sie mit einer Verwarnung vom Typ „Wenn du das nochmal machst …“. DAS ist das Problem, weshalb die Organisationen von Karasek und Sulkowicz so einen Zuspruch haben.
und die Überwindung einer erkennbaren Abwehrreaktion nur kaum.
Was psychisch bei einem Opfer eines sexuellen Übergriffs zu einer - von außen gesehen und beurteilt - trotz Vorhandensein wirksamerer Möglichkeiten mangelhaften Gegenwehr führt, ist psychologisch recht gut erklärbar. Es sind psychische Abläufe, die auch in anderen, nicht-sexuellen Zusammenhängen zum Tragen kommen (insbesondere in Konfliktszenarien von Paarbeziehungen).
Das ist aber nicht mit zwei Sätzen zu erklären. Und es hinreichend zu begründen würde auch den hiesigen Kontext überfordern.
Wieso steht der Artikel unter der Überschrift „Vergewaltigung :an US-Unis … Von einem Kommilitonen missbraucht“?
Das steht da, weil die Spiegelredaktion das mangelhafte Differenzierungsvermögen ihrer Korrespondentin nicht kapiert hat. Und weil so eine Überschrift ein geileres Lockmittel für Leser ist.
Wieso sieht sich Frau K. als Opfer wenn sie nicht mal in der Lage war deutliche Grenzen zu zeigen und zu kommunizieren?
Ich bezweifle, ob sie(!) dazu in dieser Situation in der Lage war. Und ich würde mir nicht zutrauen, ihr Verhalten über den Banalisierungskamm eines sog. „gesunden Menschenverstandes“ zu scheren. Und zu einem Vergleich dessen, was ihr passiert ist, mit dem was anderen passiert, ist hier keinerlei Anlaß. Zumal es bei Sofies heutigem anliegen um etwas ganz anderes geht. Und selbst sofern dieses Beispiel als relativ glimpflich (und meinetwegen sogar befragenswert) bewertet würde: Es zeigt, wo beim Thema „sexueller Übergriff“ der Anfang anzusetzen ist.
Man könnte die Geschichte auch anders lesen
Ab hier wird es heiß. Du präsupponierst hier eine reine Phantasiesituation. Sofern ok. Aber du versäumst den Zusatz, dass das weder mit dem realen Fall Sofie Karasek, noch mit der miserablen Spiegeldarstellung irgendetwas zu tun hat!
Es ist eine Interpretation männlicher Phantasie, die sich in die Lage einer völlig überraschenden, speziell sexuellen(!) Grenzüberschreitung (zumal bei einer mutmaßlich sexuell recht unerfahrenen jungen Frau) nicht hineinzuversetzen vermag. Nach dem Motto „wenn sie so konflikterfahren und schlagfertig und cool wäre wie ich, wäre ihr das nicht passiert, und folglich stimmt da etwas mit dem Ereignisablauf nicht so wie behauptet“.
Zumal du nicht etwa sagst „ich stelle mir ein völlig anderes Szenarium vor“, sondern betonst, die Geschichte, also die von Frau Karasek, anders zu lesen. Mit anderen Worten, du behauptest, dass sie lügt. Da solltest du dich nicht über heftigen Gegenwind wundern. Du bastelst das Szenarium so um, dass es in deinem dir möglichen Phantasiepotential Platz findet. Zumindest werden die meisten Gegenwinder dies so empfunden haben.
Aber IMHO kann man von einer erwachsenen Frau wohl erwarten, dass sie sich nur deshalb nicht einem Mißbrauch widersetzt weil das andere im Zimmer aufwecken würde.
Wo steht denn, dass das der Grund war? Es ist lediglich aus ihren Darstellung bekannt, dass das Gedanken waren, die ihr in der Situation durch den Kopf gingen, und dass damit eine nicht ganz unbegründete Angst verbunden war, Angst davor, was passiert, wenn die anderen wach werden, Angst vor Folgen, deren Tatsächlichkeit sie aus wiederum anderen Gründen möglicherweise durchaus falsch eingeschätzt haben dürfte.
Wir können also, statt zu phantasieren, lieber die Frage stellen, warum war das eine Komponente ihres Zögerns? Warum hat sie diese Angst vor den Folgen einer Intervention so überbewertet? Mir fallen zig Möglichkeiten ein, warum in solch einer Situation ihre Gedankengänge zu einer solchen Überbewertung hätten kommen können.
Mir stellt sich allerdings doch eine Frage, die dir möglicherweise auch eigentlich vorschwebt: Warum, verdammt noch mal, erzählt sie überhaupt solch ein tatsächlich fragwürdiges Argument ihrer Gedankengänge in der Öffentlichkeit? Es fehlt ihr nicht an Sozialkompetenz (als - schon ein Jahr vor dem Ereignis - Gewinnerin eines lokalen hochdotierten Preises für soziales Engagement gegen Umweltverschmutzung), und soziophob ist sie auch nicht und auf den Mund gefallen erst recht nicht.
Und wenn sie wie sie selbst sagt in dem entsprechenden Augenblick den Mißbrauch nicht bemerkte, wie bitte soll denn dann die Gegenseite das können?
Wo steht denn, dass sie den Mißbrauch nicht bemerkte? Sie bemerkte, dass sich da ein schwitzender Körper an sie drückt und sie betatscht. Das habe sie nicht als Übergriff bzw als Belästigung („assault“ bzw „harassment“) empfunden? Liest du das irgendwo?
Es mag ja sein, dass nicht alles zur Zufriedenheit von K. verlaufen ist.
Spätestens hier kräuseln sich dem geneigten Leser die Fußnägel! Genau das ist die oben beschriebene Haltung „Ach komm, du willtst es doch auch. Nun zick doch nicht rum!“
Und ich vermute mal, dass die vielen Stimmen gegen dich in diesem Thread sich speziell an diesem Satz gestoßen haben.
Aber meilenweit entfernt von einer Opfer-Täter-Verwechslung kann ich hier nun keinen Mißbrauch erkennen aber deutliche Mängel bei K.
Ja. Klar, Wenn man es so liest wie du! Also so, wie es die meisten Opfer sexueller Übergriffe, sexuellen Mißbrauchs und sexueller Gewalt am meisten fürchten, und wie es als Folge bei Opfern sexueller Übergriffe den größtmöglichen Schaden anrichtet, zusätzlich zum auslösenden Erlebnis.
Die Frage bleibt: Warum strengst du eine solche Entstellung der Berichte an?
Nur, weil das Verhalten von K. dir unerklärlich ist? ist das allein ein Grund, Karasek als Lügnerin umzuinterpretieren? Warst du dir bewußt, dass hier mit großer Wahrscheinlichkeit auch Opfer von sexuellen Übergriffen mitlesen, die jahre- und jahrzehntelang mit dem Makel der unterstellten Unglaubwürdigkeit leben mußten und müssen?
Ehrlich gesagt befürchte ich auch, dass inflationär gebrauchte Vorwürfe von Mißbrauch und Vergewaltigungen diese Tatbestände in der Öffentlichkeit „verwässern“ könnten und tatsächlichen Opfern damit ein Bärendienst erwiesen wird. Diese dann evtl sogar nicht mehr „richtig“ ernstgenommen werden könnten.
Dem wiederum ist absolut zuzustimmen. Und dazu hat JanineG ja schon vortrefflich getextet. Hier bleibt nur zu sagen: K. hat in ihrem eigenen Fall (und geht es schon seit mindestens einem Jahr nicht mehr um ihren eigenen Fall!) überhaupt nicht von „abuse“ gesprochen, sondern „nur“ von Übergriff und Belästigung!
Wie sieht ihr die Geschichte? Gibt es andere Sichtweisen und Erkenntnisse?
Für mich ist das - btw schon seit bekanntwerden des Falles vor einem Jahr - ein interessantes Beispiel für das Phänomen, das mir aus anderen Konfliktszenarien bestens bekannt ist, dass Frauen sich nicht effizienter wehren, als es „objektiv“ (und nicht bloß aus Sicht cooler Männer) möglich wäre.
Dass ein Annäherungsszenarium zwischen Personen, die voneinander nicht wissen, wie deutlich sexuell interessiert der jeweils andere selbst ist, zu großen Komplikationen und Mißverständnissen kommen kann, ist derweil ein interessantes Thema. Ebenso wie die Zögerlichkeiten und die Angst vor Mißverständnissen. Adoleszente Fragesteller (m.a.W. Teenies) mit genau diesem Problemstoff, haben wir ja im Brett Liebe&:stuck_out_tongue_winking_eye:artnerschaft fast täglich …
Denn: Jede sexuelle Annäherung, und erst recht jedes sexuelle Szenarium, ist eine Grenzüberschreitung, und nicht nur eine körperliche. Das ist ja gerade eine der lustvollen (also im Unterschied zu dem hier Diskutierten) positiven Charakteristiken von partnerschaftlicher Sexualität. Es sind passive und aktive Grenzüberschreitungen. Und wenn bei diesem möglicherweise ungewohnten Ausdruck gefragt wird: Grenzen von was? Dann kommen wir auch zu der Frage und möglichen Antworten, warum im Falle von Gewalt und Mißbrauch, ebenso wie in anderen, nicht sexuellen Kontexten, manchmal die mögliche und effiziente Gegenwehr versagt. Also das, was dem rationalen, coolen Verstand logischerweise unnachvollziehbar ist. Allerdings: Die Logik des psychischen Erlebens ist eine andere.
Gruß
Metapher