halb OT: Teenager und Modediktat
— ACHTUNG, SEHR LANG ----
Hallo Grilla,
ich glaube, ich hab den Thread hier jetzt vier oder fünfmal durchgelesen. Ich finde dies ein sehr interessantes Thema, und ich denke, dass die Macht des Mode-Diktats auch häufig unterschätzt wird.
Ich hab leider keine Ahnung, wie man einen Teenie in dieser Hinsicht richtig den Weg zeigt, ich kann nur berichten, wie das in meinem Teenager-Alter war (ist ja noch nicht soooo lange her) und welche (für mich) gravierende Auswirkungen das Mode-Diktat haben kann.
Ich habe hier einige Male gelesen, dass die modisch gekleideten, gepiercten Mädels als „DUMM“ dargestellt werden. Da ist mir erstmal die Hutschnur hochgegangen. WAS, bitte schön, können die Mädels dafür, dass sie in dem Alter noch nicht das Selbstbewusstsein haben, sich nicht dem Mode-Diktat anzuschließen??? Was hat das mit Intelligenz zu tun???
Ja, ich fühl mich durch diese Aussage zur „Dummheit“ fast persönlich angegriffen, obwohl ich natürlich weiß, dass dies weder ne Verallgemeinerung, noch irgendein persönlicher Angriff war. Aber es erinnert mich eben an meine Teenie-zeit, in der ich auch krampfhaft versucht habe, eben über dieses Mode-Diktat Zugang zu einer Gruppe zu bekommen.
Meine Eltern hatten nie das Geld und auch nicht den Willen, meinen Bruder und mich top-modisch zu kleiden. Sie waren (und sind) auch gegen dieses Mode-Diktat. Als Teenager hab ich darunter sehr gelitten, was mich bis heute verfolgt. Klassisches Beispiel ist natürlich die Schulklasse. Als ewige Klassenbeste (soviel zum Thema Intelligenz) hatte ich eh immer schon nen schweren Stand bei den anderen. Nun kam hinzu, dass ich dem Mode-Diktat aus oben genannten Gründen nicht folgen konnte. Ich hab gelitten, dass ich nie in der Klasse akzeptiert war, aufgrund meiner Noten und wegen meiner No-Name Klamotten.
Und das, obwohl ich damals schon wusste, dass der Gruppenzwang hinsichtlich der Klamotten-Marken nicht gut für mich war. Ich habe anfangs noch ein paar Mal meine meinung öffentlich kund getan, dass ich den Gruppenzwang bzgl. der Marken (damals Levis, Chiemsee, Homeboy, diesel,…) nicht gut finde - nachdem ich dafür mehrmals ausgelacht wurde, hab ich mir angewöhnt, über nichts mehr meine Meinung zu äußern. Das ist nicht gerade förderlich fürs Selbstbewusstsein, seine eigene Meinung zu verschweigen, bzw. in Härtefällen sogar zu verleugnen! Irgendwann hab ich aufgehört, mir ne eigene meinung zu bilden, weil ich selten die gleiche Meinung wie die anderen hatte und somit sowie so „immer auf die Schnauze gefallen wäre“.
Trotzdem hab ich weiter versucht, über das Mode-Diktat in die Gruppe zu kommen. ich hab es nie geschafft. Ich erinnere mich noch gut an eine Szene: ich hatte zu weihnachten meine allererste LEVIS-Jeans bekommen. Das war für mich natürlich das Highlight schlechthin. Am ersten Schultag nach den Ferien stieg ich in den Schul-Bus… ein Typ aus meiner Klasse schaut mich an und sagt: „He, hast jetzt auch ne Levis, cool!“ Ich war glücklich über diese Beachtung, die mir dadurch geschenkt wurde. WEGEN EINER JEANS!!!
Heute, Jahre später, kleide ich mich zwar einigermaßen so, wie ich es für mich und meinen Stil/Typ für richtig halte, aber noch immer fühle ich mich den Menschen gegenüber, die jedem einzelnen Modetrend wie unter Zwang folgen, langweilig und als graue Maus. Noch immer begebe ich mich innerlich in eine Rechtfertigungshaltung, sobald mir ein Mensch gegenüber tritt, der in meinen Augen hoch-top-modisch gekleidet ist. Und ich tue fast alles dafür, in einer Gruppe aufgenommen zu werden, auch wenn ich dafür meine eigene meinung wieder
verschweige, um nicht ausgestossen zu werden.
Klar, ich weiß natürlich, dass ich dann keine Energie in eine Gruppe verschwenden soll, wenn ich mit meiner eigenen Meinung dort nicht akzeptiert werde - ich hab es aber noch nicht gelernt, selbstbewusst damit umzugehen, endlich ein Dazugehörigkeitsgefühl zu erleben ist mir wichtiger - und einen großen Anteil an „Schuld“ an meiner Unfähigkeit hat das Mode-Diktat von damals.
Ich weiß, ich helf mit diesem Artikel nicht direkt weiter, weil ich keine Lösung zu dem Dilemma anbieten kann. Weder kann ich sagen: Zahl Deinem Kind die teuren Klamotten - die Gefahr, dass damit Oberflächlichkeit und evtl. auch Arroganz geschürt wird, wäre mir zu groß. Noch kann ich sagen: Verwehr Deinem Kind die teuren Klamotten - wohin das führen kann, hab ich ja grad geschrieben.
Trotzdem ist es vielleicht hilfreich, meine Erfahrungen hier zu schildern - als ich vor wenigen Wochen meinen Eltern das erste Mal diese Story erzählte, waren sie schockiert, weil sie selbst nicht gemerkt hatten, wie schlecht es mir damals ging. Ich hab mich hinter ner Fassade versteckt.
Keine Ahnung, vielleicht war das jetzt auch ne Themen-Verfehlung, mit Feminismus hat mein Artikel jedenfalls wenig zu tun.
Viele Grüße
alexa