Gnosis

Hi zusammen.

Gestern wurde einige Äußerungen von mir zur Gnosis (im Kabbalah-Thread) kritisiert und als „schmerzhaft“ empfunden. Ich will diese Äußerungen daher hier zur Diskussion stellen.

  1. Ich behauptete:

Für die Gnosis war die Christusgestalt ein göttliches Geistwesen, das sich einen materiellen Leib schuf (doketistischer Scheinleib), um die Menschen zu erlösen, und wieder als Geistwesen in den gnostischen Himmel (Pleroma) zurückkehrte.

Was ist daran falsch? Man könnte die Formulierung „sich einen materiellen Leib schuf“ dahingehend monieren, dass ein doketistischer Scheinleib gar nicht aus Materie besteht (daher eben „Scheinleib“). Die Frage bleibt, ob die Gnostiker unter einem Scheinleib wirklich nur einen geistigen Leib verstanden, der in keinster Weise materielle Eigenschaften hatte, oder aber einen Leib, der kraft der geistigen Potenz des Christus vorübergehend materieller Natur war, also ein geistig geschaffener materieller Leib (was man insofern als Scheinleib bezeichnen kann, als er kein eigentlich zu Christus gehöriger Leib ist). Der Einwand, dass der Scheinleib laut Gnostikern nicht fähig zu Schmerzempfindungen war, belegt für mich übrigens nicht, dass er als nicht-materiell verstanden wurde.

Für den Fall, dass man mir also die Konfusion von materiellem und doketistischem Leib vorwirft, bitte ich um einen Textbeleg aus gnostischen Quellen, der unmissverständlich aussagt, dass der Christusleib während des irdischen Aufenthalts nicht aus Materie bestand.

(Übrigens war der Christ Origenes zeitweise der Ansicht, dass sich der Christus - als Emanation Gottes - einen materiellen - statt einen geistigen - Leib geschaffen hatte)

Die Formulierung „um die Menschen zu erlösen“ ist in dieser Allgemeinheit zugegebenermaßen nicht ganz korrekt. Erlösbar waren in gnostischer Auffassung nur die Pneumatiker (die Menschen, die fähig waren, das göttliche Licht zu erkennen) und teilweise auch die Psychiker (die zum Glauben, aber nicht zur Erkenntnis Fähigen). Die dritte Gruppe, die rein sinnlich orientierten Hyliker, fallen aus der Zielgruppe des Erlösers heraus, da sie nicht erlösbar sind.

Falls dieser Nebensatz die Schmerzgrenze überschritt, bitte ich um Verzeihung.

  1. Dann schrieb ich:

Genauso gut könnte es auch umgekehrt gewesen sein: nämlich dass der römische Katholizismus nur ein Derivat vorgängiger gnostischer Strömungen war.

Also? Was soll an dieser Hypothese schmerzhaft sein?

  1. Ich schrieb auch:

Der gnostische Einfluss auf das Joh-Ev ist unbestritten.

Das kann kaum die Ursache der Schmerzen gewesen sein.

  1. Dann:

Die katholische Lehre hatte sich dagegen in der ersten Hälfte des 2. Jh. zunächst dem Adoptianismus verschrieben (Jesus als Mensch, der von Gott adoptiert und erhöht wird). Das stand dem judenchristlichen Denken, das einem irdischen Messias noch verhaftet war, sehr viel näher als die gnostische Anschauung eines vom Himmel herabgestiegenen Gottes.

Ist die Formulierung „vom Himmel herabgestiegener Gott“ schmerzauslösend? Ich denke nicht.

Fakt ist, dass es für das Vorkommen christlicher und gnostischer Texte im 1. Jh. keinen zuverlässigen Beleg gibt.

Das ist, wie gesagt, Fakt.

Man wirft mir auch vor, zwischen Gnosis und Gnostizismus nicht zu unterscheiden. Ich habe das im unteren Thread bereits begründet. Wichtige Gnosisforscher wie z.B. Kurt Rudolph („Die Gnosis - Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion“, 1977) oder Gerd Lüdemann („Studien zur Gnosis“, 1999) haben die absurde Sprachregelung von Messina (1966) jedenfalls nicht übernommen.

Chan

Nachtrag - Rudolph versus Markschies
Vermutlich war die Tendenz meines Beitrags, den christlichen Ursprung der Gnosis in Frage zu stellen, der Auslöser für die Schmerzen der neuen Userin. Dazu folgendes:

Der von der Userin favorisierte Christoph Markschies ist ein prominenter Verfechter der These, die Gnosis sei ein innerchristliches Phänomen und von christlichen Autoren entwickelt worden, um geistig anspruchsvolle Leser für das Christentum zu interessieren. Eine schöne These, wirklich. Allerdings gibt es einen mindestens ebenso wichtigen Experten, nämlich Kurt Rudolph , der das genaue Gegenteil behauptet:

Aus „Gnosis und Neues Testament“, S. 237:

Die Gnosis ist kein Zerfallsprodukt des Christentums, wie man früher vielfach annahm. Es gab in der Zeit der alten Kirche eine christliche Gnosis, die von den Kirchenvätern als Häresie bekämpft wurde. Aber das sind späte Ausprägungen der gnostischen Bewegung. Ihr Ursprung ist vorchristlich. Wahrscheinlich ist sie auf dem Boden jüdisch-hellenistischer Weisheitslehre entstanden.

Unsere neue Userin wirft mir, vermutlich aufgrund der Abweichung meiner Darstellung von Markschies´ These, vor, „hanebüchenen Unsinn“ zu schreiben. Du liebes Pleroma! Das nenne ich Dogmatismus in Reinkultur. Ich wiederum habe offengelassen, ob der Ursprung der Gnosis inner- oder außerhalb des Christentums liegt. Das nenne ich Objektivität.

Falls meine Äußerung zur Scheinleib-Frage auch Ursache der Userin-Schmerzen war: Valentinus und Basilides gingen davon aus, dass der Leib des auf Erden wandelnden Christus nicht geistig, sondern physisch war - so wie es meiner Formulierung entspricht. Zum Schein bestand der Leib insofern, als er, in der Sicht dieser Männer, von Christus kraft seines Geistes zum Zweck des irdischen Aufenthalts geschaffen war.

Chan

Für die Gnosis war die Christusgestalt ein göttliches
Geistwesen, das sich einen materiellen Leib schuf
(doketistischer Scheinleib), um die Menschen zu erlösen, und
wieder als Geistwesen in den gnostischen Himmel (Pleroma)
zurückkehrte.

Hallo Ch’an,

das möchte ich in dieser Apodiktizität (gibt es sowas?) nicht stehenlassen. Es gibt fast zahllose gnostische Systeme, denen nur eins gemeinsam ist: dass der Mensch sich durch Erkenntnis und Selbsterkenntnis aus diesem irdischen Leib, der als Gefängnis empfunden wurde, befreien könne.
In manmchen gnostischen Systemen kommt Christus überhaupt nicht vor.

Und was den Doketismus angeht: Der ist eine Interpretation der Christusgestalt im Neuen Testament. Und zwar geht der Gedankengang so: In der Taufe hat sich Gott auf Jesus von Nazareth herabgesenkt und hat ihn sein Leben hindurch begleitet. Vot seinem Tod, als er schon am Kreuz hing, hat der Geist Jesus wieder verlassen. Jesus merkte das und er schrie „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
So hat also nur ein Mensch gelitten und ist gestorben, nicht aber Gott.

Di siehst: Die Gnosis musste sich gar keine Christusgestalt erfinden, sondern nur die schon vorhandene neu interpretieren. Unad das machte ja ihre Gefahr für die junge Kirche aus, dass sie sich durchaus auf „ipsissima verba“ berufen konnte. Und so hat sie sich ja auch als das wahre Christentum ausgegeben, und es hat die Kirche lange und heftige Kämpfe gekostet, die Gnosis anzuwehren.

Gruß - Rolf

Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten und Prämissen
Hallo Ch’an,

Du solltest mir nicht übelnehmen, dass es unsereinem schon ein bisschen auffällt, wenn einer - beispielsweise - „Evangelien um 180“ als wahrscheinlichste Variante suggeriert. Tust Du es doch, übersiehst Du schlicht und einfach nicht nur die historischen Wahrscheinlichkeiten, sondern insbesondere eine wichtige Bezugsgrösse, ganz abgesehen davon, was Du zu dieser Bezugsgrösse für eine Meinung hast.

Du bist nicht der einzige im Brett, der bevor man stur seine antikirchlichen Meinungen herausbrüllt, wenigstens zugeben sollte, dass die kirchlichen Lehren eben auch für ihre entschiedenen Gegner einen gewissen Masstab abgeben, den man nicht einfach so umgeht.

Ob es Dir bewusst ist oder nicht, aber das, was Du servierst, scheint in zentralen Behauptungen einfach nur eins zu sein: Polemik.

Gruss,
Mike

Hellenisierung des Christentums
Hi Rolf.

Für die Gnosis war die Christusgestalt ein göttliches
Geistwesen, das sich einen materiellen Leib schuf
(doketistischer Scheinleib), um die Menschen zu erlösen, und
wieder als Geistwesen in den gnostischen Himmel (Pleroma)
zurückkehrte.

das möchte ich in dieser Apodiktizität (gibt es sowas?) nicht
stehenlassen. Es gibt fast zahllose gnostische Systeme, denen
nur eins gemeinsam ist: dass der Mensch sich durch Erkenntnis
und Selbsterkenntnis aus diesem irdischen Leib, der als
Gefängnis empfunden wurde, befreien könne.
In manmchen gnostischen Systemen kommt Christus überhaupt
nicht vor.

Mir ist natürlich bekannt, was du da richtigerweise schreibst. Ich bitte um Nachsicht für die Kompaktheit, die ich in einer Antwort auf den die Kabbalah als unnötig bezeichnenden Artikel praktizierte. Es ging mir in dieser Antwort nur darum, die im verlinkten Beitrag aufgestellte Behauptung, die Gnosis sei eine Abirrung vom Christentum, in knapper Form in Frage zu stellen.

Und was den Doketismus angeht: Der ist eine Interpretation der
Christusgestalt im Neuen Testament. Und zwar geht der
Gedankengang so: In der Taufe hat sich Gott auf Jesus von
Nazareth herabgesenkt und hat ihn sein Leben hindurch
begleitet. Vot seinem Tod, als er schon am Kreuz hing, hat der
Geist Jesus wieder verlassen. Jesus merkte das und er schrie
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
So hat also nur ein Mensch gelitten und ist gestorben, nicht
aber Gott.

Das war aber nicht die einzige christliche Auffassung in der 1. Hälfte des 2. Jhds. Es gab, wie ich im anderen Thread schon andeutete, den Adoptionismus (Jesus als Mensch von Gott erwählt und erhöht), und zwar in den judenchristlichen Kreisen. Daneben gab es die jüdisch-hellenistische Auffassung (Jesus als präexistenter Logos) und den Modalismus (Jesus als Modus Gottes).

Auffällig ist hierbei, dass die von Judenchristen gepflegte adoptionistische Lehre geografisch und kulturell dem (vermeintlichen) Ursprung des Christentums am allernächsten steht (Judäa). Als ´Ebioniten´ wurden die Anhänger im 2. Jhd. als Häretiker aus der mittlerweile hellenisierten Kirche ausgeschlossen.

Die Lehre von Jesus als präexistentem Gottessohn hat dagegen seine Basis in nichtchristlichen, nämlich hellenistischen Vorstellungen.

Justin hat um 150 die Logoslehre systematisch auf Jesus bezogen, und zwar in Anlehnung an den Mittelplatonismus und vor allem an Philon von Alexandria. Was den Logosbegriff im Joh-Ev betrifft, so ist klar, dass er sich ebenfalls von Philons Lehre herleitet. Die Frage ist aber, wann das Joh-Ev überhaupt entstand und in welchem Maße es die (hypothetisch) originale christliche Lehre verzerrt.

Harnack z.B. hat im 19. Jhd. die These aufgestellt („Hellenisierung des Christentums“), dass der über Justin erfolgte Einfluss der hellenistischen Kategorien auf die Christologie das ursprüngliche Christentum verfälscht hat. Schon das Buch Henoch kannte die Idee eines göttlichen Menschensohnes im Himmel, was im Verein mit Philos Logoslehre als eine schöne Vorlage für das christliche Konzept vom inkarnierten Gott angesehen werden kann.

Du siehst: Die Gnosis musste sich gar keine Christusgestalt
erfinden, sondern nur die schon vorhandene neu interpretieren.

Dein Argument setzt voraus, dass die kanonischen (oder andere) Evangelien vor den gnostischen Texten entstanden. Genau das ist absolut unbelegbar. Nicht einmal Justin erwähnt die Evangelisten in seinen Texten, erst ab Irenäus werden sie greifbar.

Ignatius von Antiochia gilt als prominenter früher Vertreter der Auffassung, dass Jesus ein inkarnierter Sohn Gottes sei. Leider sind seine Briefe in puncto Datierung und Echtheit keineswegs gesichert. Und was die Inhalte betrifft, schreibt Kurt Rudolph in „Neues Testament und Gnosis“, S.237:

Andererseits ist aber Ignatius in seiner Christologie und Kirchenlehre nicht frei von gnostischen Zügen (Eph. 17,19).

Damit bleibt die Frage gänzlich offen, ob Christus bzw. die Erlösergestalt eine gnostische Figur ist, die vom katholischen Klerus historisiert wurde, oder ob umgekehrt der ´historische´ Jesus der Ausgangspunkt gnostischer Vorstellungen war (was du annimmst).

(Zu dieser Frage siehe auch meinen separat geposteten Artikel über die Auffassungen von Markschies, Lahe und Detering)

Chan

Drei Forscher über die Entstehung der Gnosis
Ich stelle nachfolgend im Kontext des Thread-Themas drei Positionen zum Verhältnis Gnosis/Christentum zur Diskussion, zunächst die von C. Markschies, dann die des Religionswissenschaftlers Dr. Jaan Lahe und zuletzt die des Theologen Dr. Hermann Detering.

Markschies hält die Gnosis für ein innerchristliches Phänomen. Seiner Ansicht nach ist die gnostische Strömung erst im 2. Jahrhundert entstanden (Markschies 2001, S. 68 f.), und angeregt durch die griechische Philosophie. Die gnostischen Autoren hatten im Sinn, die biblischen Erzählungen mit griechisch inspirierter Mythologie zu ergänzen mit dem Zweck, die christliche Botschaft auch für gebildete Schichten interessant zu machen (Markschies 2001, S. 116).

Jaan Lahe (in „Ist die Gnosis aus dem Christentum ableitbar?“, 2006) bezweifelt diese Auffassung und favorisiert die These eines außerchristlichen Ursprungs der Gnosis. Viele der 53 gnostischen Texte, die bei Nag Hammadi gefunden wurden, haben einen nichtchristlichen Inhalt. Dazu gehören z.B. „Die Apokalypse des Adam“, „Eugnostos“, „Die drei Stelen des Seth“,„Die Bronte – Vollkommener Verstand“, „Zostrianus“, „Die Ode über Norea“, „Marsanes“ und „Allogenes“. Sie sind Produkte der ´sethianischen´ Richtung (Seth = Sohn des Adam) innerhalb der Gnosis. Vor allem die „Drei Stelen“, „Die Ode“, „Marsanes“ und „Allogenes“ deuten auf einen nichtchristlichen Ursprung des Sethianismus hin.

Was die christlich angehauchten gnostischen Texte betrifft, kann nachgewiesen werden, dass einige von ihnen erst nachträglich mit christlichen Inhalten ergänzt wurden (J. Doresse 1988-1990). Laut Tröger (1980) zählen dazu: „Das Apokryphon des Johannes“, „Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes“, „Die Sophia Jesu Christi“ und „Die dreigestaltige Protennoia“. Der nichtchristliche Ursprung dieser Texte gilt als gesichert.

Einige Texte aus dem schon länger bekannten Corpus Hermeticum, z.B. „Poimandres“ sowie der 4. und der 13. Traktat, gelten ebenfalls als nicht-christlich.

Auch die gnostische mandäische Religion ist ein Argument gegen die These vom innerchristlichen Ursprung der Gnosis, da sie zwar christliche Elemente aufweist, die aber erst nachträglich in sie aufgenommen wurden (Rudolph 1960). Somit ist die mandäische Religion ein außerchristliches Phänomen.

Neben den offensichtlichen Berührungspunkten von Gnosis und Christentum - z.B. sind sie Erlösungslehren und betonen das Heil durch Offenbarung - listet Lahe eine Reihe von wichtigen Differenzen auf:

  • Die Gnosis kennt zwei Götter (der gute unsichtbare Vater und der böse Demiurg), das Christentum nur einen.

  • Die materielle Welt ist nicht die Schöpfung des guten Gottes.

  • Erlösung ist im Christentum die Befreiung des Menschen von der Sünde, in der Gnosis die Befreiung des innermenschlichen pneumatischen Lichtfunkens von der Materie.

  • Im Christentum werden die Menschen durch den Kreuzestod des Erlösers erlöst, in der Gnosis durch die Erkenntnis, der er den Menschen (d.h. den Pneumatikern) offenbart.

Lahe fasst seine Ansicht so zusammen:

Auch im 20. Jahrhundert hat das kirchengeschichtliche Ursprungsmodell der Gnosis Anhänger gefunden (F. C. Burkitt, S. Petrement) und hat sie auch zur Zeit (Ch. Markschies). Ich bin gegen dieses Modell und meine, dass das kirchengeschichtliche Ursprungsmodell für die Erklärung der Entstehung der Gnosis unzureichend und unbefriedigend ist. Meiner Meinung nach ist die gnostische Bewegung als solche nicht aus dem Christentum ableitbar. Eher ist die Gnosis eine selbständige geistige Bewegung (oder sogar Religion), die ungefähr gleichzeitig mit, aber unabhängig vom Christentum entstanden ist.

Dr. Detering geht noch weiter und zieht die Möglichkeit eines innergnostischen Ursprungs des Christentums in Betracht („8 Thesen zur Entstehung des frühen Christentums“, 2011). Er behauptet:

  • Weder die Jesusgestalt noch ein frühes Christentum kann für das 1. Jh. nachgewiesen werden. Nichtchristliche Zeugnisse sind spätere Interpolationen bzw. Fälschungen.

  • Die kanonischen Evangelien sind erst ab Irenäus zuverlässig bezeugt.

  • Der „historische Jesus“ ist ein künstliches Produkt der modernen „Abzugsmethode“ (alle wundersamen und unangenehmen Züge des synoptischen Jesus werden ´gestrichen´ und das Übrigbleibende zum real historischen Jesus erklärt). Heraus kommen solche Gestalten wie der Friedensjesus, der Frauenjesus und der Ökojesus. Detering schreibt über die Vorstellung eines vermeintlich historischen Jesus:

Es gibt kaum einen Zug im Jesusbild der Evangelien, für den das antike religiöse Umfeld nicht eine entsprechende Parallele böte.

  • Zur Ursprungsfrage des Christentums:

Am Anfang des Christentums stand eine Erlösergestalt, die noch in kein Zeitschema gehörte. Ihr Ursprung liegt vermutlich in der jüdisch beeinflussten Gnosis Alexandriens/Ägyptens (Spielarten dieser Gnosis wohl auch in Kleinasien und Samarien). Aber auch die antike Logos-Religion und das antiken Mysterienwesen (Christus trägt bekanntlich viele Züge antiker Heilandsgestalten z.B. Attis und Dionysus, auch Heracles) haben viel zu ihrer Entstehung beigetragen.

Zusammenfassend heißt es dann:

Der „historische Jesus“ ist das Resultat eines wissenschaftlich-historischen und religiösen Irrwegs. Es ist heute dringend geboten, sich vom „geschichtlichen Glauben“ eines Küng, Crossan, Theißen usw. zu verabschieden (…).

Chan

Einladung zur sachlichen Debatte
Hi Mike.

Du solltest mir nicht übelnehmen, dass es unsereinem schon ein
bisschen auffällt, wenn einer - beispielsweise - „Evangelien
um 180“ als wahrscheinlichste Variante suggeriert.

Nee nee. Ich schrieb nur, dass die kanonischen Ev ab 180 zuverlässig bezeugt sind. Das heißt nicht, dass sie um diese Zeit verfasst wurden. Du solltest mich schon etwas genauer lesen, bitte :smile:

Tust Du es
doch, übersiehst Du schlicht und einfach nicht nur die
historischen Wahrscheinlichkeiten, sondern insbesondere eine
wichtige Bezugsgrösse, ganz abgesehen davon, was Du zu dieser
Bezugsgrösse für eine Meinung hast.

Welche Bezugsgröße denn? Und was kann die in der Datierungsfrage deiner Ansicht nach beweisen?

Du bist nicht der einzige im Brett, der bevor man stur seine
antikirchlichen Meinungen herausbrüllt, wenigstens zugeben
sollte, dass die kirchlichen Lehren eben auch für ihre
entschiedenen Gegner einen gewissen Masstab abgeben, den man
nicht einfach so umgeht.

Überraschung: Es ist ein christlicher Theologe, dessen Argumente ich übernehme - siehe meinen Artikel „Drei Forscher über die Entstehung der Gnosis“ unter Nr. 3.

Was die „kirchlichen Lehren“ betrifft, so ist ihr Entstehungszusammenhang so komplex, dass er kritische Fragen aufwirft, die du nicht ignorieren solltest. Z.B. hat Harnack schon im 19. Jhd. zu bedenken gegeben, dass die Hellenisierung des Christentums die (vermeintlich originale) christliche Botschaft verfälscht hat.

Und was das „Herausbrüllen“ betrifft: Bitte mäßige dich in deinen Formulierungen.

Ob es Dir bewusst ist oder nicht, aber das, was Du servierst,
scheint in zentralen Behauptungen einfach nur eins zu sein:
Polemik.

Nein, es geht um Argumente, allerdings um welche, die deinen christlichen Auffassungen teilweise zuwiderlaufen. Du vergisst bei deiner Antwort, dass die im UP zitierten eigenen Sätze nur in sehr kompakter Form ein Statement im Kabbalah-Gnosis-Kontext relativieren sollten. Da kannst du keine Gründlichkeit erwarten, die dem Thema Gnosis angemessen ist, da das komplett OT gewesen wäre.

Aber vielleicht bist du bereit, in sachlicher Weise (also ohne verbale Ausrutscher wie „herausbrüllen“) auf meine neuen Beiträgen einzugehen.

Danke im voraus

Chan

Idee f. Forum: wie-kann-man-sowas-nicht-wissen.de?
Hallo Ch’an,

Ich schrieb nur, dass die kanonischen

Eben. Ganz genau. Du schriebst „nur“ dies, ohne den leisesten Hauch eines Buchstabens darüber, dass die Evangelien höchstwahrscheinlich zu einer ganz anderen Zeit verfasst wurden, als es von Dir als „zuverlässig bezeugt“ bezeichnet wird. Dass diese >Bezeugung

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Hallo Ch’an,

ich bin dich ziemlich hart angegangen, darum bin ich dir wohl eine Antwort schuldig. Warum wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen können, kann ich leider nur in einer sehr langen Ausführung bezüglich meines Verständnisses von „Gnosis“ darlegen. Dieses ist für mich die Grundlage für jede weitere Diskussion und steht deinen einleitenden Worten

Für die Gnosis war die Christusgestalt ein göttliches Geistwesen, das
sich einen materiellen Leib schuf (doketistischer Scheinleib), um die
Menschen zu erlösen, und wieder als Geistwesen in den gnostischen
Himmel (Pleroma) zurückkehrte.

entgegen. Denn eine „Gnosis“ als religiöse Bewegung vergleichbar mit Judentum oder Christentum hat es meinem Verständnis nach nie gegeben. Möglicherweise gab es irgendeine Gruppierung, die so dachte wie du ausgeführt hast, und möglicherweise wurde sie auch einem wie auch immer zustande gekommenen Begriff „Gnosis“ zugeordnet. Aber dies als „die Gnosis“ zu bezeichnen, ist schon mal grundfalsch.

Doch bevor wir über Details diskutieren, die du derzeit verstreut über mehrere Beiträge um dich wirfst, sollten wir uns über unsere Ausgangspositionen informieren, z. B. warum ich nicht konform mit deinen (von dir nicht genannten) Prämissen gehen kann, nämlich der Existenz einer einheitlichen „Gnosis“, die „xy“ glaubte. Denn damit wird jede weitere inhaltliche Diskussion obsolet. Dazu der folgende lange Text.

für alle die hier schon aussteigen wollen
Gruß Maria

Gnosis

Das Wort „Gnosis“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Erkenntnis“. Es wurde überwiegend in philosophischen Kontexten gebraucht. Für die stark an Rationalität orientierte griechische Kultur stellte sichere und von bloßer Wahrnehmung abgegrenzte Erkenntnis einen hohen Wert dar.

Griechische Philosophie

In der Philosophie des Athener Philosophen Plato wird die zentrale Stellung der Erkenntnis deutlich und in ein strenges philosophisches System eingebunden. Erkenntnis gibt es nur von den hinter der Erscheinungswelt (der Wahrnehmung) stehenden Strukturen aller Wirklichkeit, die Plato „Ideen“ nennt. Prinzipiell sind alle Menschen fähig, die sinnlich wahrnehmbare Welt zu durchschauen, aber nur diejenigen, die zu tieferer Erkennntnis fähig sind, gleichen sich, soweit es überhaupt möglich ist, Gott an.

Natürlich blieb eine solche Bedeutung von „Gnosis“ nicht auf die platonische Philosophie beschränkt, auch wenn es in den unterschiedlichen Schulen der Aristoteliker, Epikureer, Stoiker oder Platoniker zu verschiedenen Ergebnissen führt.

Deutlich wird, dass bereits von Plato an, die strengen neuzeitlichen Abgrenzungen zwischen Philosophie und Religion bzw. Theologie an dieser Stelle nicht greifen. Immerhin geht es um eine „Angleichung an Gott“, die man in einer Lebensgemeinschaft mit Gleichgesinnten zu erreichen sucht. Auch beginnt sich seit hellenistischer Zeit in Griechenland die Vorstellung auszubreiten, dass Erkenntnis nicht ausschließlich nur durch Anwendung der der Welt innewohnenden Vernunft, des Logos, möglich ist, sondern ein Gnadengeschenk eines Gottes, der ohne dieses Geschenk unerkennbar bliebe.

Judentum

Eine vergleichbare hohe Schätzung von „Gnosis“ („Erkenntnis“) findet sich in der jüdischen Tradition, vor allem die griechische Übersetzung der sogenannten „Weisheitsschriften“, die im späteren Verlauf der Antike teilweise in den Kanon der Bibel des Judentums und dann auch des christlichen „Alten Testaments“ aufgenommen wurden. Diese Schriften sind durch entsprechende Terminologie geprägt. Ebenso gewinnt man einen vergleichbaren Eindruck von der Bedeutung der „Erkenntnis“ von den hebräischen und aramäischen Äquivalenten des griechischen Begriffes „Gnosis“ in dem Schrifttum der Gemeinde von Qumran. Diese repräsentieren zwar eine ganz bestimmte Richtung des zwischentestamentlichen Judentums, sind aber genauso um religiöse Erkenntnis bemüht wie andere Strömungen des zeitgenössischen Judentums auch.

Elitär

Die pagane wie jüdische Antike schätzte „Erkenntnis“, aber ihr jeweiliges Konzept von „Gnosis“ trug elitäre Züge. Die zur Erkenntnis fähige Elite wurde in den unterschiedlichen System sehr verschieden bestimmt. Der Platonismus z. B. identifizierte die höchste Form des Wissens als mathematisch formalisiertes Wissen über das Göttliche, und die Elite derer, die über dieses Wissens verfügten, als jene Gruppe von Philosophen, die im platonischen Sinn philosophierten. Im hellenistischen Judentum bildete vor allem die Gruppe der gottesfürchtigen Weisen, die sich um Erkenntnis bemühten und an Gottes Gebote hielten, die Elite.

Christentum

In frühen Schriften bei Paulus finden sich bereits Entgegnungen zur „Erkenntnis“, z. B. wird in 1Kor 1,4 ausgeführt, dass die Christen in Korinth stolz waren auf bestimmte Offenbarungseinsichten. Paulus jedoch kritisierte, dass „Erkenntnis hochmütig macht“ (1Kor 8,1) und verwarf die an irdischen Maßstäben orientierte Weisheit der Korinther. Der unter dem Pseudonym des Apostels Paulus verfasste „Brief an Timotheus“ enthält bereits Hinweise auf „das gottlose Geschwätz und die Antithesen einer zu Unrecht so genannten Erkenntnis“ (1Tim 6,20f).

Das griechische Wort „gnostikoí“, „Erkennende“ wird oft unübersetzt als „Gnostiker“ wiedergegeben. Im Zusammenhang mit 1Tim 6,20f ist im Rahmen der Bibelkommentierung schon in der Antike von solchen „Gnostikoi“ die Rede, daher nimmt man bis heute fälschlicherweise gern an, dass hier ein erster Beleg dafür vorliegt, dass sich eine religiöse Bewegung selbst als „Gnosis“ bezeichnete. Diese Stelle besagt jedoch nur, dass Menschen innerhalb der christlichen Gemeinde für sich das beanspruchten, was pagane Philosophen wie jüdische Weisheitslehrer vermittelten, nämlich „Erkenntnis“, die jedoch vom Verfasser des genannten Briefes bestritten wurde.

Polemisierung durch christliche Theologen

Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts begannen christliche Theologen in „stark vergröbernder Verzeichnung“ verwandte Gruppen unter dem Begriff „Erkenntnis“ zusammenzufassen. Pionier bei dieser rücksichtlosen Ausweitung der Bezeichnung im polemischen Interesse war der Kleinasiate Irenaeus, der in Lyon lebte. Dessen Ausführungen sind jedoch zweifelhaft, denn vom in Alexandrien wirkenden christlichen Lehrer Basilides, dem ersten frühen Vertreter der „Gnosis“ bei Irenaeus, sind originale Texte aus seiner Schule erhalten, deren Inhalte sich an keiner Stelle von Irenaeus’ Ausführungen wiederfinden. Es scheint als hätte Irenaeus nie auch nur eine Zeile von Basilides gelesen. Ob es sich mit den vielen anderen Ausführungen der seines Hauptwerkes genauso verhält ist nicht zu belegen, aber der Verdacht liegt nahe.

Gnosis?

All das zeigt, dass die Zusammenstellung verschiedenster antiker Gruppen oder Geisteshaltungen unter den Begriffen "Gnosis"oder auch „Gnostizismus“ in der europäischen Neuzeit einer Strategie christlicher Theologen der Antike folgt, die unter dem Allerweltswort „Erkenntnis“ diverse Bewegungen subsumierten, denen Erkenntnis genauso wichtig war, wie vielen anderen Geistesströmungen und Religionsformen auch. Dabei wurde diese Bezeichnung, die in der Antike nur ganz bestimmte Gruppen selbst für sich verwendeten, auf alle Angehörigen einer [in dieser Gesamtheit nie existenten] Bewegung ausgedehnt, und deren Existenz von der Forschung fälschlicherweise lange fraglos vorausgesetzt.

Tatsächlich gibt es antike Bewegungen, die inhaltlich wie in ihrer äußeren Gestalt zum Teil recht eng verbunden sind und die unter dem Stichwort „Gnosis“ zusammengestellt wurden. Allerdings wären auch andere Kriterien bei einer Zusammenstellung möglich, z. B. Zusammenstellungen die beachten, ob solche Erscheinungen (Gruppen) durch direkte historische Zusammenhänge miteinander verbunden sind, solchen die mehr indirekt durch ein gemeinsames kulturelles Klima geprägt sind, und solchen, die durch inhaltliche Übereinstimmungen in einen typologischen Zusammenhang gebracht werden können.

Grundsätzlich sollte man also im Kopf behalten, dass die Zusammenstellung bestimmter antiker Gruppen zu einer Bewegung namens „Gnosis“ und die Bezeichnung ihrer Mitglieder als „Gnostiker“ eine moderne Fortentwicklung einer antiken christlichen Polemik ist, und im strengen Sinn ein „typologisches Konstrukt“ neuzeitlicher Forschung darstellt.

Ach, ich hätte mir meine lange Antwort oben sparen können… schade wegen der Mühe.

Und hör auf gegen mich zu polemisieren - letzte Warnung.

Hallo Maria,
vielen Dank für diese angesichts der Komplexität des Themas immer noch recht knappe aber trotzdem konzise Zusammenfassung.

Freundliche Grüße,
Ralf

2 Like

Hallo Tychiades,

danke für diese Einschätzung. Mir war klar, dass es sich bei solcher Kürze um eine Gratwanderung handelt. Ich bin froh dass diese gelungen ist. Und ja, es gäbe noch so viel darüber zu schreiben.

Grüße
Maria

Wie wahrscheinlich ist das Unbeweisbare?

Ich schrieb nur, dass die kanonischen

Eben. Ganz genau. Du schriebst „nur“ dies, ohne den leisesten Hauch eines Buchstabens darüber, dass die Evangelien höchstwahrscheinlich zu einer ganz anderen Zeit verfasst wurden, als es von Dir als „zuverlässig bezeugt“ bezeichnet wird.

Wieso muss ich extra betonen, dass die Ev irgendwann vor der Zeit ihrer ersten Bezeugung verfasst wurden? Das versteht sich doch von selbst. Der Spielraum für Hypothesen betr. Datierung ist dabei sehr groß und reicht vom letzten Drittel des 1. Jh. bis (etwa) zur Mitte des 2. Jh. Ein Kriterium dabei ist das Werk von Justin, dem ersten Apologeten. Er erwähnt an keiner Stelle eines der kan. Ev., auch nicht einen der (angeblichen) Verfasser. Johannes wird bei ihm nur als Autor der Offenbarung erwähnt. Es gibt zwar Stellen bei Justin, die Gemeinsamkeiten mit den Ev haben, sie können inhaltlich aber auch einer gemeinsamen Quelle entstammen.

Die kan. Ev. sind also (natürlich) vor 180 entstanden, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie erheblich vor 150 verfasst wurden. Die Datierung des sog. Papyrus 52 („Johannesfragment“) auf 125 ist umstritten, da eine Datierungstoleranz von 25 Jahren plusminus angenommen wird (was wieder auf die Möglichkeit der Entstehung um 150 hinweist).

Dass diese >Bezeugungbelegbar ist, ist die Neigung des katholischen Klerus (ab dem 2. Jh.) zu Textfälschungen im Interesse der Durchsetzung ihrer Überzeugungen.

Ich könnte so noch seitenlang fortfahren, aber das ist hier OT. Jedenfalls ist klar, dass deine Wahrscheinlichkeitsargument nur nach hinten losgehen kann.

Wegen OT möchte ich diese Debatte erst in einem geeigneteren Thread fortsetzen.

Chan

Probleme bei der Gnosis-Typisierung
(Ich komme erst heute wieder dazu, in das Forum reinzuschauen)

Hi Maria.

Ich finde ebenso wie Ralf deinen Artikel informativ und habe ihm dafür ein Sternchen gegeben.

Die Sache ist allerdings die, dass das, was du schreibst, mir schon seit Jahren bekannt ist. Ich nehme dazu später Stellung und mache vorab nur ein paar Anmerkungen.

Was du nicht erwähnst, ist der Umstand, dass durch die Unterdrückung und quasi Vernichtung der gnostischen Schulen ab dem 4. Jh. durch das zu Macht gelangte Christentum eine genaue Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen der Gnosis (ab der Zeitenwende) praktisch unmöglich ist. Bis zum 4. Jh. gab es jedenfalls deutlich mehr Anhänger der christlichen Seth-Schule und des Karpokrates als Anhänger der römischen Kirche.

Denn eine „Gnosis“ als religiöse Bewegung
vergleichbar mit Judentum oder Christentum hat es meinem
Verständnis nach nie gegeben. Möglicherweise gab es irgendeine
Gruppierung, die so dachte wie du ausgeführt hast, und
möglicherweise wurde sie auch einem wie auch immer zustande
gekommenen Begriff „Gnosis“ zugeordnet. Aber dies als „die
Gnosis“ zu bezeichnen, ist schon mal grundfalsch.

Man kann gnostische Systeme sehr wohl auf einen relativ einheitlichen Typus verdichten. Auf meiner Festplatte lagern alle 53 Texte aus dem Nag-Hammadi-Fund. Ich kann dort also alle Angaben aus der Sekundärliteratur nachprüfen. Typisch für gnostische Texte ist z.B. der strenge Geist-Materie-Dualismus (=gut/böse-Dualismus) und die Unterscheidung von gutem und bösem Gott. Das und andere Merkmale reichen völlig aus, um einen bestimmten Religionstypus herauszukristallieren, der mehr ist als nur ein „Konstrukt“, der also eine historische Grundlage hat.

Vergessen wird in diesem Zusammenhag gerne, dass die scheinbare Homogenität der katholischen Lehre das Resultat eines die Vereinheitlichung erzwingenden Machtkampfes (gegen Häretiker) war, der über Jahrhunderte reichte. Nimm z.B. den Unterschied zwischen dem judenchristlichen Adoptionismus und dem heidenchristlichen Präexistenzglauben. Das ist ein gewaltiger Unterschied, meine ich, kaum geringer als der zwischen diversen gnostischen Schulen. Eingeebnet wurde die Differenz nur durch einen autoritären Akt der Exkommunikation. Mit die ersten Opfer solcher Unterdrückung waren die Ebioniten, die Nazarener und die Elkesaiten.

Leider fehlt mir jetzt die Zeit, näher auf deine Darstellung einzugehen. Bis morgen kannst du aber damit rechnen.

Chan

Bitte nicht kneifen : )
Hallo Ch’an,

wie hattest Du neulich einen Artikel betitelt?
Bevor wir den Thread verlassen, solltest Du Dich schon wenigstens insofern auf die Grundsatzdebatte einlassen, als sie mit der Gnosis in Zusammenhang steht, und je weiter dieser Begriff „Gnosis“ eben gefasst wird, umso eher ist dann die Debatte eben nicht OT, selbst wenn Du der UP bist und eine gewisse Deutungshoheit unbestritten Dein ist.

Summarisches zur Evangeliendatierung der historisch-kritischen Forschung:

Zeit ihrer ersten Bezeugung

Dass es im 1. Jhdt. Evangelientexte gab, ist zunächst durch deren eigene Aussagen anzunehmen („innere Datierung“); wer ihnen aus Prinzip keinen Glauben schenken will, mag die äusseren Zeugen, z. B. Petronius hinzuziehen, welcher gemäss neuerer Forschung um 60 ein Evangelium parodiert haben soll, oder wenigstens Ignatius von Antiochien anf. 2. Jhdt, der Matthäus zitiert.

Zudem bricht die Apg (verfasst nach dem Lk-Evangelium), welche das Leben des Paulus in allen Details schildert, kurz vor dem Jahr 64 bzw. der Hinrichtung des Paulus ab. Selbst wenn man annimmt, dass Teile später eingefügt worden sein könnten, ist doch wahrscheinlich, dass andere Teile um diese Zeit bestanden haben.

keinen Hinweis darauf, dass sie erheblich vor 150 verfasst wurden

wie gesagt: also äusserst unwahrscheinliche Annahme, wenigstens gegen die weit überwiegende Mehrheit ebenso der christlichen wie der nichtchristlichen kritischen Forscher.

Irenäus

datiert Mk und Lk um 65-70, Mt vorher. Warum meinst Du, er deute auf das 2. Jhdt?

Detering

Ich weigere mich, mich auf Knopfdruck zu wiederholen. Jeder mag sich Deine und meine Argumente selbst angucken, auch Du : )

Sohn Gottes

ist auferstanden, die Auferstehung ist Glaubenssache; historisch-kritisch ist hingegen das religionssoziologisch höchst relevante Faktum zu belegen, dass es gestützt auf dieses Argument eine Volksbewegung gibt.

nicht mal historisch nachweisbar

aber wohl die am stärksten nachgewiesene Person der Antike, etwa auf gleicher Stufe mit Augustus und ein paar andern römische Kaisern. Wohlvermerkt: Dies sage ich nicht aus der christlichen Tradition allein, sondern es wird auch aus der kritischen Forschung so gesagt.

Wahrscheinlichkeit

ist nicht alles, aber doch das Mindeste, um wenigstens die allergrössten Ignoranzen ein wenig zu befragen.

Gruss,
Mike

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Der Gnosis-Begriff bei Rudolph, Lahe, Markschies
Ich will noch was nachtragen im Zusammenhang mit dem, was ich für den eigentlichen Vorwurf deinerseits an meine Adresse halte, nämlich meine angeblich unangemessene Verwendung des Gnosisbegriffs. Du scheinst seinen allgemeine Verwendung zu favorisieren, die ich aber für zu allgemein halte. „Gnosis“ als religionswissenschaftlicher Begriff meint ganz eindeutig die gnostischen Lehren im Umfeld des Christentums bzw. in den ersten Jahrhunderten u.Z… Genau in diesem Sinne habe ich ihn gebraucht. Es reicht zu diesem Zweck, auf zwei Autoren hinzuweisen, die ich schon zitiert hatte, sowie auf Markschies selbst:

Kurt Rudolph in „Gnosis und Neues Testament“, S. 237:

Bei der Gnosis handelt es sich um eine breite religiöse Bewegung der hellenistischen Spätantike. Ihre Erscheinungsformen sind verwirrend und oft durch merkwürdig verstiegene mythologische Spekulationen charakterisiert. Durch sie hindurch wird jedoch eine einfache und eindrucksvolle Konzeption sichtbar. Die Grundlage gnostischer Religiosität ist ein weltanschaulicher Dualismus, in dem sich das Reich göttlichen Lichts und Finsternis feindlich gegenüberstehen.

Würdest du dem Professor wegen seiner Begriffsverwendung dasselbe vorwerfen wie mir, nämlich „hanebüchenen Unsinn“? Wohl kaum :smile:

Dr. Jaan Lahe textet den Titel seines Essays „Ist die Gnosis aus dem Christentum ableitbar?“. Damit hat er wohl kaum eine Platonische oder andere Gnosis vor Augen, die vor der Zeitenwende schon bestand :smile:

Last not least Chr. Markschies, auf den du dich gerne zu beziehen scheinst. Er schreibt:

Die Gnosis begreife ich (…) als den wohl energischsten Versuch, das Christentum durch Platonisierung und Mythologisierung einer (Halb-)Bildungselite nahezubringen .

(Gnosis und Christentum, 2009)

Auch Markschies verwendet hier den Gnosisbegriff in seiner engeren Bedeutung, nicht anders als Rudolph, Lahe und meine Wenigkeit. Was also hat dich nur bewogen, eine Begriffsverwendung, die von drei z.T. sehr renommierten Experten mit Selbstverständlichkeit praktiziert wird, mir als „Unsinn“ anzukreiden?

Mehr zu deinem Beitrag, wie gesagt, morgen.

Chan

OT ist OT, mein Lieber
Sorry, Mike, aber man hat mir schon öfters OT-Beiträge vorgeworfen, und ich möchte das jetzt nicht unnötig bestätigen. Belassen wir es dabei, dass wir das Thema separat wieder aufgreifen. Mach´s doch so wie ich und poste e inen neuen Thread mit diesem Thema. Wenn du´s nicht machst, werde ich gerne für dich vorpreschen (am Wochenende), so wie ich´s schon betr. Marias (unangemessenem) Vorwurf gemacht habe.

Chan

Quod non
Hallo Ch’an,

dass Du Deinen Gnosisbegriff offensichtlich mit Deiner Evangeliendatierung in Verbindung bringst, ist nur der Summton.

Die hier eigentlich relevante Aussage findet sich in

unangemessenem

Der Vorwurf war nur schon aus dem von mir genannten Grund völlig angemessen, evtl. kommen noch zusätzliche Gründe von besseren Gnosis-Kennern in Betracht.

Gruss,
Mike

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Gnosis II
Hallo Ch’an,

irgendwie sind wir immer noch nicht auf einer Linie, ich hoffe ich langweile dich nicht zu sehr, denn sicher kennst du das alles…

Darüber, dass die Rede von „der Gnosis“ in Antike und Gegenwart ein gutes Stück weit eine neuzeitliche typologische Konstruktion darstellt, besteht schon mindestens seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ein weitgehender Konsens.

Was ist nun ein solches typologisches Konstrukt? Im wesentlichen definiert man ein Menge von Eigenschaften, und jede „Erscheinung“, die alle diese Eigenschaften erfüllt, fällt in die vom Konstrukt definierte Menge, z. B. „Gnosis“.

Dabei müssen diese „Erscheinungen“ weder direkt über historische Zusammenhänge verbunden sein (können es aber) noch müssen sie eher indirekt über ein gemeinsames kulturelles Umfeld geprägt sein (können es aber, und waren es auch). Jedoch muss man im Auge behalten, dass je nach Definition der Eigenschaften eines solchen typologischen Konstruktes, auch Erscheinungen u. U. nicht in die Zielmenge fallen, owohl sie historisch oder kulturell/gesellschaftlich verbunden sind nur weil sie einzelne Eigenschaften nicht erfüllen, die damit verbundene Erscheinung/Bewegung jedoch schon.

Im Wesentlichen ist also solch ein typologisches Konstrukt u. U. sehr willkürlich, zumindest muss man bei der Festlegung der Details mit Bedacht vorgehen. Die Menge der durch ein solches Modell zusammengefassten historischen Phänomene hängt also sehr stark von den Details der typologischen Konstruktion ab. Auch darüber herrscht in der Fachwelt Einigkeit.

Eine wichtige Vorentscheidung ist, ob man A) das Phänomen „Gnosis“ als Bewegung innerhalb der christlichen Religion verstanden wissen will, gelegentlich auch als eine bereits im Judentum grundgelegte oder entstandene Form von Religionsphilosophie interpretiert, also: Ob man das Phänomen „Gnosis“ lediglich einer Religion , dem Christentum, zuordnen möchte.

Genau dieses Verständnis ist bereits in der Antike aufgekommen, wurde von den christlichen Theologen übernommen, wobei aber nicht ausgeschlossen wurde, dass diese [konstruierte] „Gnosis“ auch von anderen religiösen und philosophischen Kontexten beeinflusst wurde.

Jedoch resultierte daraus die Deutung und das Werturteil, die ganze „Gnosis“ sei im Ergebnis ein misslungener und daher von der Mehrheitskirche abgelehnter Versuch einer „höheren“ Interpretation der mehrheitskirchlichen Theologumena.

Im anderen Fall B) sieht man die Gnosis als eine die Grenzen einer einzigen Religion übergreifenden Bewegung. Diese Sicht wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts dominierend, wobei hier eine nicht unproblematische, weil negativ-konnotierte, Metapher gewählt wurde, die der „Einnistung“ der „Gnosis“ in eine „Wirtsreligion“.

Es gibt, wie man sieht, immer noch Anhänger des ersten Falles, die jedes Dokument, jeden Satz in diese Richtung interpretieren, während jeder nichtchristliche gnostische Text von der anderen Seite gerne als Beleg für die Sichtweise B hervorgehoben wird.

Wenn auch der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch weitestgehender Konsens der Forschung war, die „Gnosis“ als nichtchristliche eigenständige Religion zu begreifen, so zerbrach auch diese Einigkeit, weil ein zentraler Beleg dafür - der „Urmensch“-Mythos , oder das Zurückführen aller gnostischer Systeme auf eine einzigen Mythos aus der zoroastrischen Religion, von zwei Berliner Gelehrten in ihren Dissertationen widerlegt wurde.

Worüber reden wir nun, wenn wir „Gnosis“ in den Mund nehmen, oder aufs Papier bringen? Hängt von der Definition ab.

Um z. B. das zu beschreiben, was christliche Theologen in der Antike unter „Gnosis“ zusammenfassten , stehen eine ganze Auswahl von Quellen als Grundlage zur Verfügung, um ein geeignetes typologisches Konstrukt zu definieren. Und hat man diese Voraussetzungen erstmal definiert, ist es auch legitim im weiteren Kontext - z. B. eines Buches - von der „Gnosis“ oder von einer „christlichen Gnosis“ zu sprechen. Man weiß ja nun bescheid, was ein typologisches Konstrukt ist.

Was wollte man in der bereits mehrfach erwähnten Konferenz von Messina nun erreichen? In Abgrenzung zur religionsübergreifenden Konzeption von „Gnosis“ wollte sie für eine bestimmte Gruppe von Systemen des 2. Jh. nach Christus, also die christliche „Gnosis“ [ihr versteht jetzt was ich meine? :wink:] den Begriff „Gnostizismus“ vorschlagen. Die Bezeichnung „Gnostizismus“ hat sich - wie Metapher bereits richtig angeführt hat - aufgrund der zusätzlichen Verwirrung, die dadurch entstand, nicht durchgesetzt.

Freundliche Grüße
Maria

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Gnosis und Judentum - ein Überblick
Hi Maria.

Denn eine „Gnosis“ als religiöse Bewegung vergleichbar mit Judentum oder Christentum hat es meinem Verständnis nach nie gegeben. Möglicherweise gab es irgendeine Gruppierung, die so dachte wie du ausgeführt hast,

Was heißt „möglicherweise“? Diese Unsicherheit in der Sache sowie deine sehr einseitige Auffassung des Begriffs ´Gnosis´ zeigen mir, dass du nur ein oberflächliches Verständnis der Gnosis hast und an religiöser gnostischer Literatur, wie sie z.B. durch die Nag-Hammadi-Funde vorliegt, überhaupt nicht interessiert bist. Dass der gnostische Christus einen doketischen Scheinleib hat, gehört zu den Basics des Wissens über die Gnosis. Du aber weißt es nicht.

Im gnostischen ´Dreiteiligen Traktat´ (NHC I,5) aus dem Nag-Hammadi-Fund heißt es über den Erlöser:

Hinsichtlich dessen, was er vorher war, und dessen, was er ewig ist, ein Ungezeugter, Unleidender aus dem Logos, der in das Fleisch gekommen war, er kam nicht in ihre Gedanken. Und dies ist die Rede, indem sie eine Wirksamkeit empfangen haben, um zu sprechen über sein Fleisch, welches im Begriff war, offenbar zu werden. Sie sagen, dass es ein Erzeugnis von ihnen allen ist, aber dass es vor allen Dingen aus dem pneumatischen Logos stammt, welcher die Ursache der Dinge, die entstanden sind, ist, von dem der Erlöser empfangen hatte sein Fleisch. Er hat es zwar empfangen bei der Offenbarung des Lichtes gemäß dem Wort der Verheißung, bei seiner Offenbarung in der Art des Samens.

Der Erlöser hat sein Fleisch also vom „pneumatischen Logos“ empfangen - sein Leib ist doketisch.

und möglicherweise wurde sie auch einem wie auch immer zustande gekommenen Begriff „Gnosis“ zugeordnet. Aber dies als „die Gnosis“ zu bezeichnen, ist schon mal grundfalsch.

Rudolph, Lahe und Markschies schreiben „die Gnosis“, wenn es um gnostische Systeme im Umfeld bzw. innerhalb des Christentums geht. Allein damit ist dein „Vorwurf“ (ich kann das nur noch in Anführungszeichen setzen) bereits widerlegt. Zusätzlich noch folgendes:

Seit Anfang des 20. Jh. hat sich durch W. Boussets Werk „Hauptprobleme der Gnosis“ (1907) der Gebrauch des Begriffs „Gnosis“ für die in Frage stehenden Systeme allgemein durchgesetzt. Forscher wie K. Rudolph und K.H. Schenke haben den Begriff „Gnostizismus“ scharf kritisiert, da er einen abwertenden Beigeschmack hat, und sehen ihn auf einer Linie mit der Tendenz der alten Ketzerbekämpfer, die gnostischen Systeme zu negativieren.

„Die Gnosis“ ist ein völlig legitimer Begriff, wenn es um eine bestimmte Strömung geht, die im christlichen Umfeld zu verorten ist und aufgrund gemeinsamer Merkmale der unterschiedlichen Systeme auch einen hinreichend einheitlichen Nenner aufweist.

Man muss also damit leben, dass „Gnosis“ zwei Dinge meint: 1) religiöse Wahrheitserkenntnis, und 2) eine bestimmte Gruppe religiöser Systeme im christlichen Umfeld mit hinreichend starker Gemeinsamkeit. Bei 1) ist in der Regel von „Gnosis“ die Rede (ohne Artikel), bei 2) heißt es „die Gnosis“.

Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts begannen christliche Theologen…

Präziser: katholische Theologen. In dieser Zeit bezeichneten sich auch viele Gnostiker als Christen.

… in „stark vergröbernder Verzeichnung“ verwandte Gruppen unter dem Begriff „Erkenntnis“ zusammenzufassen. Pionier bei dieser rücksichtlosen Ausweitung der Bezeichnung im polemischen Interesse war der Kleinasiate Irenaeus, der in Lyon lebte.

Das ist etwas komplexer. Irenäus unterschied zwischen „wahrer“ und „falscher“ Gnosis. Die wahre sprach er der Kirche zu, die falsche den ´Häretikern´ (siehe Lahe, Die Berührungspunkte zwischen Gnosis und Judentum, 2004, S.10). Die Gnostiker bezeichneten sich selbst als „Wissende“, aber auch als „Erwählte“, „Heilige“, „Pneumatiker“, „Kinder des Brautgemachs“ usw. (ebd.)

In der Philosophie des Athener Philosophen Plato wird die zentrale Stellung der Erkenntnis deutlich und in ein strenges philosophisches System eingebunden.

(Wenn ich im folgenden von „der Gnosis“ schreibe, dann meine ich die Gnosis im engeren Sinne)

Der Platonismus war ein wichtiger Faktor bei der Herausbildung der Gnosis. Wahrscheinlich gelangte die griechische Terminologie über Philon von Alexandria in die gnostischen Lehren. Folgende Themen sind der platonischen Philosophie und der gnostischen Religion gemeinsam:

  • Gott vs. Seele
  • Demiurg vs. unbekannter Gott
  • Ursprung des Bösen
  • Abstieg und Rückkehr der Seele
  • Schicksal vs. Freiheit
  • Geist vs. Materie
  • Seele vs. Leib
  • Gott vs. Welt

(siehe Lahe, ebd., S. 33)

Deutlich wird, dass bereits von Plato an, die strengen neuzeitlichen Abgrenzungen zwischen Philosophie und Religion bzw. Theologie an dieser Stelle nicht greifen.

Man sollte an dieser Stelle den Religionsbegriff differenzieren. Platon kritisierte mythische Religion und favorisierte in letzter Konsequenz die Mystik („Ungeschriebene Lehre“). Das ist ein erheblicher Unterschied. Platon war (vermutlich) Teilnehmer bei den Eleusinischen Mysterien, auf deren mystischer Erfahrung seine „ungeschriebene Lehre“ zurückgehen soll.

Prinzipiell sind alle Menschen fähig, die sinnlich wahrnehmbare Welt zu durchschauen, aber nur diejenigen, die zu tieferer Erkennntnis fähig sind, gleichen sich, soweit es überhaupt möglich ist, Gott an.

Platon unterscheidet zwischen einem absolut jenseitigen Gott (höchstes Prinzip) und einem minderen Gott (dem die Ideen in Materie umsetzenden Demiurgen). Dieser dualistische Gedanke wird von den späteren Gnostikern übernommen (die den atl. Jahwe zum Demiurgen degradieren). Das aber ist nur Platons in den Dialogen „geschriebene“ Lehre. Seine „ungeschriebene“ geht über die geschriebene deutlich hinaus, sofern man das rekonstruieren kann, und betont die Kategorie des ´Einen´ (später von Plotin ausgearbeitet). Mit dem gnostischen Dualismus hat dieses Eine natürlich nichts mehr zu tun, was einer der Gründe für Plotins Ablehnung der Gnosis war.

Immerhin geht es um eine „Angleichung an Gott“, die man in einer Lebensgemeinschaft mit Gleichgesinnten zu erreichen sucht.

Ja, das ist der mystische Grundgedanke. Heikel ist dabei der Gottesbegriff, weil „Gott“ in mystischer Sicht nur negativ beschreibbar ist, gleichzeitig aber begrifflich eine Personalität suggeriert, die dem mystischen Denken fremd ist.

Im ´Dreiteiligen Traktat´ (NHC I,5) heißt über die ´erleuchtete´ Rückkehr des Menschen zu seinem geistigen Ursprung dementsprechend:

Die Wiederherstellung aber ist am Ende, nachdem die Allheit offenbart hat, was sie ist, der Sohn, der die Erlösung ist, das heißt der Pfad zu dem unbegreifbaren Vater, das heißt die Rückkehr zu dem Zuerst-Existierenden, und (nachdem) sich die Allheiten offenbart haben in diesem, in der eigentlichen Weise, welcher der Unverstehbare und der Unaussprechbare und der Unsichtbare und der Unbegreifbare ist, so dass er Erlösung erlangt.

Trotzdem kann man bei der Gnosis nicht von einer vollständigen Mystik sprechen, eben wegen ihres Geist-Materie-Dualismus.

Eine vergleichbare hohe Schätzung von „Gnosis“ („Erkenntnis“) findet sich in der jüdischen Tradition, vor allem die griechische Übersetzung der sogenannten „Weisheitsschriften“, die im späteren Verlauf der Antike teilweise in den Kanon der Bibel des Judentums und dann auch des christlichen „Alten Testaments“ aufgenommen wurden.

Der jüdische Einfluss auf die gnostischen Systeme ist ein weites Feld. Ich gebe einen Überblick:

  1. Apokalyptik:

Pessimistische und dualistische Weltauffassung. Das gegenwärtige Äon wird von bösen Mächten regiert (Teufel, Archonten und Dämonen). Erkenntnis der Geheimnisse Gottes hat nur der Eingeweihte, und nur er kann erlöst werden. Die Menschen sind in Fromme und Gottlose geschieden (in der Gnosis: Pneumatiker versus Hyliker). Gott ist von der Welt durch eine Hierarchie von Zwischenwelten getrennt und braucht Mittelswesen (sophia, logos), um auf die Welt einzuwirken.

  1. Weisheitsliteratur:

Skeptische Grundhaltung. Gott und Welt sind entzweit und das Vertrauen ins irdische Dasein verlorengegangen. Der Weise ist fremd in der Welt. In der Weite zwischen Gott und Mensch tummeln sich Engel und Dämonen.

Die Gnosis übernimmt die jüdische Gestalt der Sophia (Weisheit), eine Anverwandlung der ägyptischen Göttinnen Isis und Ma´at. Sophia steigt zur Erde hinab und kehrt in den Himmel zurück - in der Gnosis aber deutlich tragischer ausgemalt als in der Weisheitsliteratur. Ihre gnostische Darstellung erfolgt entweder als „Paargenossin“ des Urmenschen Christus oder, in der Mehrzahl der Texte, als ein Äon unteren Ranges, der ohne Teilnahme eines Paargenossen den Demiurgen Jaldabaoth zeugt, den Schöpfer der dunklen Materiewelt. Um ihren Fehler wiedergutzumachen, steigt Sophia in die Finsterwelt hinab, bleibt aber dort gefangen und kann nur durch Reue und Buße wieder zurück ins Licht gelangen. Ein anderer Mythos schildert, wie sie sich voller Begierde in das Licht des Guten Gottes stürzt und dabei aus der geistigen Welt herausfällt. Aus ihrem Weinen entsteht die materielle Welt. Bei all dem spielt sie eine zentrale Rolle bei der Erschaffung des materiellen Kosmos.

Für Gilles Quispel (nach Lahe, ebd., 148) gibt es einen Zusammenhang zwischen der Sophia als Gattin Gottes bzw. des Urmenschen Christus (in Weisheitsliteratur und Gnosis) und der Verbindung von Jahwe und Aschera, wie diese aus hebräischen Inschriften aus dem 8. Jh. v.u.Z. hervorgeht. Als „Anat“ (syrisch-ägyptische Göttin) wurde von jüdischen Soldaten in Elephantine die Gattin von Jahwe noch im 5. Jh. v.u.Z. verehrt. Diese altisraelitische Vorstellung könnte, neben den ägyptischen Vorbildern Isis und Ma´at, zur Herausbildung der weisheitlichen Sophia-Gestalt beigetragen haben.

  1. Jüdische Mystik:

Es gibt wichtige Unterschiede zur Gnosis, z.B. den schon oben angedeuteten, dass Mystik grundsätzlich nicht-dualistisch ist. Vor allem die rabbinische Merkabah-Mystik (1. und 2. Jh. u.Z.) und die Hekalot-Traktate (zwischen 200 und 600 u.Z.) liefern der Gnosis aber wichtige Bausteine: die göttliche Thronsphäre (merkabah) und der (nicht ungefährliche) Aufstieg der Seele durch sieben Himmel und sieben Paläste zur „Herrlichkeit Gottes“.

Was iranische Einflüsse angeht, die entweder direkt oder über das iranisch modifizierte Judentum die Gnosis prägten:

Einen dualistischen Input hat die Gnosis durch den Zoroastrismus sicher erhalten. Es gibt aber Unterschiede: Der zoroastrische Dualismus ist ethisch, der gnostische ist ontologisch. Dort kann sich der Mensch für das Gute oder das Böse entscheiden, hier ist er prädeterminiert als erlösbar (Pneumatiker) oder unerlösbar (Hyliker). Die dazwischen positionierten (nur glaubens-, aber nicht wissensfähigen) Psychiker können eventuell erlöst werden. Zu den Psychikern zählten in den Augen der Gnostiker die Anhänger der römischen Kirche.

Chan

PS.

In Anbetracht deines (bisherigen) Kenntnisrückstandes in Sachen Gnosis ist mit diesem Artikel meine Teilnahme an diesem Thread abgeschlossen.

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