Hallo Tobi@s,
ich finde es immer wieder witzig wie versucht wird zu beweisen
ob nun Gott existiert oder auch nicht. Und natürlich kann man
das naturwissenschaftlich nicht beweisen etc. etc.
Witze, die man zu oft zu hören bekommt, sind irgendwann nicht mehr witzig. Man kann die Existenz eines Gottes oder seine Nichtexistenz überhaupt nicht beweisen, weder naturwissenschaftlich noch sonstwie. Das ist seit 230 Jahren (Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘) bekannt - der Witz ist also schon ziemlich abgestanden. Leute, die das Eine oder Andere versuchen, haben schlicht die Aufklärung und damit die geistesgeschichtliche Entwicklung des letzten Vierteljahrtausends irgendwie verpasst.
Also, warum so viel Aufregung?
Weil die Frage, ob ein Gott existiert oder nicht, eben nicht reine Privatsache ist. Es bleibt ja nicht dabei, dass
die Spinner (zu denen ich dann auch zählen würde) doch dann reden dass es ihn gäbe und was sie tolles so erlebt haben
- sondern die „Spinner“ (wobei ich mir diese Qualifikation hier nur als Zitat zu eigen mache) ziehen aus ihrem Glauben Konsequenzen, von denen auch Andere betroffen sind. Ein Glaube an einen oder viele Götter ist ja nicht einfach eine isolierte Idee; dieser Glaube steht in aller Regel im Kontext einer Religion und ist somit nicht nur für den privaten, sondern auch für den gesellschaftlichen Bereich relevant.
D.h. es gibt gesellschaftliche Gruppen, die sich zu dieser oder zu jener oder auch zu gar keiner Religion bekennen und aus ihrer jeweiligen Weltanschauung heraus unterschiedliche Erwartungen und Forderungen an die Gesellschaft und deren handelnde Organe - den Staat - ableiten. Es existieren also gesellschaftliche Interessenkonflikte und entsprechend auch politische Konflikte.
Historisch gesehen war (und ist es im islamischen Raum immer noch) die klassische Lösung dieser Konfliktlage eine staatlich verordnete und häufig blutig durchgesetzte Einheitsreligion / Staatsreligion. D.h. die stärkste (nicht notwendig die größte) gesellschaftliche Gruppe setzt ihre Interessen, ihre Normen und Wertvorstellungen ohne Rücksicht auf die anderen mit Zwangsmitteln durch. Dafür bieten nahezu alle Religionen (und auch atheistische Ideologien) entsprechende Rechtfertigungsmuster. Die Idee der Gewissensfreiheit und daraus abgeleitet die Forderung weltanschaulicher Toleranz und weltanschaulicher Neutralität des Staates ist historisch eine noch recht junge Entwicklung - und ein durchaus nicht ungefährdeter Besitzstand, sondern einer, der verteidigt werden muss.
Gefährdet ist dieser Besitzstand, weil es immer noch genügend Menschen gibt, die nicht einzusehen vermögen, dass eine pluralistische Gesellschaft und ein demokratisches Staatswesen eine positive Errungenschaft ist und religiös oder ideologisch bedingte Interessenkonflikte auszuhalten hat bzw. da, wo sie nicht aufzulösen sind, sich nicht einfach an der Mehrheit ohne Rücksicht auf davon betroffene Minderheiten orientieren darf. D.h. der Staat muss (und die Gesellschaft sollte) sich bei Entscheidungen, die solche Konflikte betreffen, an übergeordneten, religiös neutralen und für alle Bürger verbindlichen Prinzipien orientieren. Dies sind z.B. die im Grundgesetz verankerten Grund- und Menschenrechte (einschließlich des Rechts auf freie Religionsausübung).
Konflikte der erwähnten Art sind ein immer wiederkehrendes Phänomen und häufig werden sie nicht so neutral und sachgerecht entschieden, wie es wünschenswert ist. Beispielhaft sei hier z.B. an die Beschneidungsdebatte erinnert. Oder an die Vorstöße von Erzbischof Ludwig Schick, Herrn Martin Mosebach und Herrn Matthias Matussek, sich doch bitteschön an islamistischen Staaten mal ein Beispiel zu nehmen und Gotteslästerung wieder unter strenge Strafe zu stellen. Bei etwas Überlegung fallen einem da eine Fülle weiterer Beispiele ein, bei denen religiös begründete Normen und Wertvorstellungen eine Rolle spielen - die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, Homoehe, Kopftuchverbot, Sterbehilfe, Kreationismus im Biologieunterricht, Steuerprivilegien für Kirchen usw. usf. - „Kriege im Namen Gottes“ braucht man da gar nicht zu bemühen, die sind glücklicherweise Geschichte und bleiben es hoffentlich auch.
Dass bei politischen Forderungen, die säkulär eingestellte Menschen als unzumutbare Beschränkung von Grundrechten (z.B. Recht auf körperliche Unversehrtheit, Recht auf freie Meinungsäußerung) empfinden, von diesen die Frage nach einem objektiv nachvollziehbaren Fundament solcher Forderungen gestellt wird, dürfte verständlich sein. Es geht dabei (zumindest vernünftigen Menschen) jedoch nicht um eine Beweisbarkeit Gottes - lediglich darum, dass Argumente wie ‚göttliches Gebot‘, ‚es steht in der Bibel/Thora/Qu’ran‘ usw. irrelevant sind und stattdessen Argumente gefordert werden, die für Angehörige anderer Religionen und für Nichtreligiöse nachvollziehbar sein müssen, um Berücksichtigung zu finden. So ist z.B. in der schon erwähnten Beschneidungsdebatte das entsprechende göttliche Gebot im Tanach kein relevantes Argument für die gesetzliche Zulassung der Beschneidung aus religiösen Gründen - das Argument, mit einem Verbot würde jüdisches Leben in Deutschland unmöglich gemacht (ob man ihm nun folgen kann oder nicht) hingegen schon.
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Freundliche Grüße,
Ralf
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