Königsideologie und Funktionsauftrag
Hi Borbah.
Ich meine, dass der Thread ein wenig Starthilfe braucht, da das Thema „Gottesebenbildlichkeit“ (GEB) darin überhaupt keine auch nur annähernd analytische Behandlung erfährt. Den christlich orientierten Usern fällt dazu nichts anderes ein, als auf eine angeblich „geistige“ Ähnlichkeit des Menschen mit dem Bibelgott zu verweisen, ohne dass das aus den alttestamentlichen Quellen direkt ableitbar wäre und ohne dass man sich auf Userseite die Mühe macht, diese ´Geistige´ zu definieren.
Dem religionswissenschaftlichen Anspruch dieses Bretts kommt man sicher etwas näher, wenn man den synkretistischen Zusammenhang der alttestamentlichen GEB mit den historisch vorausgehenden Königsideologien in Mesopotamien und Ägypten betrachtet. Synkretismus ist die Übernahme einer bereits bestehenden (in diesem Fall religiösen) Idee aus einem System in ein anderes, hier also aus der mesopotamischen (und ägyptischen) Religion in die jüdische. Bekanntlich wurde die ersten Bücher des AT von israelitischen Exilanten in Babylonien verfasst, also im Herzen des mesopotamischen Reichs. Viele Ideen wurden aus dessen Religion übernommen, z.B. die Schöpfung als göttliches Werk im allgemeinen und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen im besonderen.
In Mesopotamien gab es das Konzept der GEB seit den Zeiten der Akkadier, konkret seit spätestens dem 13. Jh. v.u.Z. Darin wird der König als „Abbild des Enlil“ bezeichnet. Enlil war der wichtigste Gott in der mesopotamischen Religion und gilt religionswissenschaftlich als Modell für allen darauf folgenden orientalischen Götter – und dazu gehört eben auch Jahwe. Im Gilgamesch-Epos wird Enkidu, wenn auch nicht der erste Mensch, von der Göttin Aruru auf Befehl und nach der Vorstellung des Gottes Anu aus Lehm erschaffen. Enkidu ist damit auch das Modell für den biblischen Adam:
Ihre Klage hörte immer neu der erhabene Anu;
Aruru rief man, die große:
„Du, Aruru, hast geschaffen, was Anu befahl!
Nun erschaffe, was er befiehlt!
Dem des andern sei gleich dessen Herzensungestüm!
Wettstreiten sollen sie – Uruk erhole sich!“
Kaum daß Aruru dieses hörte,
Schuf sie sich im Herzen, was Anu befahl;
Aruru wusch sich die Hände,
Kniff sich Lehm ab, warf ihn draußen hin.
Enkidu, den gewaltigen, schuf sie, einen Helden…
Die meisten Quellenbelege für die mesopotamische Gott-König-Ebenbildlichkeits-Idee stammen aus dem 7. Jh. v.u.Z., also kurz vor der Entstehung der Genesis-Texte in Babylon.
In der ägyptischen Religion, die gleichfalls Einfluss auf die sich herausbildenden jüdischen Vorstellungen hatte, wurde der König einerseits als Gottessohn, andererseits auch als Abbild Gottes angesehen. Diese Art von Ebenbildlichkeit entspricht in etwa dem Konzept des Avatars: Gott ist in der Person des Königs gegenwärtig, ohne mit diesem identisch zu sein. Verbunden damit ist die Idee, dass der König anstelle des Gottes bzw. diesen repräsentierend die Herrschaft über die Menschen ausübt.
Was nun die jüdische Vorstellung zu dieser Frage betrifft, neigt die heutige Forschung dazu, die „bildhafte“ Beziehung zwischen Gott und Mensch nicht als Gleichheit oder Ähnlichkeit des Wesens, sondern als Auftrag des Gottes an den Menschen zu interpretieren: Der Mensch ist Statthalter des Gottes in der Welt und beherrscht diese für ihn, seinen Herrn. Das entspricht dem Verhältnis von Gott und König in den religiösen Vorstellung Mesopotamiens und Ägyptens. In der Theologie wird dieser Funktionsauftrag „Dominium Terrae“ genannt, nach der Bibelstelle „Macht euch die Erde untertan“ Genesis 1,28.
Bei der Gelegenheit muss auch auf die kaum verdeckte polytheistische Textschicht hingewiesen werden, die von den polytheistischen Vorstellungen des älteren israelitischen Glaubens herrührt, bevor dieser – in endgültiger Form erst im Exil, also im 6. Jh. v.u.Z. - vom jahwistischen Monotheismus revidiert wurde:
26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
„Ein Bild, das uns gleich sei“ - das klingt schon ganz anders als die Vorstellung, dass der EINE Gott das Vorbild des Menschen ist. Vor allem impliziert das eine Unvollkommenheit der (polytheistischen) Vorbilder, die sich in der Unvollkommenheit der Geschöpfe widerspiegelt, da die Götter eines polytheistischen Pantheons keineswegs „vollkommen“ sind, sondern im Grunde sehr menschlich. Es gibt hier also einen massiven Bruch in der Darstellung der Menschenschöpfung.
Um den christlich orientierten Usern einen neutestamentlichen Anknüpfungspunkt für ihre (im Thread, wie gesagt, nicht näher ausgeführten) These von der „geistigen“ Ähnlichkeit des Menschen mit Gott zu geben, zitiere ich 2 Korinther 3,18:
Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.
Paulus wurde dabei von jener Stelle (Ex 34,29-35) angeregt, an der Moses mit verklärtem „strahlendem“ Gesicht den Israeliten gegenübersteht, die diesen Glanz nicht ertragen können, und bezieht sie auf das Licht, das der Mensch sieht, wenn er dem „Christus“ begegnet. Damit wären wir bei genau dem, was ich kürzlich hier thematisierte, nämlich der religiösen Idee, dass das Göttliche ein ´spirituelles Licht´ ist. Im Unterschied zur gnostischen und mystischen Spiritualität, die davon ausgeht, dass dieses Licht in jedem Menschen anwesend ist, auch unabhängig von der Vermittlung durch „Christus“ oder sonst wen, gründet die christliche Vorstellung aber darauf, dass das „Licht Gottes“ nur durch die Vermittlung des Gottessohnes erkannt werden kann und dass es nicht im Menschen anwesend ist als ein Teil von ihm, sondern nur als Widerspiegelung des göttlichen Lichtes erfahren wird.
Was bedeutet das alles für die Frage des UP, also den Zusammenhang von GEB und Evolutionstheorie?
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Die GEB ist, falls ihre Interpretation gemäß der Genesis-Texte als Funktionsauftrag korrekt ist, kein zwingendes Hemmnis für ein Nebeneinander von GEB und Evolution. Allerdings müsste der Modus der Menschenerschaffung deutlich umgedacht werden, also den Erkenntnissen der NaWi angepasst. Es fiele allerdings schwer, sich das im Detail ohne ironischen Beigeschmack auszumalen.
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Die GEB ist, falls die paulinische Interpretation zutrifft, ebenfalls im Einklang mit der Evolutionstheorie vorstellbar. Es besteht kein logischer Widerspruch zwischen der Vorstellung, dass der menschliche Geist das „Licht Gottes“ zu widerspiegeln vermag, und der modernen Evolutionslehre.
Man kann an der Sache also drehen und schrauben, wie man will: Letztlich bleibt alles wieder am Glauben hängen bzw. an der subjektiven Erfahrung der Gläubigen. Weder Beweise noch Widerlegungen sind möglich.
Chan