Ihrzen

(extra fuer Gandalf aber nicht nur)
Hallo!
Nachdem in einem Thread im Psychologiebrett der Begriff des Ihrzens auftauchte (und ich das ganz spontan toll fand), habe ich weiter drueber nachgedacht (soll vorkommen :wink: ) —
und es ist nicht nur am Niederrhein so, sondern wenn ich es recht ueberlege, gibt’s diese Form bei uns (Kurpfalz) auch.
Gandalf schrieb dort, dass das Ihrzen benutzt wird als Zwischenform zwischen Du und Sie und sozusagen als Aufforderung, sich zu entscheiden*.
Bei uns gibt’s diesen Aufforderungscharakter eigentlich nicht, aber es stimmt schon, wenn man jemand nicht mehr siezen will und (noch) nicht duzen kann, dann benutzt man auch bei uns diese Form: „Wie geht’s euch denn? Was macht euer Haus? Wart Ihr auch im Schlosspark?“ usw.

Bei welchen Dialekten wird das ebenfalls benutzt?

Gruesse, Elke

PW (statt PS): das erinnert mich an diese Geschichte —
Zwei Freundinnen unterhalten sich.
1: Mein Mann und ich haben seit Neustem getrennte Schlafzimmer.
2: Mhm
 und wie haltet ihr es da mit GV?
1: Nun, ganz einfach, wenn mein Mann will, kommt er an meine Tuer und klopft. Wenn ich nicht in der Stimmung bin, ueberhoere ich das Klopfen einfach und er geht wieder. Wenn ich aber auch will, mach ich ihm die Tuer auf.
2: Und wie ist das, wenn du willst?
1: Ganz einfach, dann geh ich an seine Zimmertuer und frage: Liebling, hast du geklopft?

Hallo,

das pluralisch gemeinte Ihr als Weg, um das vielleicht doch zu vertrauliche Du zu vermeiden, ist eine ziemlich junge Entwicklung. Immerhin war bis etwa 1970 klar vorgeschrieben, wer wem wie das Du anbieten darf, und es gab dementsprechend den Anlass fĂŒr diese Art von umgangenem Duzen nicht.

Ihrzen ist nicht bloß im oberdeutschen, sondern im gesamten lĂ€ndlichen Raum von Deutschland eben erst im Verschwinden begriffen - im SĂŒden ists klar, aber es existiert auch im Niederdeutschen: „MöllĂ€, lewet juwe grote swarte katt all noch?“

Siezen ist herabgesunkenes Kulturgut aus den Feudalschnörkeln des achtzehnten Jahrhunderts, wo dritte Person Pluralis Majestatis ĂŒberhand nahm, weil noch jeder Schreiber irgendein Vonundzu, ein Hijo d’alguno (= Hidalgo) sein wollte. „Durchlaucht Frau Ferschde sehe awwer arch meahlicht aus“ - beim Metzger zu Langenburg, Durchlaucht sind tiefdunkelblaublĂŒtiger aber verarmter Adel.

Noch 1980 geschehen: Bruno S., Landwirt im Tettnanger Raum, kommt (spĂ€t) zum Mittagessen von einem Besuch auf dem Landwirtschaftsamt zurĂŒck, wo er etwas mit der Landabgaberente fĂŒr seinen Vater, den NĂ€hne S., regeln musste. Jener letztere wurde ĂŒbrigens auch von ganz jungen Leuten mit „Vatter S.“, nicht „Herr S.“, als regelrechte Titulierung angeredet und geihrzt. Jedenfalls sein Sohn, mit einer Sauwut wortlos an den Tisch, und nach ein paar Momenten: „Dui sent so bleed dass d’ graad „Sie“ saischt“ - also Siezen als tendenziell beleidigend fĂŒr Amtsschreiber, wĂ€hrend wirkliche Respektspersonen wie Pfarrer, Tierarzt, Lehrer natĂŒrlich geihrzt werden.

Und, damit einhergehend, Duzen inter pares keineswegs ĂŒbervertraulich, sondern die regelmĂ€ĂŸige Anrede - seit 1991 mit erfreulicher UnterstĂŒtzung aus NeufĂŒnfland!

Schöne GrĂŒĂŸe

MM

Hi Elke,

das hĂ€ngt wohl nicht am Dialekt. Ich kenne das aus SĂŒdostwestfalen, dem Ruhrgebiet, aus Bremen, Köln, OstallgĂ€u, Böhmerwald, Hbf MĂŒnchen (hier die schönste Variante, ein Werber vom ASB: „Tut’s Ihr rauchen?“). Mir kommt das fast meistens ein wenig plump vertraulich vor: Schnall dich an, gleich duze ich dich.

Gruß Ralf

Hallo Elke,

ich komme nicht aus dem Rheinland, aber immerhin aus Rheinland-Pfalz. Bei uns in der Gegend wird MoselfrÀnkisch als Dialekt gesprochen, allerdings (leider - IMHO) hÀufig nur noch von Àlteren Leuten und im hÀuslichen Bereich.

Die „Gandalf-Variante“ ist bei uns unbekannt; ein Zwischending zwischen Du und Sie gibt es nicht. Reden wir Dialekt, haben wir kein Sie. Er ist so alt, daß es nur das Ihr gibt, das im Nominativ „DĂ­a“ lautet und ungefĂ€hr wie das hochdeutsche „Dir“ ausgesprochen wird. Dativ und Akkusativ lauten „Äisch“ fĂŒr „Euch“. „Du/Dir/Dich“ heißen „Dou/Da/DĂ€isch“, wobei das „Da“ ein ganz kurzes A hat und im fließenden Satz so ausgesprochen wird, betont wĂŒrde man sagen „Dija“. Wen man so oder so anredet, ist prinzipiell wie im Hochdeutschen geregelt, als Ausnahme mag noch gelten, daß es bis vor kurzem ĂŒblich war, die Schwiegereltern auch noch Jahre nach der Hochzeit zu ihrzen, ohne daß das ein Zeichen fĂŒr eine schlechte Beziehung wĂ€re. Ich kenne auch noch Ältere, die ihre eigenen Eltern geihrzt haben.

Oft spricht man zwar inzwischen ein gefĂ€rbtes Hochdeutsch, spricht aber Ältere aus RespektgrĂŒnden mit dem hochdeutschen „Ihr“ und „Euch“ an.

Interessant ist vielleicht noch, daß die förmliche Anrede auch relevant ist, wenn man nicht zu, sondern ĂŒber Frauen spricht. „Er“ heißt zwar immer „hehn“, „sie“ wird aber „sĂ€i“ genannt, wenn man die Dame ihrzt, und „hatt“, wenn man sie duzt. „SĂ€i“ hat dann auch weibliche Possessivpronomen („hier Tass“ fĂŒr „ihre Tasse“), „hatt“ dagegen mĂ€nnliche („sein Tass“ fĂŒr „ihre Tasse“). Man kann sich also noch nicht mal aus der AffĂ€re ziehen, wenn die Betroffene gar nicht da ist!

SchrĂ€ge GrĂŒĂŸe
mowei

Hallo, Elke!

Meine Mutter hat ihre Eltern stets geihrzt. Und auch ich habe, wenn ich im Dialekt der Großeltern mit ihnen sprach, diese Anrede gebraucht.

Hots Eis scho geissn? Habt Ihr schon gegessen?
I hob Eink wos mitbrocht! Ich habe Euch etwas mitgebracht!

Fritz