Hallo nochmal,
Vielen Dank für deine sehr ausführliche Antwort, das hat mir
sehr geholfen!
Womit? Was willst du jetzt tun?
Es ist so, dass ich in der Jugend und Pubertät
oft Phasen hatte, wo ich mich sehr einsam und allein gelassen
fühlte. Besonders wenn es mal Probleme gab, egal ob privat
oder in der Schule, wünschte ich mir oft jemanden von meiner
erweiterten Verwandschaft, zu dem ich mal eben flüchten, oder
mir Rat und Trost einholen konnte. Das alles habe ich nie
gehabt.
Das kommt mir bekannt vor.
Ich schätze, dass das ein Großteil aller Pubertierenden so empfindet. Manche kommen besser damit klar, andere weniger. Aber fast jeder kennt wohl dieses Gefühl „Niemand versteht mich.“ Rückblickend glaube ich aber, wenigstens für mich (aber womöglich trifft das auch auf viele andere zu) sagen zu können, dass das nur zu einem Teil an meinem Umfeld lag. Zu einem großen Teil lag das auch an mir selber. Daran, dass ich mich gar nicht traute, mich mit meinen Sorgen jemandem anzuvertrauen. Ich glaube, man könnte sagen, dieses Gefühl „Keiner versteht mich.“ rührt nicht daher, dass einen keiner versteht, sondern daher, dass man sich niemandem anvertraut. Aber man traut sich eben nicht, sich anzuvertrauen, weil man gar nicht dran glaubt, dass einen doch jemand verstehen könnte. Das ist ein Teufelskreis, eine Abwärtsspirale. Aber das Gute ist, dass diese Abwärtsspirale auch umgekehrt funktioniert. Wenn der erste Schritt des „Sich anvertrauens“ einmal geglückt ist, fällt es schon ein kleines bisschen leichter, das wieder und wieder zu probieren, auch wenn es sicher lange immer wieder Überwindung kostet. Vor allem, weil es auch immer wieder Rückschläge geben wird. Aber die Kraft, trotz Rückschlägen immer wieder auf andere zuzugehen und erneute Ablehnung zu riskieren, muss zuerst aus dir selber kommen. Insofern muss ich im Grunde denen hier, die versuchen, dir einen „virtuellen Arschtritt“ zu verpassen, dass du dich aufraffen und was tun sollst, statt zu grübeln und zu jammern, Recht geben. Nur ist es eben mit Sicherheit für jemanden, der in dieser Abwärtsspirale schon so weit nach unten getrudelt ist, verdammt schwer, sich wieder soweit hochzuarbeiten, dass man nicht immer wieder abgleitet. So ein Arschtritt ist sicherlich in vielen Fällen angebracht und hilfreich. Aber bei dir scheint es mir leider so zu sein, dass er dich nur noch weiter in der Spirale nach unten befördert.
Ich frage mich halt oft, was hätte, wäre und wenn sein
können, wären wir nie von dort weggegangen. Hätte ich
vielleicht eine gute Beziehung zu meiner 5 Jahre älteren
Cousine gehabt? Hätten wir viel unternommen? Hätte ich
allgemein mehr Freude gehabt? Ich weiß, dass das alles
hypothetische Fragen sind, aber die haben mich nie ganz
losgelassen.
Dreh das mal um! Nicht die Fragen haben dich nicht losgelassen. (Eine Frage kann nichts „tun“, auch nicht an dir festhalten.) Du hast die Frage nicht losgelassen. Oder konntest sie nicht loslassen. Vielleicht, weil es manchmal leichter ist in einem rückwärtsgewandten „Was wäre wenn?“ verhaftet zu bleiben, als nach vorne zu blicken und Neues zu wagen.
Der Mailkontakt damals war in Ordnung. Es waren nicht nur
Einzeiler. Meine Cousine gab mir damals auch mal ihre
Handynummer und wir wollten auch mal telefonieren, doch leider
kam es nie dazu, weil ich eines abends mal versuchte
durchzuklingeln, die aber nicht abnahm und mir daraufhin
später eine SMS schrieb, dass sie viel zu tun hatte und sie
sich noch bei mir melden wird. Das geschah dann leider doch
nicht…
Durch dieses Erlebnis war ich dann auch nicht mehr motiviert,
mich weiter dahinter zu klemmen.
Und wenn du dich doch mal dazu durchringst, dich aufraffst, die Unsicherheit überwindest und deine Cousine einfach anrufst, dann gleich wieder ein Rückschlag, erst geht sie nicht ran, (schon ein kleiner Rückschlag, obwohl das im Grunde überhaupt nichts bedeutet), dann die SMS „Keine Zeit, ruf dich zurück.“ (Für jemanden wie dich, der das Gefühl, dauernd nur abgewiesen zu werden, schon total verinnerlich hat, ein herber Rückschlag.) Aber ein Funke Hoffnung existiert noch. Du wartest auf ihren Anruf. Aber nichts passiert. Der Gedanke, dass du sie ja einfach nochmal anrufen könntest, ist zwar da, aber er lässt sich nicht in die Tat umsetzen, weil die Hemmschwelle durch den Gedanken, dass sie vielleicht im Grunde gar nichts mit dir zu tun haben möchte, dass sie vielleicht sogar genervt ist von dir, viel zu groß ist. Wärest du in der Spirale deutlich weiter oben, wäre diese Angst vor Ablehnung bei weitem nicht so groß und du könntest ohne so lange drüber nachzudenken in einer solchen Situation einfach nochmal anrufen. Du würdest die Möglichkeit, dass sie sich über deinen erneuten Anruf total freut, viel eher in Erwägung ziehen. Was das ganze außerdem noch erschwert, ist, dass die Gefahr, dass andere von dir genervt sind, tatsächlich viel größer ist, wenn du soviel Angst vor Ablehnung hast. Wenn du mit einer solch ängstlichen, verkrampften Haltung anrufst, wird deine hohe Erwartung an den anderen (dass er dich doch bitteschön unbedingt gern haben soll), leicht Ablehnung hervorrufen. Wärest du lockerer und gelassener und es würde dir nicht viel ausmachen, auf Ablehnung zu stoßen ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sich der Angerufene freut und nicht von dir genervt ist.
Du bist unglücklich und unzufrieden, und du hast irgendwie die Hoffnung, dass deine Verwandten diese Unzufriedenheit beseitigen könnten, wenn sie dich so gern hätten, wie du es dir wünschst. Aber gleichzeitig ist da die große Angst vor Ablehnung, weshalb du es häufig lieber nicht riskierst und dich eher zurückhältst oder zurückziehst. Aber du bist inzwischen erwachsen und kannst nicht mehr von deinen Verwandten erwarten, dass sie dir deine Ängste nehmen. Die müsstest du eigentlich loswerden, bevor du den Kontakt suchst. Es gibt nämlich meiner Erfahrung nach eher wenig Menschen, die einen unsicheren und ängstlichen Menschen so annehmen können, dass dieser sich wirklich öffnen kann und gestärkt aus dieser Begegnung hervorgeht. Ich hatte vor drei Jahren das Glück, so jemandem zu begegnen. Allerdings hat diese Begegnung nur was bewirkt, weil ich bereit war, mich zu öffnen, mich anzuvertrauen, die Maske fallenzulassen, um Hilfe zu bitten. Der Blick zurück ist nicht falsch, aber der Blick nach vorne, ist viel viel wichtiger.
Du hast die Kraft, was zu ändern. Und du allein bist es, der es kann. Wenn du Unterstützung brauchst, dann frag danach, such sie dir. Ganz offen und aktiv.
Alles Gute und Liebe Grüße
M.