Hi zusammen.
Da über das Verhältnis von Islam und westlicher Ethik kein wirklich übergreifender Konsens in unserer Gesellschaft besteht, möchte ich das Thema hier zur Diskussion stellen. Es gibt dazu prinzipiell zwei Auffassungen: 1) Der Islam kann in die westliche Demokratie integriert werden und 2) er kann es nicht. Dazu in unsystematischer Folge ein paar Überlegungen.
Zunächst eine begriffliche Betrachtung. Ist der Islam überhaupt, gemäß der modernen Sprachregelung, eine „Religion“? Mir scheint dieser Begriff schon vom Ansatz her den Blick auf das Objekt Islam zu verstellen. Das moderne Religionsverständnis legt bei der Betrachtung von „Religion“ den Akzent auf „Glauben“ und „Innerlichkeit“, also auf das Verhältnis des Individuums zu seinen Göttern oder seinem Gott. Der moderne Mensch ist so sehr an die Trennung der Sphären von Religion und Staat gewöhnt, dass er in anachronistischer Weise diesen (unnatürlichen) Religionsbegriff auf jede aktuelle Form von „Religion“ projiziert. Man spricht gerne von Religions-Freiheit. Was bedeutet diese im Falle des Islam? Sie bedeutet, dass ein Individuum das Recht hat, an Allah und seinen Gesandten zu glauben und entsprechende kultische Handlungen auszuüben, ohne dafür äußerlich diskriminiert zu werden. Bedeutet das aber auch Freiheit für den Islam? Wohl kaum, wie jeder zugeben wird. Denn ließe man dem Islam (auf westlichem Territorium) wirklich die ´Freiheit´, die er als „Religion“ hier formal genießt, dann würde er westliche Normen und Gesetze ignorieren und seine eigenen etablieren, z.B. in Gestalt der Scharia. Da dies von der sog. Religionsfreiheit aber nicht abgedeckt ist, kann man daraus schließen, dass die Statur des Islam das Innerlichkeits-Kleidchen des modernen Religionsbegriffs hoffnunglos sprengt. Der Islam kennt die Trennung von Religion und Politik/Staat überhaupt nicht, insofern ist seine Kategorisierung als „Religion“ falsch oder zumindest sehr irreführend. Er ist nicht nur Software (Glaube), sondern Software und Hardware (eine absolutistische Staatslehre).
Wie steht es um die Islamwissenschaften (in der BRD)? Kann sie helfen, die Frage zu klären?
Es sieht nicht so aus. Die akademischen Islamwissenschaften verhalten sich dem Islam gegenüber nämlich ziemlich devot. Als Grundlage historischer Darstellungen dienen die Werke islamischer Geschichtsschreibung seit dem 9. Jahrhundert, die über 200 Jahre nach den geschilderten Ereignissen entstanden und zumeist in noch späteren Handschriften vorliegen. Das ist so, als würde man christliche Überlieferungen der eigenen Frühgeschichte zur Grundlage für religionshistorische Darstellungen des Frühchristentums machen - was in der westlichen Wissenschaft spätestens seit dem 19. Jahrhundert als veraltet und unwissenschaftlich gilt. Dieser kritische Sinn für die Verformung von Geschichte durch glaubensabhängige Geschichtsschreibung scheint den Islamwissenschaften zu fehlen. Schon im Jahr 1900 nannte der jüdische Islamexperte Ignaz Goldziher, einer der Pioniere kritischer Islamforschung, die an den islamischen Quellen klebende Haltung der modernen Orientalistik „vorsintflutlich“. Daran hat sich seither nichts wesentlich verändert.
Darüber hinaus beruhen die gängigen westlichen Koran-Übersetzungen auf Urtext-Interpretationen, die von der strenggläubigen islamischen Tradition erstellt wurden und teilweise sehr willkürlich wirkende Deutungen des Urtextes aufweisen. Einige Beispiele nannte ich kürzlich im Religionswissenschaften-Brett. Das Problem ist, dass der Urtext nur als „rasm“ vorliegt. Der Rasm ist die Buchstabenfolge des Arabischen ohne die für das Verständnis des Textes erforderlichen diakritischen Punkte und Vokalzeichen. Durch unterschiedliche Verteilung solcher Punkte und Zeichen auf den Rasm lassen sich unterschiedliche Deutungen gewinnen, woraus folgt, dass die traditionelle Interpretation des Urtextes der Subjektivität deutender islamischer Kommentatoren entsprungen ist. Unter diesem Aspekt muss die philologische Authentizität einiger bedeutsamer Koranstellen in Frage gestellt werden. Genau das aber ist für die akademischen Islamwissenschaften, aufgrund ihrer Verabsolutierung der Auffassungen der islamischen Tradition, ein Tabu. Man könnte die Grundhaltung der Islamwissenschaften, sofern sie die oben genannten Probleme ignoriert, daher mit Goldziher als „vorsintflutlich“ bezeichnen, also als unwissenschaftlich.
Kritiker des Islam werden von westlichen Islam-Apologeten (=Verteidigern) gerne in die rechte Ecke gestellt, gleich ob sie das ethische Konzept des Islam in Frage stellen oder die Quellen, auf die sich der Islam beruft. Die „Logik“ ist dabei, dass die Rechten den Islam befeinden (was Fakt ist) und daher jeder, der dem Islam kritisch gegenübersteht, ebenfalls rechtslastig ist. Das ist so, als würde man daraus, dass Sokrates bärtig und ein Grieche ist, schließen, dass auch Anton ein Grieche ist, falls er einen Bart trägt. Was aber motiviert die Islam-Apologeten, den Islam als in das westliche Wertesystem integrierbar einzuschätzen, obwohl signifikant viele Indizien dafür sprechen, dass er es nicht ist?
Vielleicht kann dieser Thread ja zur Klärung dieser Frage beitragen. Meines Erachtens spielen zwei Faktoren eine Rolle: 1) der schon oben erwähnte moderne Religionsbegriff, der den Blick auf das Objekt verzerrt, indem er es zur Innerlichkeitslehre aufweicht, und 2) die Grundeinstellung der Apologeten, dass alle Werte nur relativ sind und keiner weltanschaulichen Position das Daseins- und Entfaltungsrecht genommen werden darf - ein Pluralismus, der im gegebenen Fall gerne über Ungereimheiten hinwegsieht. Er entspringt zwar dem Gedanken des Menschenrechts, ignoriert aber in einer paradoxen Volte großzügig, dass das pluralistisch tolerierte Objekt - der Islam - per se das Menschenrecht weder kennt noch von seinen Prinzipien her überhaupt akzeptieren kann, wie sein Gründungsdokument, der Koran, und die faktische Geschichte des Islam zur Genüge belegen.
Wie integrierbar in das westliche, an Demokratie, Pluralismus und Menschenrecht orientierte Wertesystem ist also eine Lehre, die in ihrem Gründungsdokument Stellen wie folgende aufweist:
Sure 3:151: Wir werden denen, die ungläubig sind Schrecken, einjagen (zur Strafe) dafür, daß sie (dem einen) Allah (andere Götter) beigesellt haben, wozu er keine Vollmacht herabgesandt hat. Das Höllenfeuer wird sie (dereinst) aufnehmen - ein schlimmes Quartier für die Frevler!
Sure 8:12: Ich werde denjenigen, die ungläubig sind, Schrecken einjagen. Haut (ihnen mit dem Schwert) auf den Nacken und schlagt zu auf jeden Finger (banaan) von ihnen!
Sure 8:39: Kämpft gegen die Ungläubigen, bis es keine Verfolgung mehr gibt und der Glaube an Gott allein vorherrscht!
Chan