Servus Rolf,
dass der Dialekt etwas „Schlechtes“ wäre, was den Ungebildeten vorbehalten ist, wird dadurch plausibel, dass derjenige, der ausschließlich den Dialekt beherrscht, zusammenhängende Texte überhaupt nicht schreiben und bloß unzulänglich erfassen kann. Standardsprache ist Schriftsprache, ohne sie ist die Kommunikation über den Gartenzaun hinaus nicht möglich. Die Wege, eine für Bildung, Kultur und Zivilisation über größere Bereiche einheitliche Sprache zu verbreiten, sind unterschiedlich. Die parallele Zweisprachigkeit, wie sie im süddeutschen Raum und weiten Teilen der CH gepflegt wird (wo ja übrigens auch die Bildungssprache im Vergleich zum Standarddeutschen Züge von Dialekt trägt, und der Bewohner der ZH-Goldküste sollte wohl nicht zu lupenreines Deutsch sprechen, damit er nicht als Parvenü erachtet wird), scheint mindestens genau so erfolgreich zu sein wie das Verdammen des Dialektes als eine ungebildete, barbarische Dienstbotensprache (wie dieses im niederdeutschen Sprachraum außerhalb des Freibauerntums gepflegt wird).
Gegendweise mögen auch in der CH noch konfessionelle Motive dazukommen: Bloß wer Deutsch kann, kann die Lutherbibel lesen. Im nicht so weit von der Grenze liegenden schwäbischen Oberland äußert sich dieses durch konfessionell unterschiedliche Aussprache von Vokalen: „Der Leehrer seelig gäht und stäht“ ist die rk Version des ev Satzes „Der Lährer sälig geeht und steeht“…
Örtlich spielen Chauvinismen mit politischem Zusammenhang/Hintergrund eine Rolle: So legten die Preussen, nachdem sie das Königreich Hannover niedergeworfen und annektiert hatten, besonderen Wert darauf, dass möglichst wenig daran erinnern sollte, dass es das (im Gegensatz zu den Preussen tief dunkelblau blütige) Haus Hannover mal als Königshaus eines der bedeutenderen deutschen Zaunkönigreiche gegeben hatte, und u.a. das Hannöversche Platt wurde mit Zähnen und Klauen bekämpft. Folge davon ist die Legende, die sich hartnäckig hält, in Hannover würde lokal/regional muttersprachlich Standarddeutsch gesprochen.
Exkurs: Vergleichbares kann man bei unseren Nachbarn der Grande Nation sehen - dort wurde vor dem Hintergrund der Lehre von der einen und unteilbaren Nation allen sprachlichen Minderheiten ihre Muttersprache regelrecht mit dem Prügel ausgetrieben: In Bretonischen Schulen gab es pro Klasse als Schandzeichen einen Holzschuh (= Sabot) als Symbol alles tumben bäurischen, den der jeweilige Träger erst weitergeben durfte, wenn er einen Kameraden bei einem Wort Gallo erwischt hat. Im Baskenland, im Katalanischen Grenzgebiet und später im Elsass ist diese Operation nicht geglückt, aber dass es auf französischem Boden (bei Lille, wo die „Ch’tis“ leben) muttersprachliches Flämisch gibt, ist auch in Frankreich selber nur noch ganz wenig bekannt.
Schöne Grüße
MM