Ist Bauerndeutsch schlechtes Deutsch?

Liebe Dialektikerinnen und Dialektiker

Im Kanton Luzern (Schweiz) sagt man statt ‚Dialekt‘ oft ‚Puretütsch‘ (=
Bauerndeutsch), im Kanton Wallis ‚Schlächtdytsch‘ (= schlechtes
Deutsch?).

Woher kommen diese Ausdrücke?

Werden im deutschsprachigen Raum weitere solche Begriffe für ‚Dialekt‘
verwendet?

Mit Gruss & Dank
Rolf

Servus Rolf,

dass der Dialekt etwas „Schlechtes“ wäre, was den Ungebildeten vorbehalten ist, wird dadurch plausibel, dass derjenige, der ausschließlich den Dialekt beherrscht, zusammenhängende Texte überhaupt nicht schreiben und bloß unzulänglich erfassen kann. Standardsprache ist Schriftsprache, ohne sie ist die Kommunikation über den Gartenzaun hinaus nicht möglich. Die Wege, eine für Bildung, Kultur und Zivilisation über größere Bereiche einheitliche Sprache zu verbreiten, sind unterschiedlich. Die parallele Zweisprachigkeit, wie sie im süddeutschen Raum und weiten Teilen der CH gepflegt wird (wo ja übrigens auch die Bildungssprache im Vergleich zum Standarddeutschen Züge von Dialekt trägt, und der Bewohner der ZH-Goldküste sollte wohl nicht zu lupenreines Deutsch sprechen, damit er nicht als Parvenü erachtet wird), scheint mindestens genau so erfolgreich zu sein wie das Verdammen des Dialektes als eine ungebildete, barbarische Dienstbotensprache (wie dieses im niederdeutschen Sprachraum außerhalb des Freibauerntums gepflegt wird).

Gegendweise mögen auch in der CH noch konfessionelle Motive dazukommen: Bloß wer Deutsch kann, kann die Lutherbibel lesen. Im nicht so weit von der Grenze liegenden schwäbischen Oberland äußert sich dieses durch konfessionell unterschiedliche Aussprache von Vokalen: „Der Leehrer seelig gäht und stäht“ ist die rk Version des ev Satzes „Der Lährer sälig geeht und steeht“…

Örtlich spielen Chauvinismen mit politischem Zusammenhang/Hintergrund eine Rolle: So legten die Preussen, nachdem sie das Königreich Hannover niedergeworfen und annektiert hatten, besonderen Wert darauf, dass möglichst wenig daran erinnern sollte, dass es das (im Gegensatz zu den Preussen tief dunkelblau blütige) Haus Hannover mal als Königshaus eines der bedeutenderen deutschen Zaunkönigreiche gegeben hatte, und u.a. das Hannöversche Platt wurde mit Zähnen und Klauen bekämpft. Folge davon ist die Legende, die sich hartnäckig hält, in Hannover würde lokal/regional muttersprachlich Standarddeutsch gesprochen.

Exkurs: Vergleichbares kann man bei unseren Nachbarn der Grande Nation sehen - dort wurde vor dem Hintergrund der Lehre von der einen und unteilbaren Nation allen sprachlichen Minderheiten ihre Muttersprache regelrecht mit dem Prügel ausgetrieben: In Bretonischen Schulen gab es pro Klasse als Schandzeichen einen Holzschuh (= Sabot) als Symbol alles tumben bäurischen, den der jeweilige Träger erst weitergeben durfte, wenn er einen Kameraden bei einem Wort Gallo erwischt hat. Im Baskenland, im Katalanischen Grenzgebiet und später im Elsass ist diese Operation nicht geglückt, aber dass es auf französischem Boden (bei Lille, wo die „Ch’tis“ leben) muttersprachliches Flämisch gibt, ist auch in Frankreich selber nur noch ganz wenig bekannt.

Schöne Grüße

MM

Bauerndeutsch), im Kanton Wallis ‚Schlächtdytsch‘
(=schlechtes Deutsch?).

Hallo, Rolf,
Ganz so schlecht ist das gar nicht gemeint.
„Schlecht“ oder auch „schlicht“ in seiner ursprünglichen Bedeutung kommt auf „eben, geglättet“ hinaus. Es gehört als Partizipbildung zu „schleichen“. Später nimmt es die Bedeutung „einfach“ an, und sinkt im Vergleich zum „Vorzüglichen“ dann zu seiner jetzigen Bedeutung "minderwertig herab.

In diesem Sinne ist das „Schlächtdütsch“ nichts anderes, als „schlichtes“, einfaches, gewöhnliches Deutsch im Gegensatz zur Schriftsprache.

Der Begriff „buredütsch“ erklärt sich ja von selbst als die Sprache, die die Bauern, die einfachen Leute sprechen.

Gruß
Eckard
Erklärungen zu „schlecht, schlicht“ nach „Kluge, Etymologisches Wörterbuch“

Hallo Rolf,

Im Kanton Luzern (Schweiz) sagt man statt ‚Dialekt‘ oft
‚Puretütsch‘ (=
Bauerndeutsch), im Kanton Wallis ‚Schlächtdytsch‘ (=
schlechtes
Deutsch?).

Woher kommen diese Ausdrücke?

Das „schlicht“ ist ja geklärt.

Allerdings sehe ich hier in CH nicht den direkten Zusammenhang mit Schriftdeutsch.

Hier in Basel unterscheidet man ja, Plebs und Daig, also die Sprache des gemeinen Volkes und der oberen paar hundert.
Bern kennt dieselbe Unterscheidung zwischen normalem Volk und den Patriziern.

In Luzern gibt es ja auch die Patrizier, im Wallis kenn ich die Verhältnisse nicht.

MfG Peter(TOO)

Grüß Dich Rolf,
auch in Bayern wurde und wird Dialekt gerne schlechtgeredet.
Man hat z.B. erfolgreich versucht, bairisch als Depperl- und
Hinterwoitlersprache abzustempeln.
Dialektgegner haben häufig das Gerücht verbreitet, daß
Dialektsprecher Probleme mit der hochdeutschen Sprache
bekommen würden. Es wurde also z.B. Dialekt in der Schule
oder im Kindergarten immer als etwas schlechtes oder Sprache
der ungebildeten Leute verteufelt.
Dialektsprecher hätten demnach auch nur ein niedriges
Bildungsniveau erreichen können.
In Bayern und vor allem München ging und geht man sogar noch
einen Schritt weiter. Häufig wird eine mittel- oder
norddeutsche Ungangssprache sogar besser angesehen wie ein
süddeutsch oder bairisch gefärbtes Hochdeutsch.
Pfiat Gott,
Roland

Ist Bauerndeutsch schlechtes Deutsch? DANK
Guten Tag, liebe Dialektiker/innen

Ich danke euch für die aufschlussreichen Antworten.

Freundlich grüsst euch
Rolf