Hallo
Die Vernichtung der Ureinwohner war ein Kampf (mit meist
ungleichen Mitteln, keine Frage) um materielle Werte, nämlich
Land und Rohstoffe.
Die Vernichtung der Juden (Homosexuellen, Sinti und Roma,…)
geschah zu dem einzigen Zweck, eine unerwünschte Minderheit
loszuwerden. Materielle Gewinne ergaben sich manchmal
(Enteigungen), aber bei weitem nicht immer.
Kann man das wirklich gleichsetzen?
Mal grundsätzlich - um Missverständnisse zu vermeiden - meine Meinung vorweg: man kann geschichtliche Ereignisse zwar vergleichen (das kann man auch mit Äpfeln und Birnen tun …), aber nicht gleichsetzen. Das widerspricht der Natur der Sache.
Nach dieser vielleicht notwendigen Vorbemerkung mal genauer nachgefragt - zeigt sich der wesentliche Unterschied dann also in den unterschiedlichen Motiven? Und wenn ja, worin genau besteht dieser Unterschied? Ist es nur ein Unterschied in den Motiven oder impliziert dies auch einen ethisch/moralischen Unterschied?
Angenommen Letzteres - dann haben wir auf der einen Seite Mord aus Habgier (ganz klar ‚aus niedrigen Beweggründen‘, wie ein Jurist sagen würde) und auf der anderen Seite Mord aus irrationalen Hassgefühlen heraus - eher ein pathologischer Fall. Wie sieht da die moralische Wertung denn unter diesem Blickwinkel aus?
Den Opfern dürften solche feinen Differenzierungen natürlich allemal egal gewesen sein … Außerdem ist mir natürlich bewusst, dass ich zum Zwecke der Verdeutlichung extrem vergröbert habe. Natürlich gab es auch den fanatischen Indianerhasser und -schlächter auf der einen Seite und den kühlen Geschäftsmann, der seinen Geschäftspartner denunzierte um dessen Betrieb zu arisieren auf der anderen …
Wobei - wenn man dies in Betracht zieht - macht es dann überhaupt noch Sinn, hier eine generelle ethische Bewertung historischer Ereignisse (und darum geht es ja wohl in diesem Thread) vorzunehmen? Wenn man schon einräumt, dass die Motive nicht einheitlich waren (dass allenfalls bestimmte Motive überwogen) und das ‚Ergebnis‘ (tot waren die Opfer so oder so) kein entscheidendes Kriterium sein kann - wie will man dann eine einheitliche ethisch/moralische Beurteilung eines historischen Ereignisses als Ganzes vertreten? So etwas ist sicher aus pädagogischen Gründen sinnvoll, aus politischen Gründen sinnvoll - aber nicht aus historischer Sicht und letzten Endes auch nicht aus der Sicht einer Ethik, für den die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln im Zentrum steht.
Vielleicht ist ein wenig klar geworden, worauf ich hinaus will. Es macht einfach keinen Sinn, historische Ereignisse, die sich aus kollektivem Handeln ergeben, vergleichend ethisch zu bewerten. Das ‚kollektive Handeln‘ in der Geschichte ist nur eine Fiktion; es ist die Summe vieler individueller Handlungen, aber kein Ganzes und somit letztlich auch nicht mehr als eben die Summe einzelner Taten. Ein gerechtes und differenziertes ethisches Urteil kann daher meines Erachtens nur über individuelles Handeln und dessen Motive gefällt werden.
Freundliche Grüße,
Ralf