Hallo Datafox
Angenommen Letzteres - dann haben wir auf der einen Seite Mord
aus Habgier (ganz klar ‚aus niedrigen Beweggründen‘, wie ein
Jurist sagen würde) und auf der anderen Seite Mord aus
irrationalen Hassgefühlen heraus - eher ein pathologischer
Fall. Wie sieht da die moralische Wertung denn unter diesem
Blickwinkel aus?
Deine Aussage läßt sich umschreiben in „jeder Krieg ist ein
Verbrechen“. Das ist zwar eine legitime moralische Entrüstung,
aber keine gültige Aussage als Argument.
Du hast anscheinend den Kontext meiner Aussage etwas aus dem Auge verloren. Mit ‚Entrüstung‘ hat das nichts zu tun und schon gar nicht mit moralischer. Ich habe versucht, mit dieser Aussage eine These ad absurdum zu führen - nämlich die, man könne historischen Ereignissen ethisch bewertbare Motive unterstellen („Angenommen Letzteres“). Ich hatte versucht, deutlich zu machen, dass ethische-moralische Maßstäbe zwar an das Handeln von Personen angelegt werden können, aber schwerlich an historische Phänomene. Das obige Beispiel sollte lediglich verdeutlichen, welch schiefes Bild sich ergibt, wenn man ein historisches Ereignis wertet, wie man privates Handeln werten würde. Insofern scheinen wir doch nicht allzu unterschiedlicher Auffassung zu sein.
Trotzdem noch ein paar Anmerkungen zu Deiner Argumentation, die mir etwas löchrig erscheint.
Krieg ist ein „fact of life“. Es gab immer und wird immer
Kriege geben, solange es Menschen gibt, die sich um
irgendetwas streiten.
Dasselbe gilt für auch Mord, Raub, Diebstahl usw. usf. …
Daß man den Krieg als fact of life akzeptiert hat, schlägt
sich darin nieder, daß es ein Kriegsrecht gibt.
Und dass man Kriminalität als fact of life akzeptiert hat, schlägt sich darin nieder, daß es ein Strafrecht gibt. Sicher gibt es da einen Unterschied - Kriegsrecht ist vom Grundsatz her eine Übereinkunft zwischen Gleichen, während Strafrecht ein Instrument der Herrschaft ist. Das eine ist ein Komment zwischen verschieden Gesellschaften und ihren staatlichen Organisationen und das andere ein innergesellschaftlicher Komment.
Kriegsrecht ist kaum etwas anderes als der Ehrenkodex unter Gangstern - und auch wie dieser ein Komment, der noch keinen Ernstfall unbeschadet überstanden hat.
Es gibt aber
kein Recht, das während eines Raubüberfalls angewandt wird,
weil ein Raubüberfall an und für sich ein Verbrechen ist.
Das gilt auch für einen (nicht als Präventivkrieg gerechtfertigten) Angriffskrieg - jedenfalls nach der seit 1928 (Briand-Kellogg-Pakt) vorherrschenden Auffassung. Aus der Existenz eines Kriegsrechts (hier im Sinne des ius ad bellum) die Rechtmäßigkeit von Kriegen zu folgern mag rein rechtspositivistisch in Ordnung sein. Vom Thema dieses Bretts - Ethik - ist das allerdings ziemlich weit entfernt.
Dieses Kriegsrecht unterscheidet nicht zwischen der guten und
der bösen Seite sondern beurteilt nur die Handlungen der
beiden Parteien, so wie es bei einem Schachspiel weiß oder
schwarz weder gut noch schlecht sind, sondern entweder
regelkonform oder nicht regelkonform handeln.
Das Strafrecht unterscheidet auch nicht nach ‚gut‘ und böse’. Es stellt Normen auf und sanktioniert deren Verletzung. Nicht anders als bei der Haager Landkriegsordnung oder den verschiedenen Genfer Konventionen - nur dass es da mit der Exekution der Sanktionen ziemlich mau aussieht. Aber das Konzept eines internationalen Kriegsrechtes ist ja auch historisch gesehen im Vergleich zum Strafrecht noch ein Säugling.
Wenn man heutigen Kriegsrecht auf die Eroberung Amerikas
anwenden will (was ohnehin Unsinn ist), dann kommt heraus, daß
es eine Menge Kriegsverbrechen gab, und darüber hinaus einen
Völkermord (bin nicht sicher, aber möglichweise war es der
größte und schlimmste aller Zeiten). „Mord, aus niedrigen
Beweggründen“ KANN es aber schonmal nicht sein, da
Kriegszustand war.
Da hattest Du - wie schon erwähnt - meine Argumentation wohl nicht verstanden.
Der Holcoaust fand aber, wenn man wieder das Prinzip anwendet,
nicht einmal unter Kriegsrecht statt.
Das war auch bei den Indianderkriegen nicht der Fall
Es war
elfmillionenfacher _Mord_.
Das ist und bleibt meinerseits unbestritten. Mord von konkreten, individuellen Tätern an konkreten, individuellen Opfern. Nur so wird der Holocaust auch ethisch fassbar; im Handeln konkreter Täter und im Leiden konkreter Opfer. Hier liegt auch die Schreckensdimension der Quantität - die ich durchaus auch gegeben sehe. Sie liegt im ethisch-moralischen Versagen so vieler Menschen, so vieler Täter und Mittäter - die es eigentlich alle besser wissen mussten. Aber die persönliche Dimension von Schuld und von Leiden dagegen verweigert sich einer Objektivierbarkeit oder gar Quantifizierung - und damit Vergleichen oder gar Gleichsetzungen.
Unzurechnungsfähigkeit wegen
„mentalen Defekts“ einer ganzen Bevölkerung würde ich eher
ausschließen. Bleibt Mord.
Es gibt keine Völker mit mentalen Defekten. Sehr wohl aber haben mentale Defekte in den Völkern ihre Konjunkturschwankungen.
Es gibt also sehr wohl eine Qualität, die den Holocaust
einzigartig macht: Der größtangelegte Zivilmord aller
Zeiten. Sogar den Begriff „Völkermord“ finde ich dafür
irreführend, weil suggeriert wird, hier wäre ein
Kriegsverbrechen gegen ein Volk, mit dem es einen
kriegerischen Konflikt gab, geschehen. (Was ist außerdem mit
den Behinderten? Was für ein „Völkermord“ war das denn?)
„Der größtangelegte“ ist ein quantitatives Kriterium, kein qualitatives. Das von dir angeführte qualitative Kriterium („Zivilmord“) wiederum ist nicht einzigartig und in dieser Hinsicht war der Holocaust nicht einmal ein Paradigma. Da braucht man nicht einmal den Völkermord an den Armeniern heranzuziehen, da könnte man mit gleichem Recht auch das Massaker der Bartholomäusnacht heranziehen. Oder um jüngere Beispiele zu nehmen, Kambodscha oder Ruanda.
Die Einzigartigkeit des Holocaust lässt sich nicht an einzelnen - qualitativen oder quantitativen - Kriterien festmachen. Die Einzigartigkeit besteht in der spezifischen Konstellation dieser Kriterien. Die einzelnen Kriterien können jeweils für sich auch mit ähnlich gelagerten historischen Ereignissen verglichen werden - was aber keine Relativierung des Holocaust als Ganzes sein kann. Ebenso wenig, wie dadurch andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit relativiert werden könnten; solche Vergleiche können lediglich dazu dienen, die Dimensionen fassbarer zu machen. Die ethische Dimension allerdings sollte man mE dort belassen, wo sie hingehört - auf der Ebene individuellen Handelns. Sie ist kein Kriterium, das hier angewandt werden könnte.
Freundliche Grüße,
Ralf
Gruß
dataf0x