Es gibt da ein philosophische Gedankenexperiment Namens „Der Schleier des Unwissens“. Hört sich im ersten Moment verschwurbelt an, ist aber eigentlich ganz einfach.
Wenn es um die Frage geht, was gerecht ist, neigt jeder dazu an seinen eigenen Vorteil zu denken. Ein Großunternehmer empfindet die Idee mit dem Mindestlohn als ungerecht während ein Fabrikarbeiter, der schwer schuftet, schon meint, dass er mehr Geld verdient hat. usw.
Wenn man sich verschiedene Fragen vornimmt, wie z.B.:
- Sollte man Flüchtlinge aufnehmen?
- Sollte man neu hergezogenen Ausländern Sozialhilfe gewähren?
- Sollte man Schwerbehinderte auf Staatskosten unterstützen?
- Sollte man eine Reichensteuer einführen?
- Sollte man eine Frauenquote einführen?
usw.
… dann muss man versuchen sich in dem Gedankenexperiment vorzustellen, dass man einen Tag lang Diktator der Welt ist, der alle diese Fragen verbindlich beantworten darf. Aber während dieses einen Tages hätte man sein ganze Gedächtnis verloren. Man wüsste nicht welche Hautfarbe man hat, aus welchem Land man stammt und in welchem man gerade lebt, ob man Mann oder Frau, schwul, hetero oder transsexuell ist, ob man behindert, krank oder gesund ist, und ob man Großverdiener, kleiner Angestellter oder Abreitsloser ist.
Natürlich kann man sich das schwer vorstellen, weil man ja nicht so einfach für ne Minute vergessen kann wer man ist. Aber wenn man sich in die Lage versetzt, dass man über die eigene Identität nichts weiß und gleichzeitig darüber entscheiden soll wie alle diese Dinge geregelt werden sollen, dann kriegt man vielleicht ein bischen ein anderes Bild von der Welt.
Wenn man sich vorstellt, man könnte selbst ein Flüchtling sein, der wegen eines Kriegs aus seiner Heimat geflohen ist und sein gesamtes Hab und Gut und vielleicht noch ein paar Familienmitglieder verloren hat, jetzt in einem fremden Land und ohne Perspektive ist, dann würde man die Frage, ob man Flüchtlinge aufnehmen sollte, wohl eher mit „ja“ beantworten, oder?