Jambus mit Trochäus mit Auftakt?

Wertgeschätzte Wertgeschätzte,

wovon hängt es ab, ob in einem Vers das Metrum Jambus oder Trochäus mit Auftakt vorliegt?

Beispiel:
Die goldnen Sternlein prangen = x X x X x X x
am Himmel hell und klar. = x X x X x X

Wo enden die Versfüße? / xX / oder doch eher x / Xx / ?

Bislang habe ich gedacht, dass die Wortgrenzen weiterhelfen, sich die Versfüße also tendenziell an den Wortgrenzen orientieren. Dann wäre „die“ der Auftakt, gefolgt von Trochäen: GOLDnen STERNlein PRANGen.
Andere Seiten/Schulbücher halten diese Verse aber für Jamben.

Watt nu?

LG Hahu

Jambus
Hi.

Die goldnen Sternlein prangen = x X x X x X x
am Himmel hell und klar. = x X x X x X
Wo enden die Versfüße? / xX / oder doch eher x / Xx / ?

Die Versfüße laufen unabhängig von den Wörtern durch den Vers. Das erste x ist kein Auftakt, sondern der unbetonte Teil des ersten jambischen Versfußes. Siehe zum Beispielgedicht:

http://gedichteforentheorie.wordpress.com/2009/11/05…

Zitat:

„Die Verse beginnen auftaktlos (d.h. die erste Silbe ist unbetont) und die Betonungen alternieren (unbetont / betont / unbetont / betont / unbetont / betont / (unbetont)); hier liegt also ein jambischer Versfuß vor (s.o.). In jedem Vers kommen drei betonte Silben vor, deshalb spricht man von einem dreihebigen Jambus (bzw. – mit einer anderen Bezeichnung – von einem „jambischen Trimeter“.

Chan

Danke, Ch’an, aber gilt das grundsätzlich?
Das heißt, es gibt keinen Trochäus mit Auftakt?

„Wenn Himmel, Erde, Feuer schweigt,
und Nächte harren ewig gleich…“

Keine Rücksichtnahme auf die Wörter?

Das heißt, es gibt keinen Trochäus mit Auftakt?

Diese Frage wird hier diskutiert:

http://www.gedichte.com/showthread.php?52137-Wie-erk…

Chan

… doch leider ohne befriedigende Antwort.

*seufz*

Uneindeutige Sachlage

… doch leider ohne befriedigende Antwort.

Das liegt aber an der uneindeutigen Sachlage. Es gibt im www einen sieben Jahre alten Thread zum gleichen Thema:

/t/jambus-vs-trochaeus/1744399

Da heißt es z.B.:

„Beide Deutungen sind möglich, und sie hängen von der konkreten Gedichtzeile ab, von deren Rhythmus, also der Sinnbetonung, derzufolge Sinneinheiten möglichst nicht zerrissen werden sollten.“

Chan

kleine Einführung in die Metrik
Hallo hahu,
ich versuch’s mal anders rum, weil die Begriffe bei Dir etwas durcheinander gehen.

Zunächst einmal ist es sinnvoll, ganz allgemein vom ‚alternierenden Vers‘ auszugehen. Das sind Verse mit einem geraden Rhytmus - also immer betonte und unbetonte Silbe abwechselnd (alternierend).

Lassen wir nun einmal den Begriff ‚Vers fuß‘ vorerst außer Betracht, sondern sprechen wir vom Vers takt - das ist zum Identifizieren viel einfacher. Ein Takt besteht bei alternierenden Versen immer aus einer betonten und einer unbetonten Silbe. Der Takt beginnt immer mit einer betonten Silbe. Beginnt nun der Vers mit einer unbetonten Silbe, dann nennt man diesen ‚halben‘ Takt Auftakt.

Jetzt kommt’s: ein alternierender Vers mit Auftakt ist immer ein jambischer Vers. Ein alternierender Vers ohne Auftakt logischerweise ein trochäischer Vers. Eigentlich ganz einfach …

Mithin ist Deine Frage falsch gestellt:

wovon hängt es ab, ob in einem Vers das Metrum Jambus oder
Trochäus mit Auftakt vorliegt?

Es gibt kein Metrum „Trochäus mit Auftakt“. Sinnvoll gestellt wäre die Frage so:

wovon hängt es ab, ob in einem Vers das Metrum Jambus oder
Trochäus mit Auftakt vorliegt?

Antwort: davon, ob der Vers einen Auftakt hat (jambisches Versmaß) oder nicht (trochäisches Versmaß).

Beispiel:
Die goldnen Sternlein prangen = x X x X x X x
am Himmel hell und klar. = x X x X x X

… hat also ein jambisches Versmaß.

Manche lernen’s nie = Xx Xx X

… hingegen ein trochäisches während

Doch Manche lernen’s nie = x Xx Xx X

… wieder jambisch ist. Verstanden? Wir reden hier von unterschiedlichen Rhytmen - und das letzte Beispiel unterscheidet sich vom vorletzten eindeutig durch seinen Rhytmus.

Bislang habe ich gedacht, dass die Wortgrenzen weiterhelfen,

Nein, wie Chan schon sagte sind die Wortgrenzen ohne Belang.

sich die Versfüße also tendenziell an den Wortgrenzen
orientieren.

Versfüße (wir haben bislang ja von Takten und Rhytmen gesprochen) ist ein anderes Thema. Die Versfüße lassen sich zwar wunderbar auf die antike griechische Lyrik anwenden (woher deren Bezeichnungen ja auch rühren), die Anwendung auf die deutsche Sprache ist aber problematisch. Das hat etwas damit zu tun, dass wir in der antiken Lyrik eine quantitierende Metrik haben, in der deutschen jedoch eine akzentuierende. Wenn wir den Rhytmus identifiziert haben, genügt es, die Takte zu zählen, um die Anzahl der ‚Füße‘ festzustellen. Halbe Takte werden nur gezählt, wenn sie aus einer betonten Silbe bestehen. Man kann also einfach auch die betonten Silben zählen.

Diesmal mit Taktstrichen:

Die goldnen Sternlein prangen = x | Xx | Xx | Xx
am Himmel hell und klar. = x | Xx | Xx | X

… ist ein dreitaktiger jambischer Rhytmus bzw. ein sog.
dreifüßiger Jambus: υ– υ– υ– υ / υ– υ– υ–

hingegen:
Fest gemauert in der Erden = Xx | Xx | Xx | Xx
steht die Form aus Ton gebrannt = Xx | Xx | Xx | X

… ist ein viertaktiger trochäischer Rhythmus bzw. ein sog.
vierfüßiger Trochäus: –υ –υ –υ –υ / –υ –υ –υ –

Du bemerkst, dass auch die Versfüße (wie die Takte) nicht immer (1. Beispiel 1. Vers und 2. Beispiel 2. Vers) komplett sind? Deswegen (weil es ‚halbe Versfüße‘ eigentlich nicht gibt) sollte man bei deutscher Lyrik eigentlich auch besser von jambischen (trochäischen … usw.) Rhytmen / Metren sprechen, nicht von Jamben, Trochäen usw. - und von Takten, nicht von Füßen. Bzw. sich im Klaren sein dass, wenn von einem ‚vierfüßigen Jambus‘ die Rede ist, streng genommen ein viertaktiges jambisches Metrum gemeint ist.

Freundliche Grüße,
Ralf

Nebenfrage: Auftakt im Daktylus
Hallo Ralf,

Du kennst Dich offensichtlich sehr gut in der Poetik aus, und nur daher wage ich es, meine Frage zu stellen. Wenn die Antwort für Dich viel Zeit und Sucharbeit bedeutet, lass meine Frage unbeantwortet.
Kann man beim Daktylus von einem Auftakt sprechen?

Ich habe ein Beispiel gebastelt, weil die Suche nach einem Beispiel sehr lange gedauert hätte. Auch für meine poetische Bastelei habe ich lange gebraucht. Für das Thema bitte ich um Entschuldigung - ob meine Hormone verrückt spielen?

Ein Prediger wettert:

Fl ie he, Gem ei nde, den T eu fel der Fl ei scheslust
Es w e rden euch m o dern die kr a nken Org a ne!

In der ersten Zeile ein „echter“ Daktylus, in der zweiten einer mit Auftakt. Das unbetonte Es fehlt als schwacher Taktschlag beim letzten Daktylus.
Ich glaube, in der Musik ist das auch so: wenn eine Melodie mit einem Auftakt beginnt, steht im letzten Takt der Melodie ein Pausenzeichen.
Also: dürfte ich sagen, dass der zweite Vers mit einem Auftakt beginnt?

Grüße
Pit

Hallo Pit,

Kann man beim Daktylus von einem Auftakt sprechen?

ja, kann man - wie Dein eigenes Beispiel zeigt. Bei ungeraden (dreisilbigen) Takten liegt im Deutschen fast immer ein Daktylus vor, ob mit oder ohne Auftakt. Was auch daran liegt, dass das bada bum bada bum _ des Anapäst im Vergleich zum walzerhaften _ hum tata hum tata des Daktylus doch sehr plumpsackmäßig klingt. Lange hält man das nicht durch, wie das wohl bekannteste Beispiel zeigt: Muss i denn , muss i denn zu-hum Städ tele hin aus _ - das eigentlich nur durch die Einfügung von Jamben (… mein Schatz bleibst hier _) erträglich wird.

Der daktylische Vers kann ohne Auftakt daher kommen, mit kurzem Auftakt und sogar mit zwei unbetonten Silben als Auftakt - das muss dann nicht notwendig ein Anapäst sein; wenn der vorherige Vers mit betonter Silbe endet, kann der daktylische Rhytmus so die Zeilen verknüpfen. Ein wunderschönes Beispiel von Robert Gernhardt (dessen formale Meisterschaft viel zu selten gewürdigt wird):

Die Liebe ist stark
und die Zärtlichkeit toll
und beim Tanz nennt sie ihn ihren Schatz.

  • der erste Vers ist ein zweihebiger Daktylus mit Auftakt. Verse zwei und drei scheinen zwei- bzw. dreihebige Anapäste zu sein - aber nur, wenn man sie isoliert betracht. Tatsächlich haben alle drei Verse einen durchgehenden daktylischen Rhytmus.

Mit dem Punkt am Ende des dritten Verses wird dann eine rhytmische Zäsur gesetzt, so dass der Rhytmus der folgenden beiden Verse ganz zwanglos-unauffällig in den Anapäst wechselt um nach einer weiteren Zäsur (Doppelpunkt) in den Daktylus (hier wieder mit Auftakt) zurückzukehren:

Aber kommt es zum Schwur,
dann erst raffen sie voll:
Für Geilheit gibt’s keinen Ersatz.

Versteht sich, dass nicht nur das Reimschema, sondern auch der Rhytmus in der zweiten Strophe exakt wiederholt wird:

Zuzweitsein bestärkt
und Gemeinsamkeit hebt
und am Tag ist für Zweifel kein Platz.
Aber löscht man das Licht,
dann wird hautnah erlebt:
Für Geilheit gibt’s keinen Ersatz.

… und Gernhardt wäre nicht Gernhardt, wenn er in der dritten Strophe dieses Schema nicht noch rechtzeitig an unerwarteter Stelle entgleisen ließe, bevor einen der daherplätschernde Rhytmus einlullt:

Die Reife schenkt Kraft
und die Weisheit schenkt Ruh
und auch Wunden war’n nicht für die Katz.
Aber fragt man die zwei,
dann geben sie zu:
Wofür?
Für Geilheit?
Was soll’s da nicht gegeben haben?
Gab’s für Geilheit einen Ersatz, Schatz?
Nein, für Geilheit gab’s keinen Ersatz, Spatz.
Für Geilheit gibt’s keinen Ersatz.

Freundliche Grüße,
Ralf

2 Like

Moin Rolf,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar und das passende Beispiel dazu aus der Feder von Gernhardt. Es ist schon erstaunlich,
dass man die dämlichsten Inhalte mit einem Schmunzeln oder gar Lachen zur Kenntnis nimmt, wenn sie in eine poetische Form gegossen wurden.
Dazu fällt mir auch Gernhardts Sonett ein, das mit der Zeile Sonette find ich sowas von beschissen beginnt.
Wie schön, dass es verrückte Sprachkünstler gibt!

Schönes Wochenende
Pit

Hallo Ralf,
schön, dass sich noch ein Kundiger meiner Frage angenommen hat!
Deine Ausführungen zum Jambus und Trochäus finde ich sehr einleuchtend.

Verstehe ich dich richtig, dass man einen Daktylus mit zweifachem Auftakt von einem Anapäst nur unterscheiden kann anhand des letzten rudmentären Taktes des vorangegangenen Verses?

Btw: Ich stolpere nicht nur ständig über die Ungereimheiten, wenn antike, längenorientierte Verslehre mit der deutschen Metrik über einen Kamm geschert wird, sondern auch darüber, dass zwei Elemente fehlen, welche jeder beim Vortrag nutzt, um im Takt zu bleiben:

  • ein Pausenzeichen
  • analog zu den „halben Noten“ der Musik auch „halbe Silben“.

Puh, schwer zu erklären. Ein Beispiel:

a) Ich geh des nachts nach Haus xX|xX|xX|
b) dort rennt eine Maus xX|-X|xX|
c) das Beispiel ist aber aus xX|xX|xxX|

Will sagen: Beim Vortrag bemüht man sich, jeden Vers in drei gleich langen Takten zu sprechen. Deshalb fügt man in b) nach „rennt“ einen Schlag Pause ein und in c) „aber“ schneller ausspricht.