Karmische Trivialitäten
Hi.
… wenn wir mal unser herkömmliches Wissen beiseite lassen
und über den „Tellerrand“ hinausblicken und die Frage den
fernöstlichen Religionen vorlegen, dann ist alles ganz
einfach und eigentlich auch sehr plausibel.
Na dann gucken wir mal, wie plausibel…
Für alle unsere Handlungen - Denken, Reden, Tun - gibt es nur einen „Täter“ nämlich uns selbst.
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Diese Aussage ist zunächst mal eine Tautologie, denn „Täterschaft“ und Handeln sind begrifflich deckungsgleich. Dafür brauchst du nicht auf asiatisches Gedankengut zurückzugreifen.
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Genauer betrachtet, stimmt die Aussage aber nicht. Denn für „unsere Handlungen“ gibt es nicht nur „einen“ Täter, sondern viele. Das bedeutet, dass deine Aussage zwar - immer noch - tautologisch ist, aber eine sachlich unzutreffende Tautologie. Deine Prämissen lauten: Es gibt ein autonomes Subjekt, das in betreff seiner Handlungen absolut selbstbestimmt, also null fremdbestimmt, ist. Aus soziologischer und psychoanalytischer Sicht ist das fragwürdig. Natürlich gibt es seit Kant das Postulat eines autonomen Ego, aber das ist nur ein Postulat, kein belegbares Faktum. Was du eigentlich meinst, ist „Verantwortlichkeit“, nicht eine autonome Täterschaft. Das sind verschiedene Dinge. Verantwortlichkeit ist ein sozial notwendiges Konstrukt, welches das Subjekt davon abhalten soll, bedenkenlos seinen Impulsen zu folgen. Das heißt aber nicht, dass das Subjekt sich selbst völlig transparent ist. Vielmehr werden seinen Handlungen weitgehend unbewusst gesteuert. Damit hier auch mal die französische Sprache ins Spiel kommt (statt nur Englisch oder Latein), dazu folgendes Zitat:
http://fr.wikipedia.org/wiki/Sujet_(philosophie)
_L’obscurité de la notion de sujet est étonnante : c’est nous le sujet - croyons-nous - et nous ne sommes pas capables d’en produire une description claire et évidente. Se peut-il que cette déficience soit l’expression d’une illusion ? Nous ne parvenons pas à élucider complètement la notion de sujet parce que le sujet n’existe pas et que sa notion n’est qu’un mot, mot qui ne se réfère à rien de réel. Examinons cette dernière thèse.
Le point de départ est que le sujet n’existe pas, et que nous n’avons fait jusqu’ici que tenter de construire une notion abstraite. On commencera par examiner ce que peut vouloir dire la phrase le sujet n’existe pas dans tous les domaines qui intéressent la philosophie et on l’illustrera ensuite pour bien faire comprendre de quoi il retourne dans ce problème._
Alles was wir machen unterliegt dem Gesetz der Ursache und der Wirkung.
Das ist eine unbeweisbare Behauptung. Natürlich hat vieles von dem, was „wir“ machen, mit Ursache und Wirkung zu tun, aber „alles“? Dein Satz müsste fast Wort für Wort überprüft werden, so phrasenhaft steht er da:
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Alles (da müsste man schon „alles“ kennen)
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wir (erstens: fragwürdiger Subjektbegriff, siehe oben / zweitens: gilt das auch wirklich für alle Menschen? Denn das „wir“ heißt doch genau das)
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machen (was machen? Man macht vieles, von dem einem gar nicht bewusst ist, dass man es macht)
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Gesetz (siehe oben - nur eine Hypothese)
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Ursache (sehr umstrittener Begriff - letztlich ist jede Ursache selbst verursacht, so dass es keine Ur-Sache gibt, die diesen Namen verdient - außer natürlich, rein theoretisch, ein Gott als „erster Beweger“)
Ursache: Hätten unsere Eltern keinen Sex miteinander gehabt, dann gäbe
es uns heute nicht.
Wirkung: Wie schon erwähnt, wir selbst.
Na ja. Der Sex der Eltern ist doch keine Ur-Sache. Vielmehr müssen viele weitere Umstände dazukommen, dass ein Kind geboren werden kann. Z.B. die biologische Fruchtbarkeit beider Eltern, der Verzicht der Mutter auf Abtreibung, neun Monate der Lebenserhaltung der Mutter, was ja kein Selbstläufer ist, schließlich muss sie gesund sein und essen und wohnen usw., dann müssen auch die Mitmenschen ihren Beitrag leisten, z.B. Essen herstellen, das die Schwangere kaufen kann, um zu überleben, auch müssen die Mitmenschen bei Rot mit dem Auto stoppen, statt die schwangere Frau auf dem Zebrastreifen zu überfahren usw. usw. usw. Was du oben als Ursache angibst, ist eine notwendige, längst aber keine hinreichende Bedingung. Spinnt man den Faden fort, sind unendliche viele Bedingungen erforderlich für eine gelungene Geburt. Daraus folgt, dass der Ursache-Begriff völlig künstlich ist. Es geht also nicht um Ursachen, sondern um Bedingungen.
Handeln wir also heilsam (gut), haben wir ein entsprechendes
Resultat zu erwarten. Handeln wir unheilsam (schlecht), jaaa
dann …, der Saure Apfel oder die Bittere Frucht, die es zu
verdauen gilt …!
Wenn wir Disteln säen, können wir nicht erwarten Rosen zu
ernten, oder?
Genau das ist Karmalehre in ihrer trivialsten Variante. Damit können alle bösen Taten der Welt entschuldigt werden, denn die Opfer sind es, die die „Frucht“ ihrer Taten ernten. Wer also vergewaltigt, gefoltert und/oder ermordet wird, ist deiner Aussage nach selbst schuld, denn er/sie ernet, was er/sie gesät hat.
Leider finden sich ähnliche Aussagen tatsächlich in fernöstlichen Lehren und werden von Trivialesoterikern gerne übernommen. Ihr moralisches Potential liegt meiner Ansicht nach tief im Negativbereich.
Chan