johanneische Pointen
Hallo Achim,
Aus einer bestimmten Ecke wird ja argumentiert, dass die Paulus zugeschriebenen Schriften die ältesten überhaupt seien (also die zuerst niedergeschriebenen)
Das wird nicht nur „aus bestimmten Ecken“ so gesagt. Daß zumindest die echten Paulusbriefe (1 Thess, 1+2 Kor, Phlm, Phil, Gal, Röm) zu den frühesten Dokumenten der ntl. Textsammlung gehören, ist auch heute noch Konsens unter den Historikern. Anders ist es bei den sog. Deuteropaulinen (Kol, Eph, 2 Thess usw), die aus unbekannten Quellen der Schule des Paulus stammen.Die anderen sog. apostolischen Briefe und der Hebr werden zeitlich dazwischenliegend aufgefaßt.
Die synoptischen Evangelien werden ebenfalls recht spät datiert. Beim Joh.-Ev. spaltet sich (heute immer deutlicher als früher) die Einschätzung der Fachwelt. Einige (z.B. Berger, Ratzinger) datieren es sehr früh, sogar teils als frühestes Dokument (dieser Einschätzung schließe ich mich auch an), zumindest als frühestes unter den Evangelien. Andere setzen es, wie auch in der Spätantike bereits postuliert, als letztes Ev.
- Paulus sich in seinen ersten Schriften mit „Christus“ befasst, und erst später bezug auf den Menschen „Jesus“ nimmt.
Ich hab davon gehört, aber kann es nicht beurteilen, da ich kein Paulus-Spezialist bin. Die These schient mir auch irgendwie kranpfhaft hergeholt. So wird z.B. der sehr persönliche Philipper-Brief, der wohl aus dem Gefängnis geschrieben wurde und in dem der Mensch Jesus auch thematisiert wird, viel früher angesetzt als Gal und Röm, mit ihren großen christologischen Entwürfen. Vielleicht bezieht sich die These ja auf Unterschiede zu den späteren Briefen aus der Paulus-Schule.
Hätte sich z.B. die johanneische Theologie und Anthropologie (Joh.-Ev. und der 1. Joh.-Brief) durchgesetzt, hätte sich das Christentum ganz anders entwickelt.
Der Autor der johanneischen Literatur hat eine ganz andere Christologie, andere Theologie und andere Anthropologie als alle anderen Autoren. Bei ihm steht die menschliche Souveränität und Entscheidungsfreiheit im Vordergrund, bei ihm spielen Frauen eine herausragende Rolle, er entwickelt als erster eine ausgeprägte Geist-Theologie (mit mehreren unterschiedlichen pneuma-Begriffen), bei ihm ist die kosmologische Rolle des Jesus die, als „Gesandter“ Gottes überhaupt in die Welt gekommen zu sein, und nicht sein Foltertod und die Auferstehung.
Das Liebesgebot (bei ihm ist es ein Auftrag, entolé) wird anders formuliert, so, daß eine entscheidende Nuance zum Vorschein kommt („liebt einander“, statt „liebt den Anderen“) und er koppelt diesen Auftrag (und begründet ihn) durch Analogie mit dem innergöttlichen Dialog („wie ich und der Vater … und ich euch … so ihr mich … und ihr einander“). Und er vermittelt (in seinem ersten Brief 1.Joh. 3.19-20) eine außerordentliche Psychologie, die folgenreicher hätte sein können.
Wie Rolf bereits betont, hat der Autor auch noch nicht die extrem formalisierte Initiationsrede des Communio-Sakramentes (abgesehen davon, daß bei ihm als Einzigem die Datierung des letzten Abendessens, das bei ihm kein Seder ist, zeitlich stimmig ist). Die „wenn ihr nicht mein Fleisch eßt und mein Blut trinkt“-Rede findet vielmehr in einer Diskussion in Kfar Nahum/Kapharnaum statt und nicht in Jerusalem. Sie wird als so provokant erlebt, daß sich sogar viele Schüler von ihm abwenden.
Ein weiterer wichtiger Punkt (den Rolf ebenfalls schon pointiert) ist die Polemik gegen die „Ioudaioi“: Im damaligen (römischen und griechischen) Sprachgebrauch wurden zwar die Einwohner sowohl Judäas, Samarias als auch Galiläas als „Ioudaioi“ bezeichnet, aber Im Gegensatz zu auch späteren folgenreichen Mißinterpretationen sind bei diesem Autor damit an fast allen kritischen Stellen entweder nur die Einwohner Judäas bzw. Jerusalems gemeint, oder vielmehr bei den Streitgesprächen exklusiv die damalige Jerusalemer Führungsschicht der Parishim/Pharisäer und Zadoqim/Saduzäer.
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Soweit nur ein paar Pointen zu den Unterschieden zwischen dem Joh-Autor und den anderen ntl. Autoren.
Gruß
Metapher