Hintergründe zum Johannes-Prolog
Hi FraLang,
mit dem Prolog hast du dir gerade die am meisten kryptische Passage aus dem gesamten NT herausgepickt Und sie ist auch eine der schwierigsten, weil sie ohne Kenntnisse der langen Tradition jüdischer Weisheitsliteratur nicht aufgedröselt werden kann. Und daher ist sie weitgehend der Phantasie ausgesetzt und vor allem der mißverständlichen Rückwärts-Interpretation aus der Perspektive viel späterer judenchristlicher und hellenistisch christlicher Theologie.
Daher muß man bei jedem Interpretationsansatz erst einmal leider weit ausholen. Ich versuche mich auf einige wesentliche Punkte zu beschränken.
Zu diesem Hintergrund, der einem zeitgenössischen Leser ganz gewiß durchaus vertraut war, gehört zuerst ein Teil der sog. „Salomonischen“ Weisheitsliteratur: „Sprüche (lat. Proverbia Salomonis, hebr. Mischle Schelomo)“ und „Weisheit (lat. Sapientia Salomonis, das nur griechisch existierte)“.
Und dann, und vor allem, der Philosoph Philo Judäus (Philo Alenandrinus), der sich ebenso wie sein Vorläufer Aristobul darum bemühte, die jüdische Philosophie mit der klassichen (Heraklit und Plato) und zeitgenössischen (Stoa und Orphik) griechischen zu verschmelzen.
Von jüdischer Seite wurde eine Adaption griechischer Philosopheme abgelehnt. Deshalb wurde Philo eher exklusiv vom hellenistischen Judentum wahrgenommen, und später dann sehr ausgiebig vom hellenistisch orientierten (und gebildeten) Christentum. Daraus zeichnet sich schon ab, welcher Tradition der mit dem Prolog, und dann auch mit dem gesamten Evangelientext angesprochene Leserkreis angehörte.
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Das griech. Logos wurde zwar schon in der Vulgata mit „verbum“, also „Wort“ übersetzt (von daher hatte es auch Luther). Und oft wird in Kommentaren darauf verwiesen, daß logos mehr als das gesprochene einzelne Wort bedeutet. Es steht auch für „Rede“, „Lehre“, „Begriff“ in diversen philosophischen Kontexten. Aber dieser Hinweis führt am Kern der Geschichte vorbei. Der Logos hat, wie oben angedeutet, eine enge Assoziation an die griech. „sophia“ (hebr. „chokmah“, „Weisheit“): Bereits das „Buch der Sprüche Salomonis“ („Proverbia“), das von einigen in die vorexilische Zeit verlegt wird, sagt über die „Weisheit“ (Spr. 8.22-39):
"Der Herr [jhwh] hat mich gehabt im Anfang [hebr. reschith, griech. arche] seiner Wege. Ehe er etwas schuf, war ich da.
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit [hebr. olam, griech. aion], von Anfang, vor der Erde.
Als die Tiefen noch nicht waren, war ich schon geboren.
…
Da war ich als Geliebte bei ihm und hatte meine Lust täglich und spielte vor ihm die ganze Zeit. "
Das sagt hier die Weisheit [sophia, chokmah] von sich selbst. Und diese Texte waren dem damaligen jüdischen Leser vertraut! Die Sophia ist als „geboren“ bezeichnet, war bei der Schöpfung als Begleiterin dabei. Die Analogie zu der Formulierung im Joh.-Prolog liegt auf der Hand. Nur daß hier stattdessen vom „logos“ die Rede ist.
Das wiederum erhellt aus der jüdischen Logos-Philosphie, die in Philo Judäus ihren deutlichsten Ausdruck findet. Das Wort Gottes [hebr. dabar jhwh], das in 1. Mose unmittelbar die Realität des Ausgesprochenen bedeutet, wird in dieser Tradition teils mit sophia/chokmah gleichgesetzt, teils als Kind/Sohn dargestellt, das der Schöpfer mit der Weisheit gezeugt hat.
Darin liegt dann auch der Ursprung des Topos „Sohn Gottes“, der einem jüdischen Leser/Hörer, der in dieser Schrifttradition lebte, durchaus vertraut war. Soviel zu der kürzlich hier entstandenen Diskussion über diesen Begriff. Es gab jüdische Traditionen, die ihn in diesem allegorisch-metaphorischen Hintergrund der Sophia-Literatur verstanden, und nicht nur in dem umgangsprachlichen Sinne als Ehrentitel für einen besonders frommen und gerechten Mann.
Philo greift diese Traditon auf. Daß übrigens der unbekannte Autor des Joh.-Ev. mit der Philonischen Philosophie bestens vertraut war, geht nicht allein aus diesem Prolog hervor. Das gesamte johanneische Jesus-Bild ist davon geprägt. Philo lebte bis ca. 54 n.Chr. und einige Historiker vermuten nach wie vor, daß der Autor des Joh.-Ev. vielleicht sogar ein direkter Schüler des Philo gewesen sein könnte.
„Dem Logos wurde ein göttliches und reinstes Elternpaar zuteil: Gott selbt als Vater, der auch der Vater des Kosmos ist, und die Sophia als Mutter, durch die der Kosmos zur Entstehung kam.“
[Philo: De fuga et inventione, III.118]
Hier liegt btw. auch eine Quelle der späteren Maria-Sophia-Theologie und damit einer der Motive für die Konzeption der Mutter Jesu als „Mutter Gottes“.
„Das Ebenbild und der Abglanz Gottes ist der logos, die denkende Vernunft, der erstgeborene Sohn , der die Wlet regiert und in Ordnung hält.“
[Philo: De opificio mundi, sein Hauptwerk, und Jahrzehnte(!) vor dem Joh.-Ev. geschrieben]
Eine Unmenge von erhellenden Hintergründen der johanneichen Jesus-Darstellung tun sich auf, und insbesondere zu Formulierungs-Feinheiten des Prologes, die sich in Übersetzungen natürlich allemal in Luft auflösen, wenn man noch andere Quellen hinzunimmt: Die jüdische Sophia-Theologie und die griechischen Vorgaben, die, wenn nicht eh bekannt, dann zumindrst durch den zeitgenössischen Philo Judäus sehr präsent waren: Heraklit, Platon, insbesondere sein Tímaios, die stoische Logos-Philosophie, die Vergöttlichung von Logos und Sophia in den orphischen Mysterien …
Um das Ganze etwas abzukürzen: In dieser „Schule“ steht sowohl die Sophia/Chokmah als auch Logos für die Vermittlung des ursprünglichen Gedankens des Schöpfers mit der Realität - in Analogie zu einem Architekten, der den Plan einer Stadt im Kopf hat, der aber dann noch realisiert werden muß. In der einmal - durch die Vermittlung der Sophia, bzw des Logos („alles ist durch ihn geworden …“)- geschaffenen Welt erscheint (Joh. 1.5!) dann dieser zunächst im Angesicht Gottes „spielende“ Gedanke. Und der Inbegriff dieses „Erscheinens“ ist: Das Licht, oder anders: Das Leben.
Die geschaffene Welt wird zwar vom Schöpfer/Vater geliebt („so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen Sohn gab …“ Joh.3.16), und aus ihm wird sie ja (Joh.1.3), aber sie ist dennoch das Reich der Finsternis: Wir sind hier in den Ursprüngen dessen, was sich später in Grundgedanken der sog. „Gnosis“ manifestiert. Und das Licht, bzw das Leben ist die Weise, in der der Logos in der Welt „erscheint“. Die Finsternis kann dies aber nicht „ergreifen“, Licht und Finsternis sind ja zunächst Antagonisten - auch, wenn die geschaffene Welt nicht „außerhalb“ des Schöpfers ist: Das Wort „choris“ („ohne“) in 1.3 („und ohne ihn ist nichts geworden“ kann der Grieche auch als „außerhalb seiner“ lesen.
Der Prolog zeigt die „Erscheinung“ des Logos in Bezug auf die Welt/Finsternis nun in dreifacher Form:
- kosmologisch: Das Licht wird von der Finsternis nicht ergriffen
- persönlich: Er kam in das Seine, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf
- anthropologisch: Der Logos ist Fleisch geworden.
Und dieses Dritte („Fleisch“ ist im Joh.-Ev. Inbegriff der menschlichen Lebenswelt, nicht nur für den menschlichen Leib) ist nun die Herausforderung der geschaffenen Welt: Es geht darum, das Erscheinen des Lichtes in der Welt, als Allegorie also für die Realisierung, bzw. der Vollendung der Schöpfung, auch zu ergreifen.
Und in der johanneischen Theologie/Anthropologie ist dieses Ergreifen identisch mit dem „Glauben an den Gesandten“. Deutlicher gesagt im Text an anderer Stelle: Im Glauben daran, daß er der Gesandte ist.
Der Begriff „Logos“ ist übrigens nur hier im Prolog in diesem kosmologischen Sinne verstanden. Er kommt noch an vielen anderen Stellen vor, dann aber in dem Sinne von „Rede“, „Lehre“ oder auch „Botschaft“.
Du wirfst in deine Betrachtung noch den Begriff „Geist“ ein. Da ist allerdings Vorsicht geboten. Der Johannes-Text ist die Quelle des christlichen Geist-Begriffs (ich vertrete sogar die Ansicht, daß er der Ursprung ist). Das joh. „Geist“ (griech. to pneuma, das btw. auch „Wind“ bedeutet. Siehe Kap. 3.1-13!) entspricht teilweise der hebr. „ruach“, die auch in 1. Mose 1.3 erwähnt ist („Und die Ruach Gottes schwebte über der Tiefe“).
Aber dieser Begriff ist nicht identisch mit Logos! Als Übersetzung des Wortes ist er also keineswegs geeignet. Die Geist-Theologie im Johannes-Text ist allerdigns zu komplex, um sie hier kurz zu umreißen und zu begründen, warum „Logos“ nicht mit „Geist“ übersetzt werden kann.
Das wären so einige Statements zum Hintergrund des Textes. Zu erwähnen ist noch, was für das joh. Jesus-Bild nicht unbedeutend ist, daß in den Prolog eine Einführung des Täufers „Johannes“ eingeflochten wird. In mehreren Paketen sozusagen quer eingeschoben. Aber das ist ein ganz anderes Thema der Interpretation.
Vielleicht - und hoffentlich - reicht dir das für Erste?
Was aber nicht heißt, daß du nicht weitere Fragen stellen sollst
Gruß
Metapher