Hallöchen,
heute habe ich mal ein (langes) pädagogisches Problem.
Ich arbeite zwei mal eine Stunde pro Woche an einer Grundschule und betreue die Hausaufgaben. Neues Schuljahr - neue Kinder. Nun ist in meiner Gruppe ein Junge, der generell Schwierigkeiten hat, was (Mit-)Arbeit angeht. Von den Lehrern weiß ich, dass er im Unterricht kaum Aufgaben löst, in den letzten zwei Jahren (er ist nun in der dritten Klasse) habe ich das gleiche auch in der Hausaufgabenbetreuung bei meiner Kollegin mitbekommen. Man muss die ganze Zeit dabei sitzen und diskutieren und quatschen, damit er zwei, drei Aufgaben schafft.
Es liegt nicht am Kognitiven, ganz im Gegenteil. Er ist ein ziemlich schlauer Junge, kennt viele Fachbegriffe und kann sich überdurchschnittlich gut ausdrücken. Auch Mathe macht ihm an sich keine Probleme. Trotzdem hat er heute genau eine Matheaufgabe gemacht. Keine ganze Nummer, kein ganzes Päckchen, eine Aufgabe.
Ich habe das Gefühl, dass es ihm um Machtspielchen geht, vermutlich durch seine Intelligenz „angeheizt“. Er weiß genau, dass ihn niemand zwingen kann, irgendetwas zu tun und er hat immer eine Menge Argumente parat. Und nach kürzester Zeit redet man schon über etwas total anderes. Und wenn man bittet und bettelt, rechnet er auch mal eine Aufgabe.
Nun lasse ich mich genau darauf nicht ein. Ich kann und möchte auch einfach nicht alle anderen Kinder meiner Gruppe, die mich nach Hilfe fragen, vernachlässigen. Ich lobe, wenn er diese Aufgabe geschafft hat, beantworte Fragen zu den Hausaufgaben (wenn denn welche kommen) ansonsten führe ich keinerlei Grundsatzdiskussionen.
Heutiger Vorfall:
Mit den Eltern ist nun abgesprochen, dass wir in seinem Hausaufgabenheft notieren, wie viele Aufgaben er geschafft hat. Als ich ihn heute um sein Hausaufgabenheft gebeten habe, sagte er mir, er gebe es mir nicht. Er wüsste ja, was er gemacht hätte und deshalb bräuchte ich da nichts notieren. Auch da hab ich mich nicht auf Diskussionen eingelassen. Zwar nicht elegant, aber ich habe es dann einfach aus der Tasche genommen, als er einen Moment nicht aufgepasst hat (ich musste nicht wühlen, ich hatte es mit einem Griff). Hab es mit in eine andere Klasse genommen, es eingetragen. Da stand er in der Tür und verlangte sein Heft zurück, was ich ihm auch sofort gab. Ich hatte es ja eingetragen. Und er hat dann wirklich vor Wut geweint, weil ich an sein Eigentum gegangen war und „wenn du Ärger haben willst, den kannst du bekommen.“ (seine Worte).
Ich bin niemand, der gern an fremder Leute Sachen geht. Aber ich bin irgendwo auch der Meinung, dass ich der Erwachsene bin und letztendlich entscheide, wie es läuft. Gerade bei so klaren Regeln und Absprachen, die er auch aus dem regulären Schulbetrieb schon kennt.
Ich versuche, mit den Schülern Kompromisse zu finden, wenn jemand unzufrieden ist. Ich lasse sie viel mitentscheiden und versuche, sie so selbstständig wie möglich agieren zu lassen. Trotzdem (oder deswegen?) ist klar, dass ich die Entscheidungen treffe. Einfach, weil ich die Erwachsene bin. Natürlich ist es komplexer als das, aber für die Kinder qualifiziert mich in erster Linie das.
Habt ihr Vorschläge, wie ich mich verhalten kann? Ich würde gerne denken, dass es ihm gut tut, dass mal ein Erwachsener nicht so funktioniert, wie er es gewohnt ist und dass er dann nach einer Eingewöhnungszeit besser als je zuvor mitmacht – aber ich habe das Gefühl, ich „züchte“ einen Totalverweigerer heran. Was tun?
So schlau er ist, so wenig zugänglich ist er für logische Argumente in dieser Hinsicht. Ich nehme an, er sieht sie ein, aber sie sind ihm egal. Oder hab ich einfach die richtigen Argumente noch nicht gefunden? Muss ich mein Schüler - „Lehrer“-Bild überdenken? Bin ich ein Erwachsenen-Diktator?
Argumentieren oder ignorieren? Das Hausaufgabenheft kriege ich zumindest so schnell nicht wieder in die Finger:wink:
Liebe Grüße
Lockenlicht