Das ist ein durchaus berechtigter Einwand. In der Tat stellt sich hier natürlich die Frage des: „Gleiches gleich und ungleiches ungleich behandeln“ Die nicht kirchlich geschlossene Ehe ist rein kirchenrechtlich nicht existent, und kann somit kirchenrechtlich auch nicht gebrochen werden. Damit ist dann durchaus nachvollziehbar kein Anlass für Sanktionen. Insoweit kann man die bisherige Praxis, nur katholisches Personal zu sanktionieren, durchaus nachvollziehbar begründen. Man müsste jetzt wirklich mal das Urteil komplett lesen um nachzuvollziehen, woran genau man festgemacht hat, dass diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt gewesen sei.
Aber man könnte natürlich die Sache auch an einem „grundsätzlich unpassenden Lebenswandel“ (im Sinne der Vorstellungen der Kirche als Tendenzarbeitgeber) festmachen oder künftig nur noch katholisches Personal einstellen. Rein praktisch wird dies aber kaum funktionieren, weil die Lebenswirklichkeit weiter - auch katholischer - Bevölkerungsteile gerade in Bezug auf die Ehe und die katholische Sexualmoral weit von dem weg sind, was man dann strenggenommen fordern müsste.
Und gerade im Gesundheits- und Altenpflegebereich haben wir ohnehin schon extremen Personalmangel, und lassen sich solche Standards schon lange nur noch mit zwei zugedrückten Augen aufrecht erhalten/hat man sie schon lange deutlich eingedampft um dann beide Augen zudrücken zu können. Z.B. durch die ACK-Klausel, auf die man sich unter den christlichen Kirchen verständigt hat, wurde vereinbart, dass Stellenauschreibungen, nach Möglichkeit nicht die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Konfession, sondern nur zu einer christlichen Kirche verlangen sollen, solange es nicht um herausgehobene Positionen geht. Bei Personal ohne bzw. geringem „Kundenkontakt“ ist man ohnehin schon in den allermeisten Betrieben seit Langem weg von irgendwelchen Anforderungen jenseits einer offenen Abneigung zum Thema Kirche.
Da werden nun natürlich nicht wenige Leute frohlocken, die damit das Ende des ihnen persönlich verhassten kirchlichen Arbeitsrechts als Aspekt der ihnen grundsätzlich verhassten Kirchen am Horizont sehen. Ich gebe aber zu bedenken, dass die Idee der Tendenzbetriebe sehr wohl ihre Berechtigung hat, wenn man sich ansieht, wie viele Menschen sich ganz bewusst dafür entscheiden in Bereichen wie Ausbildung, Gesundheitswesen und Altenhilfe, … Tendenzbetrieben den Vorzug zu geben, die ihrer Weltanschauung möglichst nahe kommen. Und das gilt für das AWO-Altenheim nicht anders als für den kirchlichen Kindergarten. Und es ist erstaunlich wie viele Menschen gerade dann, wenn es um existenzielle Fragen geht, sich für kirchliche Einrichtungen entscheiden, von denen sie besondere Standards erwarten, auch wenn sie selbst gar nicht Mitglieder der Kirche sind. Diese Standards haben aber nun mal ganz, ganz viel mit dem dort arbeitenden Personal zu tun. Wie will man die dann aufrecht erhalten, wenn man das Personal nicht mehr entsprechend auswählen darf?
Man stelle sich als Gegenbeispiel vor, die Gesellschaft für humanes Sterben würde ein Krankenhaus oder Altenheim eröffnen, in dem es das Versprechen gibt, dass man bis an die äußerte harte Kante der Strafgesetze gehen wird, um jeden schnellstmöglich vom Leben zum Tode zu befördern, der dies will. Auch das wäre ein Tendenzbetrieb, für den sich Menschen sicherlich ganz bewusst entscheiden würden, weil sie eine entsprechende Weltanschauung teilen. Und denen tritt dann da sofort eine Frau Dr. X und ein Pfleger Y entgegen, die beide in irgendeiner ganz strengen Sekte aktiv sind, die so gar nichts von Sterbehilfe hält, und die diesen Job nur aus missionarischem Eifer angenommen haben, die Patienten davon überzeugen zu wollen, sich die Sache mit dem schnellstmöglichen freiwilligen aus dem Leben scheiden doch noch mal zu überlegen. Sollte man diesen Arbeitgeber jetzt dazu verpflichten, dieses Personal zu halten?
Es ist nicht immer leicht vor dem Hintergrund einer Einzelfallentscheidung, die einem ggf. persönlich gut gefällt, auf generelle Aspekte hin zu abstrahieren. Aber das ist wichtig, wenn man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten will.