Moin Udo,
Ich
glaube nur, dass die Regelung einer Demokratie komplizierter
ist, als dass ein völlig vereinfachtes Steuersystem dies
angemessen abbilden kann. Mit ist bewusst, dass 2/3 der
welteiten Literatur zu Steuern in Deutsch für Deutschland sind
(welch ein Wahnsinn). Diesen Dschungel können Reiche für sich
wesentlich besser nutzen weil sie sich Expertise leisten
können. Das ist sozial ungerecht, ausserdem ist der
Verwaltungsaufwand insgesamt gewaltig und bremst das Land.
Du setzt also in gewissem Maße „kompliziert = gerecht“ voraus. In der Realität schafft aber die Vergünstigung für einen Nachteile für 99 andere. Das kann der gesetzgeber dann zwar versuchen auch wieder auszugleichen, aber in der Realität wird es dann doch nicht so konsequent umgesetzt. Unter dem Strich bleibt damit „kompliziert UND ungerecht“ übrig.
Hast du das Gefühl, dass das Steuerrecht in jeder Hinsicht gerecht ist? Es ist doch auch jetzt so, dass Leute, die ihr Vermögen geschickt anlegen, die sich Expertise kaufen können, schlicht besseren Durchblick haben oder nur zufällig günstige Lebensumstände aufweisen im Vorteil sind.
Eine gewisse „Ungerechtigkeit“ wird auch immer bleiben - und würde vom Volk sogar akzeptiert. An anderer Stelle regt sich auch keiner auf wenn unterschiedliche Lebenskonzepte unterschiedliche Kostenstrukturen mit sich bringen. Wichtig ist, dass für alle gleiche Regeln und Möglichkeiten gelten, dann wird es als gerecht empfunden. Wenn es dazu noch Transparenz gibt wird die große Mehrheit der Menschen den Eindruck haben, dass alle gleich behandelt werden und die unterschiedlichen Abgaben Ergebnis verschiedener Leben sind, nicht aber verschiedener Regeln, die obendrein keiner mehr überblickt.
Womöglich ist eine Rasur ala Kirchhof der einzig gangbare Weg
um das Steuersystem zu reformieren weil man nur so sämtliche
Lobbygruppen aussen vor lassen kann. Trotzdem bin ich fest
überzeugt, dass danach wieder die „Nachbesserungen“ beginnen,
und dass eine Partei die sich für dieses oder jenes einsetzt
vom Wähler mit der Umsetzung „beauftragt“ wird, also gewählt
wird.
Es darf natürlich nicht so gestaltet werden, dass einem einfachen Grundprinzip wieder zahllose Ausnahmen beigefügt werden - dann würde die Idee des einfachen Systems ja ad absurdum geführt. Es müsste Konsens unter den Parteien sein, dass in einem solchen Konzept generell keine Ausnahmen für Einzelinteressen und Lobbyisten gemacht werden weil das dem Gedanken der Refgorm widerspräche.
Leider wird aber genau diese mangelnde Bevorzugungsmöglichkeit einzelner Wählergruppen dazu führen, dass die Politik parteiübergreifend nicht zu einem so einfachen Steuersystem finden möchte.
Man kann dies an Kroatien studieren. Dort wurde in den 90ern
ein von Professoren konzipiertes Steuersystem in dem jungen
Staat 1:1 umgesetzt. Dieses System wurde in der
Wirtschaftswissenschaft als vorbildlich gelobt. Davon ist
mittlerweile einiges „angepasst“ worden. So läuft das eben.
Ein Beispiel, wie es gerade nicht laufen darf…
Meine Einwände kommen weniger daher, dass ich unser
Steuersystem so gut finde, sondern daher, dass ich an der
Machbarkeit der Umsetzung zweifle. So etwa wie mit dem
Kommunismus - den würde jeder irgendwie gut finden, aber man
weiss, dass es nicht funktioniert.
Der komplette Rest der Welt beweist, dass es auch ohne Ungerechtigkeiten machbar ist, trotz Einfachheit. Die Machbarkeit scheitert in Deutschland an der Bürokratie und Lobbyismus, nicht an der grundsätzlichen Möglichkeit, sowas funktionierend hinzubekommen.
Mir kommt es vor, als wären Du und Sax beinahe ein bischen
perönlich verärgert
Ähm, jein.
Über dich persönlich bin ich nicht verärgert. Ich verstehe nur nicht so Recht, wie man unser System verteidigen kann. Mir platzt in diesem Land immer mehr der Schädel wenn ich sehe, dass wir uns selber das Leben so schwer machen. Jeden Tag verhungern weltweit tausende Menschen, sterben welche in Kriegen, kämpfen Menschen gegen Krankheiten. Selbst jeder gesunde Mensch mit Arbeitsstelle kämpft jeden Tag seinen „Lebenskampf“. Wir hätten also allemal genügend Grund uns um die wesentlichen Dinge des Lebens zu kümmern. Aber wir Deutschen sind so dekadent, unentspannt und unerträglich geworden, dass es nur noch sinnlos kompliziert, hektisch, und immer weniger nachvollziehbar zugeht.
Ich habe zuletzt 2 Wochen gebraucht um Arbeitszeugnisse 1. zu beschaffen und 2. sicher zu stellen, dass da Schlüsselworte auftauchen - wehe, irgendeine Wort ist nicht passgenau. Es wird eine Wissenschaft daraus gemacht, die in keinem Verhältnis zum normalen Menschenverstand mehr steht.
Oder wenn ein Gebrauchsgegenstand wie ein Auto einen Kratzer abbekommt - okay, bei einem neuen Wagen in der Tat ärgerlich. Generell auch „behandlungsbedürftig“ wenn Rost entstehen könnte. Aber anstatt es ansonsten als normale Abnutzung / Gebrauchsspur eines über Jahre täglich genutzten Objekts zu betrachten und auf sich beruhen zu lassen, müssen in Deutschland Gutachter und Fachwerkstätten her, werden komplette Flanken in eigens haargenau anzumischenden Farbtönen von Fachwerkstätten für tausende Euro lackiert…
Und das sind jetzt nur erstbeste Beispiele, die mir einfallen. Wir haben offenbar so wenige ernste Probleme - oder weigern uns, das Leben einfach zu gestalten - dass wir uns die Dekadenz künstlich erzeugter Pseudoschwierigkeiten leisten. Wir erfinden Konstrukte wie das Steuersystem weil wir als Gesellschaft offenbar zu neurotisch sind uns auf elementare Fragen des Lebens zu konzentrieren oder uns an Einfachheit zu erfreuen.
Macht es uns zufrieden oder glücklich? Nein. Fast alle Länder, in denen nicht gerade Krieg oder Hungersnöte stattfinden, haben zufriedenere Menschen als Deutschland.
Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und haben eine horrend hohe Kinderarmut. Wir profitieren angeblich gerade von der wirtschaftlichen Situation, nur kommt bei den allermeisten Bürgern nichts davon an. Die Geburtenrate in Schland ist eine Katastrophe. Zahlreiche Bürger stimmen mit den Füssen ab und wandern aus - vor allem diejenigen, die gut ausgebildet und clever sind. Also genau die Leute, die wir besonders dringend halten müssten. In meinem Bekanntenkreis sind zuletzt 2 Leute gegangen, sie passen beide perfekt ins Schema, bestens ausgebildet, intelligent, im richtrigen Alter für die Familiengründung. Sie verdienen in Schweden und Australien das 2-3 fache dessen, was in Deutschland auf dem Lohnzettel gestanden hätte, haben ihren Lebensstandard deutlich verbessert, haben sichere Jobs bei nur 2/3 der Arbeitszeit, die sie hier hätten. Dazu umgeben von entspannten, freundlichen Mitmenschen und nicht verbissenen Hackfressen. Beide sagen, aus Deutschland wegzugehen war eine der besten Entscheidungen ihres Lebens. Und das sagen Leute, die ausgerechnet aus einem der wohlhabendsten Staaten der Welt weggehen. Irgendwas muss hier doch gewaltig schief laufen…
über meine Einwände, dabei will ich nur
die Diskussion befruchten. Ich weiss, dass an dem was ich sage
viel dran ist. Gehe in die Parteien und frage die mal wie die
dazu stehen. Da wirst Du selbst in der FDP viele hören die
plötzlich meinen, dass diese und jene Ausnahmebegünstigung für
das Überleben unseres Landes ach-so-wahnsinnig wichtig ist.
Eine 3%-Lobbyisten-Truppe namens FDP kann ich nicht ernst nehmen, weder in ihren politischen Aussagen noch angesichts der 3%. Sie vertreten offenbar nicht die Interessen von 97% der Bevölkerung. Wen interessiert also die Meinung der FDP? Man muss sie nur deswegen zwangsläufig wahrnehmen weil sie tatsächlich an der Regierung beteiligt sind und dort ihr Unwesen treiben.
Ich behaupte, absolut JEDER hat solche Prioritäten welche mehr
oder weniger berechtigt sind. Für die einen sinds die Kinder,
für die anderen die Umwelt, für wieder andere ist es billiger
Strom oder Sportförderung oder oder oder. Wenn solche
Interessen politisch umgesetzt werden kommen wir wieder in den
Bereich der Kompromisse, Ausnahmen, Bezuschussungen und so
weiter…
Deswegen ist ja die Idee, all das abzuschaffen. Dann verliert man ein paar Vergünstigungen, aber man gewinnt an anderer Stelle - und wenn es nur ist, dass man wahrnimmt, dass andere ihre Privilegien auch nicht mehr haben und gleiche Regeln für alle gelten - und diese Regeln sogar jedem verständlich sind.
Ich halte diese Transparenz und Gleichheit für wesentlich demokratiefreundlicher als die - wenn es nicht so traurig wäre - vollkommen lächerliche Konstruktion, mit der wir uns zur Zeit erschlagen.
Gruß
MecFleih