Liebe Experten!
Ich möchte versuchen von erfahrenen Kollegen ein paar Tipps zu bekommen zu folgender Situation:
Ich unterrichte an einer Berufsschule 3 BF1-Klassen in Deutsch bzw. Deutsch-Förderunterricht.
Meine Kollegen und ich beobachten, dass die Situation in den Klassen immer schwieriger wird, verglichen mit den Vorjahren: Es herrscht eine sehr rohe Sprache unter den Schülern („Halt deine verfickte Fresse, du Flachwichser“), der Lärmpegel ist sehr sehr hoch, sodass ich als Lehrer im Gespräch mit einem Schüler, der direkt vor mir sitzt, kein Wort verstehe, manchmal nichtmal mein eigenes.
Ich habe manchmal ganze Tage (in verschiedenen BF1-Klassen) in denen ich nicht einen einzigen Satz zu Ende sprechen kann, ohne dass mir jemand ins Wort fällt.
Die Schüler hören sich auch untereinander nicht zu, es ist letztlich gar nicht möglich, ein Klassengespräch zu führen, weil sie sich gegenseitig ins Wort fallen oder laut über andere Dinge reden.
Viele Schüler springen auf, laufen umher, schmeißen Dinge durch die Gegend, reden dabei laut bzw. rufen durch die Klasse.
Wenn ich meine Stimme erhebe, muss ich schon sehr laut werden, um um Ruhe zu bitten. Das hält ca. 15 Sekunden.
Schriftliche Arbeiten werden nur erledigt, wenn ich sage, dass ich sie benote. Allerdings habe ich eine Klasse, in der ich nur Förderunterricht gebe, der nicht benotet wird, da arbeiten eben nur die interessierten Schüler dann.
Auch wenn ich spielerische Aufgaben machen will, funktioniert gar nichts, weil sie, sowie sie aufstehen, wild umherlaufen und der Lärmpegel noch größer ist, sodass das Spiel nicht mehr möglich ist.
In der gestrigen Konferenz haben alle Kollegen diese Zustände beklagt, besonders aber die weiblichen Lehrer, weil offensichtlich Frauen gegenüber noch weniger Respekt besteht.
Auch wurde besprochen, welche privaten Probleme von Seiten der Schüler mit hineinspielen: In jeder Klasse sind 3-6 Flüchtlinge, die sprachliche Probleme haben und bei der Lautstärke gar nichts mehr verstehen und die besondere Hilfe bei den Aufgaben bräuchten.
Es gibt viele Schüler mit privaten Problemen, wo Klassenelternversammlungen gezeigt haben, dass es von zuhause keinerlei Unterstützung dieser Schüler gibt.
Einige Schüler sind sicher als hyperkinetisch einzustufen, es gibt einige funktionale Analphabeten in der Klasse.
Regeln werden zur Zeit selbst erarbeitet mit dem Religionslehrer, der das sehr engagiert macht und sicher auch langfristig erfolgreich umsetzen können wird. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Schüler zwar Respekt ansprechen und einfordern, aber selbst keine Vorstellung haben davon, wie sich Respekt eigentlich ausdrückt. Es bleibt also quasi eine theoretische Forderung.
Der Text ist so lang geworden, weil ich so drinstecke in dieser Situation, dass ich kaum eine zusammenfassende Außensicht präsentieren kann.
Ich nehme mir immer mal wieder einzelne Schüler ins Gespräch, was in dem Einzelfall immer positive Auswirkungen hat. Aber ich hab in jeder Klasse 17 bis 20 Schüler und kann nicht jedesmal mit allen unter vier Augen sprechen.
Ich weiß nicht mehr, was ich in diesen Klassen machen soll.
Es ist ja nichtmal möglich, die Klassensituation zu thematisieren und darüber zu sprechen, weil ja Klassengespräche nicht möglich sind.
Die „Störenfriede“ hab ich mir neulich mal als Kleingruppe vorgenommen, nachdem ich die aktiven Schüler eher entlassen hatte. Sie haben mir in allen Kritikpunkten zugestimmt, haben sogar geäußert, dass sie mich mögen und cool finden. In dem Moment haben die mir alle so zugehört, dass man ne Stecknadel hätte fallen hören können.
Es ändert sich nur nichts an ihrem völlig impulsgesteuerten Verhalten.
Aber ich weiß nicht, wie ich 20 Leute „therapieren“ soll, wie ich den lernwilligen Schülern gerecht werden kann, wie ich den wilden Schülern helfen und gerecht werden kann.
Ich gebe es zu: Ich fühle mich total überfordert!! Und ich halte irgendwann den Lärm einfach nicht mehr aus. Ich bin hochsensibel und es kostet mich unglaublich viel Energie, wenn ich 6 Stunden BF1-Klassen am Stück habe.
Ich war im Lehrercoaching und mir wurde gesagt, dass ich ein unglaublich gutes Standing habe, sehr viel Erfahrung und bereits auf einem sehr hohen Level bin. Die Ideen, die mir mitgegeben wurden, wende ich an (feste Rituale, jede Stunde mit einem klaren Auftrag oder einem motivierendem Einstieg beginnen, Regeln konsequent anwenden, usw.). Ich finde es nur unglaublich schwierig, alles umzusetzen, weil ich nie 20 Schüler gleichzeitig erreiche, irgendwo ist immer eine Gruppe, die laut spricht und mich übertönt.
Ich weiß auch, dass meine Toleranzschwelle höher sein könnte, d.h. ich sollte den Unterricht für mich nicht gleich als erfolglos beurteilen, wenn es wieder total laut war, weil es eben einfach Zeit braucht und in diesen Klassen kleine Erfolge zählen.
Aber nach der Konferenz gestern bin ich der Meinung, dass der Unterricht in diesen Klassen wie ein Kampf gegen Windmühlen ist.
Meiner Meinung nach sind die Umstände einfach nicht angemessen, die Klassen dürften höchstens 12 Schüler haben, dafür aber zwei Lehrer gleichzeitig, dann könnten wir angemessen auf jeden Schüler eingehen. Aber an den Umständen wird sich in 100 Jahren nichts ändern.
Darf ich bitten, mir konstruktive Vorschläge zu machen und mich hier nicht gleich zu zerreißen, dass ich eine total unfähige Lehrerin bin? Ich arbeite bereits an einer beruflichen Alternative, aber bis dahin muss ich noch ein paar Jahre durchhalten.
Danke für’s Lesen und für eure Ideen!
Gruß, Diva