Servus,
draußd’ im Reich ist das vorbei; da mag man keine festlichen Anlässe, sondern „Ich hab’ das Eintrittsgeld bezahlt, was wollt Ihr denn von mir?“. Die Reichsdeutschen waren ja in den unmittelbaren und mittelbaren Nachbarländern schon seit langem an ihrer tollpatschigen, gerne ein bissele miesepetrigen Kleidung zu erkennen, es macht ihnen nichts aus, beim Schleswig-Holstein Musikfestival in T-Shirt und seltsamen Kunststoff-Jeans mit spitzeneingefassten Löchern in den Knien und LED-beleuchteten Vulgärsneakern im Park von Schloss Klütz herumzuhüpfen. Wenn man in einem Eisenbahnzug irgendwo im Rheintal eine einfach, aber gut gekleidete Reisegruppe sieht, sind es in der Regel Österreicher, Schweizer, Niederländer oder Skandinavier.
Bei den letzten Mohikanern, die einen musikalischen Anlass gerne feierlich begehen, gibt es sichtbare Unterschiede zwischen den Konfessionen und somit auch zwischen Nord und Süd - von Cloppenburg-Vechta mal abgesehen: Bei Lutheranern und Protestanten eher Dunkelblau als Schwarz, betont einfache Kleidung, durchaus auch ein Nicki über dem Hemd, wobei es leicht vorkommen kann, dass bei genauem Hinsehen sowohl Nicki als auch Hemd jeweils für sich ungefähr so viel gekostet haben wie sonst ein ganzer Anzug; im katholischen Süden eher klassisch dunkler Anzug - weißes Hemd. In der Tendenz - freilich nicht ausschließlich - gibt es auch Unterschiede zwischen evangelischem und katholischem Schuhwerk.
Dass Binder und Fliege kaum mehr zu sehen sind, ist ein bissele schade, aber es hat bei Konzerten immerhin einen kleinen Vorteil: Die billigen Hemden, die fast nur noch getragen werden, haben ohne Ausnahme zu enge Kragen, d.h. wenn man den obersten Knopf schließt, führt das nicht bloß in den Pausen und zwischen den einzelnen Sätzen, sondern auch mitten im Adagio zu Hustenorgien, weil die anwesenden Herren der Schöpfung unter Beklemmungsgefühlen leiden.
Ach, und wemmer dabei sind, noch eines aus Tante Ernas Erfaaahrungswissen:
Wir haben das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker unter Daniel Barenboim gehört - mitten in Mannheim im Saal eines „Muliplex“-Popcornkinos. Das Konzert wurde über Satellit life übertragen, und für den feierlichen Rahmen in diesem zwar technisch gut ausgestatteten, aber sonst wenig festlichen Kinosaal sorgte das Publikum mit passender Kleidung. Es hat mir sehr gut gefallen so, auch wenn ich jetzt nicht unbedingt ein Fän von Barenboims impressionistisch schwebenden Klängen bin.
Schöne Grüße
MM