Kleine Einführung in das Thema Grundrechte

Nachdem ich heute Abend festgestellt habe, dass das Kölner Urteil häufiger missverstanden wird, als ich gedacht hätte, und meine eigenen Ausführungen auch, hier nun doch noch eine kurze Einführung in das Thema Grundrechte. Muss ja keine Diskussion draus werden, aber vielleicht interessiert es den einen oder anderen.

Die Grundrechte sind kein unverbindliches politisches Programm, sondern verbindliches Recht, das (grundsätzlich) nur den Staat bindet (Art. 1 Abs. 3 GG). In erster Linie (aber nicht ausschließlich) handelt es sich um Abwehrrechte der Grundrechtsträger: Abgewehrt werden Angriffe oder besser gesagt Eingriffe in die Grundrechte durch den Staat.

Folgende Fragen muss sich jeder Akt staatlicher Gewalt gefallen lassen:

  1. Wird durch dich der Schutzbereich eines Grundrechts eröffnet?

  2. Wenn ja: Greifst du in dieses Grundrecht ein?

  3. Wenn ja: Darfst du das?

Bei 1. geht es einfach nur darum, ob überhaupt irgendein Grundrecht tangiert wird bzw. welche(s).

Die 2. Frage ist zu bejahen, wenn die Freiheit des Grundrechtsträgers, die das jeweilige Grundrecht gewährt, irgendwie verkürzt wird. Das ist bei jedem staatlichen, jedenfalls jedem hoheitlichen Handeln der Fall, das den Grundrechtsträger irgendwie in Anspruch nimmt, ihm etwas ge- oder verbietet oder ihm eine Duldung auferlegt. Wenn kein spezielleres Grundrecht tangiert wird, geht es immer („jedenfalls“) um die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Das ist im Verwaltungsrecht sehr wichtig, weil hier eine Klage etwa gegen einen Bescheid oder sonstigen Verwaltungsakt nur in Betracht kommt, wenn möglich erscheint, dass der Verwaltungsakt nicht nur rechtswidrig ist, sondern den Kläger in seinen subjektiven Rechten verletzt. Es gibt also sehr, sehr viele Eingriffe in Grundrechte, gerade in Art. 2 Abs. 1 GG.

Die 3. Frage entscheidet dann alles. Man könnte meinen, es sei absurd, Grundrechte zu gewähren, die dann doch eingeschränkt werden dürfen. Stimmt aber nicht, denn die Eingriffe müssen besondere Anforderungen erfüllen, um rechtmäßig zu sein. Wir Juristen nennen das verfassungsrechtliche Rechtfertigung, womit wir ja bei einem Begriff wären, den ihr als Religionsexperten alle auch so ähnlich kennt.

Einige Voraussetzungen muss jeder Eingriff in ein Grundrecht erfüllen. Dazu gehört insbesondere die Verhältnismäßigkeit (die im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannt wird).

Im Übrigen kommt es darauf an, was das jeweilige Grundrecht sagt. Die Menschenwürde kann niemals eingeschränkt werden, sie ist unantastbar (Art. 1 Abs. 1 GG, nicht ohne Grund steht dieses Grundrecht ganz am Anfang). Einige Grundrechte können durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, z.B. das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 1 S. 1 Var. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 S. 3 GG). Da kann man sich dann im Einzelfall fragen, was denn mit dem Wort „Gesetz“ gemeint ist, aber jedenfalls Parlamentsgesetze sind immer Gesetze. Ist ein Grundrecht ausweislich seines Wortlautes gar nicht einschränkbar, kann es gleichwohl eingeschränkt werden, wenn es mit einem anderen Grundrecht oder Rechtsgut von Verfassungsrang kollidiert. Das ist z.B. bei der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) der Fall.

Das Kölner Urteil besagt nun Folgendes: Der Straftatbestand der Körperverletzung wurde erfüllt. Rechtswidrig und strafbar kann die Tat aber nicht sein, wenn das höherrangige Grundgesetz sie erlaubt. Die verfassungsrechtliche Erlaubnis könnte sich aus der Religionsfreiheit der Eltern oder aus deren Erziehungsfreiheit (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) ergeben (oder aus Gesetzen ohne Verfassungsrang, aber darauf gehe ich jetzt nicht näher ein).

Somit stellt sich die Frage, ob in dem Verbot dieser speziellen Körperverletzung, der Beschneidung, eine Verletzung der Grundrechte der Eltern zu sehen wäre, die die Beschneidung veranlasst haben. Von einer Verletzung kann nur gesprochen werden, wenn ein Eingriff vorliegt, der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.

Also stellt sich nun die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Gerade die Religionsfreiheit wird ja grundsätzlich schrankenlos gewährt. Wenn das strafrechtliche Verbot der Körperverletzung in diesem speziellen Fall die Grundrechte nicht verletzen soll, dann muss ein anderes Rechtsgut von Verfassungsrang betroffen sein, hinter dem die Grundrechte der Eltern zurücktreten.

Genau hier beginnt die eigentliche Abwägung. Und mehr wollte ich bislang auch nicht gesagt haben, obschon nun beide Lager hier im Forum den Versuch unternommen haben, mir eine eigene Position zu unterstellen, gegen die dann argumentiert oder vielleicht auch etwas polemisiert wurde.

Annex:

Da der Arzt angeklagt war und nicht die Eltern, hätte man sich eigentlich noch mit dessen Grundrechten beschäftigen müssen. Auch hätte man zumindest kurz erläutern können, was denn der Arzt mit den Grundrechten der Eltern zu tun hat. Ich meine aber, dass das im Ergebnis so stimmt, denn wenn die Eltern die Beschneidung zwar bestimmen dürften, aber niemand sie ausführen, wäre das Grundrecht insoweit ausgehölt.

Ob überhaupt der Schutzbereich der Religionsfreiheit tangiert ist (Frage Nr. 1 in der obigen Trias) wäre auch zu diskutieren. Meiner Meinung nach wäre das nur der Fall, wenn die Eltern es als ihre eigene religiöse Pflicht sehen, das Kind beschneiden zu lassen, wenn darin also die Religionsausübung der Eltern zu sehen ist. Ob es sich so verhält, ist keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage. Es kommt nicht darauf an, was „die“ Religion, also die Lehrmeinung, besagt, sondern was die Eltern als ihre religiöse Pflcht betrachten.

Danke Benvolio,
für diese erhellende Erläuterung.

Gruß

Jo

Hallo Benvolio,

endlich hat’s einer juristisch sauber beschrieben.

Folgender Aspekt fehlt mir, weswegen meine Meinung im Ergebnis eine andere ist:

Nahestehende, Angehörige, Verwandte und aber insbesondere Eltern haben regelmässig ein weitergehendes Recht, in das Leben ihrer Kinder einzugreifen, als andere Menschen; ist der Grundrechtseingriff aufgrund der Einwilligung der Eltern erfolgt, darf er selbstverständlich etwas weiter gehen als wenn der Arzt etwa aus eigenen Motiven handelte. Beispielsweise wird kaum einer Mühe haben, wenn dem Kind die Haare und Nägel geschnitten werden, umso weniger aber, wenn die Eltern es tun bzw. in Auftrag geben.

Also muss die Grösse und das Gewicht eines Eingriffes wie der Beschneidung ins Verhältnis zu den Rechten und Pflichten von Eltern gegenüber ihrem Kind gesetzt werden. Dort drückt der Schuh.

wenn die Eltern die Beschneidung zwar bestimmen dürften, aber
niemand sie ausführen

Ist das wirklich durchgehend denkbar? Was geschieht mit dem religiösen Arzt, der an seinem Sohn eigenhändig den Eingriff vornimmt? Der kann doch nicht besser dastehen als ein anderer Vater, welcher diesen Eingriff delegiert. Also spielt die Person des Ausführenden nicht so eine grosse Rolle.

Tatsachenfrage

Es darf im Sachverhalt damit gerechnet werden, dass die Eltern es durchaus als ihre Pflicht ansehen, womit also Religionsfreiheit (der Eltern) gegen Religionsfreiheit (des Kindes) abzuwägen ist.

Im übrigen danke für die klare Darstellung.

Gruss,
Mike

Hallo,
mich irritieren hier Deine Ausführungen schon etwas.

Die Grundrechte sind kein unverbindliches politisches
Programm, sondern verbindliches Recht, das (grundsätzlich) nur
den Staat bindet (Art. 1 Abs. 3 GG).

Dies ist nicht der Fall - so wie es rüber kommt.
Der Grundrechtsträger hat auch Anspruch darauf, daß der Staat seine
Grundrechte gegenüber Anderen, welche in sein Grundrechte eingreifen
schützt.

Abgewehrt werden Angriffe oder besser gesagt Eingriffe in die
Grundrechte durch den Staat.

Genau dies ist die mißverständliche Darlegung, welche das Verhältnis
des Rechstträgers zum Staat forciert obwohl Letzterer in diesem Fall
ja nicht in das Recht des Rechtsträgers eingreift sondern zu dessen
Schutz gefordert ist.
Rechtsträger -das sollten wir hier bei diesem Thema nicht vergessen-
ist zuerst der primär Betroffene, also das zu verletzende Kind.
Es geht hier meiner Ansicht nach um die Rangfolge wem Rechtsschutz
zu gewähren ist.
Der Rechtsschutz zur Ausübung der Religionsfreiheit der Eltern
wird ja primär nicht berührt sondern nur bedingt das Recht der
Eltern, über ein religiöses Ritual, welches an dem Kind
vorgenommen wird, zu befinden.Dieses Recht ist ja sowieso nur bis
zu einer bestimmten Altersgrenze des Kindes gewährleistet.
Den Rechtsschutz des Kindes muß der Staat in jedem Fall wahrnehmen.
Eine Abwägung mit anderen Interessen ist meiner Ansicht nach in
diesem Fall garnicht zulässig.

Folgende Fragen muss sich jeder Akt staatlicher Gewalt
gefallen lassen:
1…
2…

usw.
Welcher Akt staatlicher Gewalt wird hier betrachtet ?

Die 3. Frage entscheidet dann alles. Man könnte meinen, es sei
absurd, Grundrechte zu gewähren, die dann doch eingeschränkt
werden dürfen. Stimmt aber nicht, denn die Eingriffe müssen
besondere Anforderungen erfüllen, um rechtmäßig zu sein. Wir
Juristen nennen das verfassungsrechtliche Rechtfertigung,
womit wir ja bei einem Begriff wären, den ihr als
Religionsexperten alle auch so ähnlich kennt.

Solche Formulierungen verschleiern nur, was sie eigentlich klären
sollten.
Allgemeine Grundrechte kann man nicht gewähren, wenn spezielle
höherrangige eines Anderen dadurch verletzt würden oder auch dies:

Dazu gehört insbesondere die Verhältnismäßigkeit
Das Kölner Urteil besagt nun Folgendes: Der Straftatbestand
der Körperverletzung wurde erfüllt. Rechtswidrig und strafbar
kann die Tat aber nicht sein, wenn das höherrangige
Grundgesetz sie erlaubt.

Besagt dies das Kölner Urteil wirklich ?

könnte sich aus der Religionsfreiheit der Eltern oder aus
deren Erziehungsfreiheit (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) ergeben

Wohl kaum.

aber darauf gehe ich jetzt nicht näher ein.

Darauf kommt es aber an. Wenn dies Kernfrage übergangen wird , kann
man sich alles andere schenken.

Von einer Verletzung kann nur gesprochen
werden, wenn ein Eingriff vorliegt, der verfassungsrechtlich
nicht zu rechtfertigen ist.

Du meinst doch den Eingriff in das Recht des Kindes, oder ?

Also stellt sich nun die Frage nach der verfassungsrechtlichen
Rechtfertigung. Gerade die Religionsfreiheit wird ja
grundsätzlich schrankenlos gewährt.

Nein.

Ob überhaupt der Schutzbereich der Religionsfreiheit tangiert
ist (Frage Nr. 1 in der obigen Trias) wäre auch zu
diskutieren. Meiner Meinung nach wäre das nur der Fall, wenn
die Eltern es als ihre eigene religiöse Pflicht sehen, das
Kind beschneiden zu lassen, wenn darin also die
Religionsausübung der Eltern zu sehen ist. Ob es sich so
verhält, ist keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage.
Es kommt nicht darauf an, was „die“ Religion, also die
Lehrmeinung, besagt, sondern was die Eltern als ihre religiöse
Pflicht betrachten.

Da bewegst Du Dich auf sehr dünnem Eis.
Wenn solche „Befindlichkeiten“ eigentlich nur subjektiv gedacht
sind wo ist da noch Schutzwürdigkeit der Religionsausübung
erkennbar ?

Gruß VIKTOR

Hallo Mike

Tatsachenfrage

Es darf im Sachverhalt damit gerechnet werden, dass die Eltern
es durchaus als ihre Pflicht ansehen, womit also
Religionsfreiheit (der Eltern) gegen Religionsfreiheit (des
Kindes) abzuwägen ist.

mal wieder eine fälsche Einschätzung.
Die Religionsfreiheit der Eltern wird nicht berührt.
Das bedingte Recht der Eltern religiöse Rituale an ihren Kindern
vornehmen zu lassen (z.Bsp. auch Segnung, Taufe usw.) wird berührt.
Die Abwägung ist - Letzteres zum Recht des Kindes auf körperliche
Unversehrtheit (welche noch irreversibel wäre)
Ich finde Deine Abwägung,wie sie auch von anderer Seite vorgetragen
wird, einfach unerträglich verharmlosend.
Wie wäre es, wenn spezielle religiöse Gruppen ihren Kindern Kreuze
(oder andere Symbole) in die Stirn einritzen lassen würden ?
Gruß VIKTOR

Hallo Viktor,

Die Religionsfreiheit der Eltern wird nicht berührt.

so ein Unsinn!

Wenn der Staat mich daran hindert, Gottes Geboten zu gehorchen, geht es um meine Religionsfreiheit.

Gruss Harald

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Hallo VIKTOR,

Die Religionsfreiheit der Eltern wird nicht berührt.

Meine Religion erstreckt sich nicht nur auf mich selbst.
Die Frage, ob es eine Religion gibt, die sich nur auf den religiösen Menschen selbst erstreckt, ist hier auch nicht entscheidend, da es nicht um solche Religionen geht, sondern um solche, in denen es als göttliches Recht gilt „du sollst deinen Sohn beschneiden“.

irreversibel

Ist natürlich das Problem, ja.

unerträglich verharmlosend

Wenn Du das nicht näher erklären kannst, hast Du und hat das Gericht den Streit eben verloren.

Um was in aller Welt ist denn ein beschnittener Penis schlechter als ein unbeschnittener, und dies kann sowohl beim religiösen als auch beim nichtreligiösen Menschen gleichwertig sein.

Wie wäre es

Natürlich lassen gewisse Negerstämme ihren Kindern einen Teller in die Lippen einoperieren, oder gewisse Indianer machen ihnen Frisuren, die sie jahrelang nicht loswerden, sowie Tattoos, Nasenringe etc. pp. und vieles aus religiösem Grund.

Das Problem ist, dass meine Lippen den Teller nicht tragen können, weil sie von früher Jugend an nicht daran gewöhnt wurden.
Soll ich nun meine Eltern verklagen, weil sie mir als kleinem Kind keinen solchen Teller hereinoperierten? Denn nun kann ich bei diesen lieben afrikanischen Freunden nicht mehr so gut integriert werden, ich werde sozial sehr tief stehen. Ein glasklarer Schaden ist mir das!

Also: Meinst Du im Ernst, das Gericht müsste mir hier gegen meine Eltern Recht geben?

Gruss,
Mike

Hallo Harald,

Die Religionsfreiheit der Eltern wird nicht berührt.

so ein Unsinn!
Wenn der Staat mich daran hindert, Gottes Geboten zu
gehorchen, geht es um meine Religionsfreiheit.

Quatsch.
Der Staat kann und will nicht prüfen, ob hier oder sonstwo
„Gottes Gebote“ zu erfüllen sind oder ob Gott überhaupt IST.
Diese Darstellungen des Religionsausübenden wie „das gebietet
mir Gott“ oder das „verlangt meine Religion“ oder das „gebietet
mir mein (religiöses) Gewissen“ ist nie etwas worüber der
Gesetzgeber oder der administrative Staat zu befinden haben.
Der Staat schützt die freie Religionsausübung (Bekenntnis und
rituelle Ausübung) soweit es nicht in die Rechte anderer eingreift.
Konkret hindert der Staat die Eltern daran, in das Recht des
Kindes auf körperliche Unversehrtheit ohne Not einzugreifen.
Würde der Staat darüber befinden was „Gott“ oder die Religion will,
dann würde er in die Religionsfreiheit eingreifen, er würde dann
irgend einer Religion (Konfession) den Vorrang geben müssen.
Du bist Christ (nehme ich mal an). Du und ich, wir haben sehr
verschiedene Ansichten darüber (nach meinen Erfahrungen hier im
Brett) was Gott will.
Oder Beispiel extrem:
Die einen meinen Gott gebietet einen „Sünder“ zu steinigen, die
anderen sind der Überzeugung das Gott gebietet dem Sünder zu verzeihen.
Wirklich extrem ?
Die Gegenseitige Bekämpfung von Religionsgruppen z.Bsp.innerhalb
des Islams zeigen, daß dies teils Realität ist.
Wessen Religionsausübung hat der Staat dort zu schützen ?
Gruß VIKTOR

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Hallo VIKTOR,

aber wenn ich es als besser anschaue, jemandem zu verzeihen statt ihn zu steinigen, dann ist das im Kern eben eine religiöse Aussage.

Die religiöse „Neutralität“ ist etwas, das nicht existiert. Das Nichteingreifen oder Nichtvorschreiben der einen Lebensweise begünstigt eine andere, ja es zwingt sogar zu einer anderen. Es ist zum Beispiel ein Etikettenschwindel, wenn wir so tun, als wäre die Verzeihung als Wert (wie in Joh 8) nicht aus dem Christentum gekommen.

Gruss,
Mike

Hallo Mike,

aber wenn ich es als besser anschaue, jemandem zu verzeihen
statt ihn zu steinigen, dann ist das im Kern eben eine
religiöse Aussage.

also manchmal weiß man bei Dir wirklich nicht, ob Du überhaupt
auf irgendwas reflektierst oder ob Du nur Dein Statement los werden
willst.
Natürlich ist beides in Religionen verankert, aber der Rechtsstaat
hat nicht darüber zu befinden welcher religiösen Sicht als solcher
er den Vorzug gibt.

Die religiöse „Neutralität“ ist etwas, das nicht existiert.
Das Nichteingreifen oder Nichtvorschreiben der einen
Lebensweise begünstigt eine andere, ja es zwingt sogar zu
einer anderen. Es ist zum Beispiel ein Etikettenschwindel,
wenn wir so tun, als wäre die Verzeihung als Wert (wie in Joh
8) nicht aus dem Christentum gekommen.

Erstens stimmt letzterer Satz nicht (Jesus hat dies nur forciert
und als Voraussetzung für Vergebung eigener Sünden (Schuld)
präsentiert) und zweitens - was willst Du mit dem letzten obigen
Abschnitt begründen ?

Gruß VIKTOR

Hallo VIKTOR,

Erstens stimmt letzterer Satz nicht

Natürlich stimmt er. Jesus hat die drei Merkmale vereinigt:

  1. Ehebruch ist eine Sünde
  2. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein - urteilt nicht
  3. Ehebruch bleibt eine Sünde (gehe hin und sündige nicht mehr).

Das ist geistesgeschichtlich einmalig.

was willst Du mit dem letzten obigen Abschnitt begründen

dass religiöse Neutralität nicht existiert, ebensowenig wie staatliche „Neutralität“. Die scheinbare Neutralität von Grundgesetz und Justiz ist eine Chimäre, aufgebaut auf einer blossen Distanz, welche man früher zurecht als „Blindheit der Justitia“ brandmarkte.

Guck doch einmal Darstellungen der „Gerechtigkeit“ an, wie man sie in der Antike, im Mittelalter oder zur Barockzeit zeichnete oder auf Statuen ausstellte.

Die Justitia hat ein Schwert - Macht, Durchsetzungsfähigkeit -, eine Waage - Entscheidungsfindung, Bemühung um Gerechtigkeit, Anspruch der Sorgfalt - und schliesslich eine Binde vor den Augen.

Diese Binde ist’s, welche das Gericht in unserem Fall vernachlässigt, und deren Negation zugleich unseren Zeitgeist kennzeichnet.

Meine Behauptung ist schlicht, dass diese Binde vorhanden ist. Eine totale weltanschauliche Neutralität gibt es nirgends, es gibt allenfalls eine gewisse Distanz oder Zurückhaltung relativ zu zwei oder mehreren anderen Weltanschauungen, aber das entbindet doch nicht davon, zur eigenen zu stehen, geschweige denn davon, einzugestehen, dass man - gewollt oder ungewollt - eine hat. Wenn man aber eine hat, dann hat sie eine Qualität, und diese darf und muss untersucht werden können, ansonsten läuft man Gefahr, dass diese Qualität heimlich schlecht ist.

Gruss,
Mike

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Hallo,

Folgender Aspekt fehlt mir,

der fehlt nicht, das ist die Erziehungsfreiheit.
Benvolio erläutert ja schon etwas länger, du hättest mehr lesen sollen.

weswegen meine Meinung im Ergebnis
eine andere ist:

Ja. Die Körperverletzung lässt du ja geflissentlich außen vor.

Beispielsweise wird kaum einer Mühe haben, wenn dem Kind die
Haare und Nägel geschnitten werden,
umso weniger aber, wenn
die Eltern es tun bzw. in Auftrag geben.

Also muss die Grösse und das Gewicht eines Eingriffes wie der
Beschneidung ins Verhältnis zu den Rechten und Pflichten von
Eltern gegenüber ihrem Kind gesetzt werden. Dort drückt der
Schuh.

Wenn dich der Schuh an der Unterscheidung zwischen den o.g. Körperpflegemaßnahmen und einer Beschneidung drückt, empfehle ich Folgendes:
Wenn du das nächste mal Nägel schneiden oder zum Frisör willst, lass es! Gib stattdessen irgendwem ein Messer in die Hand und lass dir, ohne Betäubung, die Vorhaut wegschneiden. (Du darfst ein wenig dabei beten.)
Danach kennst du den Unterschied sehr gut und wir können weiter diskutieren.

Jo

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Hallo JoCor,

Erziehungsfreiheit

Es geht um die Religionsfreiheit der Eltern. Die Mär, dass „meine Freiheit an der Freiheit des andern ihre Grenze“ habe, ist

  • weder in Bezug auf Religion (insofern als diese sich auf das Absolute beziehen kann)
  • noch in Bezug auf eine Eltern-Kind-Beziehung adäquat.
    Denn wenn ich auf den Mitmenschen Kind als Eltern keinen Einfluss nehme, ich meine überhaupt keinen, dann geht doch das Kind schlicht und einfach zugrunde. Ist es etwa nicht Inhalt eines Religionsbegriffes, dass jemand der festen Meinung sein kann, ohne gewisse Handlungen nehme das Kind seelischen Schaden? Also ist es eine Einschränkung der Religion der Eltern, wenn sie hier nicht in ihrem Sinn handeln dürfen.

ohne Betäubung

Tut hier nicht das Entscheidende zur Sache.
Nach dauernder und allgemein anerkannter Rechtsprechung im gesamten deutschsprachigen Raum gilt das Abschneiden der Haare gegen den Willen des Opfers als Körperverletzung.

Gruss,
Mike

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…das mit der Blindheit und der Binde hast du auch nicht ganz verstanden.

Es geht um die Religionsfreiheit der Eltern.

Du hattest bei Benvolio angemerkt, es fehle etwas. Ich habe darauf hingewiesen, dass dies unter das Erziehungsrecht der Eltern fällt, Du bestätigst das im folgenden:

  • noch in Bezug auf eine Eltern-Kind-Beziehung adäquat.
    Denn wenn ich auf den Mitmenschen Kind als Eltern keinen
    Einfluss nehme, ich meine überhaupt keinen, dann geht doch das
    Kind schlicht und einfach zugrunde.

Ist es etwa nicht Inhalt
eines Religionsbegriffes, dass jemand der festen Meinung sein
kann, ohne gewisse Handlungen nehme das Kind seelischen
Schaden? Also ist es eine Einschränkung der Religion der
Eltern, wenn sie hier nicht in ihrem Sinn handeln dürfen.

Ja, das ist es. Darüber reden wir hier seit Tagen.

ohne Betäubung

Tut hier nicht das Entscheidende zur Sache.

Du wirst bei deinem Selbstversuch feststellen, dass es sehr viel zur Sache tut. Für dich u.U. sogar das Entscheidende.

Nach dauernder und allgemein anerkannter Rechtsprechung im
gesamten deutschsprachigen Raum gilt das Abschneiden der Haare
gegen den Willen des Opfers als Körperverletzung.

Hier hatte ich doch einen Tipp für dich, wie du unterscheiden lernst, ob es tatsächlich keinen Unterschied gibt.
Als Richter muss man sowas unterscheiden und abwägen können und die tun das auch. Für dich gilt mein Tipp, um es zu lernen.

Die Mär, dass
„meine Freiheit an der Freiheit des andern ihre Grenze“ habe,
ist

  • weder in Bezug auf Religion (insofern als diese sich auf das
    Absolute beziehen kann)
  • noch in Bezug auf eine Eltern-Kind-Beziehung adäquat.

Danke. Die perfekte Begründung dafür, warum der Verfassungschutz nicht nur Islamisten, sondern auch solche Katholiban überwachen sollte - und auch die Jugendämter ein Auge auf christlich-fundamentalistische Eltern haben sollten.

I didn’t expect the spanisch inquisition …

6 Like

wenn du’s noch nicht hast, hier verlinke ich dir das Urteil:

http://adam1cor.files.wordpress.com/2012/06/151-ns-1…

LG

Jo

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Wenn Euch die Argumente endgültig ausgehen…
…gratuliere ich doch zum Beifall, den sich der Zeitgeist in den Medien erschlichen hat. Ja, und da passen dann auch die Monty Python-Klischees bestens. In diesem Sinne lieblingsfeindschaftlich-süsse Grüsse,

Mike the Grossinqisitor mit den Daumenschrauben.

Hi Mike.

Wenn man aber eine hat, dann hat sie
eine Qualität, und diese darf und muss untersucht werden
können, ansonsten läuft man Gefahr, dass diese Qualität
heimlich schlecht ist.

Ja genau. Wer tut das dann nach deiner Meinung nicht aufrichtig?:smile:

Gruss,
Mike

Balázs

Hallo JoCor,

gibt’s dazu eine vernünftig nachvollziehbare Erklärung?

Mit gespanntem Gruss,
Bernard Gui