Was vom EXPRESS-Artikel zu halten ist!
Gewaltkrimininalität ist wirklich nicht romantisch. Nicht nur
in Köln nimmt sie zu, sondern in anderen deutschen Großstäden:
Frankfurt, Hamburg, Berlin.
Niemand hält dies für romantisch. Der Begriff bezog sich auf Dein geäussertes „Sozialromantiker“. Wenn wir schon dabei sind, können wir uns auch gerne neben der Gewalt- über die Wirtschaftskriminalität resp. Kapitalflucht unterhalten. Die nimmt ebenfalls zu - aber dieses Thema wäre wohl zu „sozialromantisch“.
Die Aussage, daß die Zahlen der amtlichen
Kriminalitätsstatistik „noch so falsch seien“, ist dummdreist.
Infotalk, ich habe keine Lust, jeweils Deine Aussagen zu korrigieren, nur weil Du sie willkürlich so interpretierst, wie sie Dir ins Argument passen. Denn ich habe weder Gewaltkriminalität als romantisch noch die Zahlen der Kriminalitätsstatistik als noch so falsch bezeichnet. Ich weiss nicht, ob Deine Interpretation der Sätze anderer dumm ist, dreist ist sie auf alle Fälle!
Der EXPRESS erscheint mir als Diskussionsgrundlage ungeeignet. Ich kenne ihn zum Glück so gut wie nicht, denn die Sprache und die Aussagen sind ganz übler Boulevardstil. Was sind beispielsweise Schockzahlen: geschockte Zahlen, oder meinten die Schreiber eher schockierende Zahlen?
Oder weshalb ist von „Klau-Haupstadt Köln“ die Rede, und ohne jeglichen Hinweis, Bezug oder Erklärung werden „die organisierten Banden aus dem Balkan“ genannt, die im nächsten Absatz zudem als Klientel der „explosionsartigen Zahlen“ bei Wohnungseinbrüchen dienen müssen. (Die Nationalzeitung hätte ihre Freude an solch einer Hetze.)
Oder in der Bildunterschrift wird behauptet: „Alte Menschen trifft es häufig bei Gewalttaten und Körperverletzung“, während im Artikel lediglich von „3020 Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung“ und „eine Steigerung von 28,07 (!) Prozent“ geschrieben wird. (Wo sind darin die alten Menschen geblieben, die der EXPRESS eben noch hervorhob?)
Und was soll mir gleich der nächste Satz sagen - „Viele, die überfallen wurden, sind auch gleich noch in die Klinik geprügelt worden.“ -, der ebenfalls ohne Erklärung bleibt: dass die Tat als Überfall und Körperverletzung gezählt wird und so zweifach in die Statistik einfliesst?
Und wer oder was sind Klau-Kids bzw. - man konnte sich auf eine einheitliche Schreibung wohl nicht einigen - Klaukids, durch die „der Betrug mittels gestohlenen EC-Karten“ sprunghaft auf „6044 Fälle, eine Zunahme von 13,29 Prozent“, gestiegen ist? Diese Kids sind also allesamt für die 6044 Fälle verantwortlich?
Schaut man sich statt dieses Blattes die Kölnische Rundschau an, so relativiert sich zumindest ein wenig, weil Erklärungen mehr Platz eingeräumt wird: http://www.rundschau-online.de/kr/page.jsp?ksArtikel…
Zu einer weiteren Aussage des EXPRESS, dass „immer mehr ermittelte Straftäter“ Kinder und Jugendliche sind, empfehle ich - aber nicht nur deshalb - den vorzüglichen Artikel „Gewalt nur eine Frage der Statistik?“ von Dietmar Pieper http://www.dhmd.de/forum-wissenschaft/gewalt/refpiep…
In Berlin ist es im letzten Jahr zu 3300
(dreitausenddreihundert) Übergriffen auf Polizeibeamte
gekommen, die meisten davon in den multikulturellen Vierteln,
in denen viele Bewohner entschlossen sind, die Gesetze der
Bundesrepublik Deutschland nicht zu akzeptieren.
- Wer macht die Gesetze?
- Warum sind die Gesetze so und nicht anders?
- Es gibt auch Übergriffe von Polizeibeamten gegenüber Bürgern, etwa die konzertierte Aktion gegen den Journalisten Oliver Ness, der zuvor über die Gewalttaten Hamburger Polizisten berichtet hatte. Warum werden polizeilichen Übergriffen, sieht man von besonders drastischen Fällen ab, nicht ebenso besonders hervorgehoben?
- Ich kenne, wenn auch nicht persönlich, eine Reihe von Politikern, die sich nicht einmal ihre selbstgeschaffenen Gesetze akzeptieren, etwa Kohl, ja die sogar - anscheinend unwissentlich oder schon längst für rechtens haltend - in Talkshows ihr Vergehen zugeben, etwa Trittin.
(5. Vielleicht meintest Du Bundes- und Landtage, als Du von multikulturellen Vierteln sprachst?)
Ich habe eben einmal die PKS der Stadt Köln (Polizeiliche Kriminalstatistik; http://www.polizei.nrw.de/koeln/aktuelles/PKSJahresb…) aufgerufen. Selbst in dieser PKS werden einleitend die genannten Zahlen relativiert. Etwa: „Veränderungen aufgrund neuer Kriminalitätsformen, politischer Entwicklungen, Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, Thematisierung bestimmter Deliktsbereiche in den Medien, Änderungen gesetzlicher Grundlagen, wie z.B. das Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetztes (Häusliche Gewalt) im Jahr 2002, wirken sich auf die erfassten Straftaten aus.“ Oder: „Kontrolldelikte, wie z.B. die Rauschgiftdelikte, deren bekannt werden maß-geblich von polizeilichen Aktivitäten abhängt, beeinflussen die Statistik.“ Oder: „Der Einfluss verschiedener, variabler Faktoren bestimmt somit nicht unerheblich die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik, die dementsprechend kein absolutes Bild der Kriminalität widerspiegelt, sondern nur die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten darstellt. Ein besonders auffälliger Anstieg oder Rückgang an Fallzahlen kann auch auf die Erfassung von Sammelverfahren zurückzuführen sein. Im Einzelfall wird darauf gesondert hingewiesen.“ Oder: „Eine Differenzierung von versuchten und vollendeten Delikten wurde bei den dargestellten Fallzahlen nicht vorgenommen.“
Doch damit nicht genug. Schaut man sich die Fallzahlen an, so ergibt sich eher ein anderes Bild, was aber die Hetze des EXPRESS - von der Du Dich ja auch hast beeindrucken lassen - nicht ganz stützt. So ergab sich zwar lt. PKS eine Steigerung der gefährliche und schweren Körperverletzung von 2.358 auf 3.020 Fälle, also die besagten 28,07 Prozent, die durch Ausrufezeichen besonders hervorgehoben wurden, aber:
- Vergewaltigungen haben um 15,22 %
- sexueller Missbrauch von Kinder haben um 34,88 %
- Menschenhandel hat um 18,18 %
abgenommen! (Den geneigten Lesern sei allerdings gesagt, dass es so eine Sache mit diesen Prozentzahlen aufgrund relativ kleiner Zahlen ist. Wenn es beispielsweise bei einem Delikt vor zwei Jahren 30 und vor einem Jahr 33 Geschädigte gab, bedeutet dies bereits eine Steigerung um 10 Prozent.)
Auch die im EXPRESS-Artikel kritisierte Aufklärungsquote hält zumindest der PKS nicht stand. Abgesehen davon, dass es es im Bereich der vorsätzlichen, leichten Körperverletzung eine geänderte Bearbeitungspraxis gibt (vereinfacht ausgedrückt: früher wurden Privatklagedelikte wie leichter Körperverletzung, Bedrohung, Hausfriedensbruch und Beleidigung dem Schiedsmann übergeben, jetzt wird gleich eine Strafanzeige aufgesetzt), wodurch diese Zahl um gigantische 63,30 % bzw. 2.039 Fälle - die dann natürlich in die Statistik einfliessen - anstieg, hat sich die Aufklärungsquote bei Fällen von Straftaten gegen das Leben (96,77 %), Gewaltdelikten (63,34 %) oder Körperverletzungsdelikten (82,81 %) erhöht bzw. ist gleichgeblieben.
Nun finden sich auch die Alten wieder, die der EXPRESS hervorhob. Unter Punkt 3.4 „Kriminalitätsopfer“ ist zu lesen: „Die Anzahl der im Jahr 2002 erfassten 10.901 Opfer wurde im Jahr 2003 mit 14.374 Opfern deutlich übertroffen. Hier wirken sich die gestiegenen Fallzahlen bei den Privatklagedelikten aus. Auch der Anstieg bei den ‚Senioren‘ als Opfer ist auf die gestiegene Zahl von erfassten Privatklagedelikten zurückzuführen.“ Besonders ist aber einer der nächsten Sätze zu erwähnen: „Während die Jugendlichen und Heranwachsenden deutlich häufiger Opfer von Straftaten werden als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht, ist für ältere Menschen entgegen ihrem subjektiven Sicherheitsgefühl die Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden, weitaus geringer.“
Noch ein letzter Punkt zum EXPRESS-Artikel, den ich oben schon erwähnte. Das Blatt schreibt: „Auch der Betrug mittels gestohlenen EC-Karten durch Klau-Kids stieg sprunghaft an: 6044 Fälle, eine Zunahme von 13,29 Prozent.“ Zwar weiss ich nicht, wie das Kölner Boulevardblatt „Klau-Kids“ definiert, aber damit dürften wohl eher Diebstähle und Betrügereien im Altersfeld der Jugendlichen gemeint sein. Wie auch immer, in der PKS findet sich jedoch kein einziger Hinweis auf die obige Aussage des EXPRESS; weder ist von Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden noch Erwachsenen die Rede, sondern in einer Tabelle findet sich lediglich die 6.044 Fälle in der Zeile „Betrug mittels rechtswidrig erlangter Zahlungsmittel (EC- / Kreditkarten u.s.w.)“. Von "Klau-Kids keine Rede, also absichtlich eine falsche Behauptung aufgestellt. (Schade, dass sich solche „Journalesken“ nicht auch in einer Statistik wiederfinden; die jährlichen Steigerungsraten wären bestimmt phänomenal!)
So weit Auszüge aus der PKS von 2003. Nimmt man sich zudem die von 2002 (http://www.polizei.nrw.de/koeln/aktuelles/PKS2002.pdf) zur Hand, vergleicht sie gegeneinander, fliegt einmal über die Zahlen von oben nach unten und von unten nach oben, so stellt man fest, dass es gewaltige Prozentzahlensprünge allenthalben gibt. So stieg beispielsweise der eben genannte Betrug mit Scheck- und Kreditkarten um über 13 %, während in der gleichen Zeit Versicherungsbetrug und Leistungserschleichung um mehr als 63 % bzw. knapp 31 % sanken. In diesem Umfeld muss man dann auch die Zahl bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung von 28,07 % gesehen werden.
Dass es trotzdem Steigerungen bei schweren Körperverletzungen gibt, möchte ich nicht unbedingt bestreiten. Doch dazu bemühe ich weder Zeitungen oder Statistiken, sondern betrachte meine Umgebung. Nach meinem Gefühl sinkt stetig die Hemmschwelle, was mich angesichts dessen, was einem die Medien vorleben, nicht wundert. Es sind dieselben Medien, die anschliessend pauschalisieren und dramatisieren und damit die wahren Zustände verzerren.
Doch was soll mit diesen Pseudo-Schreckensnachrichten bewirkt werden: Rufe nach mehr Härte, nach mehr Überwachung, Polizei und was weiss ich noch?! Der leider schon so früh verstorbene Politkabarettist Matthias Beltz sagte einmal sinngemäss: „Wenn ich Husten habe, dann kann ich doch nicht sagen: der andere hat aber keinen Husten, das ist ungerecht! Ich muss mich doch mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, wie sie ist, und nicht, wie sie sein soll!“
Dementsprechend sind nicht ständig diese produzierten Schreckensnachrichten zu interpretieren, sondern es ist nach dem Warum für die Zustände zu fragen: Warum steigt Gewaltbereitschaft, warum sinkt die Hemmschwelle? Und wenn man es weiss, was ist dagegen zu tun? Seltsamerweise wird es bei diesem Fragen dann aber oft so merkwürdig still, weil es eben eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema erfordert und Interessen berühren würde, die man lieber unangetastet lässt. Also betreibt man lieber weiter Panikmache, weil die gut ankommt, sich gut verkauft und nicht nur preiswert, sondern billig ist. (Bezeichnend auch dafür, was Medien von ihrem Publikum halten!)
Marco
PS: Viel geschrieben, wenig korrigiert. Flüchtige Fehler bitte im Zuge der Zivilcourage selbst in Gewahrsam nehmen.