Lieber Karl-Jürgen!
erscheint der Satz der israelischen Parlamentspräsidentin
Dalia Izik:
Sie kritisierte Forderungen in Deutschland nach einem
„Schlussstrich“. „Es wird niemals genug sein“, betonte Izik.
Mir kommt das so vor, als betrachte Israel Deutschland nur als
Melkkuh
Wie sind Eure Meinungen zu diesem Thema?
Meine Meinung:
Brich doch einfach mal versuchsweise den Wiederholungszwang, all das, was eine Repräsentantin Israels so sagt, unmittelbar auf Deutschland zu beziehen. Ein erster Schritt dazu könnte bereits sein, das angegebene Zitat in seinem Kontext, und damit in seinen textuellen Verknüpfungen, zu lesen anstatt es isoliert zu betrachten:
Und dann beginnt die Präsidentin der Knesset ihre Rede: „Verehrte Kanzlerin, Israel empfängt Sie mit der Gastfreundschaft, die zu diesem Volk gehört seit unserem Urvater Abraham.“ Sie spricht eindrücklich vom „Schatten der Shoa“, in dem jeder Jude noch heute lebt. „Es gibt kein Genug, es gibt kein Vorbei. Dieser Schatten muss bei uns bleiben“, sagt sie. Ihr Land befinde sich auch heute in großer Gefahr, und es beruhige niemanden in Israel, wenn von anderen versichert werde, der Iran werde die Atombombe schon nicht bauen. Der Iran baue an der Bombe - gegen Israel. Um Israel zu vernichten. „Aus dem Haus der Überlebenden rufe ich Ihnen zu: Reichen Sie uns die Hand. Schweigen Sie nicht. Tun Sie was, Frau Merkel, weisen Sie uns nicht ab. Wenn Sie es nicht schaffen, schaffen wir es auch nicht,“ sagt sie. Und es ist so still, so erdrückend still in diesem riesigen Saal.
http://www.stern.de/politik/ausland/:Merkel-Israel-T…
Ich möchte mich nun nicht anmaßen, diese Auszüge aus Iziks Rede interpretieren zu wollen, aber auf drei Dinge möchte ich hinweisen, die man durchaus auch an umfangreicheren Textkorpora solcher Reden nachweisen könnte:
1) Natürlich wird in diesem Text die Erinnerung an den Holocaust beschworen, und es ist zweifellos eine normative Forderung, wenn es heißt: „dieser Schatten muss bei uns bleiben“, keine bloße Konstatierung, und natürlich ist diese Erinnerung auch Erinnerungs_politik_.
In dieser Erinnerungs_politik_ steht aber nicht mehr Deutschland im Zentrum (als Täter der Vergangenheit), sondern ganz offensichtlich der Iran (als potentieller Täter der Zukunft). Anders gesagt, dient die Erinnerung an den Holocaust erinnerungs_politisch_ nicht als Nachdruck für die Forderung irgendwelcher Zahlungen oder sonstiger Leistungen Deutschlands, wie es dein Melkkuh-Reflex nahelegt, sondern als Nachdruck bei der Bitte um Hilfe gegen die iranische Bedrohung, was durchaus etwas anderes ist.
2) Ich sehe in diesem Text kein Muster, von vermeintlich hoher Warte aus mit den Mitteln der Erinnerung an den Holocaust irgendetwas aus Deutschland rauszupressen, wie du es andeutest. Viel eher wird doch mit der unbestreitbaren Gemeinsamkeit dieser Holocaust-Erinnungs-Identität (eher aus der Position eines Bittstellers, denn aus der von einem, der Forderungen aufstellen könnte) so etwas wie eine deutsch-israelische Schicksalsgemeinschaft (gegen die iranische Bedrohung) erneut beschworen: Tun Sie was, Frau Merkel, weisen Sie uns nicht ab. Wenn Sie es nicht schaffen, schaffen wir es auch nicht.
Dass Frau Merkel als erste ausländische Regierungschefin in der Knesset sprechen durfte, ist ganz offensichtlich ein Ausdruck dieser Gemeinsamkeit, in keiner Weise fand dies nach dem Muster „Laden wir den Täter vor“ statt (ein Indiz dafür ist die -ganz anders als du es siehst- sehr hohe Anwesenheit der Angehörigen der Knesset im Gegensatz etwa zu den früheren Besuchen Raus oder Köhlers.)
3) Und ich finde auch nicht, dass „Deutschland“ die eigentliche Adresse dieser Rede ist. Deutschland ist lediglich die Zustellanschrift, um im Bild zu bleiben: Zuvor hatte die israelische Parlamentspräsidentin Dalia Izik Merkel dazu aufgefordert, sich bei Bemühungen gegen eine atomare Bewaffnung des Irans „an die Spitze des europäischen Lagers“ zu stellen.
http://www.handelsblatt.com/News/Politik/Internation…
Allein schon durch diese explizite Einbettung Deutschlands in Europa wird das Muster „Holocaust-Täter-Deutschland“ gerade nicht bedient. Es kommt kein „Werden Sie Ihrer Schuld gerecht, es ist nie genug!“, wie du es offensichtlich verstehst, sondern ein „Frau Merkel, weisen Sie uns nicht ab.“
Das alles sind Merkmale, die zeigen, dass die Holocaust-Erinnerungs_politik_ heute eine andere Logik besitzt als zu früheren Zeiten. Diese andere Logik lässt sich meines Erachtens mit dem Deutungsmuster „Melkkuh Deutschland“ ganz sicher nicht mehr erfassen, wenn sich damit denn je irgendwas erfassen ließ.
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €
Sage mir, wie du liest und ich sage dir, wer du bist.
(C. de La Gorçe)_