Moin,
Nachteile, Vorteile? Ich denke, dass es Israel einigermaßen
egal wäre, ob das Gebilde an seiner Seite, welches eine eigene
Flagge und eine Nationalhymne, Briefmarken und
Sicherheitskräfte, einen Sitz in der Uno und Bündnisse mit
arabischen Staaten, einen Präsidenten und ein Parlament
besitzt, ob dieses Gebilde nun noch den kleinen Schritt zur
formalen Unabhängigkeit geht oder nicht.
Das sehe ich anders, aber das ist dennoch hier nicht die Frage. Auf die Meinung, es wäre egal könnte ich dir jede Menge Nachteile für Israel nennen. Die Frage war aber, welche Vorteile würden sich für Israel durch einen Staat Palästina ergeben.
- Sicherheit
Zweifellos hast du Recht, dass eine Einigung mit den
Palästinensern keine Garantie brächte, Selbstmordanschläge und
Raketenangriffe würden umgehend aufhören. Wahrscheinlich wäre
kurzfristig das Gegenteil der Fall. Aber ein effektives und
engagiertes Eingreifen palästinensischer Polizeibehörden und
deren Zusammenarbeit mit israelischen Stellen, gepaart mit dem
langsamen Verschwinden des Sympathisantennetzes in der
Bevölkerung würde dem Terror auf lange Sicht viel wirksamer
den Garaus machen.
Als es Arafat noch gab, hätte ich vielleicht auch so geantwort. Arafat war eine charismatische Figur. Ihm hätte ich es zugetraut, die Palästinenser in diesem Punkt zu einen und vielleicht tatsächlich mit relativ kleinen extremen Splittergruppen im Laufe der Zeit fertig zu werden. Aber wie sieht es denn jetzt tatsächlich aus? „Die Palästinenser“ zefallen in eine Vielzahl von Splittergruppen, die alle ihr eigenes Süppchen kochen. Das reicht von „Gründen wir einen Staat Palästina und leben friedlich mit den Israelis Seite an Seite“ bis hin zu „Zerstört Israel, koste es was es wolle“. Zur Zeiten Arafats ging es tatsächlich primär um eine Staatsgründung. Mittlerweile haben andere Interessen (wie beispielsweise religiöse Gesichtspunkte) in Palästina riesigen Auftrieb erhalten. Ob man diese Gruppen noch mit einer Staatsgründung zufriedenstellen könnte? Würdest du einer Hamas-Mehrheitsregierung in diesem Punkt trauen?
Den Israelis geht es ziemlich gut. Es gibt nichts, was ihnen einen Vorteil bei der Gründung eines Staates Palästina bringen würde, das einzige, was ihnen fehlt, ist Frieden, und genau das wird ihnen keine Palästinensische Regierung gerantieren können (selbst wenn sie es wollte).
- Wirtschaft
Vor der 2. Intifada arbeiteten in Israel 140.000
palästinensische Gastarbeiter. Heute holt sich Israel seine
Gastarbeiter von weither, den Philippinen etwa, mit den auch
von hier bekannten sozialen Problemen. Die Rückkehr zu
palästinensischen Arbeitern, die nach Israel pendeln, brächte
hier einige Vorteile (nur nicht den Philippinos.)
Wie du selbst sagst, diese Arbeitspendler gab es auch bereits vorher. Es gibt keinen Grund, dass diese nicht wiederkämen, auch wenn man keinen Staat Palästina in der Zwischenzeit gründet.
Israel würde sich mit dem Abbau von Handelshemmnissen zu
Palästina einen Markt für seine Produkte erschließen und ein
Reservoir an preiswerten, aber relativ gut ausgebildeten
Zulieferern. Es braucht nicht viel Phantasie, Israel einen
Aufschwung zu prophezeien, den Deutschland nach der
Grenzöffnung erlangt.
Warum ist es deiner Meinung nach erforderlich, einen Staat Palästina zu gründen, um Handelshemmnisse abzubauen? Dies wäre in meinen Augen sogar kontraproduktiv. Solange die Israels in den besetzten Gebieten das Sagen haben, können sie schließlich selbst bestimmen, mit wem, in welchem Umfang und zu welchen Konditionen sie mit den Palästinensern Handel treiben und wirtschaftlich zusammenarbeiten wollen.
- Außenpolitisch
Israel würde nicht mehr im automatischen Gegensatz mit den
arabischen Staaten stehen.
Israel hat sich faktisch mit den meisten arabischen Staaten bestens arangiert. Selbst eine Bombadierung des Südlibanon mit unzähligen Todesopfern und Zerstörung von Land und Infrastruktur hat den arabischen Staaten kaum mehr als einen Protest abgerungen. Bei den Staaten, die Israel nach wie vor feindlich gegenüber stehen, sehe ich andere Gründe, als ausgerechnet die Verweigerung der Anerkennung Palästinas durch Israel.
Dies könnte zum einen
wirtschaftliche Vorteile bieten, die Hightech-Industrie
Israels könnte trefflich zu den zahlungskräftigen Abnehmern in
den Golfstaaten passen, aber auch sicherheitspolitisch würde
Israel gewinnen. Und schon mit Ägypten hat Israel gezeigt,
dass es bereit ist, Territorien aufzugeben, wenn ein
vernünftiges Nebeneinander möglich scheint.
Im Gegensatz zu den Palästinensern verfügt Ägypten auch über eine Armee. Hätte Israel den Sinai nicht geräumt, hätte Ägypten zumindest versucht, sich diesen über kurz oder lang mit militärischen Mitteln zurückzuholen. Offenbar maß am in Israel dem Sinai nicht diese politische Bedeutung zu, wie im Gegensatz dazu berechtigterweise den Golanhöhen.
Rein materiell war
das Camp-David-Abkommen ein Draufzahlgeschäft.
In welcher Form hat Israel denn hier deiner Meinung nach materiell draufgezahlt? Da bin ich echt mal gespannt.
- Innenpolitisch
Hier wird es zweischneidig. Radikalere Kreise, die auf ein
Eretz Israel in den Grenzen von König David bestehen, werden
gegen eine dauerhafte Aufgabe von Territorien im
Westjordanland, manifestiert durch Verträge und eine
Staatsgründung heftig opponieren. Die gemäßigte
Bevölkerungsmehrheit in Israel steht diesen Radikalen aber
durchaus kritisch gegenüber und, wie ich mir vorstellen
könnte, würde die Definition einer Grenze, bis hierher wird
gesiedelt und nicht weiter, begrüßen. Denn auch der
israelischen gemäßigten Mehrheit tanzen die Radikalen auf der
Nase herum.
Egal aus welchen Gründen die radikalen in Israel soviel Einfluss haben (schließlich sitzen und saßen einge der schlimmsten Exemplare sogar in der Regierung), tatsache ist, dass sich die Israelis hier innenpolitisch nur Äger einhandeln können. Wo siehst du also den innenpolitischen Vorteil für Israel bei einem Staat Palästina?
Genau darum dreht es sich doch. Du musst dem israelischen Wähler irgend einen Vorteil einhandeln, wenn du ihm andererseits Nachteile schmackhaft machen musst. Das einzige, was dem israelischen Wähler aber tatsächlich fehlt, ist Frieden. Jeder, der den Israelis „Frieden“ verspricht, wenn diese einer Staatsgründung Palästinas zustimmen sollen, ist politisch erledigt, sobald der erste fanatische Palästinenser einen Anschlag durchgeführt. Das weiß auch jeder israelische Politiker.
Gruß
Marion