Zwickmühle
Hi Tanja,
ich weiss nicht mehr weiter und bin nervlich mittlerweile
total am Ende.
Im Grunde müsste meine Mum dir antworten, denn sie hat mit mir 1:1 das gleiche mitgemacht, wie du mit deiner Tochter.
Aber vielleicht kann ich dir helfen, dass du deine Tochter ein wenig besser verstehst.
Ich habe eine 11 jährige Tochter, die in die 5. Klasse eines
Gymnasiums in Bayern geht.
In der Grundschule war meine Tochter eine gute Schülerin und
im Übertrittszeugnis bekam sie die uneingeschränkte
Gymnasialeignung bestätigt.
In der Grundschule fiel deiner Tochter alles in den Schoß, sie musste weder für das Diktat noch für die Aufsätze lernen. Vokabeln abfragen hat ihr Spaß gemacht und sie hat oft mit ihrem Wissen geprotzt. Auch die anderen haben immer gesagt, wie schlau sie ist.
Die ersten beiden Monate auf dem Gymnasium waren sehr ruhig.
Ich wunderte mich nur, dass die ehemaligen Klassenkameraden
meiner Tochter, welche auf anderen Gymnasien waren, bereits
einige Schulaufgaben geschrieben hatten, meine Tochter jedoch
nicht. Was ich natürlich damals noch nicht wusste war, dass
mich meine Tochter anlog und mir einiges verheimlichte. Z.B.
Hatte sie in den ersten beiden Schulaufgaben eine 5 und eine 6
geschrieben, meine Unterschriften hatte sie gefälscht.
Mitteilungen an mich aus der Schule hat sie verschwinden
lassen, bzw. abgefangen. Erst durch einen Anruf der
Mathelehrerin im Oktober erfuhr ich was los war.
Das fand bei mir erst später statt. Da deine Tochter jetzt schon zu Lügen und Fälschungen bereit ist, heißt es, schnell handeln!.
Natürlich
stellte ich meine Tochter sofort zur Rede und sie beichtete
alles, dass sie für die Schulaufgaben nicht gelernt hatte. Sie
dachte das würde so weiterlaufen wie in der Grundschule, nix
tun und trotzdem gute Noten.
Genau so! Deine Tochter war sehr zuversichtlich, weil sie wusste, was sie kann- sie hat es auch oft genug zu hören bekommen.
Doch dann stellt sie fest, dass all die anderen Kinder entweder genau soviel wissen wie sie, oder -viel schlimmer-, mehr!
Nachdem ich damals merkte, dass die anderen Kinder die Zusammenhänge schneller begreifen als ich und die Aufgaben schneller bearbeiten als ich, war ich am Boden zerstört.
Ich hatte keinen Grund mehr, mich anzustrengen, ich war eh zu langsam.
Sie versprach mir also in Zukunft
zu lernen. Das hielt dann allerdings nur ein paar Wochen an.
Immer wieder kamen 5en und 6en. Diesmal sagte meine Tochter,
dass ihr der Stoff zu schwer sei, aber sie heulte rum, dass
sie auf keinen Fall auf die Realschule wolle und sich besser
anstrengen werde.
Sich jetzt noch die Blöße zu geben, die „beste Schule“ zu verlassen und zu „den anderen“ zu gehen, kam gar nicht in Frage.
Ich wollte es doch schaffen und beweisen, dass ich diese Schule packe.
-Aber ohne was dafür zu tun.
Im Halbjahreszeugnis natürlich dann
„Versetzung sehr stark gefährdet“, aber sie versprach mir,
sich im 2. Halbjahr mehr anzustrengen, wenigstens in den
Lernfächern wie Bio und Geographie, aber seit dem
Halbjahreszeugnis wieder nur 6er.
Der Anschluss ist ihr schon lange verloren gegangen. Ihr fehlen schon die anfänglichen Zusammenhänge und es ist für sie im Grunde nur noch ein Hinterherlaufen, um mitzukommen.
Ich bin ja nicht in der Schule dabei, ich weiss nicht, wann
eine Ex ansteht, aber komischerweise bekommen die anderen Kids
immer die versteckten Hinweise der Lehrer mit, wann eine Ex
geschrieben wird. In letzter Zeit habe ich auch beobachtet,
dass sie nur so tut, als ob sie lernt. Komme ich in ihr Zimmer
schlägt sie schnell die Bücher auf.
Sie blockt mit Absicht. Die anderen kriegen das schon mit und dann frag ich die einfach. Kommt dann die letzte Möglichkeit zu fragen, ist es peinlich, weil dann so Sprüche kommen wie „Hast du schon wieder nicht aufgepasst?!“
Wie sieht es mit Freunden aus in der Klasse/Schule? Wie ist der „soziale Umgang“ so?
Ich hab es gehasst, mit den „guten Schülern“ zusammen zu sein, weil ich mir von denen nichts sagen lassen wollte, also hab ich mit den „coolen Kids“ rumgehangen, die aber nicht viel auf’s Lernen gegeben haben.
Wir hatten jetzt dieses Wochenende ein Gespräch, aber wenn man
sie darauf anspricht, bockt sie und macht total zu. Heute dann
kam der Satz „Ich hab keine Lust zu lernen“.
Am Anfang des Schuljahres hatte sie ja immer versprochen, dass
sie sich ändern wird, in Zukunft mehr lernt, weil sie ja
unbedingt auf dem Gym. bleiben will und keinesfalls auf die
Realschule will.
Mittlerweile will sie unbedingt vom Gymnasium runter und
unbedingt auf die Realschule wechseln am Ende des Schuljahres.
Aber mal ehrlich, wenn sie auf der Realschule auch keine Lust
hat zu lernen, was bringt das dann? Aber auf die Hauptschule
will sie ja auf keinen Fall.
Das ist jetzt der wichtigste Tipp von mir für dich und deine Tochter:
Dass sie bereit ist, die „super Schule“ zu verlassen, ist ihr sehr hoch anzurechnen.
Ich hab es nie geschafft, wollte bei den Leuten bleiben, weil alles bekannt war. Ich hatte Angst, irgendwo neu zu sein.
Ich bin 2x sitzen geblieben und hab das Gymnasium trotzdem nicht verlassen. Am Ende hab ich mich durchgequält und ein schlechtes Abi gemacht. Zudem bin ich auch noch älter als alle anderen Abgänger gewesen und habe nun den Ärger (meine Postings sind hier überall verteilt )und die Schule in echt schlechter Erinnerung behalten.
Lieber ein guter Realschulabschluss als ein schlechtes Abitur!!
Ich würde alles für mein Kind tun, ich habe ihr alle Chancen
der Welt eröffnet, sie gefördert und alles. Sowohl ihre alte
Klassleiterin aus der Grundschule, ihre Klassleitung auf dem
Gym., und sogar der Hauptschulrektor der Hauptschule unserers
Schulsprengels haben auf sie eingeredet, ihr die Konsequenzen
ihrer Lernverweigerung aufgezeigt, aber sie hat einfach keinen
Willen zu lernen und das bereitet mir schlaflose Nächte. Was
soll denn aus ihr werden? Über kurz oder lang landet sie auf
der Hauptschule mit minimalen Chancen auf einen
Ausbildungsplatz und wenn sie auf der Hauptschule auch nicht
lernt, schafft sie nicht mal den Hauptschulabschluß.
Deine Tochter steckt in einer echten Zwickmühle. Lernen ist doof und anstrengend, aber ohne den Stress hat sie noch mehr Stress.
Sie kommt nicht weiter und hat nicht nur den ganzen Tag in der Schule Probleme, sondern auch zu Hause.
Ihr wird immer wieder aufgeführt, wen sie alles enttäuscht und vor allem der Spruch „Du machst das doch für dich und nicht für uns“ geht ihr ziemlich auf den Sack.
Meine Mum hat sich nebenbei auch durch die ganze -nicht gewollte- Unterstützung „kaputt“ gemacht. Es war oft für sie ein herberer Rückschlag als für mich selbst. Sie war auch ziemlich allein, denn mein Dad war nur für’s Schimpfen da und den Lehrern war es wirklich so gut wie egal.
Auf dem Gymnasium findet die „natürlice Auslese“ härterer statt, als auf anderen Schulen.
Es gibt nicht viel Unterstützung für die „schlechten“ Schüler. Vielmehr werden die guten gefördert.
Ich habe natürlich Angst, dass es meiner Tochter noch
schlimmer ergeht, wenn sie nur den Hauptschulabschluß hat und
keine Lehrstelle bekommt. Dabei hatte sie mal so große Pläne,
Kunst wollte sie studieren oder Kunstpädagogik, jetzt ist ihr
alles egal und sie gibt zu, dass sie keine Ahnung hat, wie es
mit ihr weitergehen soll.
Es ist so traurig, dass sie schon mit 11 Jahren diesen Ärger hat, den hatte ich erst so mit 16.
Ich wollte immer Sprachen studieren, aber nach dem ganzen Schulstress, hatte ich absolut keinen Nerv mehr, noch mehr zu Lernen. Vor allem selbsständig lernen im Studium. Ich weiß, dass ich faul war -das ist das schlimmste daran.
Hm, vielleicht ist sie mit 11 Jahren noch zu jung die
Konsequenzen zu verstehen. Ich weiss es nicht. Ich bin ratlos
und weiss mir nicht mehr zu helfen.
Das denke ich eher nicht. Sie versteht das alles schon, aber sie steht genau zwischen Unter- und Überforderung.
Es ist noch recht früh, das ist wahr, aber das kann deiner Tochter nur zu Gute kommen. Wenn sie jetzt die Schule wechselt, auf eine, auf der sie eher unterfordert ist, sind ihre Chancen -meiner Meinung nach-höher.
Sie kann sich auf der Realschule auslassen, wieder besser sein, als viele andere und dann gegen Ende wieder auf das Gymnasium wechseln, wenn sie mag.
Allerdings muss sie dann während der Realschulzeit auch viel tun, um später auf dem Gymnasium mit den anderen Gymnasiasten mitzuhalten.
Noch ein kleiner Wink von mir: Ich habe ein ganzes halbes Schuljahr lang regelmäßig geschwänzt. Habe Freunde gehabt, die genauso wenig Lust hatten wie ich.
Meine Eltern haben nichts mitbekommen und auch die Lehrer haben es drauf ankommen lassen und keine Meldung gegeben.
Entweder war ich in irgendeinem Cafe, oder Motorrad fahren mit den „tollen Freunden“ oder bei Oma und Opa.
Das muss bei deiner Tochter nicht so sein -alles, was ich geschrieben hab, muss nicht auf sie zutreffen-, aber es kommt mir sehr bekannt vor und heute wünsche ich mir, alles anders gemacht zu haben.
Bei deiner Tochter ist noch nichts verloren.
Ein riesiges Lob von mir an dich, dass du deine derart unterstützt. Lass dich nicht unterkriegen, bleib am Ball.
Bringt in Erfahrung, wie es weiter geht, wenn deine Tochter die Realschule besuchen sollte.
Überschaut den Freundeskreis und helft ihr beim Lernen.
Hoffe, ich konnte dir helfen.
Ganz lieben Gruß, Bomba