Medienphilosophie vs.Schulphilosophie

Hi,

die Schulphilosophie hat gegen die freie, globale Medienrevolution mit dem so genannten „linguistic turn“ reagiert. Diese Sprachphilosophie wird von der Medienphilosophie aber längst systematisch mit dem „medial turn“ unterlaufen. Welche Argumente haben dagegen die Vertreter der klassischen Schulphilosophie?

Gruß
C.

Der Jammer mit der Menschheit ist, dass die Narren so selbstsicher sind und die Gescheiten so voller Zweifel.

Bertrand Russell

medial turn

woher der schöne neue Begriff

freue mich auf Angabe,

freundlichen Gruss,
Mike

Primat des Sprachlichen
Hi Claus,

die Schulphilosophie hat gegen die freie, globale
Medienrevolution mit dem so genannten „linguistic turn“
reagiert.

Rorty war nun wirklich kein Schulphilosoph, außer man legt das aktuelle Bild von „Schule“ zugrunde, als ein Ort des Aufbegehrens, der De(kon)struktion und der Anarchie :smile:

Diese Sprachphilosophie wird von der
Medienphilosophie aber längst systematisch mit dem „medial
turn“ unterlaufen.

Es gibt zwei Versionen der Medienphilosophie, und zwar eine starke und eine schwache. Die starke sagt, dass es „kein Außerhalb der Medien“ gibt, dass die Sprachphilosophie daher überwunden sei und die Medien der quasi transzendentale Ausgangspunkt des Philosophierens sein müssen. Die schwache sagt, dass Medienphilosophie notwendig ist, aber nur als Ergänzung und Update der Sprachphilosophie.

Ich favorisiere die zweite, schwache Version.

Gründe:

Philosophie geschieht nun einmal sprachlich und darf sich nicht einem Medium unterordnen, das ganz wesentlich vom Visuellen lebt (wenn wir „Medien“ sagen, meinen wir vor allem, wenn auch nicht nur, die Bildmedien). Wären (Bild)Medien das angesagteste Medium, müssten wir visuell philosophieren (was wiederum ein Privileg der Kunst ist).

Es gibt eine Kontinuität der Massenmedien, die nicht erst mit der Erfindung von Film/Fernsehen begann. Die menschliche Geschichte vollzog sich schon immer medial: die Mythen und Religionen sind die Urformen des modernen Massenmediums. Oft genug wird ja behauptet, dass letztere mit ersten sehr viel gemeinsam haben, was teilweise auch zutrifft. Eben deswegen kann man nicht sagen, dass die modernen Medien etwas grundsätzlich Neues wären. Neu ist an ihnen am ehesten noch die Intensität der Informationsübermittlung. Aber darum dürfte es in einer Medienphilosophie doch am wenigsten gehen, deren Schwerpunkt, meine ich, auf dem Medium als Vermittler von Mythen liegen sollte.

Die Tatsache, dass Menschen (schon immer) in Bildern träumen, zeigt, dass das Unbewusste auch ohne die Einwirkung visueller Massenmedien stark visuell befrachtet und determiniert ist. Freud versuchte mit einigem Erfolg, die Bilder als sprachliche Symbole aufzuschlüsseln, was wiederum zeigt, wie grundlegend das Sprachliche ist.

Medien als Gegenstand der Philosophie sind auch deswegen nicht überzuwerten, weil ihr Effekt weitgehend psychologischer Natur und damit Gegenstand einer „Medienpsychologie“ (und -soziologie) ist. D.h. Menschen bilden ihre Identität nicht nur gemäß ihrer angeborenen Anlagen aus, sondern auch und wesentlich durch die Prägungen seitens medialer Inhalte (Filmfiguren, Filmmoral). Bekanntestes Beispiel: der Mythos der „romantischen Liebe“, den es im Alltag nur gibt, weil die Medien (im Fahrwasser der mittelalterlichen Poesie) diesen Mythos hartnäckig vermitteln.

Drehbücher z.B. folgen bestimmten Forderungen, die das Massenmedium Kino (in Gestalt von Produzenten) als Richtlinie etabliert hat: Protagonist und Antagonist müssen bestimmte charakterliche und keineswegs undifferenzierte Merkmale aufweisen, und die Story folgt gewissen dynamischen Regeln („Plot points“), die implizit moralischer Natur sind. Ich habe das in Drehbuchseminaren selbst gelernt.

Natürlich werden solche medialen Schemata (deren ethischen Sinn man kaum leugnen kann) vom Publikum verinnerlicht. Das wäre aber nicht möglich, wenn diese Schemata in ihrem Kern nicht das Abbild realer Verhältnisse wären. Soll heißen: die Medien spiegeln in Mythenform realer menschliche Dramatik wieder und umgekehrt. Weder das Ei noch die Henne sind der Anfang, es gibt nur den Kreislauf.

Gruß

Horst

Ich favorisiere die zweite, schwache Version.

Ich auch.

Gruss,
Mike

Gut, dann werde ich versuchen, mehr Klarheit zu gewinnen, über das Thema „Medienphilosophie vs. Schulphilosophie“. Ich will versuchen in diesem Posting aufzuzeigen, wie ich eine erweiterte Betrachtung dieses Themas beabsichtige, wobei ich nunmehr der Medienphilosophie den Begriff „Dynamik“ und der Schulphilosophie den Begriff „Systematik“ zuordne.

Wenn ich ein Haus baue, kann ich nicht einfach spontan mit dem Bad beginnen, weil ich das dringende Bedürfnis nach einem Bad habe und dieses Bedürfnis sofort befriedigen möchte. Ich muss also zuerst ein Fundament legen, auf dem nach und nach die Mauern errichtet werden, das Dach mit Fenster und Türen. Erst danach kann ich mit dem Bad beginnen. So muss ich also aufgrund der Systematisierung warten, bis ich das erste Mal baden kann, obwohl ich dieses dringende Bedürfnis sofort verspüre.

Die Haus-Metapher stellt eine Art des Philosophierens dar, die ich mit der Systematik der Schulphilosophie assoziiere. Klassisch gedacht ist die Schulphilosophie eine Methode der Scholastik der mittelalterlichen Philosophie. Aber das Bedürfnis, die Dynamik zu systematisieren, ist ein sehr viel älteres Bedürfnis als die Scholastik des Mittelalters, denn schon in den Anfängen der Kunst wird sich das Bedürfnis nach Systematik und Ordnung zurück denken lassen, obwohl wir nicht wissen, wann zwischen Tier und Mensch das Bewusstsein zur Kunst umschlug, denn Tiere kennen so etwas scheinbar Überflüssiges wie Kunst in ihrem Leben nicht.

Für mich ist Religion, Philosophie und Wissenschaft, entgegen den harten Überlebensstrategien, wie Wirtschaft und Politik, eine Kategorie der Kunst, weil es mit den Bedürfnissen des zweckgerichteten Handelns nicht unmittelbar in Verbindung gebracht werden kann, es ist so zusagen ein Überschuss an Lebensenergie, wie sie sich bei Tieren bisher nicht zeigt. Die „große Mutter“ war eine primitive Form von Ur-Philosophie, die dem Sinn-Bedürfnis der Ur-Menschen eine Existenz- und Welterklärung geben konnte und das Bedürfnis nach Selbstwert, das politisiert sich gegenüber allen Andersgläubigen überlegen zu fühlen nützlich war. So wurde die Kunst eine Grundlage zur Gruppenidentität und auch zu einer Überlebensstrategie.

Die Systematisierung der Kunst entspringt auch dem Bedürfnis nach Macht, Einfluss und Autorität, wie es zum Beispiel in der Folge der Geschichte von der katholischen Kirche zur Geltung kam, wo die weitere Dynamik des wirklichen Lebens zum Beispiel durch alle Abweichungen vom System blockiert, verfolgt und auf dem Höhepunkt mit dem Tode bestraft wurden. Die Dynamik des wirklichen Lebens ist immer ein Vorreiter für alle Entwicklungen, die im Nachhinein dann erst von den Autoritäten systematisiert werden, zu einem System, das wie ein Hausbau auch positiv gesehen werden kann, weil ein systematisches Denken nützlicher ist als ausschließlich nur das chaotische Denken - deshalb auch die „Naturgesetze“, nach deren Systematik der Mensch sich immer mehr selbst verlor.

Ein System ist aber nicht nur positiv zu beurteilen als Ordnung der chaotischen Dynamik des Lebens zu einem geschlossenen sinnvollen Ganzen, sondern kann durch die Starrheit der dogmatischen Autoritäten, die damit nicht nur philosophische Sinn-Bedürfnisse zu befriedigen beabsichtigen, sondern nach der Etablierung ihrer Macht in erster Linie politische und wirtschaftliche Bedürfnisse, das heißt vor allen Dingen Existenzbedürfnisse.

Als der mittelalterliche italienische Philosoph Giordano Bruno das „Eselstum“ in der Dogmatik der katholischen Kirche, und die Einfältigkeit der frommen Gläubigen kritisierte, und dagegen lehrte, Gott sei nicht droben im Himmel, sondern im Wesen des Menschen selbst, wurde er bestialisch ermordet, weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf, denn jede schulische Systematisierung fürchtet die freie Dynamik (siehe auch die überwiegende Zuordnung der Sternchen im Artikelbaum!).

Nun haben die Massen-Medien seit Erfindung des Buchdrucks der schulischen Systematisierung Angst eingejagt, wovon zum Beispiel auch der Film „Der Name der Rose“ handelt, wo ein Vertreter des „Systems“ in einem Kloster laufend Morde begeht, weil er verhindern möchte, dass sich das neue Massen-Medium des Buchdrucks weiter verbreitet, wobei im Nachhinein jede Verhinderung des freien Denkens, das durch die Medien zustande kam, gescheiter ist. Und das gilt insbesondere für das heutige Medienzeitalter.

Die Dynamik des freien Denkens wird am meisten gefördert durch das weltweit vernetzte Internet, wobei ich den oben stehenden Postings von Horst und Mike insofern zustimme, dass speziell für die Philosophie in diesem Forum die Sprache (der „linguistic turn“) Vorrang hat vor dem Medium selbst, soll heißt, vor der rein materiellen Kommunikation, wie zum Beispiel in der Dynamik der differenzierten Zeichen (siehe Bücher des französischen Philosophen Prof. Jacques Derrida).

Die Frage müsste weiter lauten, was das Philosophieren in den Medien nützt, zur Dynamik vs. Systematik? Vielleicht ist es ja das höchste Selbstmanagement des ganzen Kosmos, als eine total neue, emotionale und geistige Entwicklung, die zur Selbstveränderung jedes Einzelnen und der ganzen Menschheit nützlich ist? Vielleicht, indem man seine Meinungen offen ausdrücken darf und andere ihre Meinungen offen dagegen stellen können? Und auf diese Weise eine ganz neue Dynamik entsteht in der Evolution, zur Verbesserung der bisher überwiegend noch leidvollen Menschheitsgeschichte?

Gruß
C.

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Medienphilosophie hat keine ‚neugeartete‘ Freiheit

Meinung offen

Nehmen wir an, einer sagt „ich komme zum endgültigen Schluss, dass ich nicht bin, dass Kommen nicht ist, und dass Schluss nicht ist“, und nehmen wir weiter an, dass dieser Eine verlangt, deswegen seien die Konventionen und sei insbesondere der Dialog zu unterlassen; nehmen wir schliesslich an, der Betreffende verschanze sich mit einigen Parteigängern in irgend einem rechtsfreien Loch, in welchem unter anderem die Produktion von Giftmüll befürchtet wird, weil noch ein paar alte Fässer Sondermüll in jenem Loch herumstehen. Er würde sich mit folgendem Spruch wehren: „Wer seine Meinung nicht auch wenigstens für sich ein bisschen leben darf, darf sie nicht haben.“

Gruss,
Mike

Guten Tag, Claus!

die Schulphilosophie hat gegen die freie, globale
Medienrevolution mit dem so genannten „linguistic turn“
reagiert. Diese Sprachphilosophie wird von der
Medienphilosophie aber längst systematisch mit dem „medial
turn“ unterlaufen.

Anmerkung ohne direkte Beantwortung der Frage:

Den Begriff „medial turn“ halte ich für viel zu unbedeutend, um ihn hier in so gewichtiger Weise gegen den „linguistic turn“ zu stellen, welcher nun tatsächlich eine Epochenwende des Philosophierens darstellt.

Aus meiner Sicht ist der „medial turn“ nur einer der vielen angepriesenen ‚turns‘ unserer Tage (pragmatic turn, communicative turn, performative turn usw."), die sich überlappen und gegenseitig akzentuieren, die aber -jeder für sich genommen- nichts epochales an sich haben. Sie geben halt schöne Schlagwörter und Buchtitel ab.

Das GESAMT dieser turns (Abwendung vom Sprachsystem, Hinwendung zu Pragmatik, Kommunikation, Performativität, Medialität usw.) dagegen ist durchaus als epochenbildendens „Unterlaufen der Sprachphilosphie“ zu verstehen, nämlich als Herausbildung einer Spr e chphilosophie - ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und zwar aus unterschiedlichen philosophischen Richtungen heraus geschehen.

E.T.

Das Recht auf Meinungsfreiheit

Meinung offen

Nehmen wir an, einer sagt…

Hi Mike,

bist du gegen das politische Recht auf Meinungsfreiheit angesichts der Medienrevolution? Ich frage das, weil du gerade zwei Worte (O-Zitat siehe oben) aus meinem Text für deine Kommentierung ausgewählt hast! Für das Recht der freien Meinungsäußerung wurde politisch Jahrtausende lang gekämpft und in weiten Teilen der Welt existiert dieses Recht immer noch nicht. Die klassische Schulphilosophie hat im Mittelalter das religiöse System genauso mit ihrer „Systematik“ gestützt wie in politisch korrupten Systemen, darauf im Einzelnen einzugehen erspare ich mir, weil es darüber für jeden frei zugänglich genügend Literatur gibt.

Ich will mit meiner Thematik die immer so sehr favorisierte „Systematik des Denkens“ der klassischen Schulphilosophie hinterfragen, wie das im Interesse eines fortschrittlichen Philosophierens sein müsste. Ich zitiere dazu aus einem Philosophischen Wörterbuch unter dem Begriff System:

„In der Gegenwart ist man, besonders durch die Phänomenologie Husserls, auf die Gefahren des so genannten Systemdenkens aufmerksam geworden, das ist eine Art des Philosophierens, das von vornherein die Gestaltung eines Systemdenkens anstrebt und daher geneigt ist, die Wirklichkeit zu konstruieren und zu stilisieren, anstatt sie zu erfassen.“

Gruß
C.

bist Du gegen das politische Recht auf Meinungsfreiheit

am allerwenigsten. Ich überlege ernsthaft, ob die freie Meinungsäusserung nicht sogar höherwertig als die Natur ist, wenngleich nicht so hochwertig wie das Einleuchten von Wahrheit.

angesichts der Medienrevolution

Ich betrachte die „Medienrevolution“ (problematischer Begriff, den ich nur im Ansatz verstehe) als irrelevant für die freie Meinungsäusserung, z. T. allerdings relevant für die Informationsfreiheit. Die Informationsfreiheit ist aber nicht besser und nicht schlechter als ein Küchenmesser, nur Werkzeug, aus dem man ethisch Hochwertiges und ethisch Minderwertiges machen kann, abhängig von Weltanschauung und Gewissen - also uraltem Zeugs, von „Revolution“ keine Spur.

Für das Recht der freien Meinungsäußerung wurde politisch
Jahrtausende lang gekämpft und in weiten Teilen der Welt existiert
dieses Recht immer noch nicht

Völlig richtig, „leider“ ist hinzuzufügen.

Die klassische Schulphilosophie hat im Mittelalter das religiöse
System genauso mit ihrer „Systematik“ gestützt wie in
politisch korrupten Systemen, darauf im Einzelnen einzugehen erspare
ich mir, weil es darüber für jeden frei zugänglich genügend
Literatur gibt

richtig, allerdings hat sie die freie Meinungsäusserung deswegen noch nicht wirklich beschnitten. Die Geschichte von Kirche und freier Meinungsäusserung ist ein anderes Thema (mag sein, dass wir dort differieren).

Systematik des Denkens

Aha. Danke für die Info, war mir nicht klar.

Husserl

voilà.

Ist Deine These, dass die Medien das Systemdenken revidieren?
Ich hätte damit insofern Mühe, als dass es bereits anderwärts revidiert wurde (neben Philosophie auch durch allerlei Arten von Politik), dass die Medien eher den Gegeneffekt haben („halte mich an das, was ich kenne“ in der Informationsschwemme erst recht) und dass diese Revisionen gewisse Grenzen fanden, die sie auch im Medienzeitalter nach wie vor finden (z. B. das Problem der „verlässlichen“/systematischen Kommunikation wohl doch gleich geblieben…oder?)

Gruss,
Mike

‚Verlässliche‘/systematische Kommunikation
Nachtrag:

systematische Kommunikation

Damit meine ich, dass dem scheinbar logischen Zusammenhang zwischen Worten der Zusammenhang der Tatsachen geopfert werden könnte, wogegen dann ebender mit einem gewissen Recht rebelliert, der unter „Meinungsfreiheit“ auch ein Stückweit Handlungsfreiheit versteht, womit aber ein anderer Mühe hat, der die Komplexität der Welt gerne anschaulich erklärt bekäme - also gewissermassen „jeder bildet sich nur noch selbst“ gegen „Schüler sucht lügenden Lehrer mit heiler Welt“, zwei Extreme, zwischen denen wir nach wie vor stehen, wenn auch die Selbstbildung in einigen Ländern leicht steigt.

bist Du gegen das politische Recht auf Meinungsfreiheit

am allerwenigsten. Ich überlege ernsthaft, ob die freie
Meinungsäusserung nicht sogar höherwertig als die Natur ist,
wenngleich nicht so hochwertig wie das Einleuchten von
Wahrheit.

Höherwertig, als z. B. nur die naturwissenschaftlichen Naturgesetze glaube ich, wobei es verschiedene Ebenen gibt, wie sie schon Thomas von Aquino lehrte (und Duns Scotus ihn meines Erachtens zu unrecht bekämpfte, ich denke, beide Philosophen sind eine sinnvolle Ergänzung) sowie Leibniz und Hegel bis hin zu Ken Wilber, der verschiedene Ebenen des Bewusstseins lehrt. Die Frage ist, ob man die Natur und Kultur, auf die ganze Evolution gesehen, überhaupt trennen kann? Einerseits ist Kultur aus der Natur entstanden und andererseits ist die Natur in der menschlichen Interpretation eine spezielle Weltanschauung und damit KULTURWISSENSCHAFT.

angesichts der Medienrevolution

Ich betrachte die „Medienrevolution“ (problematischer Begriff,
den ich nur im Ansatz verstehe) als irrelevant für die freie
Meinungsäusserung, z. T. allerdings relevant für die
Informationsfreiheit.

Wenn es aber doch erst durch die technische Voraussetzungen möglich ist, dass wir hier und jetzt zusammen unsere Meinungen gegenseitig austauschen (ich am letzten Zipfel der Alten Welt und du irgendwo in der Schweiz) ist die globale Medienrevolution vielleicht doch nicht so irrelevant?! Dass der verstorbene Vordenker für „The Global Village - Der Weg in der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert“, Marshall McLuhan, Professor an der Universität Toronto, als Soziologe, Kommunikationswissenschaftler und Medienphilosoph mit seinem letzten Werk, das im Jahre 1989 erschien, noch immer von den meisten Philosophen nicht verstanden wird, erklärt Professor Dieter Baacke folgendermaßen:

„… die Medien waren für ihn (Marshall McLuhan) keineswegs Manipulationsinstrumente in der Hand von Herrschenden, sondern sie stellten eher eine Erweiterung der menschlichen Sinne dar.“

Die Informationsfreiheit ist aber nicht
besser und nicht schlechter als ein Küchenmesser, nur
Werkzeug, aus dem man ethisch Hochwertiges und ethisch
Minderwertiges machen kann, abhängig von Weltanschauung und
Gewissen - also uraltem Zeugs, von „Revolution“ keine Spur.

Das „uralte Zeugs“ ist aber die Sprache, die gerade durch die Medienrevolution heute eine andere als früher ist. Und dass die Medien eine Revolution der Meinungsfreiheit sind, kann man, glaube ich, nicht pauschal bestreiten, denn schon der Buchdruck war eine Medienrevolution, hinzu kamen Presse, Funk, Kino, Fernsehen, Computer, Internet, DVDs usw., wobei das PRIMÄRE Medium uralt ist, es ist der Mensch selbst, der den anderen eine „wichtige“ Botschaft übermitteln will.

Für das Recht der freien Meinungsäußerung wurde politisch
Jahrtausende lang gekämpft und in weiten Teilen der Welt existiert
dieses Recht immer noch nicht

Völlig richtig, „leider“ ist hinzuzufügen.

Leider!

Die klassische Schulphilosophie hat im Mittelalter das religiöse
System genauso mit ihrer „Systematik“ gestützt wie in
politisch korrupten Systemen, darauf im Einzelnen einzugehen erspare
ich mir, weil es darüber für jeden frei zugänglich genügend
Literatur gibt

richtig, allerdings hat sie die freie Meinungsäusserung
deswegen noch nicht wirklich beschnitten.

Aber es gibt doch persönliche Beleidigungen, anstatt gegenseitigen RESPEKT.

Systematik des Denkens

Aha. Danke für die Info, war mir nicht klar.

Husserl

voilà.

Ist Deine These, dass die Medien das Systemdenken revidieren?

Ja, siehe Posting von Ernst (oben)!

Ich hätte damit insofern Mühe, als dass es bereits anderwärts
revidiert wurde (neben Philosophie auch durch allerlei Arten
von Politik), dass die Medien eher den Gegeneffekt haben
(„halte mich an das, was ich kenne“ in der
Informationsschwemme erst recht)

Klar ist dem zuzustimmen, natürlich gibt es wie bei fast allen menschlichen Entwicklungen immer zwei Seiten: die Medien wollen verkaufen, das ist ihr Ziel, und sie analysieren die (unbewussten) Bedürfnisse der Menschen, d. h. viele (vorerst vielleicht sogar die meisten) werden immer dümmer, weil sie sich nur noch in der riesigen Informationsvielfalt immer das auswählen, was ihrem Bedürfnis nach „Spaß“ entspricht, der gar nicht groß genug sein kann, um sie zu befriedigen.

gewisse Grenzen fanden, die sie auch im Medienzeitalter nach
wie vor finden (z. B. das Problem der
„verlässlichen“/systematischen Kommunikation wohl doch gleich
geblieben…oder?)

Sicher!

Gruß
C.

Nachtrag:

der die Komplexität der Welt gerne anschaulich erklärt bekäme

  • also gewissermassen „jeder bildet sich nur noch selbst“

ich bilde mich ja erst durch die unterschiedlichen Informationen und Meinungen. Und andere Menschen wählen ja auch andere VORBILDER aus als ich. Und wer das Bedürfnis nach SYSTEMATIK hat, das ist solange ok, wie es nicht allen als die einzige und absolut richtige Philosophie-Methode aufgezwungen wird, mit Kommentaren, wie „richtiger“ und „falscher“ Philosophie-Methode. Dass dies in der Schule anders ist, ist ja genau der UNTERSCHIED, zu dem ich mehr Klarheit erstrebe, in meiner eigenen Entwicklung.

Gruß
C.

Geschichtlich richtig - wie ist es mit dem System
Hallo Claus,

dem ist zuzustimmen, ich hatte eben einen philosophiegeschichtlichen Knopf. Meine Annahme war automatisch „Medienzeitalter = Ansatz ab 1920 mit Verbreiterung um 1955 und Erneuerung um 1995“ (Kino, Fernsehen, Internet), was ich auf eine Schiene bringen wollte mit der Presse (in grösserem Stil etwa seit 1700, massgeblich seit 1800).
Das kann man natürlich anders sehen, nämlich Medienzeitalter bereits seit dem Buchdruck u. ä.

ist die Natur in der menschlichen Interpretation eine spezielle
Weltanschauung

natürlich. Also entspringen sowohl das Naturverständnis als auch das Kulturverständnis der Kultur. Der Vollständigkeit halber: Demgegenüber entspringt die Entwicklung der Forschung wohl der Natur.

Dass die Medien nicht in den Händen der Herrscher sind, glaube ich auch schon lange, übrigens auch in Bezug auf frühere Zeiten. Wie wäre es denn, wenn z. B. der Herrscher das Medium in seiner Hand nicht beherrscht, wegen dessen Eigendynamik? Wie oft hat eine Propaganda ihre Urheber benebelt, weil sie sie nicht beherrscht haben, sodass sie z. B. zuletzt an die eigene Propaganda glaubten und darum ihren Handlungsspielraum verloren?

die Sprache, die gerade durch die Medienrevolution heute eine andere
als früher ist

ja, irgendwie ist sie anders - aber inwiefern eigentlich?

Gruss,
Mike

…freie Philosophenphilosophie gegenüberstellen?
Hi Horst,

Rorty war nun wirklich kein Schulphilosoph…

Ja, das gebe ich zu, Rorty wollte eher das genaue Gegenteil, nämlich eine „mediale“ Philosophie im Gegensatz zur klassischen Schulphilosophie, so dass bei ihm der Begriff „linguistic turn“ eine andere Bedeutung erhält als ich es zuerst sah, als SYSTEMATIK der Sprache. Deshalb füge ich noch weiter hinzu:

  1. Der Begriff „linguistic turn“ ist NICHT darauf zu reduzieren, ihn ausschließlich nur der Schulphilosophie zuzuschreiben, sondern eine Kopernikanische Wende innerhalb der gesamten philosophischen Strömungen, die wie schon Ernst in seinem Posting sagt, einen epochalen Trend darstellte, als ein vermehrtes Interesse an der Sprache selbst, im Gegensatz zu Husserls „zu den Sachen selbst“. Dafür gibt es jetzt auch schon wieder ein größeres Interesse an Husserls Phänomenologie.

  2. Der Begriff „linguistic turn“ wurde zwar in den 1960er Jahren von dem amerikanischen Philosophen Richard Rorty favorisiert, jedoch schon früher von dem Österreicher Gustav Bergmann geprägt, und von ihm hat Rorty diesen Begriff übernommen, zumal Gustav Bergmann in die USA emigrierte, als die Nazis in Österreich mit ihrer Politik „Heim ins Reich“ einmarschierten. Bergmann wurde in den USA Professor sowie Präsident für Philosophie und Psychologie einer sehr einflussreichen Fachorganisation.

  3. Ich wollte die Medienphilosophie als Sprechphilosophie (siehe Posting von Ernst) der Schulphilosophie als systematisierte Sprachphilosophie gegenüberstellen, das ist aber deshalb nicht ganz gelungen, weil, wie du ja sagst, der Universitätsprofessor Richard Rorty gerade NICHT ein Vertreter der klassischen Schulphilosophie ist, sondern ein einflussreicher (jüngst verstorbener) pragmatischer Philosoph, dessen Intention war, die Philosophie in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus zu politisieren, zum Beispiel mit seinem letzten Buch „Philosophie als Kulturpolitik“ (Suhrkamp Verlag, 2007).

Professor Richard Rorty im Original:

„Die Philosophen sollten… Partei ergreifen und im Auge behalten, wie sich der Gang des Gesprächs verändern lässt. Sie sollten sich fragen, ob die Entscheidung für diese oder jene Seite Auswirkungen hat auf soziale Hoffnungen, Handlungspläne und Prophezeiungen einer besseren Zukunft.“

Ich denke, man müsste die Schulphilosophie von der Systematik der Sprache her besser verstehen (oder auch wie Marx sagt als „politische Ideologie“?), aber dem gegenüber, wie Erst vorschlägt, eine Sprechphilosophie als Dynamik des wirklichen Lebens sehen, oder vielleicht der klassischen Schulphilosophie mit ihrer Sprachsystematik eine freie Dynamik der Philosophenphilosophie gegenüberstellen?

Gruß
C.

Kant und Habermas lassen grüßen
Hi Claus.

  1. Der Begriff „linguistic turn“ ist NICHT darauf zu
    reduzieren, ihn ausschließlich nur der Schulphilosophie
    zuzuschreiben, sondern eine Kopernikanische Wende
    innerhalb der gesamten philosophischen Strömungen, die wie
    schon Ernst in seinem Posting sagt, einen epochalen
    Trend darstellte, als ein vermehrtes Interesse an der Sprache
    selbst

Als Urvater des linguistic turn sehe ich gerne Kant, zumindest sind die Parallelen sehr erheblich, und ohne seine transzendentale Wende wäre der LT gänzlich undenkbar. Die Kategorien des Verstandes, die laut Kant unsere Wirklichkeitswahrnehmung determinieren, sind sprachlich vermittelt und sprachlich strukturiert (was Kant noch nicht berücksichtigte, er hielt sie einfach für angeboren).

  1. Ich wollte die Medienphilosophie als
    Sprechphilosophie (siehe Posting von Ernst) der
    Schulphilosophie als systematisierte Sprachphilosophie
    gegenüberstellen

Womit wir eigentlich bei Habermas gelandet sind, dessen Theorie des Kommunikativen Handelns die angesagteste Ausprägung der sog. Sprechphilosophie ist. Diese Theorie ist aber in ihrem Kern eine Vernunfttheorie und keine Medientheorie bzw. -philosophie.

Da ich momentan zeitlich eingeschränkt bin, belasse ich es für heute bei diesen Andeutungen und mische gerne morgen wieder ausführlicher mit.

Gruß

Horst

Ganzheitlich handeln
Hi Horst,

Kant als Schlüsselfigur des „linguistic turns“ ist ein neuer Gedanke für mich (ich hatte auch noch Frege und Wittgenstein in petto bezüglich des „liguistic turns“). Man könnte Kants Transzendental-Philosophie ja so verstehen, wie du sagst, nicht nur in Bezug auf seine „Kritiken“, sondern vor allem in Bezug auf die „Prolegomena - zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“, was den Absolutheitsanspruch der klassischen Schulphilosophie ja besonders erhellt.

Kant, der zeitlebens nie aus Königsberg hinaus kam, will der Welt sagen: So wie ICH, Immanuel Kant, denke, ist die absolute Vernunft! Diesen Absolutheitsanspruch auf Kants radikalen Sprachkonstruktionismus (siehe hierzu von Glasersfeld „Radikaler Konstruktivismus“) des Kleinbürgers Kant (Sohn eines Sattlermeisters mit neun Kindern) muss man aber nicht unbedingt teilen. Dies tut zum Beispiel auch der englische Philosoph Prof. Alfred Whitehead nicht, bei seinen Vorlesungen an der Harvard-Universität, Professor Alfred Whitehead im Original:

„Man versteht diese Vorlesungen am besten, wenn man das Augenmerk auf… Denkgewohnheiten richtet, die ZURÜCKGEWIESEN werden, soweit sie Einfluss auf die Philosophie haben (unter anderem): Die Kantsche Lehre von der OBJEKTIVEN Welt als theoretisches Konstrukt aus rein SUBJEKTIVER Erfahrung.“ (Heraushebung durch mich). Und weiter; „… Kants Prinzip wird hier genau im Gegensatz zu seinem eigenen Verständnis angewendet.“ (Zitat aus: Prozess und Realität, Suhrkamp Verlag, 1984).

Dagegen sind wir heute in einer weltweiten Mediengesellschaft angekommen, deren Vorteile wir hier ja als Philosophierende selbst erfahren. Und da du Habermas ins Spiel bringst, ist es interessant, was dieser in Bezug auf Kant zu sagen hat, Prof. Jürgen Habermas im Original:

„Das Rationalitätsmodell bieten die mathematischen Naturwissenschaften. Deren Kern ist die Newtonsche Physik. „Sie hat die wahre Methode des Studiums der Natur entdeckt“; „Beobachtung, Experiment und Berechnung“ sind die drei Werkzeuge, mit denen die Physik die Geheimnisse der Natur entschlüsselt (…) Kant ist… vom „sicheren Gang“ dieser Wissenschaft beeindruckt.“ (Zitiert aus: Theorie des kommunikativen Handels, Suhrkamp Verlag, 1981).

Dass die „Frankfurter Schule“ seit ihrer Gründung des Instituts für Sozialforschung durch Prof. Theodor Adorno und Prof. Max Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ ein Erbe für Habermas darstellt, ist anzunehmen und damit könnte auch der so genannte „medial turn“ vollendet sein, wenn es nicht Philosophen gäbe, die auch diesen „turn“ vielleicht nie überwinden können (sind doch sämtliche neue Erkenntnisse in der Philosophie grundsätzlich auf eine Vermittlung durch die Medien angewiesen!), aber mit neuen Ideen bereichern, wie zum Beispiel der amerikanische Philosoph Ken Wilber, der sich in der Tradition Hegels versteht und die sprachlichen Außen-Welt-Interpreationen mit der sprachlichen Innen-Welt-Interpretationen (in der Tradition der östlichen Philosophie) zum Ziel der Hegelschen Selbsterkenntnis bzw. des universellen Selbstbewusstseins zu verbinden weiß, soll heißen, das Bewusstsein erkennt sich durch die lange Evolution selbst, im Sinne des Sokrates.

Wenn man als Philosophierender zum Beispiel in diesem Brett kommuniziert, ist es nützlich, an die Gewissheit der eigenen Selbsterkenntnisse zu glauben, durch die man sein Bewusstsein erweitern kann durch die Statements anderer Philosophierender, wie es zum Beispiel Ken Wilber lehrt in seinem Buch „Ganzheitlich handeln“, im Original:

„Das Wissen nimmt schneller zu als die Möglichkeiten, es nach Kategorien zu ordnen. Das Streben nach einer Gesamtschau ist ein sich uns immer wieder entziehender Traum, ein Horizont, der mit jedem Schritt auf ihn zu weiter zurückweicht, ein Topf voller Goldtaler am Ende eines Regenbogens, den wir nie erreichen werde.“ (Zitiert aus: Ganzheitlich handeln - Eine integrale Vision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität, Arbor Verlaq, 2001).

Gruß
C.

Kein medial induzierter Fortschritt erkennbar
Hi Claus.

Kant als Schlüsselfigur des „linguistic turns“ ist ein neuer
Gedanke für mich (ich hatte auch noch Frege und Wittgenstein
in petto bezüglich des „liguistic turns“).

Das sprachphilosophische Denken gab es schon in der Antike, und zwar bei einigen Sophisten. Wenn du jetzt - sachlich korrekt - Frege und Wittgenstein als eigentliche Gründungsväter des modernen LT nennst, dann verschwimmt der Zusammenhang mit der von dir im UP thematisierten „Medienrevolution“ allerdings gänzlich.

Wenn ich nichts in den bisherigen Beiträgen übersehen habe, scheinst du hier mit deiner Behauptung einer übergeordneten philosophischen Bedeutung der Massenmedien allein zu stehen. Was natürlich nicht automatisch bedeutet, dass du unrecht hast. Aber ich vermisse noch immer schlagkräftige Argumente dafür, dass die modernen Medien eine „Revolution“ über rein quantitative Aspekte hinaus ausgelöst haben. Und dafür, dass dies auf das philosophische Denken einen qualitativen Einfluss gehabt hat. Alle heute bedeutsamen philosophischen Theorien wurzeln in Anfängen, die deutlich vor den 90ern liegen - also vor dem Jahrzehnt, ab dem man wirklich bzw. endgültig von einem Medienzeitalter (Digitalisierung, Internet) sprechen kann.

Dagegen sind wir heute in einer weltweiten Mediengesellschaft
angekommen, deren Vorteile wir hier ja als Philosophierende
selbst erfahren.

Vorteile, ja. Was aber nicht heißt, dass es einen qualitativen Schub oder einen Quantensprung o.ä. in der Philosophie gäbe. Jedenfalls keinen, der mir aufgefallen wäre. Der Möglichkeit der Informationsverbreitung und -aufnahme, die heutzutage zweifellos in relativ Gigantische gewachsen ist, stehen gleichzeitig die verbesserten Möglichkeiten der geistigen Manipulation der Medienbenutzer (in verschiedenster Weise) gegenüber, was in summa keinen Fortschritt bedeutet. Schau dich einfach mal in einem Internetshop um, mit was sich die Leute dort beschäftigen, und rechne das hoch auf die Gesamtheit der User.

Gruß

Horst

The medium is the message
Hi Mike,

es ging um den Unterschied zwischen „Medienphilosophie“ und „Schulphilosophie“ und ich bat darum, Argumente zu bringen, um diesen Unterschied zu verstehen. Das ist leider bis jetzt von der Seite der Schulphilosophie nicht geschehen, so dass ich mich darum bemühe, selber mehr Erkenntnisse zu finden. Dazu erscheint mir zum Beispiel ein Buch des berühmtesten Medienphilosophen der Welt, Prof. Marshall McLuhan, aus dem Jahre 1967 mit dem Titel „The medium is the message“ ein neuer Ansatz.

Wie Ernst (vgl. oben) darstellt, bestünde kein „epochaler“ Unterschied zwischen „linguistic turn“ und „medial turn“, sondern eher darin, dass die systematisierte SPRACHPHILOSOPHIE von einer so genannten SPRECHPHILOSOPHIE (diesen Begriff gibt es wahrscheinlich noch gar nicht!) unterlaufen wurde. Aber darüber müsste man erst einmal weiter nachdenken…

Wenn man Sokrates mit Platon vergleicht, könnte man in Bezug auf die These von Ernst Folgendes sagen: Sokrates wäre demnach ein Vertreter der SPRECHPHILOSOPHIE, sein Schüler Platon ein Vertreter einer SPRACHPHILOSOPHIE?

Wenn aber nicht erst die Technisierung der Medien eine Weltrevolution eingeleitet haben (vor allem mit dem Internet), sondern, um McLuhan zu bemühen, das primäre Medium aller Botschaften, die an andere Menschen vermittelt wird, immer vom Menschen ausgeht, dann wäre ja sowohl Sokrates als auch Platon gleichermaßen das MEDIUM, das die Botschaft vermittelt. Und dann wäre das Buch von McLuhan sozusagen so zu deuten: Das Medium ist die Botschaft, weil es vom Menschen ausgeht, der ja die Botschaft übermittelt, es gibt also gar keine Medien ohne Menschen. So hat es aber McLuhan überhaupt nicht gemeint und der französische Philosoph Prof. Jacques Derrida auch nicht, mit seiner „unendlichen“ Differenzierung von Zeichen.

Ich glaube der Unterschied ist, dass zum Beispiel im Internet viele Menschen gleichzeitig kommunizieren und ihre Botschaften gegenseitig austauschen können, was in der Schulphilosophie nicht üblich ist, wenn nur ein Lehrer seine Botschaft an passive Schüler vermittelt. Dasselbe ist ja auch beim Medium „Buch“ der Fall, wo nur ein Einzelner an viele passive Leser seine Botschaft vermittelt, während es im Internet um viele geht, die sich jederzeit in eine Debatte ein- und ausschalten können. Das ist der neue „medial turn“, der den Unterschied macht, wie ich glaube, denn das Internet ist darin sogar dem TV überlegen, weil kein anderes Medium so schnell und so flexibel sein kann, wie das Internet.

Der Nachteil des Internet ist, dass hier persönliche Beleidigungen publiziert werden können, wie das in der Presse, im Rundfunk oder im Fernsehen bei einer Veröffentlichung vorher zensiert würde, während in der klassischen Schulphilosophie eine politisch gesteuerte Kontrolle stattfindet, durch Staat und Kirche, soll heißen, mehr oder weniger zensiert.

Gruß
C.

Durch Schweigen der ‚bessere‘ Mensch?
Hi Horst,

Wenn ich nichts in den bisherigen Beiträgen übersehen habe,
scheinst du hier mit deiner Behauptung einer übergeordneten
philosophischen Bedeutung der Massenmedien allein zu stehen.

Wo ist das Problem? Soll ich mich mit meinen Interessen nach anderen richten?

Was natürlich nicht automatisch bedeutet, dass du unrecht
hast.

Es geht mir nicht darum, Recht zu haben, sondern um die interaktive Möglichkeit, durch unterschiedliche Meinungen sich laufend weiter zu entwickeln, sofern die globale „Medienrevolution“ überhaupt einen Sinn macht.

Aber ich vermisse noch immer schlagkräftige Argumente
dafür, dass die modernen Medien eine „Revolution“ über rein
quantitative Aspekte hinaus ausgelöst haben.

Das ist eine Ermessenssache, ob „nur“ qualitativ oder „auch“ qualitativ! Wer will das - außer irgendwelchen Dogmatikern - objektiv beurteilen?

Alle heute bedeutsamen philosophischen Theorien
wurzeln in Anfängen, die deutlich vor den 90ern liegen - also
vor dem Jahrzehnt, ab dem man wirklich bzw. endgültig von
einem Medienzeitalter (Digitalisierung, Internet) sprechen
kann.

Ich habe dazu mehr ausgeführt im Posting „The medium is the message“ (siehe unten). Was bisher fehlt, außer einer beabsichtigten persönlichen Beleidigung, sind überhaupt Argumente von der Seite der Schulphilosophie. Aber vielleicht haben die Schulphilosophen ja nur eine „Einbildung“, wie sie schon Sokrates bei den Vertretern des „Systems“ in Athen feststellte? Jedenfalls kann sich jeder Unwissende (laut Sokrates!) „einbilden“, durch Schweigen der „bessere“ Mensch zu sein…

Gruß
C.