Hallo Branden,
Gleichzeitig tagte der Gipfel zum Schutze der Armen.
Da kann ich nicht zustimmen; der G8 geht es um alles mögliche, ganz sicher aber nicht um den Schutz der Armen.
Interessanterweise wurden ja wieder mal die Armen, die welche
Busse und U-Bahn benutzen, zerfetzt und keine reichen Führer
in Limousinen.
- An die ist viel schlechter ran zu kommen.
- die Logik des heutigen Terrors interessiert dafür auch gar nicht mehr.
Dazu habe ich im Attac-Forum anlässlich der Anschläge von Madrid und der Frage nach der Legitimität des heutigen Terrorismus mal dessen Operationsweise analysiert, vielleicht interessiert Dich die Analyse:
_Ist Terror ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele? Genau diese Fragestellung weicht der eigentlichen Problematik aus. „Vollkommen illegitim“ wird eine breite Masse sagen, während die Terroristen und ihre Symphatisanten die schwere Bürde der Legitimierung tragen.
Die wesentlich interessantere Frage aber ist die, ob Terror ein wirksames Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ist. Und die Antwort scheint angesichts nicht des 11.03., sondern des 14.03. [der Tag der Abwahl Aznars in Spanien] zum ersten Mal „ja“ zu lauten.
Warum? Meines Erachtens hat die Institution des Terrorismus einen zweiten entscheidenden Wandel durchlaufen. Während der „alte“ Terror (egal ob RAF, ETA, BR oder IRA) immer so angelegt war, dass Wirksamkeit unauflösbar mit der Frage nach der Legitimität verknüpft war, also immer darauf abzielen musste, die Symphatien der Bevölkerung zu gewinnen, weswegen er letztlich immer im Namen einer „wahren Demokratie“, einer „Zivilgesellschaft“ gegen das „ökonomisch-politische System“, gegen den „Staat“ autrat und auftreten musste, hebt der „neue“ Terror des „Islamismus“ die (im Kern Hegel-Marxistische) Dichotomie von Staat und Gesellschaft auf. Die Frage nach Legitimität stellt sich nicht mehr, es bleibt die nach der Wirksamkeit.
Aus diesem Grund kann sich der „neue“ Terror gegen die Bevölkerung selbst richten, nicht mehr nur gegen spezifische Repräsentanten des Volkes, getreu der Logik der Demokratie, nach der es keinen Volkswillen gibt und zu geben hat außerhalb des Willens des Volkes-als-amorpher-Zahlenmasse. Genau auf diese amorphe Zahlenmasse zielt der „neue“ Terror ab: völlig egal, wer getötet wird, entscheidend ist die Zahl der Körper (wie in der Kundgabe des Volkswillens die Zahl der Stimmen). In diesem Sinne lässt sich völlig ohne Zynismus sagen: der „neue“ Terror ist demokratischer Terror, der Terror der Demokratie.
Der „alte“ Terror war also nur die historisch längst überständige Variante des Königsmords, er musste schon deshalb unwirksam sein, weil er den Funktionsmechanismus seines Gegenübers nicht durchschauen konnte. Was ihm nicht gelang, gelingt dem „neuen“ Terror sehr wohl: bei einem Schleyer lies der Staat sich nicht erpressen, bei 200 Toten in den Bahnhöfen schon (one man, one vote, one body); wenn der demokratisch organisierte Staat nur Zahlen (Stimmen) verstehen kann, wird nur derjenige Terror wirken, der ihm Zahlen liefert.
Aber hat nicht schon der Terror des 11. Septembers gewirkt? Ja, aber nicht so, wie sich das die Terroristen vorgestellt hatten. Er konnte sicherlich ein diffuses Gefühl der Angst schüren, konnte eine Reaktion der Staaten der „freien Welt“ provozieren, war aber selbst kein politischer Agent, lediglich ein agent provocateur. Nun aber in Madrid hat sich ein zweiter Wandel des Terrors vollzogen, hat der Terror seine wohl lange Zeit überdauernde Gestalt angenommen. Er hat gemerkt, dass er Wirksamkeit gänzlich von der Frage nach Legitimität lösen muss.
Während der Terror des 11. Septembers noch darauf spekulierte, die „islamische Welt“ würde politisch für ihn agieren (auf Grund bestehender Legitimation), hat der des 11. März’ das politische Heft des Handelns selbst in die Hand genommen. Er hat eine neue Regierungspartei an die Macht gebombt. Dies war sein schon vor dem Irak-Krieg erklärtes Ziel: „Jede Regierung, die sich in die Koalition der Willigen einreiht, wird dafür mit dem Verlust der Macht bezahlen müssen“. Spanien war die erste Station, weitere werden folgen,
das scheint gewiss. Genauso gewiss, und in diesem Punkt hat Ralf vollkommen recht, wird der „neue“ Terror nicht auf der Ebene eines Regierungswechsels stehen bleiben, bald wird er in die des politischen Alltagsgeschäfts eingreifen [wenn man davon ausgehen kann, dass die Anschläge von London Druck auf das Ergebnis des G8-Gipfels machen sollen, dann kann man sie durchaus in diese Stufe einreihen], gemäß der Rechnungslogik: 1 Gesetz = x Tote.
Meine Prognose: Am 11./14. März hat die repräsentative Demokratie des 19. und 20. Jahrhunderts von ihrem baldigen Ende erfahren. Es begann das 21. Jahrhundert, ob wir wollen oder nicht.
Des (über-)langen Textes ganz kurzer Sinn: Wer das Phänomen des heutigen Terrorismus verstehen möchte, darf nicht die Frage nach Legitimität (ins Zentrum) stellen, d. h. die Antwort auf diese Frage lässt sich schon noch erhalten, sie trägt aber nichts mehr zum Verstehen der Logik des Terrors bei, weil eben der Terror nicht mehr auf der Stufe der „Legitimität“ sich befindet_
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Viele Grüße
franz