Antwort des Threaderstellers
Wow, das Thema hat ja eingeschlagen wie eine Bombe!
Es beschäftigt mich vor allem deshalb, weil ich Lehramt studiere und sozusagen nahtlos mitbekomme, wie die Entwicklung bei den Schülern ist. Sei es bei meinen beiden Schwestern, die noch in der Schule sind, oder bei meinen zahlreichen Nachhilfeschülern.
Ich picke mal ein paar eurer Antworten raus, zu denen ich meine, was zu sagen zu haben:
1.) Ich glaube nicht, dass ich unsere Leistungen damals überschätze. „Damals“ bezieht sich auf 1994, als ich in der vierten Klasse war. Nur, damit ihr vielleicht besser einordnen könnt, wovon ich rede. Wenn ich also die heutigen Viertklässler - ein Jahrzehnt später - anschaue, fällt mir schon ein starker Leistungsabfall verglichen mit uns früher auf. Ich glaube schon, dass ich dabei noch objektiv bin, denn ich vergleiche teilweise direkt mit meinen alten Viertklassaufsätzen von früher und denen meiner Nachhilfeschüler. Selbst in dem Fall, dass die Aufsätze von der inhaltlichen Seite her annähernd gleich gut wären (was sie selbst bei absoluter Objektivität, nämlich wenn ich die beiden Aufsätze von Unbeteiligten lesen lasse, nicht sind): Wir hatten damals kaum Rechtschreibfehler (vielleicht mal hier und da ein Kommafehler oder den einen oder anderen Fehler bei einem für die Jahrgangsstufe schwierigen Wort), aber zumindest konnten wir einen vom Satzbau her fehlerfreien Satz verfassen - selbst die Schwächsten in unserer Klasse. Das nimmt mich schon Wunder, wenn ich sehe, wie das heute so abläuft - als Lehramtsstudent beschäftige ich mich ja quasi direkt mit der Materie.
2.) Ich hatte mal eine Nachhilfeschülerin. In ihrer Familie gab es zehn (!) Kinder, etwa die Hälfte davon „Eigenproduktion“ , der Rest adoptiert. Das Mädchen (leibliches Kind) war meiner Meinung nach ein aufgewecktes, etwas vorlautes Mädchen, das eher durchschnittlich begabt war, ich würde sagen so zwischen Note 2 und 3. In der Schule schrieb sie recht schwankhafte Noten zwischen 3 und 5 - meiner Meinung nach, weil sie einfach zu unkonzentriert war und weil sie auch etwas lernfaul war. Die Mutter jedoch betete mir bei jeder Nachhilfestunde vor, dass sie einen IQ-Test habe machen lassen und dass der IQ des Mädchens über die Maßen hoch sei. Sie sei hochbegabt (diesen Floh hatte ihr der Psychologe ins Ohr gesetzt und das wahrscheinlich auch nur, weil sie ihn dazu gedrängt hatte) und sei soooo unterfordert, ob ich das auch so sähe. Nur mit Mühe konnte ich ihr beibringen, dass ihre Tochter ein ganz normales Mädchen ist. Das wollte sie nicht gerne hören, aber sie fand sich damit ab.
Eines der adoptierten Kinder ist Autist (wurde ja auch in diesem Thread angesprochen). Seit ich ihr die Wahrheit über ihre Tochter beigebracht hatte, versuchte sie sich mit dem Autismus ihres Sohnes zu profilieren. Dass die Familie so wenig Unterstützung erfahre, dass sie unbedingt eine teure Delphintherapie in Florida mit ihm machen wolle, sie bat in der Tageszeitung um Spenden und ließ sich dabei sehr mitleidshascherisch darstellen. Ich fand das schlimm, wie sich die Familie mit ihren „abnormalen“ bzw. „besonderen“ Kindern brüsten wollte. Eben ein erhöhtes Geltunsgbedürfnis. Hätte sie dem autistischen Jungen wirkich etwas Gutes tun wollen, hätte sie sich meiner Meinung nach vor dessen Adoption überlegt, dass er vielleicht in einer anderen Familie, die finanziell auf stabileren Beinen steht als eine dann 12-köpfige Familie, mehr Aufmerksamkeit und bessere Behandlungsmöglichkeiten hätte bekommen können…
3.)Ich weiß nicht, wo das her kommt, ob durch Medien und/oder Lehrer, aber fast jede Nachhilfemutter, die ein neues Kind zu mir bringt, teilt mir erst einmal - offensichtlich um meine Bestätigung bittend mit -, dass ihr Kind hochbegabt sei, ADS habe, hyperaktiv sei oder eine Lese- und Rechtschreibschwäche habe. Das kann doch nicht sein, dass die Kinder heute alle so krank sind? Manchmal denke ich mir: „Wenn dein Kind eine Lese- und Rechtschreibschwäche hat, dann üb doch mehr mit ihm, anstatt Karriere zu machen!“, „Wenn dem Kind Aufmerksamkeit fehlt, warum gibst du sie ihm nicht?“
Ich weiß nicht, sehe ich das zu hart oder übersehe ich da etwas?
Euer G., der sich diese Fragen nicht nur deshalb stellt, weil er in seinem zukünftigen Lehrerberuf gerne etwas seine Nerven schonen möchte…