Hi zusammen.
Wie verhalten sich die Menschenrechte (MR) und die monotheistischen Religions-Ethiken (RE) zueinander? Stehen sie auf der gleichen Ebene oder gibt es eine Hierarchie? Stehen die einzelnen RE ü b e r den MR oder sind sie umgekehrt diesen u n t e rgeordnet?
In fast allen Staaten der Erde werden Menschenrechte offiziell anerkannt. Leider gilt das überhaupt nicht für deren praktische Umsetzung. Oft werden die MR von der national oder regional verbindlichen RE dominiert. Beispiel: die Körperstrafen-Justiz in Saudi-Arabien, Sudan, Mauretanien und Pakistan. Und ganz allgemein die Unterdrückung der Frau im Islam. Ich verzichte auf andere Beispiele, auch betr. anderer Religionen.
Faktisch kann also nicht davon die Rede sein, dass die Menschenrechte global über den Religionsethiken stehen. Warum auch? Die Religionen selbst kennen den Begriff des MR nicht, auch nicht sinngemäß. Da, wo sie sich mit ihnen arrangierten, geschah das nie freiwillig. Es geschah nur, weil die politischen Mächte des Westens, die (weitgehend) die MR vertreten, global dominieren und die einzelnen Länder motivieren (politisch, wirtschaftlich), die MR formal anzuerkennen. Auch das Christentum assimilierte die Menschenrechte nur, weil die politische Entwicklung es dazu zwang.
Das global dominierende Gesellschaftssystem ist die Demokratie, wenn auch natürlich nicht überall. Aber auch in nichtdemokratischen Staaten sind die demokratischen Werte (z.B. MR, Pluralismus) allgegenwärtige Kriterien im Denken der Menschen. Das haben die neueren Entwicklungen in mehreren islamischen Ländern gezeigt. Ganz offensichtlich haben die MR eben doch das Potential eines global bzw. universal gültigen Ethiksystems.
Wer den Pluralismus als absoluten Wert anerkennt, gesteht schon ein, dass die Menschenrechte den religiösen Ethiken übergeordnet sind, auch wenn ihm das nicht bewusst ist. Denn die (monotheistischen) RE selbst sind ganz und gar nicht pluralistisch, sie verabsolutieren sich selbst und gestehen anderen Religionen oder sonstigen Weltanschauungen kein Existenzrecht zu. Das gilt evident für das (klassische) Christentum und für den (klassischen) Islam. In puncto Judentum bin ich gerne etwas vorsichtiger mit diesem Vorwurf, möchte aber auf Moses, eine wichtige Symbolfigur des Judentums, verweisen.
Zitat aus der Tora:
Ex 23,23
Wenn mein Engel dir vorausgeht und dich in das Land der Amoriter, Hetiter, Perisiter, Kanaaniter, Hiwiter und Jebusiter führt und wenn ich sie verschwinden lasse,
Ex 23,24
dann sollst du dich vor ihren Göttern nicht niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Du sollst keine Kultgegenstände herstellen wie sie, sondern sie zerstören und ihre Steinmale zerschlagen.
(…)
Ex 23,27
Ich sende meinen Schrecken vor dir her, ich verwirre jedes Volk, zu dem du kommst, und alle deine Feinde lasse ich vor dir die Flucht ergreifen.
Mit Pluralismus hat das herzlich wenig zu tun. Eine solche Praxis widersprach den altorientalischen religionstoleranten Gepflogenheiten beim Erobern eines Landes völlig. Die Verse gehören zu den Gründungstexten der ersten monotheistischen Religion, aus der später das Christentum hervorging. Der Islam sieht sich dann als Vollendung der beiden Vorgänger.
Meine These ist: Wer den Pluralismus anerkennt, stellt ihn zusammen mit der Menschenrechten ü b e r die religiösen Ethiken. Nur der Pluralismus garantiert, dass Menschen ihre Religion frei wählen können bzw. auf Religion auch verzichten dürfen.
Es gibt also keinen ethischen Relativismus. Ein solcher Relativismus besagt, dass es keine universal gültige Ethik gibt. Die Menschenrechte aber sind eine solche Universalethik. Ohne sie und ihre Dominanz über die RE gäbe es nur einen ewigen Machtkampf zwischen den partikularen Ethiken der Mono-Religionen, welche, gäbe man ihnen freien Lauf, ihre Interessen natürlich imperialistisch durchsetzen würden. Die Geschichte des Christentums und des Islam beweisen das. Wie sich das Judentum verhalten hätte, wäre es zwischen dem 6. Jh. v.u.Z. und dem 1. Jh. u.Z. nicht in alle Länder verstreut worden, weiß man nicht. Immerhin stand es fast 2000 Jahre lang ohne staatlich-politische Macht da.
Kernfrage also:
Sind die Menschenrechte nur eine Ethik unter vielen oder sind sie die höchste Form der Ethik, welche Anspruch auf globale Geltung erheben darf?
Chan