Mobbing Teil 2

Hallo,

ich verweise auf den Thread weiter unten.

Ich arbeite als Schulsozialarbeiter und habe daher sehr häufig mit Mobbing zu tun.

In dem Thread weiter unten tauchte immer wiede die Forderung auf, die Täter zu bestrafen. In meiner Praxis habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass dies meist das Gegenteil bringt - nämlich dass die Kommunikation vollkommen aufhört oder eben das Mobben in den „Untergrund“ verlagert wird.

Genauso häufig erlebe ich es als fatal, die Schuld bei den Opfern zu suchen, was leider erschreckend häufig vorkommt.

Daher meine erste Frage:

  1. Welche Erfahrungen habt ihr mit welchen Mobbinginterventionen?

In meiner Praxis und auch aus eigener Erfahrung aus meiner Schulzeit weis ich, dass oft auch Täter unter Situation leiden.
So kam es auch schon einmal vor, dass ein Schüler zu mir kam und meinte:

„Bei uns in der Klasse wird Hans ziemlich heftig gemobbt!“
Auf meine Nachfrage von wem, sagte der Schüler rot werdend: „Hauptsächlich von mir!. Ich würde gerne aufhören, aber ich schaff das nicht!“

Daher meine zweite Frage, an alle ehemaligen Mobbingakteure, Zuschauer, Helfer, … gerichtet:

  1. Wie denkt ihr heute über das Mobbinggeschehen von damals? Welche Gefühle löst es in euch aus, wenn ihr dem Opfer von damals zufällig begegnet bzw. begegnen würdet.

Vielen Dank und liebe Grüße
Stefan

leichtes Mobbing aus Tätersicht
Hallo

Ich habe unten schon mal kurz was dazu geschrieben: In der 7./8. Klasse war ich Teil einer "Täter"gruppe.

Wir waren vier Mädchen aus dem gleichen Dorf, die mit der Bahn zur Schule fahren mussten und dort in die gleiche Klasse gingen. Die eine, nennen wir sie Anna, hat uns einfach „voll genervt“. Sie musste wohl oder übel mit uns in der gleichen Bahn fahren, aber wir haben sie ausgegrenzt, liessen sie nicht bei uns sitzen, oder falls doch, machten wir verletzende Sprüche über sie etc. Weiter ging das Mobbing nicht; d.h. in der Schule liessen wir sie in Ruhe, wir „steckten“ auch keine weiteren Kollegen an, und körperliche Gewalt, Dinge wegnehmen etc. kamen auch nicht vor.

Nun zu Frage 1:
Bei uns schritten schliesslich Annas Eltern ein und informierten unsere Eltern. Diese kontaktierten und beratschlagten sich zunächst gegenseitig und stellten uns dann je bei sich zuhause alle am gleichen Abend zur Rede: Sie erklärten uns, dass Annas Eltern berichtet hatten, wie Anna von uns geplagt werde, und wie sehr sie darunter leide (v.a. mit Fokus auf letzterem), und fragten, weshalb wir das tun würden, und weshalb wir Anna so sehr nicht mögen würden. Das Verblüffende für mich selber war, dass ich auf diese Frage keine Antwort hatte. Ich hatte mir doch nie überlegt, weshalb ich das tat? Oder weshalb sie mich nervte? Geschweige denn, dass mir bewusst gewesen war, wie sehr sie unter unserem Verhalten leiden musste.

In diesem eher leichten Fall und drei eigentlich sozialen und wohlerzogenen Mädchen gegenüber, hat es ausgereicht, uns in einem frühen Zeitpunkt die Augen zu öffnen mit der schlichten Frage „warum eigentlich“? Wir hatten über unser Verhalten gar nie nachgedacht vorher; sobald wir das taten, war uns völlig klar, wie daneben und unfair dieses war.

Zu Frage 2:
Ich weiss bis heute nicht, „wie uns das passieren konnte“. Ich war eigentlich ein sehr gerechtigkeitsliebendes Kind. Da spielte wohl eine Gruppendynamik mit. Wir waren damals dann tief beschämt, entschuldigten uns bei Anna und nahmen sie in unsere Gruppe auf. Wir staunten selber, dass sie sich uns auch tatsächlich anschloss. Wir gingen noch mehrere Jahre in die selber Schule und waren in der gleichen (inzwischen erweiterten) Clique. Dadurch normalsierte sich die Beziehung sehr schnell und wäre es nichts Spezielles, sie heute wieder zu treffen. Sie hat uns unser Verhalten später auch nie vorgeworfen; inzwischen haben wir keinen Kontakt mehr.

Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass diese Phase später, nach Abschluss der Schule, für sie selber nochmals zum Thema wurde, und dass es auch bei einem Treffen daher nochmals zum Thema werden könnte. Als Erwachsene gemeinsam rückblickend klären: Was war da eigentlich los. Schuldgefühle habe ich nicht, aber es tut mir sehr leid, wie wir sie behandelt hatten und das würde ich ihr bei einer solchen Gelegenheit auch als Erwachsene gerne nochmals sagen.

Gruss
Qu.

Hi,
zu was sollen Privatforschungen nützlich sein?
Empfehlen könnte ich „Täter - Opfer Ausgleich“.
Das Verfahren wird im Fach Mediation gelehrt.
Die EU erwägt, dieses Fach als Berufsbild zu etablieren.
Vielleicht gibt es auch einzelne Fortbildungen für Sozialarbeiter.
Ciao

Hi,

weiter unten hast du mich gefragt, was damals getan wurde, wie es ankam und so weiter. Ich möchte das hier oben, zusammen mit den hier gestellten Fragen, beantworten, denn hier ist es besser aufgehoben.

Allgemein möhte ich aus heutiger, erwachsener Sicht sagen, dass Kinder bis zu einem gewissen Grade so sind. Sie können nicht abstrahieren, sie können sich nicht in andere hineinversetzen, etc. All das entwickelt sich sehr spät, erst in oder nach der Pubertät. Und selbst Erwachsene sind oft nicht in der Lage, aus den Erfahrungen anderer zu lernen oder sich in andere hineinzuversetzen.
Das bedeutet m.E. in der Praxis, dass die Zielsetzung, Mobbing komplett bekämpfen zu wollen, scheitern MUSS. Sie bedeutet aber auch, dass es mir persönlich zumindest gelingt, zu verzeihen.

Das bedeutet aber trotzdem, dass man als Erwachsener die Sisyphosarbeit auf sich nehmen muss, immer wieder neu Grenzen zu setzen und den Kindern und Jugendlichen zu erklären, was erlaubt und was verboten ist, was man selbst schaffen und was man abgeben muss.

Konkrete Beispiele kann und will ich nur für das geben, was mir selbst passiert ist, denn ich habe ja gelesen, das es einigen viel schlimmer erging, und ich wußte auch vorher, dass es schlimmeres git als meinen Fall.

Bei mir war es zB einmal so, dass in der Abschlusszeitung eine abfällige Bemerkung über mich stand. Meiner Muti passte das gar nicht, sie wurde sehr wütend und hat sich an die Klassenleitung gewandt. Daraufhin wurde das im Unterricht angesprochen, ich wurde vor die Klasse gestellt und dann wurde die Problematik gemeinsam besprochen. Endergebnis: Die Bemerkung wurde entfernt.
Sehr schön problem- und gemeinschaftsorientiert, oder? Und so schön pädagogisch wertvoll!
Ich wäre am liebsten gestorben. Ich weiß nicht, wie mein Status danach in der Klasse war, ist wurscht - Schuljahr und schulzeit war eh gleich zuende. Aber wenn auch nur einer auf mich gehört hätte, dann wäre über diese Zeile in der abschklusszeitug kein Wort verloren worden. Ich hätte sie mit Fassung getragen, nach Leibeskräften versucht, darüber zu lachen, und gut wär’s gewesen.
Überhaupt war (und ist) es mir sehr wichtig, Dinge alleine zu schafen. Sich durchzuboxen. Und das auch zugetraut zu bekommen. einfach zu wissen, das Unterstützung da ist - aber meine Kämpfe nicht weggenommen zu bekommen.
Ein weieress Beispiel, viel später, aber gleiches Prinzip: Referendariat. Eine Klasse, eher ältere Schüler, die mir das Leben wirklich schwer machte. Spicken, keine Hausaufgaben, Verweise, zu spät kommen, alles , womit Schüler so einen Lehrer ärgeern können, außer direkte Streiche. Ich ewar fertig. Ich war so(!!!) froh, die Klasse los zz sein, glaubt es mir. Aber bis zum letzten Tag bin ich tapfer rein, war vorbereitet, hab mal Verweise verteilt oder Tacheles geredet - nicht immer alles pädagogisch richtig, aber ich hab mich angestrengt. Ich hab auch mal gesagt, dass es mir stinkt. Am letzten Tag geh ich rein und stehe plötzlich vor einer entspannten, fröhlichen und freundlichen Klasse, und die beiden größten Rabauken strahlen am freundlichsten, wünschen mir viel Spaß als Lehrerin, danken mir für die Zeit, und …„Sie werden ganz sicher eine gute Lehrerin!“.
Mobbing ist also ein Test, den man bestehen kann, und vielleicht auch muss, auf jeden Fall aber soll.

Natürlich gibt es Grenzen, davon haben wir unten genug gehört, und Lehrkräfte sollen dann einschreiten. Solche Prügeleien zB dürfen nicht geschehen. Aber man muss als Erwachsener den Spagat schaffen, die Täter zu strafen, ohne so zu wirken, als wäre man vom Opfer geholt worden. Und (und damit werde ich mich jetzt sicher in die Nesseln setzen, aber ich stehe dazu) man muss auch darauf achten, dass man dem Opfer nicht vermittelt, es wäre immer unschuldig und würde immer alles richtig machen. Auch wenn ich gemobbt werde, darf ich keinen anderen beleidigen oder treten oder was auch immer antun.

die Franzi

Hallo,

Privatforschungen erweitern den Horizont.

Täter-Opfer-Ausgleich macht nur Sinnn, wenn der Täter sich als Täter sieht. Doch in Mobbingstrukturen nehmen „Täter“ gerne an, dass die „Opfer“ selbst schuld sind.

Mediation bringt deshalb nichts, weil die Täter meist kein Interesse an einer Schlichtung haben, sondern nur Interesse am Ausgrenzen.

Fortbildungen habe ich genügend besucht. Habe aber noch keine „sichere“ Mobbingmethode gefunden.

Ich selbst arbeite sehr erfolgreich mit dem No Blame Approach. Die Erfolgsquote liegt bei ca. 80%. Ist zwar gut, aber immer noch 20% zu wenig. Und dann gibt es auch immer noch viele Fälle, von denen ich an unserer Schule (1000 Schüler) nichts mitbekomme.

LG
Stefan

PS: Danke für deine Anmerkung.

1 Like

Hallo
und vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Da hat Anna Glück gehabt.

Aus meiner praktischen Erfahrung mit Mobbing kann ich berichten, dass in ALLEN Fällen in denen Eltern von Opfern Kontakt mit den Tätern (oder eben deren Eltern) aufnahmen, das Mobbing schlimmer wurde. Dies wird auch in den mir bekannten Fachbüchern so beschrieben.

Zu dem, dass Anna in die Clique kam:

Meine Erfahrung hat mich auch gelehrt, dass „Opfer“ in der Regel nicht nur in Ruhe gelassen werden wollen (weil das auch eine Form von Ausgrenzung sein kann), sondern in vielen Fällen eigentlich genau zu der Gruppe dazu gehören wollen, von denen sie gemobbt werden.

Ein Grundbedürfnis des Menschen ist die soziale Verbundenheit mit anderen. Und oft sind eben die „Mobber“ die Leithammeln einer Klasse.

LG
Stefan

1 Like

Moin! Moin!
Mobbing? Ich weiß nicht ob die Bezeichnung bei der folgenden Geschichte passt:
Meine Tochter fuhr täglich mit dem Schulbus und war anfangs aus unserem Dorf die Jüngste. Eine Bemerkung machte mich stutzig: „Jacke dreckig? Ich bin die Böschung runtergesprungen, weil die Schülerinnen aus der 8. Klasse kamen…“ Ich hab eine Nachbarstochter gefragt, was da los ist. Die Mutter mischte sich ein: „Sag nichts, sonst bist Du dran!“ Nach längeren Nachforschungen erfuhr ich, unsere Tochter wurde im Bus mit „Kopfnüssen“ gequält, auf dem Weg eingeschüchtert, ihr Tornister ausgekippt. Ich habe eine Urlaubswoche den Schulweg überwacht, die Namen der Haupttäter ermittelt.
Dann: Mit den Eltern gesprochen, die Klassenlehrer Realschule, Hauptschule informiert, die jeweiligen Rektoren informiert, das Jugendamt informiert. Ob das pädagogisch richtig ist? Keine Ahnung, meine Tochter hatte ihre Ruhe!
Kinder sind nie von Geburt böse, aber ihr Handeln muss sofort Konsequenzen haben, nur so können sie ihre Grenzen austesten.
Mit freundlichen Grüßen
Dino

mhm was da wieder für Machphantasien im Raum stehen :smile:

„man muss die Täter bestrafen ohne dass…“

wem nutzt denn die Strafe? dem Opfer? oder dem System? Gerade in einem Mobbingkontext. Warum steht hier nicht: wie kann man eine Mobbingsituation auflösen, damit alle Parteien wertschätzung untereinander zeigen? Wäre da mit einem Mobbingaddressaten nicht mehr gediehnt?

Hi,

was für Machtphantasien bitteschön? Falls Du hier nicht richtig und weiter unten gar nicht gelesen hast: Ich spreche über mich, und darüber, dass ich gemobbt wurde, und was ich mir gewünscht hätte. Aus meinem Erleben gibt es nur drei Varianten, was passiert, nachdem mich jemand ausgelacht hat: entweder, es bemerkt niemand, oder ich kriege gesagt „Ja dann lass das doch, dann wirst Du auch nicht ausgelacht!“ - oder ein Erwachsener stellt sich demonstrativ vor mich ind beschützt mich, wie in dem geschilderten Fall. Alle drei Varianten beschützen den Mobber: in Variante eins kommt er ganz ungestraft davon, in Variante zwei wird ihm sogar aktiv der Rücken gestärkt, indem mich die Erwachsenen sogar mitmobben (wenn auch zumindest nicht imer absichtlich), und in Variante drei bekommt er ein bisschen ab, dafür wird er aber auch darin bestärkt, dass ich ein gutes Opfer bin, und bekommt Aufmerksamkeit. Wahnsinn. Und falls es dir auffällt: in keinem der Szenarien bekommt das Opfer Aufmerksamkeit. Oder gar echten Schutz und Trost.
Ich habe das satt, dicke, die Nase gestrichen voll. Ich möchte für mich selber eintreten können, ich wollte und will wahrgenommen werden - gehört und gesehen werden, ich wollte und will meine eigenen Kämpfe kämpfen dürfen und mir meine Beulen selber verdienen. Selbst verantwortlich sein für mich und mein Leben.
Und ich möchte das Leute, die mir etwas tun, genauso eins drauf (im übertragenen Sine) bekommen wie ich,wenn ich was angestellt habe. Warum soll es ok sein, wenn mich jemand ärgert oder auslacht? Ist auslachen ok, wenn man jemand schwaches auslacht?

Und nein verdammich, ich will nicht reden! Es gibt in solchen Situationen auch nichts zu bereden: das sind keine Situationen, in denen auf irgendeiner Ebene ein Konflikt vorhanden ist, der sich besprechen läßt. Kinder mobben einander, weil sie es können und um zu sehen, ob sie damit durchkommen.

Und noch eins zum Schlus: Mobbingadressat ist ein scheß Wort, Mobbing ist nicht in parfümierten Büttenumschlägen verpackt. Wer gemobbt wird, leidet. Auch noch lange danach.

die Franzi

2 Like

Hi,

deine Beiträge sind Balsam :smile: Was hätte ich nicht getan, um dazuzugehören…

die Franzi

1 Like

Genau,

und das ist meiner Meinung nach oft der Grund, warum Mobbing überhaupt möglich ist: Weil eben viele wegschauen oder mitmachen, um dazuzugehören oder zumindest nicht selbst ausgegrenzt zu werden.

Das heißt: Das Bedürfnis nach Verbundenheit ist mit dafür verantwortlich, dass Menschen es zulassen, wenn andere gequält werden. Verrückt!

Liebe Grüße

Stefan

Hallo,

ich kann gut verstehen, wenn man als Elternteil eines gemobbten Kindes eingreifen will. Besonders dann, wenn man erlebt, dass von Seiten der Schule nichts läuft. Dennoch bin ich der Meinung (und habe wie auch schon beschrieben) die Erfahrung gemacht, dass so eine „Einmischung“ eher das Gegenteil bewirkt. Trotzdem nachvollziehbar.

Du schreibst:

Keine Ahnung, meine Tochter hatte ihre Ruhe!

Genau das ist die Frage: Will das deine Tochter? Oder will sie Verbundenheit erfahren?
(Wobei das eine das andere auch nicht ausschließen muss!!!)

LG
Stefan

Hallo zurück

Aus meiner praktischen Erfahrung mit Mobbing kann ich
berichten, dass in ALLEN Fällen in denen Eltern von Opfern
Kontakt mit den Tätern (oder eben deren Eltern) aufnahmen, das
Mobbing schlimmer wurde. Dies wird auch in den mir bekannten
Fachbüchern so beschrieben.

Ich denke auch, dass wir kein klassischer „Mobbingfall“ waren (so es denn sowas gibt), und ich habe deshalb gezögert, ob ich überhaupt davon schreiben soll. Aber es zeigt doch, dass in gewissen Konstellationen auch Kinder und Jugendliche, die eigentlich gar nicht zu Mobbing neigen würden, auf diese Schiene geraten können. Und es zeigt auch, wenn man meinen Artikel im unteren Thread liest, dass dasselbe Kind vom Opfer zum Täter und wieder zum Opfer werden kann.

Meine Erfahrung hat mich auch gelehrt, dass „Opfer“ in der
Regel nicht nur in Ruhe gelassen werden wollen (weil das auch
eine Form von Ausgrenzung sein kann), sondern in vielen Fällen
eigentlich genau zu der Gruppe dazu gehören wollen, von denen
sie gemobbt werden.

Oh ja, so ging es mir auch. Als in der Grundschule die Klassen neu gemischt wurden, war ich auch tief traurig, weil die Mädchen, die mich in der 1. und 2. (bis zum Eingreifen meines Bruders, vgl. ebenfalls Thread unten) gemobbt hatten, alle in der Parallelklasse landeten. Dabei war es ein Glücksfall, denn unsere Klasse mit ihren vielen unauffälligen, „langweiligen“ Kindern entpuppte sich als richtig toll.

Gruss
Qu.

Das Drumherum
Hallo Stefan,

ich bin Lehrerin mit Unterrichtserfahrung an verschiedenen Schultypen (GS, HS (staatlich und privat), Gymnasium, Akademie).

Meine Berührungen mit Mobbing sind ebenso vielfältig, wie die Erfahrungen daraus eindeutig sind:

  1. Lehrer machen Mobber.
    Nach meiner Überzeugung hat die Atmosphäre an einer Schule einen entscheidenden Einfluss auf die Bereitschaft zum Mobbing. Die Person des Lehrers steht dabei in vorderster Front. Lehrer, die - aus welchen Gründen auch immer - sarkastisch, zynisch, ironisch oder bösartig sind, fungieren als Modell. In dem Augenblick, wo ein Lehrer Schüler bloßstellt, lächerlich macht oder als Sündenbock erwählt, erzeugt er einen Sog, der alle mit sich reißt, die sich davor schützen möchten, in die Position des Verlierers zu geraten.

In einer Schule betrifft diese Angst 80 Prozent aller Schüler, weil sie mitten in der Persönlichkeitsentwicklung stecken und ihre Position in der Gruppe ständig neu definieren müssen.

Das bedeutet, dass die Psychohygiene der Lehrer ein wesentlicher Punkt bei der Bekämpfung von Mobbing (und anderen Gewaltstrukturen) ist. Supervision als selbstverständlicher Bestandteil der Lehrertätigkeit wäre eine gute Idee. Da diese aber nicht ohne weiteres realisierbar ist, können auch kleinere Interventionen helfen. Ich persönlich habe gute Erfahrungen mit „Trainingsstunden“ für Lehrer gemacht. Näheres dazu auf Anfrage :smile:

  1. Mobbing unterliegt anderen Gesetzen als andere Streitmuster.
    Streitschlichterprojekte, Patenschaften, Mediationen sind tolle Ideen, wenn es um die Klärung von Konflikten geht. Bei Mobbing greifen sie nicht, weil die Dynamik des Mobbings eine systemische ist. Es gibt zwischen dem „Täter“ und dem „Opfer“ eine ganze Reihe weiterer Personen und Funktionen, die Mobbing zu dem machen, was es ist und ohne die es nicht funktionieren würde. Diese finden aber in klassischen Modellen zur Konfliktlösung keine Beachtung.

  2. Der Schrei nach Rache.
    Es ist immer wieder zu beobachten, dass es in unserem Bewusstsein von Gerechtigkeit der Schuldige gefunden und bestraft werden muss. Opfer von Gewalt finden nicht selten erst dann Ruhe, wenn der Täter verurteilt wurde. Das archaische Denken von „Auge um Auge…“ gewinnt dabei häufig ein enormes Gewicht. Letzten Endes zeigt es aber nur eines: Gewalterleben zieht Gewalttätigsein nach sich. Wie du mir, so ich dir (oder stellvertretend der Richter/ Lehrer…).

Abgesehen davon, dass es grundsätzlich zu hinterfragen wäre, warum wir lieber Köpfe rollen sehen als (Re-) Sozialisierung betreiben wollen, ist es für die Opfer von Mobbing höchstens die zweitbeste Lösung. Sie wollen - wie auch in den Posts zum Thema schon öfter zu lesen - viel lieber dazugehören. Und genau hier greifen Ansätze wie der „No Blame Approach“, den du ja selbst praktizierst, nach meiner Erfahrung ganz hervorragend. Ich habe bislang nichts gesehen, was bei der Unterbrechung von Mobbing erfolgreicher für ALLE Beteiligten gewesen wäre.

Heißt: Die große Herausforderung besteht in meinen Augen darin, an den Strukturen zu arbeiten, die Mobbing begünstigen. Der erste Ansatz könnte in der Ausbildung und Begleitung von Lehrern liegen. Hier einen Fuß in die Tür zu kriegen, ist möglicherweise erfolgversprechender als auf eine Strukturveränderung in der Schullandschaft zu hoffen.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo Jule,

besser kann man es nicht in Worte fassen - chapeau!

Herzliche Grüße

Helmut

Hi,

nur ein Einwurf zu dem, was Du über Lehrer sagst: Ich glaube, du überbewertest das etwas. Natürlich haben Ironie etc. bei einem Lehrer wenig zu suchen. Wiederum sorgt man durch die komplette Entfernung jeglicher Ironie, jeglichen Sarkasmus, … nicht dafür, dass Mobbing weniger wird - es wird nur nicht mehr (ich habe in meiner Schulzeit keine solchen Lehrer gehabt, und trotzdem gab es Mobbing. Ich war ja auch nicht die Einzige).

die Franzi

Liebe Franzi!

Ich hätte sie mit
Fassung getragen, nach Leibeskräften versucht, darüber zu
lachen, und gut wär’s gewesen.

Nein - ich glaube nicht, daß es dann gut gewesen wäre. Letztendlich hättest du es nur runtergeschluckt. Das habe ich häufig gemacht, und das Endergebnis unterscheidet sich nicht wesentlich von deinem, wie wir festgestellt haben. Frag mich aber nicht, wie eine wirklich gute Lösung hätte aussehen können.

Das fatale am Mobbing ist ja: Egal, was das Opfer macht, wie es reagiert, es kann alles zu seinen Ungunsten verwendet werden. Das Opfer schluckt alles runter? Cool, da können wir weiter machen … Das Opfer wehrt sich? Mann, was bist Du denn für eine Humorbremse, verstehst auch gar keinen Spaß … Das Opfer lässt sich helfen? Mamasöhnchen, Mamasöhnchen. Das Opfer lässt sich nicht helfen? Coool, wir können weiter machen … DAS ist das Wesen von Mobbing. Jedes Zappeln lässt einen noch tiefer in den Sand rutschen, mit jedem Befreiungschlag wickelt sich das Spinnennetz noch enger um Dich.

Es ist völlig egal, was das Opfer tut, wenn es einmal als Opfer auserkoren wurde. Deswegen sind such Ratschläge wie: „Ja dann lass das doch, dann wirst Du auch nicht ausgelacht!“ völlig sinnlos. Wer ausgelacht wird, weil er die falschen Klamotten trug, wird auch ausgelacht, wenn er die richtigen Klamotten trägt: „Guckt mal, die kleine Franzi hat sich verkleidet! Hahaha …“ Wer fett ist, wird genauso ausgelacht, wenn er Diät macht. Auf einem Geburtstag nehmen sich alle Kinder zwei Stück kuchen, der Fette nur eins: „Hahaha, du willst wohl abnehmen …?“ Nimmt er zwei wie alle anderen: „Guckt mal, wie verfessen der ist!!!“ Als Mobbingopfer hast Du keine Chance.

Ich glaube, der wirksamste Schutz gegen Mobbing ist es, Kindern Selbstbewusstsein und Souveränität zu vermitteln und das Gefühl, so wie sie sind in Ordnung zu sein. Dann wäre vielleicht über Dich gar keine Bemerkung dringestanden. Oder ein einziger, souveräner Satz von Dir hätte genügt, daß die Bemerkung gelöscht wird. Oder die Bemerkung wäre voll nach hinten losgegangen und alle hätten auf den Autor geschimpft, der voll blöd ist, weil er so etwas schreibt …

Ich halte es für fatal, daß „Schuld“ und „Ursache“ und „Grund“ und „Verantwortung“ so oft miteinander verquickt wird. Kein Opfer ist an seinem Mobbing schuld. Aber die Ursache kann durchaus im Opfer liegen - und damit meine ich nicht die falschen Hosen oder die roten Haare, sondern Selbstbewusstsein und Souveränität. Mobbing schafft sich dadurch auch seine eigenen Daueropfer. Wie Wasser, das - einmal durch einen kleinen Riß in ein Mauerwerk eingedrungen - immer weitere Risse schafft, durch die immer mehr Wasser eindringt, bis irgendwann der Stein vollkommen zerstört ist.

einfach zu wissen, das Unterstützung da ist

Seufz. Ja. :smile: Die Leute, die links und rechts und hinter einem stehen …

Gruß,
Max

6 Like

Hallo,

Auch Hallo!

Keine Ahnung, meine Tochter hatte ihre Ruhe!

Genau das ist die Frage: Will das deine Tochter? Oder will sie
Verbundenheit erfahren?
(Wobei das eine das andere auch nicht ausschließen muss!!!)

Ich finde, meine Geschichte ist kein klassisches Mobbing. Es ging ja nicht um Ausgrenzung oder ähnliches, sondern um Körperverletzung. Ich glaube aber, dass sich Einmischung der Eltern lohnt. Kinder sind doch nicht/selten abgrundtief schlecht! Sie müssen aber sofort Konsequenzen erfahren! Damit meine ich kein stupides „Draufhauen“…
Mit freundlichen Grüßen
Dino

Hallo,

Ich glaube aber, dass sich Einmischung der Eltern lohnt.

Das ist die Frage. Es mag sein, dass vordergründig bestimmte Handlungen unterbunden werden. Manchmal mag das genügen. Im Fall von Mobbing bringt es nach meiner Erfahrung eher gegenteilige Effekte. Das Kind wird zwar möglicherweise in Ruhe gelassen, ausgegrenzt bleibt es aber trotzdem.

Im günstigsten Fall bleibt es dabei. Wenn man Pech hat, geht das Mobbing weiter - nur subtiler und/oder noch bedrohlicher für das betroffene Kind.

Viel sinnvoller ist es, auf Strafen zu verzichten und stattdessen die mobbenden Kinder dabei zu unterstützen, ihr Verhalten zu ändern.

Schöne Grüße,
Jule

1 Like

Hallo Jule,

danke für diesen tollen Beitrag.

Kann ich auch fast unterschreiben, außer wie Franzi schon sagt, glaube ich auch, dass die Rolle des Lehrers in der Entstehung von Mobbing nicht sooo bedeutend ist.

Ich würde folgendes ändern:

Aus

Lehrer machen Mobber

würde ich machen:

„Lehrer haben einen Einfluss auf das Mobbingsystem!“

und

… hat die Atmosphäre an einer Schule einen entscheidenden Einfluss auf die Bereitschaft zum Mobbing

Da würde ich das Wort „entscheidenden“ weglassen.

Ist jetzt vielleicht etwas kleinkarriert von mir, aber ich finde es macht einen bedeutenden Unterschied.

Mindestens ebenso stark für die Entstehung von Mobbing halte ich das private soziale Umfeld der Betroffenen. So ist es z.B. erwiesen, dass Kinder, die einen (sexuellen) Missbrauch erlebt haben wesentlich leichter zu Täter wie auch Opfer werden können. Ebenso verhält es sich mit der Erfahrung von häuslicher Gewalt (auch psychische).

Eine sehr wichtige Rolle des Lehrers sehe ich in der Erkennung und Auflösung von Mobbing.

LG
Stefan