Geschlechtszuordnung
Hallo,
Der Aspekt, der hier die ganzen Streitereien verursacht scheint mir noch zu fehlen:
Soziologisch betrachtet drückt Mode
die Normierung gesellschaftlicher Beziehungen, die Zuordnung
zu bestimmten Gruppen der Gesellschaft und die Anpassung von
Individuen aus.
Was hier angedeutet aber nicht wirklich herausgearbeitet ist: Mode drückt vor Allem die Geschlechtszugehörigkeit aus: Während Männer ihre Haare auf der Brust pflegen, entfernen Frauen ihre Achsel- und Beinhaare. Als Frauen anfingen, Hosen zu tragen, wurde dies fast schon zum Politikum. Wo ein Mann gross und stattlich aussehen soll, ist für eine Frau eher zierlich angesagt, etc.
Und was wäre ein Geschäftsman ohne Kravatte?
Wie wir das aufnehmen, ob wir dies als Zwang, Chance, Selbstverwirklichung oder Fremdbestimmung begreifen, hängt davon ab, wie wir uns mit unserer Rolle und Gruppenzugehörigkeit identifizieren. Sind wir, was ich „Geschlechtsangleicher“ nenne, oder eher „Differenzierer“? Kein Sinn zu streiten - bei Männern wie bei Frauen gibt es beide. Ok, bei Frauen sind die Angleicher stärker vertreten sind als bei Männern. Die Angleicherinnen tragen (kurz und überspitzt ausgedrückt) lieber Hosen als Röcke und messen Kleidung generell eher an der Bewegungsfreiheit, die sie bietet: Beinfreiheit, sicherer Schritt, Möglichkeit zu laufen, rennen und sich frei zu bewegen. Kosmetik, Haare entfernen und anderer „Schnickschnack“ wird daran beurteilt, inwieweit er auch für Männer relevant ist.
Bei Männern gehen die „Angleicher“ (noch) nicht gerade soweit, sich zu schminken und Röcke zu tragen (obwohl es auch dies bereits gibt), aber sie mögen keine Kravatten und keine Anzüge, sondern tendieren eher zur Unisex-Freizeitkleidung. (Dass sich gerade im Geschäftsleben die unterschiedliche Männer- und Frauenmode besonders lange hält, scheint mir übrigens kein Zufall - hier verteidigen Männer schlicht ihre Reviere.) Auch die langen Haare bei Männern gab es schon, zwar nur vorübergehend, aber es war deutlich ein Schritt in die gleiche Richtung wie Hosen bei Frauen.
Der „Vormarsch“ der Angleicher bringt die Gesellschaft etwas in Umbruch und es ändern sich etwas die Normen. Inzwischen dürfen Mann und Frau „sportlich“ sein (anstelle von zierlich versus stattlich) - was allerdings nicht ohne den Gegensatz jugendlich versus alt funktioniert. Anstelle von „männlich-behaart“ gegen „weiblich-glatt“ wird nun hygienisch-ästhetisch zum Ideal (was widerum nur bis zu einem gewissen Alter so recht funktioniert). Kurz: die Massstäbe der Mode verschieben sich zu anderen Kriterien, behalten aber ihr Hauptkriterium ein Erkennungszeichen bestimmter Gruppen zu sein.
Der ganze Streit um Hygiene, Ästhetik und Unvernunft geht am wirklichen Thema vorbei. Alle wissen, dass Männer unter den Achseln genauso viel, bzw. wenig stinken wie Frauen. Das war aber noch nie ein echtes Argument in dieser Diskussion. Alle wissen, dass Männerbeine stärker behaart sind als Frauenbeine - aber ändert das vielleicht etwas an der Frage, ob Frauen sich rasieren? Im Gegenteil: je behaarter Männer sind, desto glatter sollten nach gängigem Verständnis die Frauen sein.
Auch die offensichtlich ungesunden und sogar unglaublichen Auswüchse verschiedener Moden - wie Korsetts oder verstümmelte Füsse, Magersucht bis zum Verhungern helfen in dieser Diskussion nicht weiter, solange wir nicht thematisieren, welchen subjektiven Vorteil sie offenbar für viele Frauen versprechen: Die Ästhetikkriterien für Frauen bedeuten fast immer, sich maximal von Männern zu unterscheiden. Und dies wird von den Angleichern beider Geschlechter mitgetragen. - [Was jetzt nicht heissen soll, dass alle Differenzierer die verrückten Moden mitmachen. Es soll aber heissen, dass selbst die absurdesten Auswüchse offenbar noch subjektive Vorteile bringen.]
Aber diese Moden nicht mitzumachen, bedeutet nie einfach nur eine zufällige Vorliebe für Hosen oder behaarte Beine oder flache Absätze. Es bedeutet, ein anderes Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu favorisieren, welches nicht auf Betonung der Unterschiede beruht, sondern der Gemeinsamkeiten. Und die ganze Diskussion, was nun ästhetisch, erotisch oder weiblich ist, wirft genau diese Unstimmigkeit auf - obwohl sie komischerweise nie so offen ausgesprochen wird: viele finden es erotischer, wenn Männer und Frauen sich maximal unterscheiden, etliche finden es aber (inzwischen) erotisch, eine Beziehung zwischen (äußerlich) ähnlichen Personen zu suchen.
Beides finde ich übrigens ok. Nur verstehe ich nie so recht, warum es nicht unter diesem Gesichtspunkt thematisiert wird.
Die Frage, ob rasierte Beine oder nicht, wäre nämlich an sich völlig uninteressant, wenn es sich um eine bestimmte Vorliebe für eine bestimmte Art von Ästhetik handelte (so wie einige die Frabe rot und andere eher blau oder gelb bevorzugen). Erst bei der Frage ob Angleichung oder Differenzierung der Geschlechter wird es zur Streitfrage (und zum Thema des Frauenbretts).
Mit vielen Grüssen, Walkuerax