Ja, mehr, als Du glaubst.
Hallo,
Du glaubst, daß z. B. in Afghanistan ein Krieg ist und in den Nachrichten nicht völliger Blödsinn berichtet wird. Die Alternative dazu wäre, hinzufahren und Dir selber ein Bild zu machen. Aber Du hast nie die Zeit, um alles zu überprüfen.
Du glaubst im Wesentlichen an die Erkenntnisse der Physik, denn Du benutzt sie (zumindest unbewußt), z. B. wenn Du Deinen Computer verwendest und Postings eintippst (das funktioniert offensichtlich, denn Du erhältst Antworten) - und auch die der Chemie mit, wenn Du je ein Schmerzmedikament genommen hast, das Dir geholfen hat.
Du glaubst daran, daß Deine Sinne funktionieren und Dich nicht oder nur ausnahmsweise mit optischen Täuschungen und Halluzinationen zum Narren halten.
Du glaubst vielleicht an das eine oder andere Vorurteil - ich wäre z. B. nicht so sicher, ob nicht manche Tiere doch eine Art von (sogar komplexer) Sprache haben.
Du glaubst daran, daß Dein Gedächtnis Dir zuverlässig Erinnerungen an Gehörtes, Gesehenes und Erlebtes präsentiert, obwohl die Psychologen herausgefunden haben, daß das Gedächtnis keinesweg so zuverlässig und getreu ist und wir die Lücken unbewußt mit Erfundenem ausfüllen, so daß es möglichst logisch aussieht. Ohne die letzten drei Punkte würdest Du vielleicht psychisch auseinanderfallen.
Das Bisherige betrifft nur die stillschweigend gemachten Voraussetzungen, die es einfacher machen, sich im Leben zu orientieren.
Ein anderer Typ von Glauben entteht daraus, daß selbst, wenn Du alle Zeit der Welt hättest, Du nicht alle Voraussetzungen überprüfen kannst, und zwar prinzipiell nicht. Irgendwann landest Du beim Versuch, etwas zu erklären, bei nicht weiter rückführbaren Aussagen. Beispiele: Theorien der Physik, welche die durch Beobachtungen und Experimente gewonnenen Fakten ordnen, wie etwa die Newtonsche Mechanik, welche auf den Newtonschen Axiomen aufbaut. Zu den nicht vollständig überprüfbaren Voraussetzungen gehören auch die induktiven Schlüsse: wo bisher kein Gegenbeipiel gefunden wurde (z. B. die Aussage, daß alle Menschen irgendwann sterben, da es bisher immer so beobachtet wurde).
Religiöser Glaube ist wieder etwas ganz anderes. Ich weiß nicht, ob jeder irgendeinen religiösen Glauben haben muß. Erik H. Erikson setzt die Religionen in Beziehung zur der ganz frühen, ersten Lebensphase des Menschen (1. Lebensjahr, Urvertrauen vs. Urmißtrauen). Im günstigsten Fall entsteht eine gesunde Basis des Urvertrauens, das heißt zunächst, gut und zuverlässig von der Mutter mit Nahrung, Wärme und Liebe versorgt zu werden. Religiöser Glaube wäre soetwas wie ein Urvertrauen darin, sinnvoll in den Zusammenhang der Welt eingebettet zu sein und ein Optimismus, daß es sich im Leben schon gut fügen werde, auch wenn es im Moment vielleicht nicht so gut aussieht (weil Gott dann Sorge trage wie die Mutter bzw. die Eltern für das Kleinkind). Aber mir scheint es nicht zwingend, daß jemand mit einem „gesunden“ Urvertrauen dann noch eine Religion braucht.
Grüße,
I.