Neolithische Revolution: Kulturelle Übernahme oder Wanderungsbewegung nach Europa?

Guten Tag!

War die Ursache der neolithischen Revolution eine Wanderungsbewegung von Menschen aus dem „fruchtbaren Halbmond" nach Europa?

Hallo,
ich gehe davon aus, dass Du den Wikipedia-Artikel über die Neolithische Revolution ganz gelesen hast. Was daran hast Du nicht verstanden bzw. wo sind da noch Fragen offen?
Gruß
Eckard

Guten Tag!

War die Ursache der neolithischen Revolution eine
Wanderungsbewegung von Menschen aus dem „fruchtbaren Halbmond"
nach Europa?

Nein, die neolithische Revolution vollzog sich im vorderen Orient. Europa war damals noch ganz unbedeutend, blieb lange nomadisch „rückständig“ und hat erst Jahrtausende später von den orientalischen Entwicklungen profitiert.

Gruß!
Karl

„Was sich in gewissen Regionen Schritt für Schritt entwickelt hatte, wurde in anderen nach Ansicht einiger Wissenschaftler durch Einwanderung wesentlich schneller eingeführt. Ein Beispiel sei die Neolithisierung in Mitteleuropa um 5500 v. Chr."

http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Neolithisc…

Hallo,

Deine Ausgangsfrage war, ob die Wanderbewegung aus dem Halbmond Ursache war. Nein.

„Was sich in gewissen Regionen Schritt für Schritt entwickelt
hatte, wurde in anderen nach Ansicht einiger Wissenschaftler
durch Einwanderung wesentlich schneller eingeführt. Ein
Beispiel sei die Neolithisierung in Mitteleuropa um 5500 v.
Chr."

Hier geht es darum, wie die Entwicklung in Europa von statten ging. Vermutlich haben Einwanderer aus dem Orient die Technik mitgebracht, sie hat sich hier also nicht eigentständig entwickelt.

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Es fand also eine Wanderbewegung aus dem Orient nach Europa statt. Somit war die Ursache der Neolithisierung in Europa eine Wanderbewegung aus dem Orient.

Es fand also eine Wanderbewegung aus dem Orient nach Europa
statt. Somit war die Ursache der Neolithisierung in Europa
eine Wanderbewegung aus dem Orient.

Ach, das wolltest du wissen, hast du so nicht formuliert.
Ist vermutlich schwer zu bestimmen, wie in dieser vorgeschichtlichen Zeit Erfindungen sich ausgebreitet haben!
Gruß!
Karl

genetik
Hallo Karl,

Ist vermutlich schwer zu bestimmen, wie in dieser
vorgeschichtlichen Zeit Erfindungen sich ausgebreitet haben!

Das ist richtig. In dem Artikel wird daher der momentan erfolgversprechenste Ansatz angesprochen.

Man nimmt nichtkombiniertes Erbgut, also entweder das der Mitrochondrien der Frau, oder das Y-Chromosom des Mannes. Weil es nicht kombiniert wird, bleibt es über alle Abkömmlinge in weiblicher bzw. männlicher Linie gleich, abgesehen von Mutationen, die danach auch konstant bleiben.

Man geht dann zurück, wann eine Mutation erstmals aufgetreten ist. Wenn ich z.B. weiss, dass vor 7.000 Jahren in Köln das abc-gen enstanden ist, dann stammen alle abc-Gen-Träger davon ab. Wenn es also vor 6.000 auch in Madrid auftauchte, dann stammt es von dem Urvater (oder der Urmutter) aus Köln.

So kann man relativ gut sagen, ob eine Gruppe eine andere Verdrängt hat, sich mit ihr vereinigt hat oder beide getrennt blieben.

Gruß
achim

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Hallo,

War die Ursache der neolithischen Revolution eine
Wanderungsbewegung von Menschen aus dem „fruchtbaren Halbmond"
nach Europa?

in der Tat - sowohl der Ackerbau nebst dazu gehörender Kultur als auch die Menschen, die die entsprechenden Kulturtechniken beherrschten, kamen aus dem Vorderen Orient nach Europa und verdrängten zunächst nahezu vermischungslos die dort lebenden Jäger und Sammler, und auch spätere kulturelle Veränderungen gingen mit Wanderungsbewegungen von tatsächlichen Menschen und nicht nur von Ideen einher:

http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichte…

http://www.bild-der-wissenschaft.de/bdw/bdwlive/heft…

Beste Grüße

=^…^=

Hallo,
interessant ist in diesem Zusammenhang sicher auch, dass diese Westwanderung ja nicht mit dem Neolithikum endete. Auch die Völkerwanderung bewegte sich vornehmlich von Ost nach West und was wir heute an Zuwanderung beobachten können ist wohl die Fortsetzung dieser „westward-ho“ Bewegung.
Gruß
Eckard

Differenzierte Betrachtung des Neolithikums
Hi.

War die Ursache der neolithischen Revolution eine Wanderungsbewegung von Menschen aus dem „fruchtbaren Halbmond" nach Europa?

Ein paar okaye Antworten hast du ja schon erhalten. Ich versuche einige Präzisierungen:

(1)

Die NR entwickelte sich im Fruchtbaren Halbmond vor allem im Bereich des iranischen Zagros-Gebirges sowie - außerhalb des Halbmondes - in Anatolien (heutige Türkei).

Sie besteht im Entwicklungsschritt von der aneignenden Ökonomie des Paläolithikums (Sammeln, Jagen) zur produzierenden Ökonomie des Neolithikums (Ackerbau, Viehzucht) sowie in der Sesshaftwerdung. Den Großteil des ökonomischen Ertrags im Paläolithikum hatten nicht die Männer (Jäger) erarbeitet, wie die konservative Geschichtswissenschaft uns weismachen möchte, sondern die Frauen (Sammlerinnen) mit einem Anteil von mindestens 70 %. Auch im Neolithikum war der Anteil der Frauen an der NR zunächst nicht nur bedeutend größer als der der Männer, sondern sie trugen diese Revolution in den ersten 3.000 Jahren ganz selbständig, siehe Punkt (2), da die Männer erst mit großer Verzögerung aktiv an der ökonomischen Revolution teilhatten (als Erfinder der Großtierzucht).

(2)

Die NR hatte mehrere Phasen, die zu unterscheiden sind.

a) Einführung des Ackerbaus durch Frauen (bisher Sammlerinnen) um 10.000 BCE und damit verbundene Sesshaftwerdung. Das Werkzeug der Frauen beim Ackerbau war zunächst der Grabstock.

b) Einführung der Kleintierzucht (Schafe, Ziegen) durch Frauen um 9.000 BCE. Als Werkzeug für den Ackerbau entwickelten die Frauen die Ziehhacke , den technischen Vorläufer des Pflugs.

c) Einführung der Großtierzucht (Rinder) durch Männer (bisher Jäger) um 7.000 BCE, zunächst mit dem Auerochsen in Anatolien. In dieser Phase entstehen die ersten kleinen ´Städte´ (bis zu 7.000 Einwohner) und die Metallurgie (Kupfer).

d) Erfindung des Rads und Einführung des Pflugs durch die Männer um 4.000 BCE, was einen bedeutenden Wandel in der Praxis des Ackerbaus herbeiführte, denn da der Pflug von Ochsen gezogen wurde, deren Haltung in der Hand der Männer lag, ging auch die Durchführung des Ackerbaus auf die Männer über. Damit dominierten die Männer die beiden wesentlichen ökonomischen Ressourcen: Ackerbau und Großtierzucht, was ihren sozialen Status gegenüber den Frauen sprunghaft erhöhte, welche nunmehr hauptsächlich mit Hausarbeit befasst waren. In diese Phase fällt somit der (allmähliche) Beginn des Patriarchats.

(3)

Die wichtigsten Migrationswellen:

a)

Im 7. Jahrtausend BCE gab es von Anatolien aus eine Migration nach Westen , zunächst in das Gebiet des Balkan, womit laut Archäologin Marija Gimbutas die neolithische Kultur ´Alteuropas´ entstand, die im 6. Jahrtausend eine beachtliche Kultur hervorbrachte mit einer entwickelten Metallurgie, einer hochwertigen Kunst und erstaunlich großen Städten (bis 10.000 Einwohner) mit 3-stöckigen Wohnhäusern. Laut Gimbutas waren diese Kulturen (benannt nach diversen Fundorten) ´matristisch´, hatten eine flache soziale Hierarchie und verehrten fast ausschließlich weibliche Gottheiten.

b)

Im 6. Jt. gab es eine weitere Migrationswelle von Anatolien aus, welche die sog. Bandkeramik-Kultur nach Europa führte, zunächst auf den Balkan, dann auch nach Mittel- und Westeuropa. Diese Kultur war ähnlich wie die unter a) genannten Kulturen zunächst eine friedlich-matristische.

c)

Im 6. Jt. führte von Anatolien aus eine dritte Migration nach Norden in die südrussischen Steppen. Aus den Nachfahren dieser Einwanderer entwickelte sich, laut Gimbutas und David Anthony, eine kriegerische patristische Kultur, von Gimbutas ´Kurgankultur´ genannt. Diese Völker, auch Indogermanen oder, moderner, Indoeuropäer genannt, verehrten, anders als die europäischen Immigranten, männliche Himmelsgötter. Ihnen gelang es erstmals, das Pferd als Zugtier zu domestizieren und auch für Kriegszwecke einzusetzen (Streitwagen). Mit dieser vergleichsweisen Superwaffe gelang es diesen Völkern vom 5. bis zum 3. Jahrtausend (d.h. dem Beginn der Bronzezeit), bei ihren Invasionszügen die friedlichen alteuropäischen Kulturen zu erobern und ihnen ihr stark hierarchisches und patristisches System aufzuzwingen.

Chan

Danke für die detaillierte, ausführliche Antwort!

Nachfrage
Hi
Mich würde jetzt noch intressieren, wie man drauf gekommen ist, dass das eine durch Frauen und das andere durch Männer eingeführt wurde.
Gibt es dazu belastbare Quellen?

LG
Mike

Frauen als Ackerbau-Pioniere
Hi.

Mich würde jetzt noch intressieren, wie man drauf gekommen ist, dass das eine durch Frauen und das andere durch Männer eingeführt wurde.
Gibt es dazu belastbare Quellen?

Direkte Beweise gibt es nicht, aber man kann indirekt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass der Ackerbau von Frauen eingeführt wurde. Dass - später - die Rinderzucht exklusiv durch Männer eingeführt wurde, daran besteht ohnehin kein Zweifel, schon allein deswegen, weil dies die körperlichen Kapazitäten der Frau bei weitem überfordert hätte. Die Rinderhaltung entwickelte sich, wie ich schon schrieb, über 2000 Jahre nach Einführung des Ackerbaus im 8. Jt. BCE (vermutlich an dessen Ende) aus der von Männern betriebenen Jagd und setzte eine Körperkraft voraus, die den Frauen naturgemäß nicht gegeben ist, zumal die Frauen auch damals im Schnitt deutlich kleiner waren als Männer (Frauen etwa 1,55, Männer etwa 1,70). Es wäre zudem absolut unökonomisch gewesen, Frauen mit Aufgaben in der Rinderzucht zu betrauen, wenn kräftigere Männer den gleichen Job erledigen konnten.

Andersrum hatten die Frauen, wie gesagt, traditionelle Kompetenzen im Ackerbau, die ursprünglich auf ihrer paläolithischen Sammlerinnen-Erfahrung mit Kräutern usw. gründeten. Die Rinderzucht war also die logische Weiterentwicklung des männerdominierten Jagens (das ursprünglich gejagte Wild wurde domestiziert und gezüchtet), während der Ackerbau die logische Weiterentwicklung des frauendominierten Pflanzensammelns war (ursprünglich gesammelte Pflanzen wurden ebenfalls ´domestiziert´ und ´gezüchtet´).

Ich füge ein paar Zitate von Fachleuten an:

Harald Haarmann, ´Das Rätsel der Donauzivilisation. Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas´, 2011, S. 151:

Die Transformation der Wildbeutergemeinschaft zur Gesellschaft sesshafter Pflanzer und Ackerbauern bewirkte eine Zunahme der natürlichen Verantwortung der Frau für die Beschaffenheit der Grundnahrungsmittel. Die Frau (…) übernahm auch die neuen Aufgaben, Hülsenfrüchte anzupflanzen, zu ernten und zu horten. In engem Zusammenhang damit stand ihre Rolle, für die Fruchtbarkeit des Ackerbodens rituell Sorge zu tragen. Damit wurde die Frau zur Hüterin der Fruchtbarkeitsrituale in Verbindung mit dem Anbau von Nutzpflanzen. In diesem Sinn sind das Schwergewicht weiblicher Verantwortlichkeiten und die Vermehrung weiblicher Autorität in einer matrifokalen Gesellschaft an das Entwicklungsstadium der Sesshaftigkeit und an agrarische Lebensweisen gebunden.

Anita Fisher, Professorin für Geschichte, Clark College, Vancouver/Washington, „WOMEN IN PALEOLITHIC & NEOLITHIC TIMES“, S. 4:

The chief characteristic of the Neolithic age (circa 10,000-7500 b.c.e.) is the domestication of plants and animals, and the establishment of agriculture as the main form of food production. Invention of settled farming techniques has usually been assumed to have been made by men, but more than likely women were the ones making the discoveries. The transition from foraging to farming was a long arduous process, after a lengthy trial and error period. Moving men into the major food producers with the domestication process would have been too dramatic. Women probably recognized the best soils and chose the land to be cleared for regular growing of crops. Studies of the roles of women in different types of agricultural communities show a remarkably consistent pattern. In horticultural societies, in which hoes or digging sticks are used for making holes to plant roots or seeds, women were usually more responsible, and this would have been the earliest pattern of development. Only in societies where plough agriculture is practiced and animals are kept on a significant scale, do we find Personal aspects of females (i.e. adornment) most of the agricultural work done by men.

Noor Mohammad, Professor für Geographie in Delhi/Indien, „New Dimensions in Agricultural Geography“, 1992, S. 79:

_ Women were probably the pionieers of agriculture , because in hunting and fishing societies everywhere, women are the food gatherers, the foreagers, and seekers of seeds and roots, ntus and fruits. They perhaps had better opportunities for observing the relation between sieeds accidentally dropped and the subsequent germination. (…) The foregoing argument is confirmed by the fact that sowing, weeding and harvesting operations are still women´s job even today in many societies including those in East Africa._

Chan

Hallo

Die Rinderhaltung entwickelte sich, wie ich schon schrieb, über 2000 Jahre nach Einführung des Ackerbaus im 8. Jt. BCE (vermutlich an dessen Ende) aus der von Männern betriebenen Jagd …

Wer sagt denn, dass sich die Rinderhaltung aus der Jagd entwickelt hat? Und wie genau soll das vor sich gegangen sein? Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Außer in Form von so einer Art Rodeos, so einem Kräftemessen zwischen Tier und Mensch, und dass man Tiere ohne Waffe angegriffen und versucht hat, sie zu dominieren. So ein Tier hat man vielleicht auch einfangen können. Aber wenn man ein Tier jagd und das Tier nicht tötet, das haut doch ab.

  • Ich kann mir sehr viel leichter vorstellen, dass die Tierhaltung meist generell daraus entstanden ist, dass verwaiste Tierjunge adoptiert wurden, vermutlich ja zuerst kleinere Tiere als Rinder. Da kann ich mir vorstellen, dass Kinder beiderlei Geschlechts die Vorreiter waren … allerdings, was hat man denen zu fressen gegeben? Vielleicht ist es naheliegend, ein säugendes Tier der Art einzufangen, und vielleicht entdeckt man beim Versuch, das Tierjunge zum Saugen zu bewegen, wie man das Muttertier melken kann. Und damit das nicht immer wieder wegläuft, macht man einen Zaun drumherum. Oder so.

  • Und wenn Tierhaltung erstmal üblich und bekannt ist, kann man das ja auch auf andere Tiere übertragen. Und dann kann man auch relativ leicht auf die Idee kommen, die Tiere zu benutzen, jedenfalls wenn man in den Tieren keinen Freund sieht. Oder wenn man eben nichts zu essen hat außer dem lieben kleinen Adoptivrehlein; kann ja auch relativ leicht mal passiert sein.

… und setzte eine Körperkraft voraus, die den Frauen naturgemäß nicht gegeben ist, …

Da Rinder wesentlich kräftiger sind auch als Männer, überzeugt mich das Argument nicht. Rinder muss man mit Intelligenz beherrschen und nicht mit Körperkraft, jedenfalls wenn man sie herdenweise halten will. Und ich denke, dass der Mensch relativ schnell entdeckt oder auch von sich auf die Tiere schließen kann, dass wilde Tiere wesentlich schwerer zu handeln sind als solche, die unter der Obhut von Menschen aufgewachsen sind. Und wie man denen von Anfang an klarmacht, wo der Hammer hängt, merkt man wohl auch recht schnell.

Dass es irgendeine Art von Stierkämpfen (auch völlig andere als diese spanischen) gegeben haben kann, und dass die immer von Männern durchgeführt wurden, dass will ich gerne glauben, aber sowas macht man doch nicht mit seinem Nutzvieh. Das dreht doch durch und wird aggressiv.

Ich kann mir Tierhaltung sowohl von Männern als auch von Frauen vorstellen.

Spontan hätte ich auch ganz klar gedacht, dass Rinderzucht bestimmt Männersache war. Wenn ich es mir aber richtig überlege, kommt diese Überzeugung daher, dass ich, soweit ich denken kann, immer nur (im 19. und 20. Jahrhundert gezeichnete) Abbildungen von jagenden und Tiere hütenden Steinzeitmännern kenne und von Kindern hütenden und kochenden Frauen, das ist alles. Auf den Bauernhöfen, die ich früher erlebt habe, waren eher die Frauen für die Kühe zuständig, aber auch Kinder haben Kühe auf die Weide getrieben.

Es wäre zudem absolut unökonomisch gewesen, Frauen mit Aufgaben in der Rinderzucht zu betrauen, wenn kräftigere Männer den gleichen Job erledigen konnten.

Wer sagt denn, dass die Menschheit sich immer besonders ökonomisch verhält? Ich finde nicht, dass das der Fall ist.

Andersrum hatten die Frauen, wie gesagt, traditionelle Kompetenzen im Ackerbau, die ursprünglich auf ihrer paläolithischen Sammlerinnen-Erfahrung mit Kräutern usw. gründeten.

Und woher weiß man das jetzt?

Viele Grüße

Hallo Simsy,

Spontan hätte ich auch ganz klar gedacht, dass Rinderzucht
bestimmt Männersache war. Wenn ich es mir aber richtig
überlege, kommt diese Überzeugung daher, dass ich, soweit ich
denken kann, immer nur (im 19. und 20. Jahrhundert
gezeichnete) Abbildungen von jagenden und Tiere hütenden
Steinzeitmännern kenne und von Kindern hütenden und kochenden
Frauen, das ist alles.

tatsächlich stammt so ziemlich alles, was sich in unseren Köpfen an Vorstellungen über die Steinzeit und die damals herrschenden Geschlechterrollen tummelt, aus dem 19. und frühen 20. Jt. und spiegelt die zu dieser Zeit in Europa verbreiteten Geschlechterrollen wider.

Moderne Forschungstechniken haben aber gezeigt, dass viele der darauf fußenden Annahmen falsch sind. So ging man beispielsweise automatisch davon aus, dass es sich um einen Mann gehandelt haben muss, wenn Waffen als Grabbeigaben gefunden wurden, bzw. um eine Frau, wenn das Grab sehr viel Schmuck enthielt. Mittels DNA-Analysen konnte inzwischen aber festgestellt werden, dass es sich oftmals anders verhielt.

In Freiburg gab es eine hochinteressante Ausstellung zu diesem Thema, die leider kürzlich zu Ende ging: http://www.freiburg.de/pb/,Lde/604837.html

Leider ist zudem auch heute noch in diesem Bereich ein heftiger Eurozentrismus virulent. So gibt es beispielsweise in der unlängst eröffneten Kopie der Chauvet-Höhle eine Nachbildung einer Höhlenmaler-Familie, deren Mitglieder als sehr hellhäutig und mit sehr blonden Haaren und blauen Augen dargestellt werden - und das obwohl inzwischen hinlänglich bekannt ist, dass die Menschen, die damals in Europa lebten, dunkelhäutig waren. Ganz abgesehen davon, dass Europa für die Menschheit damals ein unbedeutender Randbereich war.

Beste Grüße

=^…^=

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Hi
Besten Dank für deine Antwort

Hi.

Mich würde jetzt noch intressieren, wie man drauf gekommen ist, dass das eine durch Frauen und das andere durch Männer eingeführt wurde.
Gibt es dazu belastbare Quellen?

Direkte Beweise gibt es nicht, aber man kann indirekt mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf schließen,
dass der Ackerbau von Frauen eingeführt wurde.

Das bedeutet also: Nichts Gewisses weiss man nicht…

:smiley:ass - später -

die Rinderzucht exklusiv durch Männer eingeführt wurde, daran
besteht ohnehin kein Zweifel, schon allein deswegen, weil dies
die körperlichen Kapazitäten der Frau bei weitem überfordert
hätte.

Das erzählst Du mal einer Almbäuerin von heute…

Die Rinderhaltung entwickelte sich, wie ich schon
schrieb, über 2000 Jahre nach Einführung des Ackerbaus im 8.
Jt. BCE (vermutlich an dessen Ende) aus der von Männern
betriebenen Jagd

Das ist auch nicht gesichert…

Andersrum hatten die Frauen, wie gesagt, traditionelle
Kompetenzen im Ackerbau, die ursprünglich auf ihrer
paläolithischen Sammlerinnen-Erfahrung mit Kräutern usw.
gründeten.

Was im Paläolithikum an sozialen Strukturen existierte, ist Kaffesatzlesen auf akademischen Niveau

Ich füge ein paar Zitate von Fachleuten an:

… Ich lese da viel "wahrscheinlich, wie man allgemein weiss etc. pp.
Harte Fakten gibt es wohl leider nicht dazu. (Stelle ich mir auch schwierig vor, so was archäologisch und paläoanthropologisch nachzuweisen)

Das Problem liegt wohl darin, dass die von dir beschriebene Aufgabenverteilung bei heutigen Jäger-Sammler-Gemeinschaften weit verbreitet ist (allerdings alles andere als exklusiv ist). Wie das allerdings vor 8000 Jahren und mehr aussah, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Es scheint wohl so zu sein, dass hier mal wieder ein Phänomen namens „Sie fanden was sie kannten“ bzw was sie sich vorstellen konnten vorliegt. Das ist sehr gefährlich (ist mir auch schon passiert und ärgert mich immer noch) weil es der Unvoreingenommenen Betrachtung von Problemen im Weg steht.
ich will damit nicht sagen, dass es nicht wie beschrieben sein könnte, aber man sollte vermeiden, solche Zuordnungen quasi ex Cathedra zu machen.
Denn wo man keine Hieb und Stichfesten Beweise hat, könnte es auch ganz anders gewesen sein… Und über neolithische Sozialstrukturen wissen wir leider herzlich wenig, vermuten dafür aber um so mehr.

LG
Mike
(ImmeramZweifeln)

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Hi.

Direkte Beweise gibt es nicht, aber man kann indirekt mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf schließen,
dass der Ackerbau von Frauen eingeführt wurde.

Das bedeutet also: Nichts Gewisses weiss man nicht…

„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinkeit“ ist mehr als nur „nichts Gewisses“.

Dass - später -
die Rinderzucht exklusiv durch Männer eingeführt wurde, daran
besteht ohnehin kein Zweifel, schon allein deswegen, weil dies
die körperlichen Kapazitäten der Frau bei weitem überfordert
hätte.

Das erzählst Du mal einer Almbäuerin von heute…

Da vergleichst du aber Äpfel mit Birnen. Müssen heutige Almbäuerinnen Rinder einfangen und domestizieren??

Die Rinderhaltung entwickelte sich, wie ich schon
schrieb, über 2000 Jahre nach Einführung des Ackerbaus im 8.
Jt. BCE (vermutlich an dessen Ende) aus der von Männern
betriebenen Jagd

Das ist auch nicht gesichert…

Was ist das für ein Argument? Dass Männer, die zuvor Auerochsen jagten, diese dann irgendwann einfingen und domestizierten, statt zuzugucken, wie ungeübte Frauen auf Auerochsenjagd gehen, ist ja wohl der logischste Gedanke überhaupt. Du solltest etwas mehr Logik in deine Reflexionen einbringen.

Andersrum hatten die Frauen, wie gesagt, traditionelle
Kompetenzen im Ackerbau, die ursprünglich auf ihrer
paläolithischen Sammlerinnen-Erfahrung mit Kräutern usw.
gründeten.

Was im Paläolithikum an sozialen Strukturen existierte, ist
Kaffesatzlesen auf akademischen Niveau.

Du übertreibst maßlos, aber was soll´s.

… Ich lese da viel "wahrscheinlich, wie man allgemein weiss
etc. pp.
Harte Fakten gibt es wohl leider nicht dazu. (Stelle ich mir
auch schwierig vor, so was archäologisch und
paläoanthropologisch nachzuweisen)

Gute Hypothesen erweisen sich an ihrer Erklärungskraft.

Denn wo man keine Hieb und Stichfesten Beweise hat, könnte es
auch ganz anders gewesen sein… Und über neolithische
Sozialstrukturen wissen wir leider herzlich wenig, vermuten
dafür aber um so mehr.

Mir scheint, du bist viel zu wenig informiert. Über neolithische Sozialstrukturen kann man aufgrund archäologischer Funde sehr fundierte Aussagen machen. Da dieser Thread aber bereits den Bach runtergeht, will ich das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen.

Chan

Paläolithische Arbeitsteilung
Hi.

Die Rinderhaltung entwickelte sich, wie ich schon schrieb, über 2000 Jahre nach Einführung des Ackerbaus im 8. Jt. BCE (vermutlich an dessen Ende) aus der von Männern betriebenen Jagd …

Wer sagt denn, dass sich die Rinderhaltung aus der Jagd
entwickelt hat? Außer in
Form von so einer Art Rodeos, so einem Kräftemessen zwischen
Tier und Mensch, und dass man Tiere ohne Waffe angegriffen und
versucht hat, sie zu dominieren.

Es gab damals schon Seile, keine Sorge.

So ein Tier hat man
vielleicht auch einfangen können. Aber wenn man ein Tier jagd
und das Tier nicht tötet, das haut doch ab.

Man konnte auch eingezäunte Gehege bauen, keine Sorge.

… und setzte eine Körperkraft voraus, die den Frauen naturgemäß nicht gegeben ist, …

Da Rinder wesentlich kräftiger sind auch als Männer, überzeugt
mich das Argument nicht.

Du übersiehst, dass die jagderfahrenen Männer in Gruppen arbeiteten.

Ich kann mir Tierhaltung sowohl von Männern als auch von
Frauen vorstellen.

Darüber habe ich in meinem ersten Artikel doch geschrieben: Frauen als erste Tierzüchterinnen (Schafe und Ziegen). In diesem Fall fand vermutlich eine Selbstdomestikation dieser Tiere statt, d.h. sie schlossen sich menschlichen Gruppen „freiwillig“ an. So kam der Mensch auch auf den Hund (Selbstdomestikation des Wolfes).

Wenn ich es mir aber richtig
überlege, kommt diese Überzeugung daher, dass ich, soweit ich
denken kann, immer nur (im 19. und 20. Jahrhundert
gezeichnete) Abbildungen von jagenden und Tiere hütenden
Steinzeitmännern kenne und von Kindern hütenden und kochenden
Frauen, das ist alles.

Natürlich sind die meisten gängigen Vorstellungen über das Leben der Prähistoriker mit patriarchalischen Klischees überfrachtet (vor allem was die angebliche soziale Überlegenheit des Mannes betrifft, die damals mit Sicherheit nicht gegeben war ), aber dass seit paläolithischen Zeiten eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (Frauen Sammeln, später Ackerbau, Männer Jagen, später Großtierzucht) bestand, die im Neolithikum schrittweise differenziert wurde, diese Ansicht wird sowohl von den meisten konservativen wie patriarchatskritischen Wissenschaftler geteilt.

Es wäre zudem absolut unökonomisch gewesen, Frauen mit Aufgaben in der Rinderzucht zu betrauen, wenn kräftigere Männer den gleichen Job erledigen konnten.

Wer sagt denn, dass die Menschheit sich immer besonders
ökonomisch verhält? Ich finde nicht, dass das der Fall ist.

Unökonomisches Verhalten hätte sich in the long run evolutionär nicht durchgesetzt. Unsere prähistorischen Vorfahren führten einen harten Überlebenskampf nach dem Prinzip der Effektivität.

Andersrum hatten die Frauen, wie gesagt, traditionelle Kompetenzen im Ackerbau, die ursprünglich auf ihrer paläolithischen Sammlerinnen-Erfahrung mit Kräutern usw. gründeten.

Und woher weiß man das jetzt?

Es gab sicher auch Überschneidungen bei der Arbeitsteilung, d.h. Frauen halfen evtl. bei der Großtierjagd, wenn eine besonders große Anzahl von Jägern erforderlich war, oder sie stellten Fallen für Kleintiere, aber es spricht sehr viel für eine grundsätzliche Arbeitsteilung wie beschrieben (siehe dazu die Fachliteratur). Es war ohnehin ökonomisch sinnvoll, die Arbeit von Frauen und Männer zu spezialisieren, um die besten Resultate zu erzielen.

Darüber hinaus waren die Frauen als Gebärerinnen notwendig für den Fortbestand des menschlichen Lebens. Warum sollte man also ihr Leben bei Großtierjagden aufs Spiel setzen, wenn ein Mann, der keine Kinder gebärt, den gleichen Job genauso gut oder eher besser erledigen kann? Frauen bekamen zudem, wegen der damals 3-4jährigen Stillzeit, nur alle 4 Jahre ein Kind, von denen viele sehr jung starben. Warum also hätten sich die Frauen unnötigen Risiken aussetzen sollen?

Chan

Waffen als Grabbeigaben
Hi.

tatsächlich stammt so ziemlich alles, was sich in unseren
Köpfen an Vorstellungen über die Steinzeit und die damals
herrschenden Geschlechterrollen tummelt, aus dem 19. und
frühen 20. Jt. und spiegelt die zu dieser Zeit in Europa
verbreiteten Geschlechterrollen wider.

Nur wenn man die patriarchatskritische Literatur zu diesem Thema nicht kennt. Im übrigen darf man nicht in den entgegengesetzten Fehler verfallen und alles für falsch zu erklären, was die konservative Wissenschaft über jene Zeiten für richtig hält. Manches trifft zu, anderes nicht. Ich bemühe mich seit Monaten in diesem Forum, einige Klischees zurecht zu rücken, z.B. habe ich mehrmals dargestellt, dass die meisten Schamanen im Paläolithikum vermutlich weiblich waren (Forschung von Prof. Dean Snow von 2013) und dass Frauen ganz allgemein das religiöse Leben dominierten, also den wohl wichtigsten existentiellen Aspekt des damaligen Lebens.

Moderne Forschungstechniken haben aber gezeigt, dass viele der
darauf fußenden Annahmen falsch sind. So ging man
beispielsweise automatisch davon aus, dass es sich um einen
Mann gehandelt haben muss, wenn Waffen als Grabbeigaben
gefunden wurden, bzw. um eine Frau, wenn das Grab sehr viel
Schmuck enthielt. Mittels DNA-Analysen konnte inzwischen aber
festgestellt werden, dass es sich oftmals anders verhielt.

Hier solltest du 1) erwähnen, für welche genaue historische Phase das gilt, und 2) genauere statistische Angaben machen.

Zu 1)

Das kann sich nur auf spätneolithische Phasen (z.B. 5. Jt. BCE) beziehen, als die Patriarchalisierung und damit die Militarisierung der Gesellschaft schon eingesetzt hatte. Für frühere Phasen sind, da es vor dem 5. Jt. keine Kriegswaffen gab, solche Grabbeigaben nicht bekannt.

Zu 2)

Bei der Untersuchung neolithischer Gräberfelder bei Aiterhofen-Ödmühle und Trebur stellte sich heraus, dass die allermeisten Waffenbeigaben in männliche Gräbern erfolgten, dass Waffenbeigaben bei Frauen also eine rare Ausnahme darstellen. Zudem sind Schmuckbeigaben bei Männern und Frauen im Normalfall gleich verteilt:

„Geschlechterrollen und Sozialstatus im Spiegel der neolithischen
Gräberfelder von Aiterhofen-Ödmühle und Trebur“ von Frank Falkenstein, S.7/88:

Während also Geräte und Waffen zum regelhaften
Bestandteil der Männerbestattungen zählen, scheinen
diese in Frauengräbern zwar gelegentlich aufzutreten,
aber nicht der weiblichen Ausstattungsnorm zu entsprechen.

Was Schmuck betrifft:

Es ist nun festzustellen, dass Schmuck aus Spondylus, Stein,
Protula und Schnecken zwar bei beiden Geschlechtern
eher selten, aber zu ähnlichen Proportionen
vorkommt, wobei der Anteil der Frauengräber mit
Schmuckbeigaben (30 %) gegenüber den Männergräbern
(23 %) leicht überwiegt.

Chan

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