WUT!!!
Hallo,
da ich selbst Betroffene und Überlebende bin, kann ich die Menschheit nicht verstehen.
Ich werde mir den Film nicht anschauen, weil ich zwiegespalten bin.
Einerseits ist es wichtig zu informieren, andererseits lockt der Film bestimmt viele Pädophile Schweine ins Kino!
Wir hatten gerade eine Diskussion mit meinem Mann über den Film.
Auch über einige dumme Menschen, die ihr (entschuldigt nun meinem Ausdruck) unwissendes Maul nicht halten können.
Ja, man lässt sich missbrauchen, man versucht nicht zu flüchten, man leidet einfach und versucht zu überleben!!
Aber wer nicht weiß, was es bedeutet, um sein Leben zu fürchten, der kann einfach nur dumm reden.
Dabei muss die Bedrohung nicht mal ausgesprochen werden.
Bei mir war es einfach ständig im Raum. Ich war damals erst 9 Jahre alt (oder gottseidank schon 9). Ich ließ mir das bis ich 14 Jahre alt war einfach gefallen, nahm es hin, hatte furchtbare Angst, schämte mich für das, was ich erlebte und hatte schreckliche Schuldgefühle.
Wer würde mir glauben, dass ich damals nicht angefangen hatte mit dieser „Beziehung“?
Wer würde mich beschützen, wem konnte ich vertrauen?
Wer wäre hinter mir gestanden?
Aussichtslos, hoffnungslos, es darf nie einer erfahren, weil das so sehr an meiner Würde kratzte.
Ich konnte mich nicht wehren, wie auch, er war stärker und ich war doch bloß ein kleines Mädchen, dass bis heute denkt, es hätte statt eines Nachthemdes ein Pyjama anziehen sollen.
Das sich heute noch bei den Gedanken an diese Zeiten vor sich selbst ekelt.
Es sind nun 25 Jahre danach, bald 26 Jahre. Und ich bin immer noch keine normale Frau.
Ich muss mich abends dazu zwingen ins Bett zu gehen, weil die Angst immer noch da ist, dass ich nachts irgendwelche Finger zwischen meinen Beinen an den Genitalien habe, dass ich überfallen werde, mitten im Schlaf.
Immer noch drehe ich sofort meinen Kopf, wenn ich Geräusche wahrnehme, die nicht in das übliche Geräuschmuster meiner Umgebung passen, sekundenlang immer wieder Bilder, die aufflackern, meinen Puls beschleunigen, ein Zittern verursachen und Angst, vor einer Situation, die es so nicht mehr geben kann.
Ich bin stärker geworden, aber weg ist nichts, es verblasst auch nur soweit, dass ich nicht völlig in Panik beim Erzählen gerate.
Dennoch zittern mir selbst nur beim Schreiben die Hände, sie werden schweißig und kalt, und ich bekomme das Gefühl, dass alles nur Schwachsinn ist, dass ich den Hintern zusammenkneifen muss, dass es einfach irgendwann aufhört…nach 25 Jahren, hoffe ich immer noch.
Es beeinflusst zumindest mein „äußeres Leben“ nicht mehr, also mein Berufsleben. Aber mein inneres Leben beherrscht es immer noch.
Auch wenn es den Anschein für viele macht, dass ich gut zurecht komme, ist es eben nicht so!
Ich bin wütend!!!
Einfach nur wütend, darüber, wie Natascha behandelt wird, was ihr unterstellt wird.
Ich wünsche niemandem was schlimmes, aber diesen Menschen wünschte ich, dass sie auch nur eine einzige Minute, das erleben, was missbrauchte Kinder durchleben müssen.
Wie die verdammte Seele bricht, wie man plötzlich neben sich steht, wie man beobachtet, als säße man in einem Kino, ohne zu wissen was da auf der gottverdammten Leinwand läuft, zuschaut und nicht mehr spürt.
Nicht den eigenen Körper, nicht die des Peinigers, keine Zeit, keine Temperatur, nichts.
Man sieht das Wesen atmen, das da unter einem großen schweren Mann liegt,man sieht wie es kaum noch Luft bekommt, man sieht den Mann, der einen hochroten Kopf hat, man hört ihn schnauben, aber man spürt nichts.Keine Schmerzen.
Später, hat man Schmerzen, man weiß, was passiert ist.
Man sieht dem Körper an, was es durchlebt hat, aber der Bezug fehlt.
Man schaut zu und will aber gar nicht sehen, was da passiert.
Man vergisst, weil es eben „nur“ ein Film ist, ein Film, dessen Bilder immer aufflackern und Panik und Angst verursachen.
Selbst wenn der Peiniger bestraft wird; gerecht ist nichts.
Gerecht wäre, wenn er so lange und intensiv leiden müsste wie ich.
Gerecht wäre, wenn Menschen nicht auch noch uns verurteilen würden.
Gerecht wäre, wenn man uns nicht eine Mittäterschaft vorwerfen würde, a la: sie hätte sich ja wehren können, oder weglaufen können.
Ich finde diese Menschen unter aller Sau. Und so lange wie es solche Menschen gibt, wird es für Kinder, die missbraucht werden, keine Gerechtigkeit geben!!!
Es tut mir leid, dass es wieder so lang und so emotional geworden ist.
Jetzt muss ich erstmal eine Rauchen gehen und mir einen Kaffee machen. Mein Kreislauf macht auch immer schlapp, wenn ich an diese Zeiten zurückdenke. Seit 25 Jahren…macht es immer wieder schlapp.
Ach noch was:
Die Abspaltung von seinem Körper ist ebenfalls eine Geschichte, die nie endet.
Beispiel:
Wenn ich Probleme habe (im Moment Bandscheibenprobleme), dann bin ich wütend auf den Körper, weil er schlapp macht, ich hasse ihn manchmal dafür, dass er nicht stark genug ist…
Und mich selbst hasse ich immer noch dafür, dass ich diesem Mann so gerne hatte, bis er mich überfiel.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich ihn hassen soll oder nicht, ob ich auf ihn wütend sein soll, oder nicht.
Meine Therapeutin meinte ja, ich sollte schon Wut empfinden, die empfinde ich aber nicht gegenüber meinem Missbraucher, sondern eher gegen solche Leute (im Fall Kampusch), die nur dumm reden oder auf meine Eltern, die mich mit diesem Mann immer wieder alleine ließen!
Es gibt ein Leben vor dem Missbrauch und ein Leben danach, so man denn überlebt hat.
Es gab Zeiten, da dachte ich mir, er hätte mich töten sollen. Jeden Tag ein Stück sterben ist viel schlimmer gewesen, als mit einem Schlag aus der Welt zu sein…
Ich bin dennoch froh, dass ich ein riesiges Stück Dunkelheit hinter mir gelassen habe.
Ich bin so froh, dass das Leben tatsächlich schön ist, und dass das Überleben besser war, als zu sterben.
Liebe Grüße
Ayse, die nun ihre zitternden Hände erstmal in den Griff bekommen wird.