Versuch zu Antworten
Hallo,
danke für die „Freigabe“. Ich hoffe ich hab dich richtig
verstanden, wenn ich denke, dass es für dich okay ist, dass
ich öffentlich im Forum schreibe und nicht per PN. Nach
konkreten Details zu fragen, käme mir glaub ich eh nicht in
den Sinn. Aber es steht dir ja frei, Fragen einfach
unbeantwortet zu lassen, wenns zu viel ist.
Ja, es war so gemeint, dass es „öffentlich“ wird.
Es wird wohl umfangreich werden.
Wenn ich das richtig verstehe, hattest du große Angst um dein
Leben, ohne dass eine Drohung ausgesprochen wurde, richtig?
Woher kam diese Todesangst? War für dich einfach klar, dass
ein so gewalttätiger Mensch, nicht davor zurückschrecken
würde, zu töten, wenn alles ans Licht käme? War es mehr die
Angst, dass er ausrastet, wenn du dich wehrst/weigerst? Oder
war es einfach so, dass die Angst vor dem Peiniger, durch das,
was er schreckliches tat, so groß war, dass man „einfach so“
angst hat zu sterben? Oder womöglich ganz anders, als ich mir
das aus der Distanz heraus vorstelle?
Ich muss wohl ausholen:
Das erste Mal überfiel er mich nachts im Bett. Zu dieser Zeit waren wir (Geschwister und ich (bin die älteste)) bei diesen Nachbarn untergebracht, da die Eltern wegen eines Todesfalls in der Familie einen weiten Weg reisen mussten.
Ich wachte auf und sah im Dunkeln eine Gestalt und spürte die Hände zwischen meinen Beinen.
Ich fing an zu weinen, daran erinnere ich mich.
Er hielt mir sofort den Mund zu und leider auch die Nase. Bekam keine Luft und hatte Angst. Dass es damals Angst um mein Leben war, wusste ich nicht. Ich glaube es ist der Instinkt, der sich da meldet. Ich hätte es damals bestimmt nicht benennen können.Nur Angst war es.
Das ging leider in den folgenden Tagen weiter. Es begrenzte sich nicht auf die Nacht.
Er sperrte meine Geschwister aus oder schickte sie spielen. Sobald er mit mir alleine war, ich konnte nicht mal fliehen…
Ich habe ihn nicht mehr angesprochen, habe mich gewehrt (scheiße, ist das immer noch schwer, hoffe ich kann dir wirklich antworten).
Einmal hab ich ihn getreten, wohl am Kinn, er blutete aus dem Mund.
Da dachte ich, jetzt gleich schlägt er mich, er wird mich umbringen.
Was er allerdings dann machte, irritierte mich: Er wischt sich das Blut von den Lippen/Mund (keine Ahnung) und sieht sich auf die Hand/Finger und fängt an zu Grinsen…(ich weiß nicht mehr, was danach wirklich passiert ist, hier wird es verschwommen)
Diese Reaktion machte mir noch mehr Angst.
Alles was ich während jeden Übergriffs dachte: ich bin schuld. Wenn ich das Mama und Papa sage, dann verprügeln sie mich. Ich bin schlecht.
Das gewalttätige Elternhaus trug leider einiges dazu bei.
Dann die Kultur!
Dann war er auch so stark, ich konnte mich nicht befreien. Er war schwer, ich war irgendwie immer dem Ersticken nahe.
Ich hatte Angst zu sterben!
Diese Reaktion ist wohl, grade wenn man seinen Peiniger schon
kannte, ihn evtl. sogar mochte, ihm vertraut, absolut
nachvollziehbar. Worüber sich aber Außenstehende glaub ich
immer wieder wundern, ist Folgendes: Ein Kind, das solche
Ängste durchstehen muss, sich auch noch schämt und schuldig
fühlt, dass verändert sich doch extrem, oder?
Das dürfte wohl bei jedem anders sein. Ich hatte breits mit 3 Jahren ein Trauma (komisch daran erinnere ich mich, als wär es gestern gewesen). Heißt: ich war immer sehr still und sehr leise, und vor allem so unauffällig wie möglich. Alles andere hätte (wie jeden Tag) Prügel bedeutet.
Bemerkt denn da
wirklich keiner was?
Nein, in diesem Fall hat sich mein Verhalten nicht geändert. Es hat auch nie einer die blauen Striemen auf dem Rücken oder Po und Beine bemerkt, die mir meine Eltern beigebracht haben. (Ich erinnere mich an die selbstgebastelte Peitsche meines Vaters…)
Ich kann mir vorstellen, dass du versucht
hast, nach außen hin alles so normal wie möglich erscheinen zu
lassen. Du wolltest nicht, dass jemand was merkt und musstest
deshalb zu allem Überfluss auch noch verheimlichen, wie
schlecht es dir geht. Lieg ich richtig, wenn ich mir
vorstelle, dass du so weit wie irgend möglich versucht hast,
weiterhin das unbeschwerte, fröhliche Mädchen zu spielen? Es
muss fürchterlich sein, sich niemandem anvertrauen zu können.
Ich habe wie sonst auch versucht, nicht aufzufallen, nichts falsches zu sagen. Und wollte doch so gerne, dass mir irgendwer hilft.
Nicht nur gegen den Missbraucher, der das Sahnehäubchen war, mehr nicht!
Aussichtslos, hoffnungslos, es darf nie einer erfahren, weil
das so sehr an meiner Würde kratzte.
Ich konnte mich nicht wehren, wie auch, er war stärker und ich
war doch bloß ein kleines Mädchen, dass bis heute denkt, es
hätte statt eines Nachthemdes ein Pyjama anziehen sollen.
Das sich heute noch bei den Gedanken an diese Zeiten vor sich
selbst ekelt.
Schrecklich, dass du selbst nach so langer Zeit, die
Schuldgefühle nicht ganz los wirst. Ich weiß nicht, warum ich
grad an dieser Stelle eine riesen Wut auf diesen Mann kriege,
weil er geschafft hat, einem kleinen Mädchen glauben zu
machen, es sei schuld, weil es ein Nachthemd anhatte! Das ist
so… Boah ich weiß nicht, es macht mich sprachlos.
Das kann ich nicht erklären: Im „kopf“ weiss ich, dass es egal war, ob Nachthemd oder nicht, er hätte es dennoch getan. Aber im „Herzen“ sage ich mir immer wieder: hättest du bloss eine Hose angehabt.
Wieviel weiß dein Umfeld, wie offen gehst du inzwischen damit
um?
Inzwischen gehe ich soweit wie möglich offen damit um. Besonders wenn es wieder solche Fälle gibt, die in die Medien geraten. Denn die Sprüche von manchen Zeitgenossen…auch Kolleginnen, ich versuche, ohne ins Detail zu gehen, zu sagen, dass ich das auch erlebt habe…und beantworte fragen auf warum und wieso´s.
Passiert dir das tatsächlich, dass Leute deine Geschichte
herunterspielen, weil du ja scheinbar mittlerweile so gut
zurecht kommst?
Sobald ich sage, dass ich selbst Opfer einer solchen Tat war,
kommen plötzlich ganz viele Fragen. Manche haben hinterher Tränen in den Augen und nehmen mich in den Arm (meist sind das die Frauen), manche lassen einen dummen Spruch ab. (Ein Originalzitat eines ehem. Kollegen: Ach was, ab 8 ist dehnbar!)
Ich könnte mir vorstellen, dass man da auch
irgendwie in einem Zwiespalt ist. Dass du ja eigentlich nicht
jedem zeigen willst, wie sehr du immer noch leidest, und dass
du darum zumindest teilweise auf andere stark und gefestigt
wirken willst. Dass du zeigen möchtest, wie gut du zurecht
kommst. Aber auf der anderen Seite, möchtest du dass die
Menschen wissen: „Scheiße nein! Ich leide darunter immer noch
verdammt heftig! Es geht mir nicht so gut, wie es den Anschein
hat!“ Liege ich damit richtig?
Da hast du Recht: immer wenn ich denke, dass ist nun eine Schwäche, sagen die Menschen (wie auch Jule weiter unten), dass es eine Stärke sei.
Ich will kein Mitleid, aber ich will, dass „Unbeteiligte“ verstehen, dass Kinder eben nicht nach 3-4 Jahren Therapie nach so einem Erlebnis wieder völlig normal werden. Ich will, dass sie wissen, dass das ein Leben lang, unter Umständen 80-90 Jahre auf diese Menschen wirkt und nachwirkt.
Deswegen will ich offen damit umgehen.
Und verdammt ja, es bringt mich aus dem Konzept, darüber zu reden. Vor allem je „tiefer“ die Fragen gehen und somit die Antworten ausfallen müssen, desto schlimmer ist es (jetzt, während ich schreibe, musste ich bestimmt dreimal aufstehen, mich ablenken, Wasser trinken, durchatmen; fange immer wieder an zu hyperventilieren)
Wie die verdammte Seele bricht, wie man plötzlich neben sich
steht, wie man beobachtet, als säße man in einem Kino, ohne zu
wissen was da auf der gottverdammten Leinwand läuft, zuschaut
und nicht mehr spürt.
Nicht den eigenen Körper, nicht die des Peinigers, keine Zeit,
keine Temperatur, nichts.
Man sieht das Wesen atmen, das da unter einem großen schweren
Mann liegt,man sieht wie es kaum noch Luft bekommt, man sieht
den Mann, der einen hochroten Kopf hat, man hört ihn
schnauben, aber man spürt nichts.Keine Schmerzen.
Später, hat man Schmerzen, man weiß, was passiert ist.
Man sieht dem Körper an, was es durchlebt hat, aber der Bezug
fehlt.
Man schaut zu und will aber gar nicht sehen, was da passiert.
Man vergisst, weil es eben „nur“ ein Film ist, ein Film,
dessen Bilder immer aufflackern und Panik und Angst
verursachen.
Puh, heftig. Auch wie klar und deutlich du dich nach all der
Zeit immer noch erinnerst…
Leider fehlen immer noch Stücke! z.B. (jetzt muss ich doch ins Detail gehen) Ob ich den Penis gesehen habe, ob ich völlig nackt war…keine Ahnung, da ist nichts
Zwischendrin habe ich im „Kino“ wohl doch die Augen zumachen können.
Allerdings: und das verstehe ich nicht, die Gefühle von damals sind sehr intensiv auch heute zu spüren, manchmal sind da Bilder, zu denen ich keine Emotionen habe, dann sind da Gefühle, die ich nicht Bildern zuordnen kann!
Und mich selbst hasse ich immer noch dafür, dass ich diesem
Mann so gerne hatte, bis er mich überfiel.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich ihn hassen soll oder nicht,
ob ich auf ihn wütend sein soll, oder nicht.
Meine Therapeutin meinte ja, ich sollte schon Wut empfinden,
die empfinde ich aber nicht gegenüber meinem Missbraucher,
sondern eher gegen solche Leute (im Fall Kampusch), die nur
dumm reden oder auf meine Eltern, die mich mit diesem Mann
immer wieder alleine ließen!
Dass ist wohl das, was Außenstehende kaum verstehen können,
warum man seinen Peiniger nicht hasst. Wie oben bereits
gesagt, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es umso
schlimmer ist, wenn einem jemand, den man gern hat, sowas
Fürchterliches antut. Dass du aber immer noch nicht so richtig
wütend auf ihn sein kannst, schockiert mich.
Es liegt wohl daran, dass ich den Eltern, die uns mit ihm alleine ließen, die Schuld gebe. Ich mochte ihn, und er war (so dachte ich damals eben) der einzige Mensch, der mich liebte und das gehörte vielleicht dazu und war normal, cih wusste doch nicht, was Zuneigung ist!
Ich war so ausgehungert nach Zuneigung. Vielleicht hasse ich ihn deswegen nicht. Er hat sich ja auf seine perverse Art und Weise für mich interessiert. Das war einfach mehr, als ich in den Jahren zuvor an Liebe und Zuneigung erfahren durfte.
Wenn du erzählen magst und kannst, würde mich interessieren,
wie und warum mit 14 Schluss war?
Er sprach ja selten eine Drohung aus. Und irgendwann wollte ich das nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass er mich nicht aus Liebe be…(ich finde jetzt kein Wort)lagerte (?).
Ich wusste, dass man das nicht mit kleinen Kindern macht, und er hatte immerhin ein 9 jähriges Mädchen beschmutzt!
Und erstaunlicher Weise reichte es zu sagen: „Wenn du nicht aufhörst, werde ich es meinem Vater sagen“ Er sagte: Nein, tu es nicht. Ich mach nichts mehr.
Es war so einfach! Vielleicht war ich ihm nicht mehr kindlich genug!
Und wie du es geschafft
hast, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen.
Ich führe seit 2005 ein halbwegs normales Leben.
Ich habe erst einmal herausfinden müssen, welchen roten Faden die ganze Geschichte durch mein Leben zog, ich musste akzeptieren, dass viele meiner Probleme u.a. von dem Missbrauch kamen und ich musste vertrauen, dass mir jemand helfen konnte, ohne mich zu verurteilen.
Die Jungfräulichkeit steht halt hoch im Kurs!!
Ich bin dennoch froh, dass ich ein riesiges Stück Dunkelheit
hinter mir gelassen habe.
Ich bin so froh, dass das Leben tatsächlich schön ist, und
dass das Überleben besser war, als zu sterben.
Diese Worte machen mich sehr froh, und ich glaube, dass du
damit vielen Menschen Hoffnung machst.
Danke nochmal, für deine Offenheit, für deine Kraft, für dein
Durchhaltevermögen und deinen Lebenswillen, Danke, dass es
dich gibt.
Liebe Grüße
M.
Danke für deine Worte, sie bedeuten mir viel. Auch wenn ich dich nicht kenne! Danke!
Ich hoffe, es ist alles beantwortet. Teilweise wusste ich nicht, wie ich mich ausdrücken sollte. Teilweise hätte ich ja fast meine Lebensgeschichte erzählen müssen, um alles völlig ersichtlich zu erklären.
Wenn das eine oder andere nicht klar wurde, frag nach.
Für mich ist das eben auch eine Art von Verarbeitung.
(Dumm nur, dass ich seit Tagen abends im Bett liege und nicht einschlafen kann. Es ist doch sehr persönlich und ich weiß nicht, ob es diesen Pädophilen nicht auch noch ein gefundenes Fressen ist. Ich meine, lesen diese Wesen meinen „Bericht“ und erfreuen sich daran?
Das macht mir im Moment zu schaffen.)
Ich habe meine Antworten nicht nochmal durchgelesen, weil es schon streckenweise hart wurde. Ich will es nicht nochmal durchmachen, indem ich es noch lese.
Daher schon mal sorry, wenn es wirr und voll mit Fehlern ist.
Liebe Grüße
Ayse (die jetzt froh ist, dass es doch nicht sooo schlimm war zu antworten, wie sie dachte)