Hallo Wolfgang,
Wenn das Ergebnis der Volksabstimmung wie im vorliegenden Fall
mit vertraglichen Regelungen zwischen der Schweiz und der EU
kollidiert, handelt es sich nicht mehr nur um eine nationale
Angelegenheit der Schweiz.
Kommt darauf an wie man dies sieht: Kuendigt ein Vertragspartner einen Vertrag muss dieser neu verhandelt werden und dies kann zum Nachteil der Schweiz sein.
Aber nun warte man erst einmal ab, bis sich die Aufregung
gelegt hat und auf allen Seiten etwas mehr Verstand einkehrt.
Erstmal passiert noch gar nichts. Gut möglich, daß der
Mehrheitswille der Schweizer Wähler in einer wenigstens
ansatzweise EU-konformen Weise umgesetzt wird. Auch nicht ganz
auszuschließen ist, daß in der EU noch einmal nachgedacht
wird.
Freizügigkeit ist ein hohes Gut.
Wieso? Was ist so tragisch daran wenn (mal theoretisch betrachtet) ab morgen Deutsche, Franzosen, Italiener usw. nicht mehr in der Schweiz arbeiten koennten um vom hohen Kurs des Frankens zu profitieren? Fuer die Schweiz kann das die Konsequenz haben dass der hohe Frankenkurs einerseits den Export schwaecht (wie jetzt auch schon) aber die positive Konsequenz, naemlich die Attraktivitaet der Schweiz fuer hochqualifizierte Arbeitnehmer, nicht mehr genutzt werden kann und die Schweiz somit wirtschaftlich zurueckfaellt.
Natürlich gehen mit jeder
Freiheit auch unangenehme Begleiterscheinungen einher. So gibt
es in der EU natürlich Leute, die billige Arbeitskräfte haben
wollen und irgendwas von Fachkräftemangel erzählen.
Tatsächlich ist es wohl nicht ganz einfach, etwa in Regensburg
oder Stuttgart einen Ingenieur aufzutreiben
Der Mensch ist gelegentlich eben doch ein Homo Oekonomicus und geht da hin wo es sich am meisten lohnt. D.h. einige Laender haben zu wenige Fachkraefte und leiden wirtschaftlich gesehen darunter. Ungelernte finden keine Arbeit mehr weil diese von auslaendischen Arbeitnehmern guenstiger verrichtet wird…
und in Mecklenburg
wird es zunehmend schwierig, Köche und Bedienkräfte für 6 €
brutto pro Stunde zu finden. Dem Vernehmen nach soll die für 4
€ brutto arbeitende Servicekraft einer Spielhalle vorsichtig
nach Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gefragt haben und ihre
freche Kollegin führte sogar das Wort Urlaub im Munde. Wobei
tatsächlich weder Urlaub noch Krankheit ein Problem
darstellen. Muß vom Arbeitnehmer nur gratis nachgearbeitet
werden. Wegen der allgemein zunehmenden Unverschämtheiten der
Untertanen sind manchen Arbeitgebern Leute am liebsten, die
noch richtig hungrig sind. Im Osten und Süden Europas gibt es
solche Leute. Schließlich darf sich nichts daran ändern, daß
man in manchen Branchen Hochschulabsolventen über Monate
kostenlos oder für ein Trinkgeld als Praktikanten beschäftigen
kann. Sobald dafür ein Mangel an willigen Leuten ruchbar wird,
muß man etwas von Fachkräftemangel hinausposaunen und
gleichzeit das hohe Gut der Freizügigkeit erwähnen.
Das sind die negativen Seiten, aber wo sind die Vorteile der Freizuegigkeit fuer die Durchschnittseuropaer? Derzeit profitieren, neben den Grosskonzernen, nur ein paar Personen die in einem Hochlohnland arbeiten und besser verdienen als im eigenen Land. Wobei man ja in Deutschland gut sieht dass das Entgeltniveau nach unten geht. M.E. wird es ein Race to the bottom geben indem die Entgelte, Arbeitnehmerrechte… sich mehr und mehr dem niedrigsten Niveau angleichen. Somit ist das ein sehr kurzfristiger Segen fuer Personen aus Niedriglohnlaendern die im Westen derzeit noch ein verhaeltnismaessig gutes Einkommen erwirtschaften koennen.
Das Schweizer Abstimmungsergebnis könnte den Anstoß liefern,
nachzudenken und zu diskutieren, wie man einerseits
Freizügigkeit sichert, aber ihre negativen
Begleiterscheinungen in den Griff bekommt.
Warum sollte man Freizuegigkeit sichern wollen? Ich denke allen Menschen in Europa wuerde es ohne Freizuegigkeit langfristig besser gehen.
In solcher
konstruktiven, nach Lösungen suchenden Diskussion sollte man
sich 2 Gruppen möglichst vom Hals halten, nämlich Leute, die
die EU und alles, was damit zusammenhängt, abschaffen wollen
Wieso? Ich moechte die EU reformieren, evtl. so stark dass man von einer Abschaffung sprechen kann. Dies finde ich eine legitime, konstruktive Option. Was findest Du an der derzeitigen EU so erhaltenswert?
sowie Leute, deren Blickfeld am Kassenrand und spätestens am
nächsten Quartalsabschluß endet.
Bzw. beim naechsten Wahltermin…
Natürlich kann man Interessenvertretern, die etwas von
Fachkräftemangel erzählen, etwas entgegen setzen, z. B.
belegbare Fakten. Wenn ich damit anfange, sprenge ich hier den
Rahmen. Deshalb nur ein einziges Beispiel, weil ich es gerade
erst dieser Tage gesehen habe: In einem Anstellungsvertrag
(irgendein Formdingens mit vorgedruckten Paragraphen) findet
sich der Passus, daß der Vertrag mit Vollendung des 65.
Lebensjahres des Arbeitnehmer automatisch endet. Das
Renteneintrittsalter 65 existiert gar nicht mehr, vielmehr
befinden wir uns in der Phase der Anhebung auf 67 Jahre.
Tatsächlich gehen aber schon viele Jahre vorher die
Einstellungschancen in vielen Fällen gegen Null, obwohl die
Leute kerngesund und fachlich auf aktuellem Stand sind und
einen großen Erfahrungsschatz einbringen könnten. Auch bei
jungen Leuten bleibt viel Potential ungenutzt. Ein
nennenswerter Prozentsatz verläßt ohne Abschluß die Schule,
andere hangeln sich nach einer Ausbildung von einem Praktikum
ins nächste, um schließlich in der Zeitarbeit zu landen oder
eine niedrig bezahlte, befristete Anstellung zu finden. Soll
heißen: Wir haben keinen Fachkräftemangel. Wir gehen aber mit
vorhandenen Ressourcen nicht sinnvoll um.
Volle Zustimmung.
Wer Waren in Verkehr bringen will, braucht gemeinsame Regeln
(kaufmännischer, rechtlicher und technischer Art, Normen,
Schutzklassen, Schutzrechte, Qualität, Gewährleistung u. v.
m.) in einem möglichst großen Markt.
Das kann vorteilhaft sein aber eben auch nachteilig da dies vor allem grossen Herstellern Vorteile bringt die in einem Niedriglohnland produzieren koennen und diese Ware dann in der gesamten EU verkaufen duerfen.
Wer die Umwelt intakt
halten will, kann Grenzen ebenfalls nicht gebrauchen.
Dafuer braucht man multilaterale Vertraege, mit Grenzen hat das wenig zu tun.
Auch wer
dauerhaften Frieden sichern will, ist auf gemeinsame
Interessen mit den Nachbarn angewiesen.
Die gemeinsamen Interessen ergeben sich aus den Handelsbeziehungen und politischen Kooperationen.
Wer reisen will,
braucht alles, nur keine Grenzen.
Das vorzeigen des Ausweises an der Grenze hat mich frueher nie vom Reisen abgehalten…
Gruss
Desperado