Ist Kofi Annan zu weit gegangen bei seiner Qualifizierung des Israelischen Bombenvolltreffers auf den UNO-Posten? Ich glaube nicht:
„I am shocked and deeply distressed by the apparently deliberate targeting by Israeli Defense Forces of a United Nations observer post in southern Lebanon that has killed two United Nations military observers, with two more feared dead.“
Mit dieser Aussage geht Kofi Annan für mein Sprachgefühl exakt bis an die Grenze, an die man gehen kann und an die man als immerhin betroffener Arbeitgeber und quasi auch noch Weltregierungsvorbote auch gehen muss.
„Augenscheinlich absichtsvolle Erfassung eines UNO Beobachtungspostens als Ziel“ wäre wohl die korrekte Übersetzung, die natürlich keiner gebracht hat, weil die zu unkrawallig klingt.
Wenn man dagegen „apparently“ mit „offensichtlich“ übersetzt, geht man m.E. über diese Grenze hinaus. „Offensichtlich“ heißt für mich, dass es AUCH NOCH so aussieht, wie man sich sicher ist, dass es IST. Während „augenscheinlich“ heißt, dass es halt „dem Auge“ so scheint. Das Auge aber ist:
- unser wichtigstes Sinnesorgan
- kann uns aber gleichwohl auch täuschen.
Wir haben also die klassische Situation eines durch „tatsächliche Sachverhalte“ begründeten Verdachtes. Als „tatsächliche Sachverhalte“ kommen z.B. die Warnanrufe plausilbel in Betracht, die vor dem Schein meiner Augen (1.) sogar noch das Bild einer zynischen Ausnutzung der Hilferufe als Feuerleitsignale aufscheinen lassen; allerdings natürlich unter dem Vorbehalt von Punkt 2.
Wir sind nach meinem Sprachempfinden in Deutschland nicht besonders versiert mit einer sauberen (öffentlichen) Kommunikation von Verdachtssachverhalten. Zuviele „Unterstellungen“ können aus unserem Gebrauch von Worten wie „offensichtlich“ herausgehört werden. Die Juristensprache dagegen (ob zu recht oder zu unrecht) als weitgehend journalistisch unbrauchbar und statt dessen haben wir es dann mit einem Wust von kritischer Sprachtheorie rund um „Klischeezitate“ und „Ressentimentbedienungen“ zu tun.
Die Befürchtung, dass anch Auschwitz „kein Gedicht“ mehr geschrieben werden könne, hat wohl sogar noch etwas zu kurz gegriffen. Unser post- LTI-Sprachgebrauch erscheint mir oft so verschludert, als seien wir danach in ein babylonische Sprachverwirrungsloch hinabgestürzt.
Also: „Offensichtlich“ haben sie nicht auf die UNO gezielt (sowas kann nur wissen, wer in Köpfe und Computer gucken kann, oder „wissen“, wer im Sinne eines Ressentimens sowieso schon alles „weiss“.
Aber der Augenschein erhebt gleichwohl Anklage und fällig ist die Eröffnung eines Verfahrens; und natürlich noch nicht ein Urteil, so sehr die Emotio auch dahindrängen mag.
Soviel zum Thema Indizien und Verdachtskommunikation. Nun zum Thema „Motiv“. Bei einer erhärteten Indizienlage ist die Frage eines Motivs ein üblicher und legitimer Untersuchungsgegenstand. Öffentliche Diskussionen über Motive sind dagegen Fehler- Streit- und Gefahrenquellen ersten Grades:
Ah, Du glaubst also tatsächlich, Israel hätte die UN-Soldaten :absichtlich getötet? Dazu fällt mir kein sinnvolles Motiv ein.
bemerkt ein Poster und triggert damit natürlich allerlei Phantasien an, über deren Zulässigkeit („Unterstellung“!!!) der Streit dann munter weiter geht und die Lager sich verfestigen können.
Die Frage eines Motives muss man strikt trennen von parteilichen Charaktereinschätzungen. Ich z.B., der hier eine vergleichsweise hohe Meinung von den Israelis zum besten gibt (Blutrünstigkeit wurde mir dafür sogar schon bescheinigt) darf da nicht so rangehen, zu überlegen, ob „denen das zuzutrauen ist“, sonst wird die ganze Überlegerei von vorn herein unaufrichtig.
Umgekehrt sollte, wer das Israelische vorgehen im Unrecht sieht, auch nicht einfach davon ausgehen, dass „denen das garantiert zuzutrauen ist“.
Die heikle Frage sollte vielmehr sein, ob man sowas SELBST machen würde. Und da muss ich sagen, dass ich das für mich selbst durchaus nicht völlig ausschliessen würde mögen. Wenn ich den Eindruck hätte, dass die UNO-Bürokratie gegen mich ist und dass es im Augenblick international auch so ein bisschen darum geht, wer sich zum peace- keeping freiwillig melden möchte und wer nicht, dann würde ich schon überlegen, ob ich eine solche internationale Überlegerei nciht vielleicht ein bisschen in meinem Sinne beeinflussen könnte. Wenn man so einen Beobachtungsposten wegputzt, dann werden sich die kritischen Finnen das vielleicht dreimal überlegen, ob sie sich über haupt melden mögen, während irgendwelche „chronisch-Neutralen“ sich vielleicht noch melden, aber dann nicht mehr so genau würden hinschauen mögen könnten.
Bei diesen Überlegungen handelt es sich wohlgemerkt um meine persönliche potentielle kriminelle Energie für die Handhabung von Konkliktlagen. Hieraus muss ich eine Konsequenz ziehen und darf eine andere nicht ziehen:
Die, die ich ziehen muss, ist die, dass ich mich von jeder praktischen Verantwortung für die Geschicke einer Konfliktpartei fern halten muss. Ich dürfte also nie so was wie Verteidigungsminister werden.
Die, die ich nicht ziehen darf ist die, irgendjemendem Anderen einfach zu unterstellen, dass er oder sie positiv genauso drauf ist.
Erst wenn jemand steif und fest behaupten würde, es gäbe gar kein Motiv und deswegen gäbs auch nicht zu untersuchen, dann würde ich mein furchtbares Geheimnis lüften und erklären, welche Motive mir zumindest einfallen könnten und dass man deshalb, also weil Motive auch nur einem einzigen Menschen einfallen, die Sache untersuchen muss, wenn die Indizienlage es nahelegt. Als ein solcher „advcatus diaboli“ würde ich mich sogar für relativ geeignet halten. Eine Rolle, die aber nur zu besetzen ist, wenn sonst alles vor gutmenschlicher Naivität zu ersticken droht. Zu unterstellen dagegen gibt es nichts; nur eben, bzw. sehr wohl eben: zu untersuchen.
Einerseits ist die gesamte Einsatztätigkeit der Israelischen Luftwaffe in diesem Konflikt, eine sagen wir mal „schwer belastete Angelegenheit“. Die Kriegerwitwen vom Heer würden recht geben; und viele andere natürlich auch. Andererseits ist ein regelrechtes „Heranbombardieren“ an ein „Nicht-Ziel“ schon eine noch mal extra erklärungsbedürftige Angelegenheit. Ein allgemeines: „Shit happens“ erklärt hier nicht genug.
Das war „Smart-shit“.
Im Prinzip kann auch so etwas passieren, wie es, glaube ich beim Flugzeugzusammenstoss über dem Bodensee der Fall war, als die Geräte richtig anzeigten, aber die Bediener dachten, dass sie falsch anzeigen (oder umgekehrt). Der Fehler (wenn es einer war) muss eine komplette Richtungsumkehr der Handlungswirkung gegenüber der Handlungintention zum Gegenstand gehabt haben. Und dafür müssen die Karten auf den Tisch.
Wenn es kein Fehler gewesen sein sollte, dann würde das übrigens nichts weiter Allgemeines beweisen. Es würde nur zeigen dass, um es im Jargon der einschlägigen präventiven Sprachkritk auszudrücken, „Auschwitz keine Besserungsanstalt war“, wie es eine engagierte Posterin übrigens hier am 15.5.2002 auch mal glaubte, zum besten geben zu müssen.
Falls die Untersuchung zutage fördert, dass es kein Fehler war, dann könnte der öffentliche Gebrauch dieses interessanten Gedankens allerdings eine gefährliche Schubkraftumkehr erfahren, deren Ahnung mich z.B. vor einem öffentlichen Gebrauch dieses Gedankens eher hat zögern lassen.
Im übrigen finde ich, macht der Kofi das ganz gut, ich jedenfdalls hätte keine Lust, auf diese ganzen Verrückten immer wieder mäßigend einzuwirken.
Mit echt auch mal besorgten Grüßen…
Thomas