Hallo,
Außerdem wurde der Posten des Präsidenten vor einer Amtsenthebung des :amtierenden Präsidenten neu vergeben, was illegitim ist, egal aus welchem
Grund die Absetzung erfolgt.
Der Vorwurf der Illegalität ist formal konstruiert. Fakt ist, dass der Ex-Präsident nicht mehr (im Land) vorhanden war, was den Abschluss des legitim eröffneten, aber noch nicht abschliessend durchgeführten Amtsenthebungsverfahrens unmöglich machte. Ob während eines schwebenden Amtsenthebungsverfahrens (welches zum Abschluss die 3/4-Mehrheit des Parlaments benötigt hätte) die Befugnisse des Präsidenten an eine andere Person gehen, lässt sich der Verfassung nicht entnehmen. Ich halte dies nicht nur für wahrscheinlich, sondern sogar für zwingend nötig.
Man stelle sich einmal fiktiv vor, dass ein ukr. Präsident im Parlament den Abgeordneten XY erschiesst. Da wäre der Staat wohl nicht gut beraten, diesem Präsidenten während „seines Verfahrens“ weiterhin Teile der Exekutivmacht (u.a.) zu überlassen.
Damit war auch die Möglichkeit eines förmlichen Amtsenthebungsverfahrens durch
das Parlement eröffnet (aber keine Rede davon).
Was zu diesem Zeitpunkt einfach nicht beantragt war.
Militante Gruppen kündigten einen bewaffneten Angriff auf das
Regierungsgebäude an.
Beziehst Du Dich hierbei auf die emotionale Ansprache dieses Ukrainers?
http://nypost.com/2014/02/25/meet-the-man-who-forced… Die Ankündigung eines bewaffneten Angriffs (von wem?) auf das Regierungsgebäude (welches genau?) kannst Du belegen?
[BTW: Hier einmal ein Statement der Partei der Regionen vom 23.02.2014 (Seite 3) ]
Inwieweit dieser behauptete Angriff den Ex-Präsidenten bedroht haben sollte, entzieht sich meiner Kenntnis, da er sich zu diesem Zeitpunkt wohl noch in der Lage befand, im Osten der Ukraine Fernseh-Interviews zu geben. http://www.abendblatt.de/nachrichten/article12510246…
Noch am selben Freitag Abend floh Präsident Janukowitsch. Mit
der Nachricht von seinem Verschwinden verschob sich die
Mehrheit in der Rada erdrutschartig und die pro-europäische
Opposition nutzte diese Situation.
Das liegt wohl daran, dass selbst seine eigene Partei die Schnauze von ihm voll hatte. Zudem liegt es natürlich an der Rückkehr zur Verfassung von 2004, zuvor eine Verfassung Gültigkeit hatte, die das Parlament weitgehend entrechtet hatte.
http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAn… bis Seite 6.
Wichtige Posten wurden mit
Oppositionspolitikern besetzt, der neue Parlamentsvorsitzende
wurde ein Vertrauter von Julija Timoschenko, Alexander
Turtschinow (den ich später nochmals erwähnen werde).
Es wurde eine neue Regierung mit der dazu erforderlichen Mehrheit gebildet.
Am Samstag erklärte Janukowitsch alle gegen ihn und seine
Regierung gefassten Beschlüsse als „gesetzeswidrig“. Den
Machtwechsel erklärte er zum Staatsstreich und verglich ihn
mit der Machtergreifung der Nazis in Deutschland. Er werde
nicht zurücktreten, er sei der gewählte Präsident.
Richtig. Wobei ein Rücktritt natürlich auch etwwas anderes ist als eine Amtsenthebung.
Bis dato noch Rede von einer Amtsenthebung. Doch die Hoffnung
das Janukowitsch freiwillig zurücktreten werde hatte sich
nicht erfüllt. Jetzt wählte in das Parlament mit 328 von 450
Stimmen ab. Bis zur Neuwahl am 25. Mai sollte nun der oben von
mir bereits erwähnte Parlamentsvorsitzende Turtschinow das Amt
des Präsidenten kommissarisch ausfüllen. Pikanterweise
unterschrieb er die dazu nötige Rada-Resolution Nummer 764-VII
vom 23. Februar in seiner Funktion als Parlamentsvorsitzender
gleich selbst.
Weil er ja auch derjenige war, der das in seiner Funktion zu unterzeichnen hatte.
Gem. Artikel 112 war er als Ersatz vorgesehen (roter Zusatz).
Ein fataler Schritt zu dem Turtschinow nicht das Recht hatte,
Turtschinow hat kein Recht vor der Amtsenthebung Janukowitschs
das Amt des obersten Befehlshabers der ukrainischen Armee und
des Vorsitzenden des Rates für Nationale Sicherheit und
Verteidigung zu übernehmen. (alles andere bislang geschehene
war juristisch rechtmäßig).
Und hier beginnt tatsächlich das Problem mit der Begründung für die Übernahme (beschnittener) Machtbefugnisse durch den Übergangspräsidenten.
Die Resolution beruft sich dabei auf Artikel 112 der
Verfassung der Ukraine (2004), weil Janukowitsch sich von der
Ausübung seiner verfassungsgemäßen Macht „selbst
zurückgezogen“ habe. Nach der gültigen ukrainischen Verfassung
(Artikel 108) kann die Amtsperiode des Präsidenten aber nur
aus vier Gründen vorzeitig enden: wegen Rücktritts, aus
gesundheitlichen Gründen, im Zuge eines
Amtsenthebungsverfahrens oder wenn der Amtsinhaber verstirbt.
Ist mir alles hinlänglich bekannt.
Hier kommt die von dir erwähnte Lücke zu tragen, für Flucht
ins Ausland gibt es keine Option in der Verfassung. Nur hat
sich die nach der Flucht Janukowitsch’ neu gebildete Rada
gegen eine Amtsenthebung und für ein „rascheres Verfahren“
entschieden, das nicht legitimiert ist.
Die Rada war keinesfalls neu gebildet. Sie legitimierte sich nach wie vor durch die Parlamentswahlen von 2012.
Rein juristisch gesehen ist Janukowitsch demnach der legitime
Präsident der Ukraine. Eine andere Frage ist, inwieweit diese
Sicht in revolutionären Zeiten politisch maßgeblich ist.
- Rein verfassungsrechtl. ist er spätestens und definitiv durch die Neuwahl nicht mehr Präsident.
- Ob er möglicherweise zwischen 02/14 und 05/14 formaljuristisch noch Präsident war, ist strittig.
- Dass die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens verfassungsrechtlich unbedenklich erfolgte, steht wohl außer Frage.
- Dass er sich diesem Ende des Amtsenthebungsverfahren durch Flucht nach Russland (incl. Asylantrag) entzog, ist wohl auch unstrittig.
- Unklar ist - wie von mir mehrfach erwähnt - ob er nach der Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens überhaupt noch de facto Präsident war oder ob er dies nur de jure war. Ob also bis zu einem formaljuristischem Abschluss (3/4-Mehrheit), seine Befugnisse suspendiert waren. Mir persönlich erscheint dies sogar zwingend nötig. dass eine andere Person (und der spätere Übergangspräsident wäre da funktional der logische Vertreter auf Zeit) diese Befugnisse zu übernehmen hätte, da man sie wohl kaum in den Händen eines unter bspw. Hochverrat Stehenden belassen könnte.
Es ist nun einmal eine Lücke in dieser nach wie vor recht löchrigen Verfassung und Verfassungsgeschichte.
Den Spiegel-Link hatte ich vor kurzem selbst (weiter unten) eingestellt. Zum Autor des Zeit-Artikels eine Randbemerkung: Er war früher als Berater eines Präsidenten tätig, über den Du Dich weiter oben (Link zur „umkämpften“ Verfassungsgeschichte) ein eigenes Bild machen solltest.
Auch er argumentiert vollständig im Sinne Janukowitschs und rein formal, beantwortet aber eben nicht, welcher Weg gangbar gewesen wäre, nachdem sich der Ex-Präsident „selbst entfernt hatte“ (um mal in etwas den Wortlaut des Parlaments zu benutzen). Vor allem aber scheint er die legitime Eröffnung des Amtsenthebungsverfahrens vollständig rückgängig machen zu wollen .
Die Kernfrage ist, warum Janukowitsch nicht in die UKR zurückkehrte, um sich dem Amtsenthebungsverfahren zu stellen. Meiner Meinung nach hat er kein Interesse daran, sich mit einem anschliessenden Strafverfahren konfrontiert zu sehen. Die Auslieferung ist beantragt oder sollte beantragt werden Das wird natürlich niemals geschehen.
vdmaster