Hallo karin,
den von Dir zitierten Artikel kannte ich bereits. Ich bin fest davon überzeugt, dass fast alles, was wir von jemandem über jemanden hören und lesen, gewisse Unschärfen aufweist - gerade dann, wenn es in den Medien um Politik geht.
Deshalb war mir, wie ich Anwar auch schrieb, weniger die die genaue Wortwahl des iranischen Präsidenten wichtig, sondern vielmehr das, was ich dahinter zu sehen glaube. Sicherheit erfordert mehr als nur das Lesen von Zeilen, sondern auch das Lesen zwischen den Zeilen, was dann jedoch wiederum eine Frage der Auslegungen ist, wie ich zugeben muss.
Ich sehe aber in den Zitaten A.'s durchaus nicht nur „neutrale“ Rezitate jenes „lieben“ Imams, denn dagegen spricht m. E. schon die Tatsache, dass er ihn eben als „lieben Imam“ bezeichnet, was durchaus den Verdacht auf seine Hochschätzung einer historischen Gestalt, die ein Entfernen israelischen Regimes fordert, begründet.
Der von Dir herangeführte Artikel gibt zudem nichts darüber her, dass es im Rahmen der betrefflichen Rede des iranischen Präsidenten zu standing ovations kam, in denen sehr, sehr viele Menschen die Parole „Tod für Israel! Tod für Amerika!“ ins Horn stießen. Da ich annehme, dass es sich im Falle der Begeisterten um recht viele native speakers der iranischen Sprache handelte, vermute ich, dass sie in dieser Rede von einer deutlichen Botschaft erreicht wurden, die sie zu einer entsprechenden Ergüssen hinreizte. Weiterhin bezieht sich der Artikel nur auf diese eine Rede des iranischen Präsidenten, jedoch auf ein sehr weites Feld westlicher Reaktionen, Bemerkungen und (beweislos unterstellter) Kriegsabsichten. Beim unbedarfsten Leser erweckt das mithin schon fast zwangsläufig den Eindruck, als wäre hier ein völlig (unterstellt absichtlich) falsch verstandener iranischer Präsident von einem kriegslüsternden Westen umzingelt worden. Verschwiegen wird indes auch, dass A. ebenso forderte, Israel nach Deutschland und Österreich zu verlegen, was natürlich in gewisser Weise auch ein Wegfegen von der nahöstlichen Landkarte wäre, denn auch A. dürfte sicherlich erkennen, dass sich das ohne Krieg nur eher schlecht einrichten ließe. Trotzdem forderte er es. Aber jene einseitigen und durchaus verzerrenden Ansichten verschiedener Gruppierungen der Friedensbewegung sind durchaus bekannt.
Schau’ nur mal unter „Friedensbewegung“ in der Wikipedia nach. Dort findest Du in der Zeit nach '45 direkt und ausschließlich Hinweise auf Widerstand gegen westliche Aktivitäten (z. B. Wiederbewaffnung, Vietnamkrieg, NATO-Doppelbeschluss, SDI, Kosovokrieg, beide Golfkriege etc.). Die Hinweise auf ein ebenso engagiertes Auftreten gegen das blutige Niederschlagen der Freiheitsbewegungen in Polen, der ehem. CSSR und der VR China fehlen ebenso wie die Hinweise auf ein Auftreten gegen die Besetzung Tibets, den Afghanistankrieg der UdSSR, den Mao’schen Massenmord, die aktive Unterstützung Nordvietnames durch China mit Waffen, die atomar nicht weniger und konventionell sehr viel umfangreichere Aufrüstung der UdSSR im Kalten Krieg, die nukleare Nachrüstung Russlands heute, den Krieg in Tschetschenien, das militärische Vorgehen Husseins gegen seine eigenen Landsleute, die atomare Aufrüstung Chinas, die aktive Bedrohung Taiwans durch China, die atomare Aufrüstung Nordkoreas…etc. Verhielten sich all diese Staaten und Staatenführer so richtig und friedlich, dass sich kein Friedensbewegter veranlasst sah? Warum finde ich darüber eigentlich nichts?
Wenn ich Dich bitten würde, Deine Hand dafür ins Feuer zu legen, dass der Iran nicht gegen Israel vorgehen würde, wenn er die Mittel dazu hätte - würdest Du das dann tun? Oder würdest Du wg. einer gewissen Unsicherheit zögern? Wärest Du Dir da dann doch unsicher? Wenn ich annehmen darf, dass dem so wäre, dann ist das genau die Unsicherheit, die Du Dir leisten kannst, das israelische Volk, dass mit seiner demokratisch ins Amt gewählten Regierung (oder „Regime“) engstens verbunden ist, aber nicht. Es ist gezwungen eine Abwägung zu treffen, ob es in seiner Existenz bedroht wird oder nicht. Sicherheit zu haben bedeutet daher mehr, als nur annehmen zu dürfen, dass ein Demagoge wortwörtlich auch genau das meint, was sagt. Kein Nachrichtendienst würde jemanden einstellen, der sich nur ein Spezialist darin ist nachzulesen, was jemand gesagt. Das machen Anwälte. Es kommt m. E. darauf an, wie jemand was gemeint hat. Dass es dazu durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, ist klar. Dass mancher meint, er müsse alle Dinge immer so verstehen, wie sie geschrieben stehen, ist auch klar. Machen wir uns aber nichts vor. Der iranische Präsident steht nicht vor Gericht und ist nicht zu wahrheitsgemäßen Aussagen und Behauptungen verpflichtet, sondern er ist ein Politiker und Demagoge, der nicht nur die iranische, sondern auch die arabische Welt hinter sich bringen will. Und deshalb kommt es sehr wohl auch sehr auf den Unterton, die transportierte Botschaft an, die ich insofern und in diesem Falle als äußerst bedrohlich empfinde.
Grüße
Tom