Hallo und Guten Tag,
ich möchte hier an meinen Strang in „Gender Studies“ anknüpfen: „Prostitution - welche Studien gibt es über Freier?“:
/t/prostitution-welche-studien-gibt-es-ueber-freier/…
Ich habe mir inzwischen den Film „The Sessions - Wenn Worte berühren“ angeschaut, der auf der wahren Geschichte von Mark O’Brien (1949-1999) beruht, eines Mannes, der auf Grund einer schweren Erkrankung an Kinderlähmung als Kind vollständig gelähmt war, seitdem meistens in der eisernen Lunge lag, mit 38 noch „Jungfrau“ war und sich - nach Absprache sogar mit seinem Beichtvater in der Kirche - entschloß, die Dienste einer bezahlten, sogenannten „Sexualbegleitern“ (englisch: „sexual surrogate“) in Anspruch zu nehmen.
Trailer zum Film „The Sessions“:
http://www.youtube.com/watch?v=xo2fMyMUatM
(Der Film „The Sessions“ ist m.E. übrigens wirklich sehenswert, mindestens ebenso gut wie „Ziemlich beste Freunde“.)
Im Film „The Sessions“ sagt die Sexualbegleiterin zwar sinngemäß: „Der Unterschied zwischen einer Prostituierten und mir ist: Die Prostituierte möchte, dass du sie immer wieder buchst, ich möchte dich mit meiner Sex-Therapie in die Lage versetzen, dass du Sex in einer Partnerschaft leben kannst. Deshalb ist die Anzahl der Therapiesitzungen auch auf sechsmal begrenzt.“
Und im Film lernt Mark O’Brien dann fast am Schluss - kurz vor seinem Tod - tatsächlich eine hübsche Frau kennen, als er als Notfall in ein Krankenhaus eingeliefert wird. (Und nachdem er sich in seine verheiratete Sexualbegleiterin verliebt und ihr rührende Gedichte geschrieben hat).
Nur ändert das aber nichts an der Tatsache: Da ist ein Mann, in diesem Falle ein behinderter Mann, der einer Frau Geld dafür gibt, dass sie mit ihm Sex hat. Außerdem ist die Sache mit der „Sextherapie“ eigentlich auch Augenwischerei, denn natürlich haben Schwerstbehinderte oft, wenn überhaupt, nur mit der „Sexualbegleiterin“ Sex, siehe den Dokumentarfilm „Rachels Weg“, von dem ich bisher leider auch nur diesen - wenn auch längeren - Trailer kenne:
http://www.youtube.com/watch?v=JSXNOTPMzDY
Nun betrachten wir demgegenüber noch einmal das „schwedische Modell“ der Prostitution, das die Bestrafung nur der Freier vorsieht. Die Universität Stockholm hat, offenbar nicht ohne Stolz, einen Bericht der Schweizer Zeitschrift „Das Magazin“ über jenen berüchtigten Umgang der Schweden mit Freiern eingescannt. Daraus möchte ich mal ausführlich zitieren (alle Hervorhebungen von mir):
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Schwieriger ist die Kontrolle im Internet, das dem Sexmarkt ab Ende der Neunzigerjahre neue Möglichkeiten eröffnete, zeitgleich mit Schwedens Sexkaufverbot. Das Überwachungsteam durchforstet Anzeigen nach schwedischen Telefonnummern. So kann man die Leute lokalisieren, selbst wenn die Seiten von Servern im Ausland betrieben werden. Und haben die Ermittler Glück, führt die Spur in eine Wohnung, die als Bordell genutzt wird, oder in ein Hotel. Bordelle, von denen es in den Siebzigerjahren Hunderte gab, sind verboten, ebenso in Zeitungen Sexinserate zu inserieren, deren Verleger würden sich der Zuhälterei strafbar machen. Bereits vor Einführung des Gesetzes arbeiteten zwei Drittel der Prostituierten versteckt hinter verschlossenen Türen, deren Zahl ist nicht gewachsen, sagt Wahlberg. «Unsere Arbeit ist nicht schwieriger geworden. Die Prostituierten müssen ja weiterhin die Kunden draussen erreichen. Und so hat auch die Polizei Zugriff. Ich sage immer, wenn die Polizei zu dumm ist, diese Verbrecher aufzuspüren, muss man die Polizei feuern.»
(…)
Detective Simon Häggström, 30, von der Prostitution Unit der Stockholm County Police, geht nachts auf die Strasse, um Männer zu beobachten, die sich verdächtig verhalten.
(…)
«Ich finde es faszinierend, dass manche Männer noch immer auf der Strasse Sex kaufen», sagt er. «Der sexuelle Drang muss so stark sein, dass er sie jede Vorsicht vergessen lässt. Erst wenn sie verhaftet werden, zerschellt ihr Leben in tausend Stücke.» Sieht er sie gar nie als Opfer eines natürlichen menschlichen Bedürfnisses? «Nein. Diese Männer finanzieren den Menschenhandel.» «Unmännlich» nennt er ihr Verhalten. «Wenn ich mit meiner Clique ausgehe und einer meiner Freunde würde gestehen, er sei bei einer Prostituierten gewesen: Wir würden ihn auslachen.» Am meisten freut sich der Polizist, wenn ein Mann mit bekanntem Namen ins Netz geht. Ein ehemaliger Fussballgoalie, ein ausländischer Tennisspieler, der ein Turnier in Stockholm spielte. Denn das gibt Publicity. «Nichts wirkt abschreckender.»Neu können die Prostituierten auch gegen ihre Kunden klagen und Schadenersatz verlangen, für «das Leid, zu dem die Freier beigetragen haben, und für die Verletzung der Gleichheit und Würde der Betroffenen», erläutert der Politologe Max Waltman von der Universität Stockholm. So könnte die Prostituierte nicht nur Sozialleistungen beanspruchen, es falle ihr womöglich auch leichter, aus dem Sexgewerbe auszusteigen. Der 38-Jährige hat die schwedische Sicht jüngst in einer Gastkolumne in der «New York Times» vorgestellt: Man müsse die Möglichkeit, vor Gericht zu gehen, zur Pflicht erheben, denn selten klage eine ausgebeutete Person ihre Peiniger von sich aus an. «Das schwedische Gesetz ist gut, aber es könnte besser sein», sagt er und beisst in der Unikantine in ein Riesensandwich. «Man betrachtet die Prostituierte noch zu wenig als Opfer eines Verbrechens. Immerhin ist es das einzige Gesetz der Welt, das die Prostitution reduziert hat.»
(…)_
http://www.statsvet.su.se/homepages/archive/max_walt…
Jetzt meine Frage:
Ist es wirklich fair und gerechtfertigt, einen nichtbehinderten Freier automatisch als „Verbrecher“ abzustempeln, die Prostituierte, die er für Sex bezahlt hat, zum „bedauernswerten Opfer“, einem Behinderten, der die - ebenfalls bezahlten - Dienste einer „Sexualbegleiterin“ in Anspruch nimmt, dies aber nicht nur zu erlauben, sondern sogar mit einem gewissen Wohlwollen zu betrachten?
Oder anders gefragt: Ist es nicht absurd, dass wenn Mark O’Brien oder andere Behinderte eben, wenn diese für Sex mit einer Frau bezahlen, etwas gesellschaftlich Akzeptiertes tun, was vielleicht, wie gesagt, sogar mit einem gewissen „augenzwinkernden Wohlwollen“ betrachtet wird, aber wenn sie genau das Gleiche(!) als Nichtbehinderte tun würden, nämlich genau dieselbe Frau für Sex zu bezahlen, sie zumindest nach schwedischen, norwegischen und isländischen (und Alice Schwarzers usw.) Maßstäben automatisch und immer(!) „Verbrecher“ wären?
Oder noch anders gefragt: Warum ist ein- und dieselbe Frau, die sich von einem Behinderten für Sex bezahlen lässt, kein „Opfer“, sondern eine „Sexualbegleiterin“, aber wenn der Mann, der genau dieselbe Frau für Sex bezahlt, nicht behindert ist, dann plötzlich dieselbe Frau zum (angeblichen) „Opfer“ wird, die den Mann sogar vor Gericht bringen soll - wenn der Vorgang doch eigentlich exakt der Gleiche ist: Ein- und dieselbe Frau lässt sich für Sex mit dem Mann bezahlen?
Hängt, so gesehen, der „Opferstatus“ ein- und derselben Frau, die sich für Sex bezahlen lässt, also jeweils davon ab, ob der zahlende Mann behindert ist oder nicht?
Und hängt also auch der „Verbrecherstatus“ des Mannes, der ein- und dieselbe Frau für Sex bezahlt, also jeweils davon ab, ob er behindert ist oder nichtbehindert?
Kann mir das jemand erklären?
Vielen Dank für Antworten und Meinungsäußerungen,
Jasper