Raschi und Eleazar über Adam und die Tiere
Wenn man sowas liest von dir:
Mir ging es ausschließlich darum, durch die von mir angeführten Zitate die im Talmud fixierten Auffassungen betr. Sexualität den Lesern zur Kenntnis zu bringen.
muß man sich die Haare raufen, woher du dich erdreistest, zu diesem Thema etwas „zur Kenntnis bringen“ zu müssen. Wenn jemand, der kein Wort hebräisch, aramäisch oder lateinisch lesen kann, keine Kenntnisse darüber hat, wie der Talmud in der europäischen Tradition entstanden ist, wie dort welche Zitate hineinkamen, und wie jüdische Gelehrte selbst dazu Stellung nehmen und in Jahrhunderten dazu Stellung nahmen, sich tatsächlich dafür interessieren würde, würde er doch Fragen stellen, statt tendenziöse Interpretationen selbst zu liefern - und ungefragt „abzuliefern“.
Trotzdem, da es nun schon mal ins Feld geworfen wurde, laß ich mich mal darauf ein.
Über Jahrhunderte haben sich die Inhalte der Traktate des Talmud angesammelt, mit dem Zweck, die unübersehbare Menge mündlicher Überlieferungen zu erhalten. Seit dem 2. Jhdt wurde zusammengetragen. In vielen Überlieferungssträngen. Und es gab Auseinandersetzungen darüber, wer was wie verbindlich weiß an Zitaten der vormaligen großen bedeutenden und einflußreichen jüdischen Gelehrten, von denen etwas Schriftliches aber nicht, oder nicht mehr, zur Verfügung stand.
Dazu gehörten insbesondere Ele’azar (ben Schammu’a) und Eliezer (ben Hyrcanus), die als die größten Torah-Kommentatoren galten. Weshalb auch gerade von ihnen Tausende von Zitaten in Traktaten und Mischna zu finden sind. Zwischen sephardischen und aschkenasischen Interpretationslinien, ferner speziell zwischen spanischen und nordfranzösischen Schulen, in hebräischer, aramäischer, lateinischer und später arabischer Sprache gab es Auseinandersetzungen über Fragen der Verläßlichkeit von Überlieferungen, über Kommentatoren und Superkommentatoren … Ganze Bibliotheken sind mit diesen Diskussionen gefüllt. Die mehr als 1200 Jahre Auseinandersetzung zum Beispiel über die christliche Trinität sind dagegen beinahe als Peanuts zu betrachten.
Und dabei sind auch Unmengen von Zitat-Überlieferungen im Konsens verworfen worden. Weil die Verläßlichkeit nicht gewährleistet war, weil auch die antiken Kommentatoren manchmal schief lagen und weil sich vieles nicht festzuhalten lohnte.
Bibliotheken füllend waren neben vielen anderen Themen isnbesondere natürlich auch die Kommentare und Superkommentare zu Bereschit und dort insbesondere zum Garten Eden, weil hier Grundlagen gelegt waren zur jüdischen Anthropologie. Und dabei wieder von besonderem Interesse war eben auch Gen II.23, weil hier die erste wörtliche Rede des Menschen dargestellt war.
Zu den als unsinnig und der jüdischen Lehre widersprechend aufgefaßten Zitaten der „Alten“ gehörte damals auch ein bestimmter angeblicher Midrasch des hochgeschätzten Rabbi Eleazar, der dem Satz Gen II.23 eine Interpretation unterlegte. Er ist erst dadurch in die Diskussion gekommen, weil der bis heute berühmteste Kommentator von sowohl Torah als auch Talmud, der nordfranzösische Raschi , Anfang des 11. Jhdts zu dieser Stelle eine kurze Glosse einfügte, in der er genau dieses Eleazar-Zitat zitierte, das in Yebamoth 63a festgehalten ist. Nur dieser Glosse ist es zu verdanken, daß dieser Satz überhaupt der Überlieferungsgechichte erhalten blieb.
Und er ist auch, um das vorwegzunehmen, allein aus Respekt vor diesem bedeutenden Lehrer, weiter in dem Traktat konserviert worden.
Und seitdem gab es bis ins 14. Jhdt hinein zwischen den oben genannten Schulen, Traditionen, Strömungen die heftigsten Auseinandersetzungen. Über die Frage, warum Raschi den Satz überhaupt erwähnte, auf welche Weise man ihn überhaupt verstehen könne, wie, falls Eleazar ihn überhaupt tatsächlich geäußert habe, er wohl den gesamten Kontext der Gen II Episode interpretiert haben müsse, um zu solch einer Deutung zu kommen.
Insbesondere ging es dann auch nicht um die Frage, wie das einleitende zo’t ha-pa’am zu verstehen sei (da war kein Zweifel dran), sondern wie 1. Eleazar und 2. Raschi es verstanden haben müßten. Auf wen oder was bezogen sie das zo’t („diese“)? In welchen Kontext wird das ha-pa‘am („diesmal“) mit den vorhergehenden Schilderungen interpretiert, von seiner ungewöhnlichen grammatischen Konstruktion ganz abgesehen? Bis hin zu der Frage, ob „sche-ba’ adam“ tatsächlich „copulatio“ meint, bzw. wörtlich oder in irgendeinem allegorischen oder metaphorischen Sinn gemeint gewesen sein könnte.
Eine Unmenge von Abhandlungen sind verfaßt worden, Symposien in den zentralen Schulen von Tortosa und San Mateo, mit unzähligen Interpretationen, die ich hier nicht aufzählen werde. Nur eine davon sei erwähnt: Sie berührte die Frage, daß die Absicht dahintergesteckt haben könnte, der christlichen Interpretation des von dieser Seite so aufgefaßten „Sündenfalls“ entgegenzutraten, daß damit erst die verteufelte Sexualtiät in die Schöpfung gekommen sei. …
Maimonides , Hezekiah ben Manoah , und viele andere waren involviert, immer interessiert, Eleazar und Rashi zu interpretieren, denn daß „copulatio habere“ („schimesch“) mit Tieren prinzipiell ausgeschlossen war, war in der rabbinischen Tradition, auch für Eleazar und auch für Raschi, selbstverständlich.
Und dann ist selbstverständlich genau dieses Zitat, zusammen mit zahlreichen geeigneten anderen aus Midrasch und Talmud, auch von christlicher Seite zur antijüdischen Hetze ausgenutzt worden. Von Petrus Alfonsi bis Jerónimo de Santa Fe (Hieronymus de Santa Fide), der vom jüdischen Glauben zum Katholizismus gewechselt war, gab es viele namhafte Wortführer. Nicolas Donin , ebenfalls ein jüdischer Apostat, sammelte 1236 im Auftrag von Papst Gregor IX 45 Talmudzitate, darunter auch den hier gemeinten Eleazar Midrasch, um zu beweisen, wie abartig jüdisches, talmudisches Denken sei.
Natürlich völlig ungeachtet der innerjüdischen Debatten um die besagten Passagen. Und genau diese Sammlung - isolierte Sätze, selbstverständlich ohne die unzähligen jüdischen Kommentare und Superkommentare - kursiert heute im Internet, von den erfundenen „Zitaten“, die es tatsächlich gar nicht gibt, ganz zu schweigen.
Gruß
Metapher