Modellfall für Zwangspsychiatrisierung
Hallo Tyll,
die „Gedankenkette“ sieht schon etwas anders aus, als Du meinst - und auch Du machst es Dir deutlich zu einfach. Gehen wir mal ins Detail, auch wenn es aufwendig ist. Beleuchten wir mal ausschließlich die medizinische, nicht die strafrechtliche Seite. Der Fall Mollath ist ja nicht nur ein Justizskandal, er ist auch ein Psychiatrieskandal.
Zitat aus dem forensisch-psychiatrischen-Gutachten Dr. Leipzigers vom 25.07.2005:
„Aus dieser Betrachtung resultiert als Ergebnis, dass der Angeklagte in mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt hat. Hier ist (…) der Bereich der Schwarzgeldverschiebung zu nennen, in dem der Angeklagte unkorrigierbar der Überzeugung ist, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau, diese selbst und (…) weitere Personen, (…) in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.“
In dem Beobachtungszeitraum, der Dr. Leipziger für die Begutachtung von Gustl Mollath zur Verfügung stand, fand kein einziges persönliches Explorationsgespräch statt, was Dr. Leipziger auch freimütig einräumte:
„Nachdem Versuche von Mitarbeitern auch in der 11. Kalenderwoche gescheitert waren, den Angeklagten zu Untersuchungen zu bewegen, (…) versuchte der Unterzeichnete am 18.03.2005 eine gezielte Exploration (…) durchzuführen.“ „Auch weitere Versuche den Angeklagten bis zum Ende der gerichtlich bestimmten Beobachtungszeit (…) noch zu Untersuchungen oder explorativen Gesprächen zu bewegen, blieben (…) ohne Erfolg.“
- allerdings ohne das Gericht darauf hinzuweisen, dass damit eine der Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten und Prognosegutachten nicht erfüllt war.
Am 05.04.2006 holt sich Dr. Leipziger die Unterstützung des OA der BKH Dr. Zappe, der gemeinsam mit ihm ein 3-seitiges Schreiben unterzeichnet, in dem eine Betreuung Mollaths gefordert wird - begründet mit dem „Wahn“ Mollaths, ohne nähere Spezifizierung. Nach Mollaths Auffassung war seine ‚Renitenz‘ die Ursache: „Als ich mich gegen die unglaublichen Zustände in der Anstalt von Dr. Leipziger (BKH Bayreuth) versuchte zu wehren, ließ der mich in einem Schnellverfahren […] entmündigen“. Genauso war es. Am 07.04. folgt ein weiteres Schreiben Dr. Zappes, der das Amtsgericht Bayreuth um schnellstmögliche Errichtung einer Betreuung ersucht. Diese wird vom Amtsrichterin Schwarz angeordnet, worauf Mollath am 24.04.2006 vom BKH Bayreuth in das Hochsicherheits-BKH Straubing verlegt wird. Keine zwei Wochen später (am 04.07.2006) erfährt der nun entmündigte Mollath, dass sein Haus versteigert wird …
Im Frühjahr 2007 stellt Mollath Antrag auf sofortige Entlassung. Das BKH Straubing schreibt in seiner Stellungnahme, Mollath habe eine „ausgeprägt wahnhafte Störung“ - natürlich ohne nähere Erläuterung oder Begründung. Am 23.05.2003 nimmt sich die Richterin Fleischmann vom Amtsgericht Straubing des Falles an - sie antwortet (endlich ein Jurist bzw. eine Juristin, die einem noch einen Restglauben an den Rechtsstaat bewahrt) ausführlich auf Mollaths Beschwerden und verfügt, die Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft Nürnberg abzugeben. Dazu stellt sie einen Antrag auf Entlassung unabhängig vom Anhörungstermin und beauftragt Dr. Simmerl (Oberarzt am Bezirksklinikum Mainkofen) mit einem Gutachten, das am 21.09.2007 vorgelegt wird. Befund des Gutachtens:
- psychomotorisch ruhig wirkend, im Affekt adäquat, lässt kritische Nachfragen zu
- mit Sicherheit keine schizophrentypischen Wahnideen
- keine Hinweise auf psychotische Erkrankung
- keine Affektstörungen
- keine formalen Denkstörungen
- keine kognitive Beeinträchtigung
- keine Hinweise auf Geschäftsuntüchtigkeit
- keine Betreuungsbedürftigkeit
- keine therapeutische Option im Maßregelvollzug
- sinnvolle Verständigung problemlos möglich
Das Gutachten führt zwar zur Aufhebung der rechtlichen Betreuung - wird aber ansonsten, da formal (nur) zu diesem Zweck erstellt, in weitern Verlauf einfach ignoriert - es „passt“ nicht.
Am 27.06.2008 erstellt Prof. Dr. Kröber (entgegen den von ihm postulierten Mindeststandards, gegen die schon Dr. Leipziger verstoßen hatte) eine Expertise, in der er völlig dem Einweisungsgutachten Leipzigers folgt, sowie dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth - und den Aussagen der Ehefrau(!). Rein nach Aktenlage, was er gleich zu Beginn des sog. ‚Gutachtens‘ einräumt: „anhand der Aktenlage erstattet“, zu Mollath selbst gibt es hier „nur eine recht dürftige Informationslage“, „weil […] auch die Ehefrau wenig zur Person ihres Mannes befragt wurde.“ (!!!) Seine Ausführungen zu Mollath beruhen also nach eigener Aussage „nur auf Zeugenaussagen der Ehefrau sowie handschriftlichen Aufzeichnungen“ Mollaths. Ein Witz von einem ‚Gutachten‘ …
Am 12.02.2011 folgt dann das Gutachten Prof. Pfäfflins, das Dr. Leipzigers Diagnose von „Wahnhaftigkeit“ bestätigt. Freilich mit einer nicht uninteressanten Einschränkung:
„Die Überprüfung, ob sich Herr M. aufgrund eines Komplotts im MRV [Maßregelvollzug] befindet, und ob ihm die dem Urteil zugrunde liegenden Taten zu Unrecht unterstellt wurden, ist nicht Sache des Gutachters. Ungeachtet dieser Feststellung müsste im Gutachten selbstverständlich darauf aufmerksam gemacht werden, wenn im Rahmen der Untersuchung Informationen auftauchten, die zum Zeitpunkt des Einweisungsurteils noch nicht bekannt waren und die Zweifel an der Täterschaft des Begutachteten begründen.“
Eine die Sicherungsverwahrung rechtfertigende Aggressivität vermag allerdings auch Prof. Pfäfflin nicht zu erkennen: Mollath ist „nicht innerlich angespannt, aggressiv oder voller Wut und Haß“. Er „beteilige sich mit großer Energie am Sport, zeige dort auch Teamgeist“. Arztbesuche seien „problemlos verlaufen“ man habe in der Lockerungskonferenz " keine von ihm ausgehende Allgemeingefährdung gesehen und keine Fluchtgefahr".
Am 30.04.2011 liegt dann das Gegengutachten Dr. Weinbergers, der Mollath am 11.4.2011 im Bezirkskrankenhaus Bayreuth auf der forensischen, Station untersuchte, vor. Dr. Weinberger ist Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut, Vorsitzender der Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V. und wurde 2006 für seinen „unschätzbaren ehrenamtlichen Beitrag zum Kampf für die Menschenrechte“ mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Mit anwesend Rudolf Heindl, Richter i.R. (vgl. auch hier: http://www.bund-fuer-das-recht.de/pdf/Heindl.pdf - äußerst lesenswert!) - die Klinikleitung hatte versucht, die Untersuchung zu verhindern, worauf Heindl bei Staatsministerin Haderthauer und beim Bayreuther Abgeordneten Dr. Rabenstein interveniert und so die Untersuchung erst ermöglicht hatte.
„Gustl Mollath, geb. 1956, sitzt, so mein gutachtliches Urteil, seit über fünf Jahren bei voller Gesundheit unschuldig in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt, weil mächtige Leute glauben, so seine sie störenden Aussagen auf Dauer wegsperren zu können. Unter dem schönsten Schein humaner, politisch neutraler, wissenschaftlich gesicherter Heilkunde wurde er mundtot gemacht.
[…]
Unauffälliges Äußeres, klares Bewußtsein, gutes Erinnerungsvermögen, normale Merkfähigkeit. Die an ihn gestellten Fragen wie auch Sinnzusammenhänge erfaßte Mollath mühelos. Er gab bereitwillig auf alle Fragen ruhig und ausführlich Auskunft. Er zeigte sich dabei um Genauigkeit bemüht, nicht aber pedantisch aufs Detail versessen, nicht eifernd und schon gar nicht fanatisch. Es klang auch keine hypochondrische Besorgtheit um die eigene Gesundheit an. Seiner Situation entsprechend war seine Stimmung gedrückt. Mitunter kam auch ein nachdrücklicherer Ton in seine Stimme, verhaltene Empörung über erlittenes Unrecht, damit sehr wohl emotionale Schwingungsfähigkeit anzeigend. Dominierend blieben Trauer und stille Wehmut über all die Verluste der letzten Jahre an Lebenswert, Hab und Gut. Im Antrieb wirkte Mollath verhalten, zurückgenommen. Der Gedankenablauf war flüssig und unkompliziert, formal geordnet. Die Äußerungen waren logisch mit einander verbunden, das jeweilige Thema zu Ende führend. Die anamnestischen Angaben (erwachte nächtens „oft schweißgebadet“ s.o.) wiesen auf eine gewissenhafte, eher ängstlich-zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. (Gegen eine Neigung zu überschießender Impulsivität spricht schon, dass Mollath bei keinem der erlebten Rückschläge, beim Diebstahl seiner Autos, der Hausdurchsuchung etc. „aus der Haut fuhr“). Nicht die Spur eines Vergeltenwollens, eines Rachebedürfnisses wurde bei der Exploration laut, auch nichts, was verstiegen, uneinfühlbar, absonderlich, aus dem Rahmen fallend oder gar bizarr wirkte, nichts, was als wahnhaft hätte gewertet werden können. Es kamen keine Hinweise für Sinnestäuschungen (Halluzinationen) auf. Gustl Mollath stellt hohe moralische Ansprüche an sich selbst. Altruistisch orientiert, denkt er auch in seiner derzeit so mißlichen Lage an die seiner „Mitgefangenen“.
[…]
Für eine Wahnerkrankung, eine „wahnhafte Störung“, eine „paranoiden Schizophrenie“ oder „organisch wahnhafte (schizophreniforme) Störung“ fanden sich keine Hinweise. Für keine dieser Erkrankungen werden gerade nach der International Classification of Diseases (ICD) die diagnostischen Kriterien erfüllt. Selbst für eine „paranoide Persönlichkeitstörung“ (ICD-10: D 60.0) mit den dazugehörigen Begriffen: „fanatisch expansiv paranoide Persönlichkeitsstörung“ und „querulatorische Persönlichkeitsstörung“, wie sie wesentlich „weicher“, weniger belastend Dr. S. annahm, fand ich keine ausreichende Symptome. Gustl Mollath opponierte aus keinem Fanatismus und keiner Querulanz heraus gegen die illegalen, vom Arbeitgeber unterstützten Geschäfte seiner Frau, sondern aus anerkennenswertem Rechtsgefühl und aus der Sorge um sich und um die Frau im Bewußtsein der Strafbarkeit von deren geschäftlichem Treiben. Dass er diese Position auch heute vertritt, ist in keiner Weise abnorm.“
Auch dieses Gutachten „passt“ natürlich nicht - es wird nicht anerkannt, weil nicht vom Gericht sondern dem mittlerweile entstandenen Unterstützerkreis Mollaths in Auftrag gegeben.
Am 08.02.2012 sendet Prof. Dr. Karsten Dieckhöfer, selbst jahrzehntelang als forensischer Gutachter für Gerichte tätig, eine Stellungnahme zu den Gutachten Leipziger und Pfäfflin an Justizministerin Dr. Beate Merk. Seine Beurteilung: Leipzigers Gutachten ist „unwissenschaftlich“ und stellt in seiner „diagnostischen Zuordnung ein Falsch- bzw. Gefälligkeitsgutachten“ dar. Insbesondere wurden Mollaths Einlassungen nicht recherchiert - jede gründliche Erörterung der Vorgeschichte der angeblichen Erkrankung ist „in geradezu unverständlicher Weise unterlassen worden“. Einige Behauptungen in dem Gutachten sind aus Sicht Prof. Dieckhöfers „geradezu grotesk“, „hilfloses Wortgeplänkel“, um dem Gutachten einen „pseudowissenschaftlichen Anstrich“ zu geben.
Pfäfflins Gutachten stellt nach Prof. Dieckhöfer „bisheriges wissenschaftliches Denken in der Psychiatrie offensichtlich bewusst auf den Kopf“. Pfäfflin hatte unter anderem festgestellt: „Das reale Geschen spielt lediglich eine untergeordnete Rolle“, Mollaths Gedanken kreisten „um einen fernen Punkt von Unrecht“. Dies sei der eigentliche „Kristallisationspunkt der wahnhaften Störung“. Prof. Dieckhöfer bezeichnet dies aus fachlicher Sicht als „groben Unsinn“. Dass Mollath sich gegen „Behandlungen“ zur Wehr setzt und die Zusammenarbeit mit den Ärzten verweigert, sei „aus wissenschaftlicher Sicht keinerlei Wahn“. Man habe jede objektive Urteilsfindung vermieden und sich „zum Befehlsempfänger offensichtlich vorgegebener Strukturen gemacht, die außerhalb jeglicher wissenschaftlicher Kategorie liegen“.
Die Justizministerin schweigt zu dem Schreiben, ebenso die Gutachter Leipziger und Pfäfflin.
Dr. Leipziger ist nach wie vor „behandelnder“ Arzt von Mollath. Am 28.03.2013 nimmt er gegenüber dem Amtsgericht Bayreuth zur weiteren Unterbringung Mollaths Stellung, dass aus forensisch-psychiatrischer Sicht „Sinn und Zweck der Maßregelvollzugsbehandlung nicht in Ansätzen erreicht werden konnten und somit weitere rechtserhebliche Straftaten, wie in den Anlassdelikten, zu erwarten sind.“ Auf telefonische Nachfrage von Mollaths Rechtsanwältin räumt Leipziger ein, dass ihm der Wiederaufnahmeantrag der Statsanwaltschaft zugegangen sei (der u.a. auf erheblichen Zweifeln an den „Anlassdelikten“ beruht). Er erklärt, er sehe keinen Anlass, seine Stellungnahme nach Kenntnis des Antrags der Staatsanwaltschaft zu ergänzen oder zu ändern. Dies sei erst möglich, wenn es juristische Feststellungen geben würde, dass Herr Mollath die ihm vorgeworfenen Taten nicht begangen habe.
Das hört sich etwas anders an als
wahnhaftes Denken ist ja mehr über seine Form zu bestimmen, weniger über den objektiven Wahrheitsgehalt des Inhalts
nicht wahr?
Freundliche Grüße,
Ralf